2007-05-26
Berlin (Reuters) – Eineinhalb Wochen vor dem G-8-Gipfel in Heiligendamm zeigt sich die Bundesregierung bemüht, den Protesten Zehntausender Globalisierungskritiker die Schärfe zu nehmen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel rief am Samstag zum Gewaltverzicht auf. Sie begrüßte zugleich, dass viele Menschen durch Aktionen und Proteste ihr Interesse an einer gerechten Globalisierung deutlich machten. Auch Innenminister Wolfgang Schäuble nannte es begrüßenswert, wenn Bürger deutlich machten, “dass es so nicht mehr weitergehen kann mit Afrika oder der Klimapolitik”. Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz kritisierte indes Schäubles Sicherheitskonzept. Die angestrebten Versammlungsverbote seien völlig überdimensioniert.
Zum Treffen der Staats- und Regierungschefs der sieben führenden Industrienationen und Russlands (G-8) vom 6. bis 8. Juni im Ostseebad Heiligendamm haben zahlreiche Organisationen zu Demonstrationen aufgerufen. Die größte Kundgebung soll am 2. Juni in Rostock stattfinden, wo die Veranstalter bis zu 100.000 Teilnehmer erwarten. Zum Schutz des Gipfels haben die Behörden starke Einschränkungen für Demonstrationen in der Nähe des Sicherheitszauns um den Tagungsort verhängt. Diese waren am Freitag zum Teil vom Gericht aufgehoben worden, wogegen die Polizei umgehend Beschwerde einlegte. Aufgeheizt wurde die Debatte zudem durch Hausdurchsuchungen bei G-8-Gegnern und Berichte, die Ermittlungsbehörden hätten von Verdächtigen Geruchsproben genommen und private Post überwacht.
MERKEL APPELLIERT AN G-8-KRITIKER
In ihrer wöchentlichen Video-Botschaft betonte Merkel, Gewalt dürfe kein Mittel sein zur Durchsetzung politischer Ziele. “Deshalb müssen wir sicherstellen, dass es zu keinen Gewaltanwendungen kommt.” Sie bitte alle, die sich für eine menschliche Globalisierung engagierten, zu einem friedlichen Ablauf der Proteste und zur Vermeidung von Gewaltanwendung beizutragen. Schäuble sagte der “Bild am Sonntag” laut Vorabbericht: “Die Demonstrationen sind von der Bundesregierung grundsätzlich erwünscht.” Der von der Globalisierung profitierende wohlhabende Teil der Welt habe die Pflicht, sich um die Benachteiligten zu kümmern.
Schäuble verteidigte die Sicherheitsmaßnahmen und nannte die Debatte darüber hysterisch. Auch der bayerische Innenminister Günther Beckstein nannte den massiven Polizeieinsatz notwendig, da mit Ausschreitungen durch Autonome zu rechnen sei. “Veranstaltungen der G-8-Kritiker … sind eben keine Kirchentage. Es kommt regelmäßig zu erheblichen Ausschreitungen, und deswegen ist leider ein derartig massiver Polizeieinsatz notwendig”, sagte der CSU-Politiker der “Passauer Neuen Presse”.
Wiefelspütz forderte Schäuble auf, zur Deeskalation beizutragen und stärker für die Rechte von Demonstranten einzutreten. Die Versammlungsverbote rund um das Tagungshotel in Heiligendamm entsprächen nicht dem verfassungsmäßigen Recht auf Demonstrationsfreiheit, sagte der SPD-Innenexperte der “Welt am Sonntag”. “Das entspricht nicht unserem Grundgesetz. Es ist aber noch Zeit, dies zu korrigieren”, sagte Wiefelspütz.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, mahnte die Freiheit des Demonstrationsrechts an. “Ich verteidige das Demonstrationsrecht soweit es nur geht”, sagte Lehmann der “Berliner Zeitung”. Zugleich rief er die Globalisierungskritiker zur Gewaltfreiheit auf. Er verstehe, dass viele den G-8-Gipfel als eine Schauveranstaltung bewerteten. Lehmann forderte die Regierung auf, ihre Versprechungen einzuhalten und 0,7 Prozent vom deutschen Bruttoinlandsprodukt für Entwicklungshilfe aufzuwenden.
Als Gastgeberin des G-8-Gipfels stellte Merkel erneut ihre Themenschwerpunkte vor. Es gehe darum, Wachstum aufrecht zu erhalten und gleichzeitig soziale und ökologische Standards zu sichern. Im Kampf gegen die Erderwärmung und den daraus folgenden Klimaverschiebungen müssten die Industrieländer vorangehen. Bei der Hilfe für Afrika komme es darauf an, dass die Industrieländer ihre Verpflichtungen zur Bekämpfung von Armut einhielten. Die afrikanischen Staaten müssten im Gegenzug Korruption stärker bekämpfen und so sicherstellen, dass ihre Bürger an der Hilfe anderer auch wirklich teilhaben könnten.