2006-07-28
- Reader zu den Protesten gegen den G8 Gipfel in St.Petersburg 2006
- Der Platz steht fest!
- Politisch campen
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Reader zu den Protesten gegen den G8 Gipfel in St.Petersburg 2006
1. Zusammenfassung der Ereignisse
2. Libertäres Forum Moskau
3. Globaler Aktionstag 14.Juli
4. Der Gipfel und Proteste in St.Petersburg
5. Zusammenfassung Repressionen und verschiedene subjektive Berichte
Zusammengetragen von a3yo (Kontakt a3yo@riseup.net)
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1. Zusammenfassung der Ereignisse
Vom 8.Juli bis zum 12.Juli fand in Moskau ein Libertäres Forum zur Vorbereitung der Proteste in St.Petersburg statt.
Am 11.Juli gab es einen Pink cheerleading samba clownarmy Protest in Moskau und später eine Pressekonferenz.
Die meisten AktivistInnen vom libertären Forum reisten zwischen dem 12. und 14.Juli nach St.Petersburg und kamen mehr oder weniger kontrolliert dort an.
Anders einige AktivistInnen, die direkt aus Sibirien anreisten und teilweise aus den Zügen geholt wurden, eingeschüchtert wurden und auch verhaftet.
Am 14.Juli gab es einen globalen Aktionstag, an dem weltweit Proteste organisiert wurden.
Vom 13. bis 15.Juli fand das 2. Russische SocialForum statt, die geplante Demonstration für den 15.Juli wurde von der Stadt nicht genehmigt. Am 15.Juli gab es dennoch einen Versuch von Teilen des RSF, die Demo durchzusetzen. Eine kommunistische Jugendgruppe organisierte eine Demonstration mit etwa 30 Beteiligten in der Innenstadt, laut Zeitungsberichten waren auch Mitglieder der NBP (nationalbolschewistische Partei) mit Fahnen dabei vertreten.
Alle Teilnehmenden wurden verhaftet. Auch im Umfeld des RSF gab es Verhaftungen. Am 16.Juli gab es mindestens vier Aktionen aus dem libertären Spektrum. Morgens eine Hotelblockade mit etwa 35 Beteiligten. Nachmittags gab es eine Mahnwache gegen den Tschetschenienkrieg, eine kleine Aktion mit 5 Leuten, die symbolische die "Scheisse der G8" aßen und eine kurze "Pinkblock" Demo in der Innenstadt von St.Petersburg mit etwa 50 Personen.
Ab dem 17.Juli gab es keine Proteste mehr in der Stadt, es wurde sich großteils auf Knastsolidarität konzentriert. (Zu Repressionen weiter hinten mehr)
Es gab am 19.Juli eine Pressekonferenz in St.Petersburg zu den Festnahmen am 16.Juli und die Tage darauf fuhren die meisten Beteiligten ab.
2. Libertäres Forum Moskau
Vom 8.Juli bis zum 12.Juli fand in Moskau ein Libertäres Forum zur Vorbereitung der Proteste in St.Petersburg statt. Beteiligt waren AktivistInnen aus Russland, Moldawien, Ukraine, Wales, Finnland, Deutschland, England und einigen anderen Ländern. Über die Tage waren um die 100 Leute dabei, vor allem zum Ende hin trafen sich immer mehr AktivistInnen, um sich auf die Abreise nach St.Petersburg vorzubereiten.
Bericht vom ersten Tag auf dem Libertären Forum
Als ersten Workshop gab es heute einen kurzen geschichtlichen Überblick über die Anarchistische Bewegung in den letzten 20Jahren in Russland. Nach einer längeren Diskussion zum Thema kam der wichtigste Teil des Tages. Ein mehrstündiger Workshop des LegalTeam brachte alle Anwesenden auf denselben Stand. Auch hier gab es viel Raum für Nachfragen und auch die eine oder andere Diskussion darüber, wie mit bestimmten Situationen umgegangen werden soll. Im letzten Teil des Tages gab es ein allgemeines Treffen für Diskussionen und Ankündigungen, die den Gipfel und das Forum betreffen. Das Essen wurde von verschiedenen Food not Bombs Gruppen organisiert, neben der moskauer Gruppe waren auch aus anderen Städten viele vor allem junge AktivistInnen dabei.
