2007-05-29
29. Mai 2007, 11:19 Uhr
Von Michael Pilz
Was macht ein Pop-Künstler und was ein Politiker? Keine leichte Frage. Die Grenzen verschwinden. Bono und Herbert Grönemeyer reisen als Botschafter umher. Ein Blick auf die Pop-Protest-Kultur kurz vor dem G-8-Gipfel in Heiligendamm.
Bono sieht die Welt also in einem anderem Licht, vor allem aber sind die Brillen Teil der „Red Collection“: Wer von Bono nun autorisierte rote Schuhe, Handys und Kreditkarten erwirbt, weiß, dass sein Geld nicht in den Kreislauf der globalen Wirtschaft fließt, sondern in Hilfsprojekte für vom Kapitalstrom abgeschnittene Länder. Bono sagt: „Wir brauchen Poesie.“
Acht Jahre liegen zwischen diesem Satz, den Bono neben Herbert Grönemeyer und Bob Geldof kürzlich in Berlin aussprach und Bonos erster Papst-Audienz. Der Künstler tauchte 1999 bei Johannes Paul II. auf und unterbreitete ihm die Idee, verarmten Ländern ihre Schulden zu erlassen. Anschließend beglückwünschte der Star das Kirchenoberhaupt zu dessen Schuhwerk: Auch der Papst trug herzblutfarbene Slipper.
1999 kam es während einer Konferenz der WTO in Seattle zu überraschenden Krawallen durch erregte junge Menschen. Das Jahrzehnt der politikvergessenen Neunzigerjahre, als die Feindbilder und Utopien plötzlich fehlten, war vorüber. Beim G-8-Treffen in Genua fiel der Protestler Carlo Giuliani durch die Schüsse eines Polizisten. Nur acht Wochen später in New York fielen die WTC-Türme, und zwar durch Terroristen, denen ebenfalls das Kapital als Grundübel erschien. Danach war wieder einiges durcheinander in der Pop-Protest-Kultur.
Globalisierungskritische Gemüter sehen nun einem G-8-Gipfel entgegen, der diese Kultur wieder belebt und ordnet. Durch die Wahl des Ortes Heiligendamm, ein neoelitärer Immobilien-Park, beschützt durch einen Zaun, der hässliche Assoziationen weckt und Herbert Grönemeyer poltern lässt: „Die haben uns gefälligst zuzuhören!“
Bei rabiaten Razzien offenbarte „das System“ vor allem seine eigene Weltfremdheit. In erster Linie wurden rüstige Autonome aufgeschreckt, sogar die alte AG Grauwacke. So ist nun wenigstens dafür gesorgt, dass sich das dezentralisierte Unbehagen unter „Block G8“ versammelt und schon eifrig klassische Blockadetechniken trainiert. Für die entsprechenden Medienbilder.
Ein Konzert gegen die Armut macht bestenfalls gute Laune
Es geht um Symbole, in der Politik wie im Protest. Die Politik tut so, als ließe sich die Weltwirtschaft bewältigen, und der Protest ringt fröhlich-machtlos um die Zeichenhoheit. Niemand glaubt daran, dass rote Brillen, ein zwei Tage langes „Move Against G8“-Konzert im Stadthafen von Rostock und das „Deine Stimme gegen Armut“-Festival mit Bono, Grönemeyer und den Anderen tatsächlich mehr bewirkt als bessere Laune.
Wer der Politik zuhört, gelangt zum selben Schluss: Bernd Pfaffenbach, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium und Angela Merkels offizieller Gipfel-Sherpa, streut im Vorfeld so versöhnliche Gemeinplätze, dass man Politiker und Popstars nicht mehr unterscheiden kann.
„Was letztlich zählt, ist die nachhaltige Performance“. „Für Afrika wurde schon eine Menge getan, es reicht aber noch nicht.“ „Wir wollen den Wohlstand in der Welt mehren, vor allem in den nicht so reichen Ländern.“ So Bernd Pfaffenbach. Bob Geldof: „Afrika könnte der größte Markt für deutsche Produkte werden.“ Bono: „Die Unterstützung für Afrika ist nicht nur ein moralischer Imperativ, sondern eine geopolitische Notwendigkeit.“
Für Bono geht es darum, den Politikern zu helfen. Wo der Wähler lieber seine eigenen Probleme von der Politik geklärt sieht, soll der Pop ihn davon überzeugen, dass seine Regierung ihn in ihrer Sorge um die armen Länder keineswegs vernachlässigt.
