2007-06-01
In ganz Europa bereiten sich linke Gruppen auf die Proteste gegen den G8-Gipfel vor. Doch eine »europäische Bewegung« existiert bisher nur in der Theorie. von thorsten mense und federica matteoni
Wie ein Flächenbrand breiten sich von Deutschland die Proteste über die ganze Welt aus, die Weltkarte färbt sich rot. »Die WeltbürgerInnen werden den Lauf der Geschichte am 7. Juni 2007 verändern«, ist zu lesen, während im Hintergrund die bombastische Musik der Carmina Burana das Ende der bisherigen Welt ankündigt. Eine Hand bringt den ersten Dominostein zu Fall, danach ist der weltweite Aufstand nicht mehr zu stoppen. »Organisiere deine Wut, nimm dir die Straßen, befreie deine Träume am 7. Juni«, heißt es in dem internationalen Mobilisierungsvideo »The Great Global Action 2007«.
Auch außerhalb der deutschen Grenzen bereiten sich die sozialen und linken Bewegungen auf die Gipfelproteste vor, wie der pathosgeladene Clip zeigt. Ginge die Weltrevolution von Deutschland aus, würde das tatsächlich den bisherigen Lauf der Geschichte auf den Kopf stellen. Nicht nur aus diesem Grund wird dieses Szenario wohl ein Tagtraum bleiben.
Die Abschlusserklärung des Global Meeting, das Ende März mit über 500 Aktivisten in Venedig stattgefunden hat, klingt da schon pragmatischer. Den Unterzeichnern geht es vor allem darum, konkrete Kämpfe um »Autonomie« und »Freiräume«, aber auch um Arbeitsbedingungen und Migration auf europä ischer Ebene zu vereinen. Die »sozialen Konflikte und autonomen Kämpfe«, die Europa durchziehen, »öffnen neue Felder gemeinsamer Kämpfe«. Dies müsse genutzt werden. Der G8-Gipfel wird nicht als das Problem, sondern als bloße Begleiterscheinung des Kapitalismus angesehen. Die Proteste in Rostock könnten aber eine gute Gelegenheit sein, die »Empörung der Multitude« öffentlich zu machen, wie es in einem Diskussionsbeitrag heißt.
Nach Michael Hardt und Toni Negri steht der Begriff Multitude für die »Singularitäten, die gemeinsam handeln«. So schwammig, wie diese Definition ist, so verschieden sind auch die Bewegungen, die sich als diesem globalen Kollektiv zugehörig betrachten.
Ein Versuch, diese Heterogenität, ihr Konfliktpotenzial und ihre Schwachstellen zu analysieren, unternimmt das britische Kollektiv turbulence (www.turbulence.org.uk). In einem Heft mit dem Titel: »What would it mean to win?« geht es von der Parole »We are winning« aus, die 1999 in Seattle bei den Protesten gegen die WTO skandiert wurde: »Werden wir gewinnen?« Insgesamt 14 Texte versuchen, diese Frage zu beantworten. Dabei erscheint eher die Definition des »Wir« problematisch. Die italienischen Theoretiker Sandro Mezzadra und Gigi Roggero, die bereits beim Europäischen Sozialforum in Paris 2003 die dreisprachige Broschüre Common Places herausbrachten, versuchen hier erneut, einen »europäischen Raum« für die sozialen Kämpfe zu definieren. Während sie damals noch im Rausch der »globalen Vernetzung« von sozialen Bewegungen standen, stellen sie heute eine Krise fest.
Die sozialen Bewegungen in Europa, schreiben sie, seien nicht in der Lage gewesen, Europa in ein »Konfliktfeld« zu verwandeln, sie seien nicht fähig gewesen, Einfluss auf die neoliberale europäische Politik zu nehmen. Kein Wunder, dass sie die Entwicklungen der vergangenen Jahre in Frankreich mit großem Interesse betrachten.