Die moskauer Food not Bombs Gruppe organisiert jeden Sonntag in einem Park gekochtes Essen vor allem für Leute ohne Einkommen. Soziale Einrichtungen wie z.B. die Tafeln in Deutschland gibt es in Russland nicht, zusätzlich werden die FnB Aktivitäten von der Polizei kriminalisiert.
Wärend des Forums gab es einen offenen Anlaufpunkt, wo Leute hinkommen konnten, um Infos zu bekommen, wo das Forum stattfindet. Es tauchten mehrmals Nazis auf und versuchten rauszufinden, wo das Forum stattfindet. Heute Nachmittag kam dann die Polizei und sagte, sie habe gehört das Nazis das Forum überfallen wollen, und bot ihren Schutz an, was abgelehnt wurde. Weil mit sowas gerechnet wurde, und die Gefahr durch Nazis bekannt ist, wird der Ort des Forums nicht öffentlich bekannt gegeben.
Der zweite Tag des Forums begann, wie schon gestern, mit einer Stunde Selbstverteidigungsübung. Aufgrund der recht frühen Uhrzeit, und der doch langen Wegstrecken in Moskau verzögerte sich alles. Um 11:00 ging es dann gemeinsam los. In der ersten Workshop Phase gab es ein Workshop zu Anarchismus und Bolschewismus. Ein angekündigter Indymedia-Workshop verschob sich um eine Stunde nach hinten, so dass die meisten Leute zu einem Workshop über Bezugsgruppen gingen. Hier wurde nicht nur theoretisch versucht das Bezugsgruppenkonzept zu erklären, sondern es wurde auch an Hand von praktischen Beispielen diskutiert, warum es sinnvoll ist auch in St. Petersburg in Bezugsgruppen organisiert zu sein.
Themen waren Vertrauen, Absprachen und Antirepressionsarbeit. Wir stellten eine Liste zusammen mit Anforderungen, die wir an Bezugsgruppen haben, z.B. auch technische Punkte, wie alle in der Bezugsgruppe sollten gegenseitig die Namen und zu kontaktierende Vertrauenspersonen kennen, um bei Verhaftungen gut unterstützen zu können und Infos weitergeben zu können.
Das ganze Konzept erschien ungewohnt aber in der russischen Geschichte gab es eine ähnliche Form der Organisierung, die Troika / Dreiergruppen in der Zeit der Revolution, die sich gegenseitig unterstützten in Gefechten.
Wie gesagt um eine Stunde verspätet begann dann der Workshop über Indymedia. Aufgrund von mangelnden Technischen Ressourcen wurde es eine Einführung in die Geschichte und die Ideen von Indymedia. Kurz wurde auch auf die Handhabung der russischsprachigen Seite eingegangen. Außerdem wurde lange über den Sinn von alternativen Medien und den Umgang mit ihnen diskutiert, dies auch wieder anhand von vielen praktischen Beispielen. Der außerdem noch geplante Themenkomplex, zum Umgang mit Mainstream-Medien ging aufgrund von mangelndem Interesse unter.
In der zweiten Workshop Phase am Mittag gab es einen Workshop zu Globalisierung und Arbeitsrechten im Zusammenhang auch mit Prekarisierung. Zur Vernetzung diente ein Treffen von Food not Bombs AktivistInnen aus ganz Russland.
