2007-06-03 

tagesspiegel: Steine, Schläge, Straßenkampf

(03.06.2007)
Lange blieb es ruhig. Dann am Nachmittag krachte es. Der G-8-Protest in Rostock begann als friedliche Demonstration. Er endete in Gewalt
Von Constanze von Bullion, Andreas Frost, Hannes Heine, Frank Jansen, Philip Lichterbeck, Claus-Dieter Steyer Aus Berlin, Rostock, Schwerin
Lange an diesem Samstag sieht es danach aus, als würde ausbleiben, was alle befürchtet haben.
Und dann, es ist gegen drei Uhr am Nachmittag, passiert es doch. Eine plötzliche Eruption der Gewalt. Vermummte bewerfen die Polizei mit Pflastersteinen und Flaschen, beschießen sie mit Leuchtraketen, einer geht mit einem Messer auf einen Beamten los, Krankenwagen rollen heran. Der Platz am Rostocker Stadthafen, auf dem in ein paar Minuten die Abschlusskundgebung der Großdemonstration gegen den G8-Gipfel stattfinden soll, verwandelt sich in ein Schlachtfeld. Einzelne Gruppen von Polizisten werden durch die Straßen gejagt. Die Gewalt geht von denen aus, die zuvor im schwarzen Block gelaufen sind, mit 3000 bis 4000 Autonomen, wie die Polizei schätzt. Die Polizei ist mit mehreren Hundertschaften im Einsatz, Hubschrauber kreisen über der Gegend.

Die Lage ist für kurze Zeit sehr unübersichtlich. Später wird sich herausstellen dass dieser plötzliche Ausbruch heftig war, dass er aber nach wenigen Minuten aber wieder vorüber ist. Eine Polizeisprecherin meldet, der mit dem Messer attackierte Beamte sei nicht schwer verletzt worden und im Dienst geblieben. Noch etwa eine Stunde später, gegen vier am Nachmittag, liefern sich Polizei und Randalierer am Rande der Demonstration einzelne Gefechte, aber die Gemüter scheinen sich auf beiden Seiten etwas beruhigt zu haben. Die Polizei wird von einem „weitgehend friedlichen Verlauf sprechen“.

Ob das auch am Abend so bleiben wird, ist da allerdings nicht abzusehen.

Dabei sah es erst mal gar nicht aus, als müssten die Rostocker sich fürchten.

Zehntausende hatten sich in den Straßen von Rostock gesammelt um gegen den Gipfel der großen Acht zu protestieren; wie viele es genau sind, ist schwer zu sagen, die Angaben schwanken zwischen 25 000 und 80 000. Es ist der Aufgalopp für eine Woche, in der nach Kräften demonstriert und blockiert werden soll und in der Gruppen aus halb Europa eine Art Riesenmaschine in Gang setzen wollen, die das aufhalten soll, was zu den Kollateralschäden der globalisierten Welt zählt: Klimaerwärmung und Kriege, Ausplünderung und Überschuldung, Genfood und Privatisierung aller möglichen Ressourcen. Ein Aufmarsch der Weltverbesserer setzte sich in Gang.

Junge Leute mit atemberaubenden Perücken und in rosa Nachthemden trommelten der Auftaktdemo voran und dahinter kam dann ein Riesentross, der dröhnte und tanzte. Ganz vorne hatten sich auch die Christen eingereiht, beim Bündnis „Gerechtigkeit Jetzt“, das für faire Handelsbeziehungen zwischen Nord und Süd kämpft. „Misereor“ und „Brot für die Welt“ sind darunter. Vera, 26 Jahre alt und es leid sich immer das Gleichnis vom barmherzigen Samariter anzuhören, war zusammen mit weiteren Protestanten um sechs Uhr in Berlin mit einem VW-Bus losgefahren, eine Katholikin war auch dabei, und eine Jüdin und eine Bekannte.

