2007-06-03 

n-tv: Das Recht zum Protest: Anwalt beim G8

Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) bietet in den nächsten Tagen all jenen Rechtsbeistand an, die im Rahmen der G8 Proteste mit Polizei und Gesetz in Konflikt geraten. Der Verein besteht seit 1979 und versteht sich als Teil einer Bürgerbewegung. Erklärtes Ziel der Anwältinnen und Anwälte ist es, die Interessen von Minderheiten und Benachteiligten zu vertreten, indem sie das “Recht als Waffe” nutzen. Carsten Gericke arbeitet als Strafverteidiger in Hamburg und ist seit Jahren Mitglied im Verein. Für die Dauer des G8-Gipfels hat er in Rostock Stellung bezogen.

n-tv.de: Was passiert zur Zeit in Sachen Rechtsschutz in Rostock und Heiligendamm?

Carsten Gericke: Wir haben hier in Rostock ein ad hoc Anwaltsbüro eingerichtet. In den kommenden Tagen werden zwischen hundert und hundertzwanzig Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte aus Deutschland, Europa und Russland vor Ort sein und im Rahmen des Möglichen zu verhindern versuchen, dass es hier zu Grundrechtsverletzungen und rechtswidrigen Inhaftierungen kommt. Der RAV hat langjährige Erfahrungen mit den Castorprotesten im Wendland. Mit diesen Erfahrungen im Gepäck haben wir angeboten, die Versammlungsleiter zu unterstützen und aufgeladene Situationen herunterzukochen, damit ein friedlicher Protest stattfinden kann.

Der anwaltliche Notdienst ist rund um die Uhr vor Ort erreichbar. An wen richtet sich Ihr Angebot?

Inhaftierte haben das Recht, in jeder Lage des Verfahrens einen anwaltlichen Rat einzuholen. Unsere Erfahrung mit anderen Veranstaltungen hat gezeigt, dass oft versucht wird, dieses Recht zu unterlaufen oder zu verschleppen. Die Leute werden erst lange durch die Gegend gefahren, und wenn sie endlich irgendwo ankommen, steht vielleicht nur ein einziges Telefon für alle Inhaftierten zur Verfügung. Wir kümmern uns auch um die Haftbedingungen und machen uns diesbezüglich große Sorgen, dass in den zum G8-Gipfel eingerichteten “Gesas”, den Gefangenensammelstellen, problematische Verhältnisse herrschen werden, die an Käfighaltung erinnern. Leider hat man uns keine näheren Informationen, geschweige denn Zugang gewährt, obwohl wir schon früh versucht haben, mit der zuständigen Polizeibehörde ins Gespräch zu kommen.

Können auch Polizistinnen und Polizisten bei Ihnen Rechtsbeistand suchen?

Seinem Selbstverständnis nach tritt der RAV staatlichen Grundrechtsverletzungen entgegen. Polizeibeamte gehören daher nicht zu unserer Zielgruppe. Diese verfügen im Übrigen selbst über einen immensen Machtapparat, eigene Rechtsbeistände und entsprechende Strukturen, so dass sie nicht auf unsere Unterstützung angewiesen sind.

Polizisten nehmen am 29. Mai in Hamburg einen Demonstranten in Gewahrsam.
Wie gehen Sie im Falle einer Festnahme vor?

Bei so genannten Ingewahrsamnahmen nach Polizeirecht lassen wir uns zunächst die einzelnen Fakten vorlegen, auf die sich die Verhaftung stützt, und überprüfen, ob sie eine tragfähige Grundlage bilden. Dann wird im zweiten Schritt geprüft, ob eine Festnahme unbedingt notwendig war. Häufig werden Leute verhaftet, obwohl zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung mildere Mittel, zum Beispiel ein Platzverweis, schon ausgereicht hätten. Das Gesetz fordert aber ausdrücklich, dass eine Freiheitsentziehung “unerlässlich“ sein muss.

Welche Sorte Demonstranten macht Ihnen Ärger?

Mir persönlich machen Demonstranten keinen Ärger. Es geht uns darum, den Leuten rechtlichen Beistand zu leisten. Meine Erfahrung als Anwalt zeigt, dass polizeilich erhobene Vorwürfe gegen einzelne Demonstrantinnen und Demonstranten oft gar nicht zutreffend sind. Die Polizei strickt oft aus Haare sträubenden Indizien eine Gefahrenprognose. Es kommt auch immer wieder zu Personenverwechselungen oder Vorfälle werden aufgebauscht. Außerdem ist es nicht unsere Aufgabe, als Rechtsanwälte über die moralische Intention der einzelnen Betroffenen zu urteilen – das sind eher Fragen des angemessenen politischen Handelns.

Hat der G8-Gipfel rechtlich gesehen neue Realitäten geschaffen?

