2007-06-03
3. Juni 2007, 19:10 Uhr
Die schlimmsten Krawalle in Deutschland seit mehr als 20 Jahren haben den friedlichen Protest Zehntausender gegen den bevorstehenden G-8-Gipfel überschattet: 1000 Verletzte, ein Sachschaden, der in die Millionen geht - und die Angst, dass dies erst der Auftakt der Gewalt im Umfeld des Gipfels in Heiligendamm ist.
„Die Gewalt ist mit nichts zu rechtfertigen“, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Sonntag in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“. Es seien „entsetzliche Bilder“ gewesen. Im Sender n-tv zeigte sie zugleich Verständnis für die friedlichen Demonstranten und ihre Anliegen. „Sie geben uns wichtige Anregungen.“ Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) verurteilte die „schockierenden Ausbrüche brutaler Gewalt“. Die Prognosen der Polizei zu möglichen Gewalttaten seien „leider sehr zutreffend“ gewesen.
Nach den Krawallen wurden 16 mutmaßliche Randalierer aus dem Ausland festgenommen. Wie die Polizei am Sonntag mitteilte, waren unter den insgesamt 128 Festgenommenen drei Spanier, zwei Belgier und zwei Franzosen sowie jeweils einer aus Bulgarien, Dänemark, Polen, Griechenland, Mexiko, Japan, Österreich, Schweden und der Ukraine. Die gewaltbereite Szene hatte vor der Rostocker Demonstration international mobilisiert. Nach Aussagen von Beobachtern waren auch Russen und Briten unter den Randalierern.
Nach Angaben beider Seiten - Veranstalter und Polizei – wurden bei den Zusammenstößen gewalttätiger Autonomer mit der Polizei fast 1000 Menschen verletzt. Der Sachschaden geht in die Millionen. Mitveranstalter Manfred Stenner vom Netzwerk Friedenskooperative hatte bei der Abschlusskundgebung am Samstag noch verzweifelt versucht, das Schlimmste zu verhindern. „Lasst die Bullen in Ruhe!“ rief er den Randalierern zu, doch sie konnten oder wollten ihn nicht hören. Am Sonntag muss er eingestehen, es sei „nicht wirklich gelungen“ eine kämpferische, aber friedliche Demonstration abzuhalten.
Am Samstagabend hatte es noch unterschiedliche Aussagen darüber gegeben, wie es so weit kommen konnte. Während der Koordinator der Demonstration, Monty Schädel, in Interviews der Polizei die Schuld an der Eskalation gab, nahmen Stenner und Mitorganisator Werner Rätz von Attac die Einsatzkräfte in Schutz: „Die Polizei hat sich an ihren deeskalierenden Kurs gehalten.“ In der Nacht gab es dann lange und heftige Diskussionen unter den zahlreichen Gruppen verschiedenster Couleur, die die Demonstration getragen hatten, wie mit der Entgleisung des Demonstrationszuges umgegangen werden solle.
Mit dabei war auch die nach eigenen Angaben linksextreme Gruppe Interventionistische Linke. Deren Sprecher Tim Laumeyer betont: „Diese Eskalation hat so niemand gewollt.“ Angesprochen auf den so genannten „Schwarzen Block“ von gewaltbereiten Autonomen reagiert er allerdings gereizt. „Es ist nicht richtig, dass nur die Autonomen randaliert haben. Die Polizei hat von sich aus geprügelt und so bewusst eskaliert, um die Bilder zu erzeugen, die manche Gruppen haben wollten.“
Für Stenner kommt es jetzt darauf an, sowohl G-8-Kritiker als auch Polizei wieder auf Deeskalationskurs zu bringen. Zwar kritisiert auch er, manche Beamte seien unverhältnismäßig brutal vorgegangen, gesteht ihnen aber zu: „In der konkreten Situation stand die Polizei im Regen.“ Daran waren seiner Ansicht nach auch die Organisatoren Schuld. „Wir haben es versäumt, bis zum letzten Moment vorsichtig zu sein.“ Nötig seien nun vertrauensbildende Maßnahmen und vor allem ein Abkühlen der Emotionen, sagt der Friedensaktivist. „Wir werden hart daran arbeiten müssen, den entstandenen Schaden zu reparieren.“
Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo warf Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) vor, dieser habe die Länder bei der Gefahrenabwehr allein gelassen. „Dies gilt auch für die Grenzkontrollen. Die Tatsache, dass zahlreiche ausländische Gewalttäter bei den Krawallen dabei waren, ist aus meiner Sicht unerklärlich“, sagte Buttolo der „Bild“-Zeitung. Für das Gipfel-Sicherheitskonzept sind die Länder zuständig, für die Grenzkontrollen der Bundesinnenminister.
Trotz der massiven Ausschreitungen will Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) weiter auf Deeskalation setzen. Aber bei den vielen friedlichen Demonstranten gebe es auch Chaoten. „Sie haben nur ein Ziel, Gewalt auszuüben“, sagte Caffier. Gegen Gewalttäter werde die Polizei weiter mit allen Mitteln des Rechtsstaats vorgehen.
Bayerns Innenminister Günter Beckstein (CSU) sagte, die friedlichen G-8-Gegner „müssen zur Identifizierung der Gewaltbereiten beitragen, die zum Teil auch aus dem Ausland gekommen sind.“ Er plädierte für Vorkontrollen, so dass die Demonstranten keine verbotenen Gegenstände mitbringen könnten. In der „Bild“-Zeitung forderte Beckstein, verstärkt schon potenzielle Gewalttäter in Gewahrsam zu nehmen. „Wer zum Beispiel Tränengas in der Tasche hat, muss bis zum Ende des G-8-Gipfels in Unterbindungs-Gewahrsam genommen werden“. Die Veranstalter der Demonstration in Rostock seien „für die erschreckende Gewalt mitverantwortlich, da sie aus den eigenen Reihen nicht gegen die Randalierer vorgegangen“ seien.
dpa/omi