Die beiderseitige Politik der offenen Türen wird seit Gleneagles betrieben. Vor zwei Jahren gingen dem G-8-Gipfel Bob Geldofs weltweit abgehaltene Live-8-Festivals voraus unter dem Motto: „Make Poverty History“. Nie wieder Armut. Die Regierungen der reichen Länder reagierten auf den frommen Wunsch mit dem Versprechen, die Entwicklungshilfe zu verdoppeln. Bono lässt den Stand der Dinge durch „Debt, Aids and Trade in Africa“, kurz: Data, prüfen. Bislang bleiben die Regierungen die Zuwendungen schuldig. Grönemeyer: „Ich rufe sicher nicht zur Gewalt auf. Aber die Leute werden irgendwann wütend.“
Schlichter Pop im Dienst der Weltpolitik
Um den Zaun von Heiligendamm werden schon Spruchbänder herum getragen, die die Live-8-Forderung zu radikalisieren scheinen: „Make Capitalism History“. Auf Rot und schwarz. Im postautonomen Zeitalter soll so ein Banner allerdings nur noch von staatlichen Organen für die Medien ernst genommen werden. Völlig ernst nimmt sich allein die unliebsame Konkurrenz, ein merkwürdiges Spektrum, das von militanten Autoanzündern bis hin zu plötzlich mit trotzkistischen Ideen kokettierenden Neonazis reicht.
Protestslogans müssen kurz und griffig sein
Dann lieber Transparente wie „Voll doof das alles!“ Und vor allem Bilder freundlicher Protestler, die dafür verprügelt werden: Eine Kommunikationsguerilla hat erkannt, dass Sympathie das höchste ist, was sich erreichen lässt. In einer Zeit, in der das Unbehagen an den herrschenden Verhältnissen so selbstverständlich und verbreitet ist wie Biokost, Solaranlagen und sortierter Hausmüll.
Wenn Al Gore nur einen Monat nach dem Gipfel eine wieder weltumspannende Konzertreihe veranstaltet, geht es um diese Art der Vergewisserung. „Live Earth“ findet in sieben Stadien statt, mit mehr als 100 Bands und Stars. Madonna lässt dem Weltklima zuliebe sogar eine Lady-Di-Hilfsgala sausen. „Letztlich müssen Unternehmen und Regierungen zu weltweiten Anführern von entschlossenen Aktionen zum Stopp der Erderwärmung werden“, sagt Al Gore. Die größte Koalition aller Zeiten. Die universelle Schlichtheit des Pop im Dienste der komplizierten Weltpolitik.
“Jeder muss zum Bono werden”
Wenn man die aktuelle Haltung linksromantischer Pragmatiker im Geiste Bonos personalisieren will: Der deutsche Rapper Jan Delay fiel bereits durch den Hit über die „Söhne Stammheims“ auf, herausgebracht vom Maler Daniel Richter auf dem Plattenlabel Buback-Tonträger.
Delay erklärt: „Eigentlich habe ich alles vom HipHop gelernt. Nämlich dass man bei allem das rauszieht, was man am besten findet. Ob es nun um Ideale oder Mode geht.“ Er lässt sich weder seine Vorbehalte gegen das globalisierte Kapital ausreden noch das Tragen luxuriöser Nike-Sneakers. Jan Delay hat sich sein PLO-Tuch zu einer Krawatte umarbeiten lassen. „Ob cool oder nicht cool: Jeder muss zum Bono werden“, sagt er.
Der Protest als Lifestyle, der von innen kommt: Der reine Gutmensch war noch angreifbar. Wenn Bono heute durch die rote Brille sieht und sagt, er „mache Deals“, läuft sogar die Kritik an ihm und am gesamten Pop-Protest ins Leere. Dieses Aufbegehren hat nichts mehr mit Hysterie zu tun oder der Hybris, alles Unrecht aus der Welt singen zu müssen (Sechzigerjahre). Noch dient es der Selbstvermarktung (Achtzigerjahre). Hysterie ist heute nur noch dort zu finden, wo die Politik erbittert vor der Popkultur, ihrer Verbündeten, geschützt wird.
[http://www.welt.de/kultur/article901332/Die_Politik_zum_Zuhoeren_verdammen.html]