Am besten besucht war diesmal eine Einführung in Pink-Silver Techniken. Hier wurde nicht nur das Konzept von Pink-Silver vorgestellt und die Anwendbarkeit auf St. Petersburg diskutiert, sondern es wurde auch gleich praktische Sachen ausprobiert.
Es gab bereits konkrete Ideen für Aktionen und auch lokale Gruppen, die sich mit radical cheerleading, samba und clownsarmy beschäftigt hatten.
Themen im Workshop waren Maskierung, Geschlechterrollen und Strategien gegenüber der Öffentlichkeit und der Polizei.
Nach viel Zeit für das Lunch, wo es nebenbei immer viele nette Gespräche und Diskussionen gab, ging es weiter mit der dritten Workshopphase. Hier gab es zwei Diskussionen zu Gefangenensolidarität in der Anarchistischen Bewegung und zu Informationstechnologien und Aktivismus. Außerdem gab es ein Treffen, was sich den ganzen Rest des Forums fortsetzen soll, um Möglichkeiten für Aktionen und Proteste in St. Petersburg zu planen.
Zeitgleich zu der letzten Workshopphase gab es im Moskauer Center eine öffentliche Veranstaltung in einem alternativen Club. Hier wurden Filme gezeigt und es gab einen kurzen Vortrag, warum wir hier sind und was wir machen. Ziel der Veranstaltung war es auch, Mainstream-Medien die Möglichkeit zu geben, etwas über das Forum zu berichten und in direkten Kontakt mit Leuten zu kommen. Außerdem war es Ziel, alternative Leute die von den ganzen Sachen rund um den G8 noch nicht soviel mitgekriegt hatten zu informieren. Auch auf dem Forum selber endete der Abend beschaulich mit gemeinsamen Filme gucken, z.B. zu den Protesten in Gleneagels.
Die folgenden Tage gab es einen Workshop zur Situation verschiendener lokaler Gruppen, die auf dem Forum vertreten waren. Es gab einen Bericht aus Perm, wo es einige Konflikte um die Gruppe "Ecodefense" gibt, wo eine Person Sympatien zu autoritären Gruppen hat aber es wenig Leute gibt, die allgemein was machen.
In Irkutsk gab es die anarchsitische Föderation bereits in der Sowjetzeit, seit 2003 arbeiten sie im Rahmen vom netzwerk "autonome Aktion". Es gab herbe Repressionen gegen eine Betriebszeitung "siberian worker", polizeiliche Hausdurchsuchungen und Kündigungsversuche der Aktiven in Betrieben. Ein Pipeline-Projekt wurde durch eine Protestkampagne verschoben an der sie beteiligt waren. Trinkwasser war in Gefahr, vergiftet zu werden und die Verantwortlichen in der Politik gaben den massiven Protesten auch aus technischen Abwägungen nach und bauten die Pipeline wo anders. In Izevski gibt es eine aktive StudentInnengruppe, die sich mit Antifaarbeit beschäftigt und mit der Hochschulreform 2005. Seit kurzem arbeiten sie auch mit "autonome Aktion" zusammen aber sie haben auch Probleme mit komischen Leuten, die bei ihnen mitmachen wollen aber ganz absurde Ansichten vertreten. Die Koordination mit der Hardcore / Punk szene klappt ganz gut, aber nur für Antifa-Aktivitäten und mit Konzerten. Es gibt eine lokale Koalition, die sich mit Urbanisierung beschäftigt. In Minsk, Weissrussland gab es im März Wahlen und es gab eine Menge Leute bei Aktionen und auf den Straßen. Bei dem Camp auf dem zentralen Platz in Minsk nahmen auch Anarchisten teil, eine Indymedia-Zeitung wurde verteiltund es gab viele tagelange Verhaftungen. Im Frühling haben sie eine anti atom Kampagne gestartet und Mahnwachen in Gedenken an Tschernobyl abgehalten. Die lokalen Aktivisten in Minsk verstehen sich weniger als ausschließlich Anarchisten, sondern eher als außerparlamentarische Antiautoritäre. Es gab food not bombs und eine critical mass (Fahrräder blockieren Autostraßen). Insgesamt war die Einschätzung, dass die Antiautoritären viel organisieren, da es keine NGOs (Nichtregierungsorganisationen) gibt und auch die Liberalen so gut wie nichts im sozialen Sektor machen. Es gibt verschiedene kleine Gruppen, auch ein paar eher sozialdemokratisch geprägte, z.B. in Grodna, Gomel oder Magylov. Eine Person aus Gomel berichtete, dass sie eine ebenfalls antiautoritäre aber offene lokale Gruppe haben, die sich "zusammen" nennt und selbstorganisierte Initiativen unterstützt. Es gab ein Jugendcamp, das mit Verhaftungen endete, lokale Komitees zur Selbsthilfe und die Umstände sind hart. Aber ihr Ziel ist, eine soziale Basis zu erlangen und es gibt auch Unterstützung von AktivistInnen aus der Ukraine und aus Russland.