Sie sind nicht die einzigen. Insbesondere in Italien beziehen sich die Aufrufe zur Teilnahme an den Protesten gegen den G8-Gipfel auf die französischen »Kampferfahrungen« der vergangenen Jahre. Mit der Ablehnung der EU-Verfassung durch die Volksabstimmung 2003 sei es den Franzosen gelungen, die Schaffung eines »Europa von oben« zu verhindern. Der Kampf gegen den Ersteinstellungsvertrag (CPE) 2005 gilt als weiteres erfolgreiches Beispiel dafür, wie soziale Bewegungen die institutionelle Politik beeinflussen können. Auch die Riots in den Banlieues werden ausschließlich als »Revolte der Ausgegrenzten« gedeutet.
Doch selbst bei diesen positiven Bezugspunkten scheint die angestrebte »Vernetzung« schwer zu realisieren. Die ersten Konflikte innerhalb der europäischen Linken zeichnen sich bereits ab.
Aus Lateinamerika ruft die Kontinentale Bolivarianische Koordination CCB auf, den G8-Staaten – der »Allianz der Geier und Falken der Welt« – die »Einheit und den revolutionären Kampf« entgegenzustellen. Mit einer »starken indigenen Komponente« wollen sie »die Souveränität und das Wohlergehen aller unterdrückten Völker der Welt« erreichen. So nimmt die Koordination im Rahmen ihrer Kampagne »Kein einziger Yankee-Soldat in Lateinamerika und der Karibik und der Welt« an dem Anti-G8-Bündnis für eine revolutionäre Perspektive teil. Das Problem der Gipfelproteste bringt sie dabei selber auf den Punkt: »Einheit ist alles, und deshalb müssen wir dieses Prinzip bewahren.« Der Revolutionäre Aufbau Schweiz, der im gleichen Bündnis organisiert ist, sieht das anders: Die gemeinsamen Elemente dürften »trotz des hohen Anspruchs nicht auf die Summe der Widerstandsformen selbst reduziert werden«. Der Kampf gegen die G8 muss auch ein »Kampf gegen den Kapitalismus selbst sein«.
Erfreulicherweise richtet sich das Kommuniqué des Internationalen Treffens, das im Rahmen der dritten Aktionskonferenz in Rostock abgehalten wurde, nicht vorrangig gegen die USA oder andere »Geier« und »Falken«. Ziel der Kritik ist Europa, das sich auf »Grenzkontrollen und kapitalistische Ökonomie« stützt. Eine grundsätzliche Debatte über Antiamerikanismus, Antisemitismus und Islamismus auf europäischer und internationaler Ebene wird jedoch weder geführt noch angestrebt.
Die Entscheidung des Convergence Center im Bethanien in Berlin-Kreuzberg, als Reaktion auf den Brandanschlag auf eine Synagoge in Genf ein Transparent mit dem Spruch »Fight Antisemitism« aufzuhängen, hat auf Indymedia Barcelona für Empörung gesorgt. Der Anschlag werde als »Ausrede« benutzt, um sich mit Israel zu solidarisieren. Die »Mehrheit der deutschen Antifas« wollten den Antisemitismus zum Thema der Proteste machen, um nicht über Palästina reden zu müssen. Manche Broschüren der Antideutschen würden sogar »direkt vom Mossad finanziert«, wie ein anderer Autor zu wissen meint. »Frage sie, was du willst, über die Palästinenser, und du wirst durchdrehen.«
Trotz der Unstimmigkeiten werden sich voraussichtlich sehr viele europäische Linke auf den Weg nach Heiligendamm machen. Wenn die Blockaden nicht möglich sein werden oder es nichts zu blockieren gibt, soll nach dem italienischen globalproject.info ein Plan B in Kraft treten: »zu einem anderen Ort wechseln, um den Kapitalismus woanders anzugreifen«. Für diejenigen, die nicht zum »G8-Zirkus« fahren können oder bereits an der Grenze abgefangen werden, wird es in vielen Städten auf der Welt Aktionstage und Demonstrationen geben.
Nummer 22 vom 30. Mai 2007
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