Ja, es gab vor allem eine umfangreiche Novellierung des Mecklenburgischen Polizeigesetzes im Vorfeld des G8. Das Gesetz regelt das polizeiliche Handeln und enthält nun zahlreiche Regelungen, von denen man vermuten kann, dass sie auf Situationen wie den G8 zugeschnitten sind - beispielsweise die Befugnisse, im Zusammenhang mit Versammlungen Aufenthaltsverbote zu verhängen, Kontrollstellen überall im freien Land einzurichten und willkürlich Fahrzeuge zu durchsuchen, wie es hier vor Heiligendamm unter hanebüchenen Vorwänden bereits passiert ist.

Wie nah kommen die Protestierenden an die Teilnehmer des Gipfels heran?

Die Polizei hat einen Korridor von zirka 40 Quadratkilometern zur versammlungsfreien Zone erklärt. Dabei schirmt ja schon der Zaun, die so genannte Verbotszone I, Heiligendamm im Radius von 2,5 Kilometern ab. Das Verwaltungsgericht Schwerin hatte mit einer einigermaßen versammlungsfreundlichen Entscheidung die Verbotszone II vor dem Zaun teilweise aufgehoben. Nun hat das Oberverwaltungsgericht in Greifswald das Flächenverbot überraschend wieder hergestellt. Damit sind alle Versammlungen in den Verbotszonen I und II verboten. Wir sind der Meinung, dass dies mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht in Einklang zu bringen ist, zumal uns die Begründung der Polizei nicht stichhaltig scheint. Die Einsatzleitung sagt: Wir wollen uns innerhalb der Verbotszone I, also im umzäunten Bereich, gar nicht bewegen und brauchen darum die gesamte Verbotszone II, um dort unsere Truppen zu verschieben und Rettungswege freizuhalten. Dabei geht es aber nicht um eine, sondern um alle Straßen um Heiligendamm. Ein derartiges Flächenverbot hat es in Deutschland noch nie gegeben.

Der so genannte schwarze Block bei der Demo am Samstag in Rostock.
Welche Aktionen sind durch das Flächenverbot betroffen?

Der am 7. Juni geplante Sternmarsch beispielsweise, für den die Kollegin Ulrike Donat und ich zuständig sind. Der Marsch wurde im Oktober letzten Jahres angemeldet, weit bevor die Polizei ihre Planung für Heiligendamm konzipiert hatte, und weit bevor der Zaun errichtet wurde. Im Sicherheitskonzept wurden versammlungsrechtliche Aspekte – bewusst oder unbewusst – völlig ausgeblendet.

Welche Rolle spielen die Maßnahmen im Vorfeld des Gipfels?

Das Einsatzgeschehen und das Verhalten von Polizei und Demonstrierenden hat viel mit dem Klima der Veranstaltung zu tun. Es macht einen Unterschied, ob ich entspannt anreisen kann, ohne Angst vor willkürlichen polizeilichen Maßnahmen, oder ob ich schon in Hamburg mit Herzklopfen ins Auto einsteige. Außerdem haben die Razzien, die Hausdurchsuchungen und die Briefkontrollen die Stimmung im Vorfeld zusätzlich angeheizt. Es sind viele phantasievolle Aktionen geplant und es wäre schade, wenn sich die Protestierenden durch die Einschüchterungsmaßnahmen negativ beeinflussen ließen.

Man könnte meinen, wo Rechtsbeistand bereit steht, wird er auch in Anspruch genommen. Fühlen sich Krawallmacher dank der Präsenz internationaler Rechtsbeistände jetzt sicher und gehen erst recht auf Konfrontationskurs?

Das halte ich für abwegig, angesichts des martialischen Polizeiaufgebots. Und uns geht es nur darum, dass die rechtlichen Maßstäbe auch im Rahmen besonderer Großereignisse Beachtung finden.

Bieten die G8-Proteste und Gegenmaßnahmen dem RAV eine Chance, positive Impulse ins Rechtssystem zu geben oder verschärfen sie die Rechtslage?

Das wird sich noch zeigen. Es gibt so einen Satz unter Juristen: “bad case makes bad law”. Ich hoffe, dass diese Redensart hier nicht Bestätigung findet. Es kommt sicher darauf an, wie die Polizei agiert, und wie die Gerichte mit der Versammlungsfreiheit umgehen. Im Wendland konnten wir in jahrelanger Kleinarbeit der Polizei deutlich machen, was Versammlungsfreiheit bedeutet und rechtliche Hürden bewusst machen. In diesem Zusammenhang ist vor dem Bundesverfassungsgericht zum Beispiel auch erstritten worden, dass das Recht auf kollektive Meinungsäußerung eben auch bedeuten kann, dass man sich auf die Straße setzt. In Heiligendamm ist wichtig, dass dem Protest Raum gegeben wird.

Und Sie haben alle Hände voll zu tun?

Am schönsten wäre es, wenn wir nichts zu tun hätten und Tage lebendiger Demokratie hier um Heiligendamm erleben würden. Und ich hoffe, dass ich mir am Samstagabend in Rostock das Konzert anhören kann.

Das Gespräch führte Nona Schulte-Römer

[http://www.n-tv.de/809605.html]