2007-06-02 

Schädel: "Wenn hier Polizisten in Tausende Menschen reingehen, kann das nur als Provokation gelten"

Krawalle überschatten G8-Proteste in Rostock

Der friedliche Protest Zehntausender gegen den G8-Gipfel am Sonnabend in Rostock ist von schweren Ausschreitungen überschattet worden. Am Rande der Anti-G8-Demonstration griffen gewalttätige Autonome nach Polizeiangaben Beamte an und stürzten Autos um. Steine, Flaschen und Molotow-Cocktails flogen, es kam zu Straßenschlachten mit der Polizei. Diese setzte nach eigenen Angaben Schlagstöcke und Pfefferspray gegen eine Gruppe militanter Demonstranten ein und brachte Wasserwerfer und gepanzerte Fahrzeuge in Stellung. Mehrere Hundertschaften der Polizei waren im Bereich des Stadthafens im Einsatz, um die Ausschreitungen zu unterbinden. Hubschrauber kreisten über der Stadt.

Nach Polizeiangaben wurden rund 150 Beamte bei den Ausschreitungen mit gewalttätigen Autonomen verletzt, 25 davon schwer. Eine Polizeisprecherin berichtete von Dutzenden Verletzten auch auf Seiten der Demonstranten. Nach einer ersten Bilanz der Polizei wurden 52 Autonome festgenommen. Die Lage hat sich inzwischen offenbar ein wenig beruhigt. Beamte sind nach wie vor im Innenstadtbereich rund um den Stadthafen massiv im Einsatz.

Situation am frühen Abend eskaliert

Die Situation war am frühen Abend eskaliert. Mehrere Autos brannten, nach Polizeiangaben wurden auch Straßenbarrikaden errichtet. “Die Autonomen schlagen alles kurz und klein, was sich ihnen in den Weg stellt”, sagte ein Polizeisprecher. Augenzeugenberichten zufolge spielten sich panikartige Szenen ab. Polizeihundertschaften seien mit mehreren Wasserwerfern auf das Demonstrationsgelände vorgerückt. Viele der Demonstranten seien in Panik geflüchtet. An den Sanitätswagen bildeten sich lange Schlangen, viele litten unter den Folgen von Tränengas. Die Polizei forderte die Veranstalter auf, auf die Demonstranten einzuwirken und so einen ruhigen Verlauf zu gewährleisten. Ansonsten seien die Einsatzkräfte gezwungen, die Veranstaltung aufzulösen. In der Innenstadt gingen unzählige Scheiben zu Bruch.

Die Polizei gab an, sich bei den Protestzügen am Nachmittag weitgehend zurückgezogen zu haben. Einer der beiden Züge sei absolut friedlich verlaufen, während es im zweiten Zug zu Auseinandersetzungen zwischen gewaltbereiten Autonomen und der Polizei gekommen sei. Ein Block schwarz-vermummter Demonstranten habe sich aus dem Zug gelöst und mit Steinwürfen und Fahnenstangen gezielt Beamte angegriffen. Es habe regelrechte Treibjagden gegen Polizisten gegeben. Beim Angriff auf ein mit Polizisten besetztes Fahrzeug seien die Scheiben zerschlagen und die Insassen in erheblichem Maße verletzt worden. Im Laufe des Nachmittags beruhigte sich die Lage zunächst, dann kam es am Rande der mehrstündigen Abschlussveranstaltung im Stadthafen zu neuen Zusammenstößen zwischen gewalttätigen Demonstranten und der Polizei. Die Zahl der gewaltbereiten Autonomen schätzte die Polizei auf 2.000. Die Einsatzkräfte hätten versucht, diese Teilnehmer von der übrigen G8-Demonstration zu trennen. “Die Angriffe sind eindeutig von gewaltbereiten Linksradikalen ausgegangen”, sagte ein Sprecher der Polizei.