Da waren zum Beispiel die „Kings on Tour“, acht Aktivisten aus Dänemark, die sich als Könige verkleideten und mit Zepter, Krone und Hermelin würdig in die Menge grüßten; umringt von verhungerten Gestalten. Ein paar Meter schwenkte Adnan, Weinbauer aus der Türkei, eine grüne Fahne. Er ist angereist, um mit Landwirten aus der halben Welt dagegen zu protestieren, dass die Industrialisierung der Landwirtschaft Kleinbauern die Existenz kaputt macht.

Es sind die bunten Bilder vom Aufbruch zum Gipfel in Heiligendamm. Aber es gibt auch andere. Irgendwo in der Menge etwa zerrte die Ex-Terroristin Inge Viett froh gelaunt ein paar rote Fahnen aus einem Laster. Und in manchen Ecken guckte die Demonstranten so betont gefährlich, als sei hier alles ein großer Maskenball. Wer etwas genauer hinsah, konnte hinter all den teuren Sonnenbrillen und nagelneuen Kapuzenpullis dann viele sehr junge Gesichter sehen, die bisweilen ein bisschen aufgeregt wirken.

Im Gegensatz dazu herrscht in den Basislagern der Demonstranten eine geradezu vorbildliche Organisation. Man zeltet hier nicht einfach irgendwo auf der Wiese, sondern mit seiner „Bezugsgruppe“ in genau definierten „barrios“. Neben den üblichen „Volxküchen“ gibt es ein Kleinkunstprogramm zur Entspannung und Betreuung für die Kinder. Die Fahrräder werden in Reih´und Glied an eigens ausgeschilderten Pfosten geparkt. Der Müll ist zu sortieren und selbst wegzuschaffen, steht in einer Art Hausordnung. Und dass jede Zigarettenkippe „unbedingt“ in Aschenbecher zu befördern sei.

Alles schön und gut, sagt Garry aus Schottland, „wir stehen hier natürlich alle zusammen im Kampf gegen die globale Umweltzerstörung und die Ungerechtigkeit.“ Aber so viele Vorschriften, Anführer und Hierarchien, das sei für einen Anarchisten einfach untragbar. Garry ist 23 Jahre alt, er trägt zum Irokesen eine flotte schwarze Brille und kaspert gerade mit ein paar Mitstreitern auf der Wiese herum. Es gibt hier tausend verschiedene Gruppen. Falls die Polizei das Camp stürmt, dann wollen manche einfach aufstehen und gehen. Garry schüttelt den Kopf. „Wir haben hier befristete Zeit, um eine neue Gesellschaft zu entwickeln, und die ist es wert verteidigt zu werden.“

Doch es ist eine andere Nachricht, die jene, die am frühen Samstagmorgen auf den Straßen sind,in Aufregung versetzt. Die sperren alle Handy-Netze!“, hat ein junger Mann in eine Menschentraube auf dem Bahnhofsvorplatz am Rande der Innenstadt gerufen. Von hier aus soll sich nach einem Musikprogramm und einigen Rednern einer der beiden Demonstrationszüge der großen Kundgebung in Bewegung setzen. Die Tastensperren der Telefone werden gelöst und mit meist finsterem Blick das Netz überprüft. „Vodafone ist da!“, ruft jemand, „E-Plus auch“, ein Anderer. Am Ende stellt sich heraus, dass vorerst kein Netz gesperrt ist. Nein, sagt Kriminalhauptkommissar Heiko Söhnel, der einen Sondertrupp leitet, die Handy-Netze würden auf keinem Fall gesperrt, um die Kundgebung zu stören.

Die Rostocker selbst sind seit morgens um acht sind mehr Autos auf der Landstraße gen Süden aus Rostock hinausgefahren als hinein. Viele verlassen aus Furcht vor Ausschreitungen die Stadt. Mancher hat sein Auto in einer Tiefgarage abgestellt. In einer Seitenstraße am Hafen kommen Gregor und Max mit Frühstücksutensilien nach Hause. „Vollkommen außergewöhnlich“ sei die Ruhe in der Stadt.

