2007-06-03 

Stenner: "Ein Teil waren besoffene Dissent-Kids, die drauf sind wie Hooligans"

Vorsichtige Annäherung in Rostock

Tag zwei in Rostock: Der Protest gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm geht heute weiter - in demonstrativ gemäßigteren Bahnen. Der Schock über die brutalen Krawalle am Rand der gestrigen Demonstration sitzt bei Organisatoren und Polizei tief.

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Rostock - Die Rostocker haben heute Mittag ihre Stadt langsam wieder in Besitz genommen. Schaulustige kommen zum Hafen, um die Spuren der Krawalle zu besichtigen. Im Gebüsch am Straßenrand liegen noch Brocken zertrümmerter Gehwegplatten und Scherben von Flaschen. Auch das Wrack eines ausgebrannten Autos wollen sie sehen, das auf einem Behindertenparkplatz steht. Kehrmaschinen der Straßenreinigung und Lieferwagen von Glaserbetrieben beseitigen die letzten Spuren des gestrigen Infernos. Manche Flaneure schütteln den Kopf, andere beteuern, sie hätten es geahnt, dass es so kommen würde.

Heute wird weiter demonstriert in der Rostocker Innenstadt. Doch bisher ist die Lage sehr, sehr ruhig. Organisatoren und Polizei wollen alles dafür tun, dass sich die Bilder von gestern nicht wiederholen.

Protestaktionen gegen den Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft stehen auf dem Programm. Rund 2000 Menschen versammelten sich in der Innenstadt, um gegen gentechnisch verändertes Saatgut und Pflanzen zu demonstrieren. Die Redner geißelten weltweit agierende Agrarkonzerne, die versuchten diese Technik gegen den Willen der Mehrheit der Landwirte und Konsumenten voranzutreiben.

Nach den Krawallen von gestern, bei denen fast 1000 Polizisten und Demonstranten verletzt wurden, erklärte heute ein Sprecher der Polizei: "Wir sind gewappnet." In hoher Zahl, aber betont versöhnlich, geleiten die Beamten den Protestzug durch die Stadt. Die meisten Polizisten tragen keinen Helm auf dem Kopf, was gleich wesentlich friedlicher aussieht.

Nach einer Kundgebung im Rostocker Zentrum wollen die Demonstranten am Nachmittag in einer Rallye "kreativer Aktionen" zu einem Gentechnik-Forschungszentrum ins 15 Kilometer entfernte Groß Lüsewitz ziehen. Dort zeigte sich bereits heute mittag massive Polizeipräsenz. Als ein einzelner Demonstrant versuchte, einen Zaun zu einem Gentechnik-Feld zu überwinden, waren sofort mehr als 20 Polizeieinsatzwagen zur Stelle. Der Demonstrant flüchtete. Alles kein Vergleich zu gestern.

Da waren es Szenen rohen Hasses: Vermummte Radikale lieferten sich mit der Polizei eine der heftigsten Straßenschlachten, die das Land in den vergangenen zwanzig Jahren gesehen hatte. Autonome schleuderten Steine, Knüppel und Flaschen in die Reihen der Polizei, behelmte Ordnungshüter stürmten immer wieder gegen die Demonstranten. Stundenlang tobte auf den Straßen der Mob, steigerte sich in eine Orgie der Gewalt.

Heute heißt es von Seiten der Polizei, auf Seiten der Autonomen hätten sich viele Ausländer beteiligt. Polizeisprecher Axel Falkenberg zufolge waren unter den 125 festgenommenen Demonstranten aus dem Autonomen-Block Bulgaren, Österreicher, Japaner, Schweden, Spanier, Franzosen und Russen. Insgesamt waren nach Polizeiangaben rund 2000 gewaltbereite Autonomen nach Rostock gekommen.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) verurteilte die Ausschreitungen. "Die schockierenden Ausbrüche brutaler Gewalt sind entsetzlich." Die Prognosen der Polizei seien "leider sehr zutreffend" gewesen.

Auch von Seiten der Veranstalter war das Erschrecken über die Gewaltbereitschaft groß, mit klaren Worten distanzierten sie sich von der Gewalt. "Ein Teil waren besoffene Dissent-Kids [dissent engl. für Abweichler, Anm.d.Red.], die drauf sind wie Hooligans", sagte Manfred Stenner, einer der Organisatoren der Demo, zu SPIEGEL ONLINE. "Die denken nicht politisch, mit denen kann man gar nicht reden."

Die Veranstalter räumten eigene Versäumnisse ein, setzen aber weiter auf Deeskalation. Die Ausschreitungen seien durch nichts zu rechtfertigen, sagte Stenner heute Morgen. Die Polizei habe sich an ihren deeskalierenden Kurs gehalten. Die Demo-Organisatoren seien nach dem friedlichem Beginn davon ausgegangen, dass es ruhig bleibe. "Wir dachten, es passiert nichts mehr", sagte Stenner.

ler/dpa/Reuters/AP

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