Ein Sprecher der Demonstrationsveranstalter warf hingegen der Polizei vor, die Auseinandersetzung durch gezielte Provokationen ausgelöst zu haben. Auch der Koordinator des Anti-G8-Bündnisses, Monty Schädel, sagte: “Wenn hier Polizisten in Tausende Menschen reingehen, kann das nur als Provokation gelten.” Der Geschäftsführer des Netzwerks Friedenskooperative, Manfred Stenner, sagte hingegen, die Polizei habe sich an ihren deeskalierenden Kurs gehalten. Ihr sei kein Vorwurf zu machen. Die Randalierer sollten nun davor überzeugt werden, die Einsatzkräfte nicht weiter zu attackieren. “Wir werden hart daran arbeiten müssen, den entstandenen Schaden zu reparieren”, sagte Stenner. Attac-Aktivist Werner Rätz vom Organisationskomitee sagte, es gebe keinerlei Rechtfertigung für den Angriff auf Personen. Es sei eine Situation eingetreten, “mit der so nicht zu rechnen war”. Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) verurteilte die gewalttätigen Auseinandersetzungen. “Das Bild Tausender friedlicher Demonstranten wurde von 2.000 brutalen Schlägern der gewaltbereiten autonomen Szene zunichte gemacht”, sagte er.

Rätz’ Angaben zufolge hatten sich an der friedlichen Demonstration der Globalisierungskritiker insgesamt etwa 80.000 Menschen beteiligt – die Polizei bezifferte die Zahl der Demonstranten dagegen auf 25.000. Auf zwei Routen zogen die Demonstranten durch die Innenstadt. Mit übergroßen roten Luftballons, Puppen, Fahnen und Transparenten protestierten sie gegen Krieg, Aufrüstung und Hunger in der Welt, gegen die Existenz von Atomwaffen und die Irak-Politik der USA. Zudem warfen sie den Industriestaaten die Ausbeutung der Dritten Welt vor und forderten Maßnahmen gegen den Klimawandel. Am Morgen waren überfüllte Sonderzüge mit Teilnehmern der internationalen Großdemonstration in der Stadt eingetroffen. Auch 170 Busse kamen nach Rostock. Die Innenstadt wurde komplett für Fahrzeuge gesperrt. Die Proteste unter dem Motto “Gegenwind für G8 – Eine andere Welt ist möglich” sollten nach Angaben der Organisatoren “kämpferisch und laut, aber friedlich” ablaufen. Nach der Abschlusskundgebung am Stadthafen war ein musikalisches Programm geplant. Unter anderem sollten die Bands Juli, Wir sind Helden und Madsen auftreten. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace sprach von einem “überragenden Erfolg, mit so vielen Menschen hier in Rostock in einem breiten Bündnis zu demonstrieren”. Greenpeace sei es wichtig gewesen, den Klimaschutz beim G8-Gipfel zum Thema zu machen. “Und das ist uns gelungen.”

Organisatoren: “Rostock wird nicht Hamburg”

Ein Bündnis globalisierungskritischer, politischer und kirchlicher Gruppen hatte die Protestaktion organisiert. “Rostock wird nicht Hamburg”, hatte Sabine Zimpel von der Demo AG am Freitag mit Blick auf die gewaltsamen Auseinandersetzungen am Rande des EU-Asien-Außenministertreffens am Pfingstwochenende in Hamburg gesagt. Auch Rätz erwartete eine friedliche Demonstration. Die Polizei hatte im Vorfeld ebenfalls mit einem friedlichen Verlauf der Großdemonstration gerechnet. Es gebe keine belegbaren Befürchtungen, dass es zu Gewalttaten kommen könne, sagte Polizeichef Knut Abramowski. Allerdings sei nicht auszuschließen, dass es am Rande zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Ordnungskräften komme. Diese seien einkalkuliert. “Das gehört zur polizeilichen Pflichterfüllung”, sagte Abramowski. Mithilfe von Gesprächen mit Demonstranten wollte die Polizei Ausschreitungen verhindern. 60 Konfliktmanager sollten nach Angaben der Leiterin der Konfliktmanager, Bianca Glöe, im Einsatz sein, um in brenzligen Situationen Kontakt zu den Demonstranten aufzunehmen und Konflikte durch eine direkte Ansprache zu vermeiden.

Stand: 02.06.2007 22:05