In der sonst belebten Fußgängerzone haben viele Geschäftsleute ihre Auslagen aus den Schaufenstern geräumt oder diese mit Sperrholzplatten komplett verrammelt. Das stadtgrößte Kaufhaus in der Langen Straße, der Lampenladen, das Modehaus. Gaststätten, Imbissbuden und Bekleidungsshops haben dicht gemacht. 60 Prozent der Läden bleiben geschlossen. Aber eben nicht alle. Die Verkäuferin eines Billig-Textilien-Händlers, der zum Räumungsverkauf einlädt, sagt: „Bei uns kann sowieso nicht viel kaputt gehen.“ Und die Tür zu einer bundesweit bekannten Sex-Shop- Kette steht offen.

Die Protestierer wundern sich über die verbarrikadierte Stadt, und die Rostocker selbst erkennen sie nicht wieder. „Wenn das mal nicht nach hinten los geht“, orakeln die wenigen Einkaufsbummler. „Toleranz sieht anders aus“, sagt Hannes Boront, der ganz in der Nähe wohnt. „Die müssen sich die Demonstranten erst recht provoziert fühlen. Außerdem die viele, viele Polizei.“ Ein paar Rechtsanwälte versuchen deshalb ins Geschäft zu kommen, sie und verteilen Zettel, auf denen sie ihre Dienste anbieten: „G8 Strafverteidigung“.

Als der Demonstrationszug dann durch die Innenstadt läuft, scheint die Laune der internationalen Protestierer gut, die Polizei-Hubschrauber, die das Geschehen permanent aus der Luft beobachten, melden bis zum Nachmittag: „Alles friedlich, alles unter Kontrolle.“

Alles unter Kontrolle, das gilt zu diesem Zeitpunkt auch in Schwerin. Zumindest, wenn damit mögliche Ausschreitungen gemeint sind. Das Stadtzentrum ist fast leer, Polizei patrouilliert. Mehrere Geschäfte sind geschlossen. Es wirkt, dass Polizei und Politik in den Tagen zuvor vor schweren Krawallen rechter und linker Demonstranten gewarnt haben. Am Morgen hat die Polizei die Landeshauptstadt abgeriegelt. Auf den Zufahrtsstraßen wird nur durchgelassen, wer nicht als Neonazi oder Autonomer zu erkennen ist. Die Linken versuchen es trotzdem, sie kommen in Zügen aus Berlin und Hamburg. Am Bahnhof wartet ein Großaufgebot der Polizei. Etwa 150 Demonstranten, darunter ein größerer Trupp aus Holland, werden um 10 Uhr eingekesselt. Doch es bleibt friedlich.

Im Lager von NPD und Neonazis herrscht eine Stimmung, die zwischen Wut und Entsetzen wechselt. Im Dezember hatte die rechtsextreme Partei in Schwerin den Aufmarsch angemeldet. Kurz vor der Kundgebung hat das Rathaus die Stadt zur demofreien Zone erklärt. Aus Furcht vor einem „polizeilichen Notstand“, falls neben den erwarteten 2500 Rechtsextremisten auch noch tausende Nazigegner kommen. NPD und Linke wehren sich vor den Verwaltungsgerichten und rufen sogar das Bundesverfassungsgericht an. Am Ende vergebens. Das Verbot bleibt.

Fraktionsgeschäftsführer Peter Marx, auch Generalsekretär der Bundespartei, ist stocksauer. „Für die Nationalen gelten die Grundrechte nicht“, ruft er am Morgen ins Telefon. Dann macht er sich mit seinen „Kameraden“ auf den Weg nach Lüneburg, um dort „für das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit“ zu demonstrieren. Andere NPD-Anhänger fahren nach Berlin. Die Polizei meldet, vor allem die jungen Neonazis seien „absolut aggressiv“. Udo Pastörs hat es prophezeit. Auch gewollt? Am Freitag warnte der Chef der NPD-Fraktion in Schwerin: „Wie lange wir die Disziplin aufrecht erhalten können, kann ich nicht sagen“. Selbstverständlich sei das „keine Gewaltandrohung“.

In Berlin bleiben die befürchteten Randale bis zum Abend aus. Die Berliner Polizei fing etliche Kameraden ab, die mit Bussen in die Stadt gekommen waren.

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