Zum Abschluss des Forums gab es am 12.Juli eine längere Diskussion zu den Erwartungen und Überlegungen, was in St.Petersburg passieren kann und soll. Es gab relativ wenig Informationen über die Situation vor Ort und ein großes Thema war Repression, wie viele Menschen bereits verhaftet sind, was die Verurteilungen der Verhafteten betrifft und wenig über mögliche Aktionen.
Dass dies auch der falsche Rahmen für detailierte Optionen war, ist damit nicht gemeint, es gab aber auch kaum Optionen, wie gemeinsame Aktionen in St.Petersburg koordiniert werden könnten, d.h. wo mögliche Treffpunkte wären oder wo sich an lokalen Plänen andocken liesse. Das russische Sozialforum (RSF) war ein Thema. Einige der Anwesenden fanden es sehr sinnvoll, sich dort einzubringen und sich auf dem Forum zu verabreden. Teilweise gab es den Kommentar, dass sowieso alles verboten wäre und um überhaupt etwas in der Öffentlichkeit zu erreichen nur das RSF taugen würde. Ein schwerwiegendes Gegenargument war weniger die inhaltliche Ausrichtung des RSF, die auch unterschiedlich kritisch gesehen wurde, sondern die isolierte Lage des Stadions, wo Repressionen erwartet wurden und sogar ein Zaun das Gebiet bereits umschloss. Das Libertäre Forum endete ohne Naziangriffe oder Polizeikontrollen.
Pink radical cheerleading samba clownarmy in Moskau
Im Vorfeld der Aktion am 11.Juli gab es einige Bedenken wie die Reaktion der Polizei ausfallen würde, aber tatsächlich war heute fast keine Polizei anwesend. Nur in einigen schmalen Straßen wurden 2 OMON Autos gesehen, welche aber keine Anstalten machten mit der Demo in Kontakt zu kommen. Es ist unklar, warum sie nicht so interessiert an der Aktion waren. Es kann sein, dass sie einfach noch auf einen anderen Moment warten, oder dass der Fokus auf St.Petersburg liegt. Dort wird die Repression ja gerade jeden Tag stärker.
Zu den Details der Aktion: Es gab keinen offiziellen Aufruf und die Aktion war auch nicht bei der Polizei angemeldet. In Russland gibt es ein Gesetz, dass eine Versammlung von der Polizei im Vorfeld genehmigt werden muss. Normalerweise gibt es keine Möglichkeit die Erlaubnis für so eine Aktion in der Innenstadt zu kriegen, und gerade im aktuellen Zusammenhang wäre es unmöglich gewesen. Also gab es einen Treffpunkt, welcher versteckt in einem Hinterhof lag. Die Info, wo sich dieser Treffpunkt befindet wurde erst kurz vorher verbreitet. Dann sprang und tanzte die Clown Army mit 25 Leuten aus dem Hinterhof hervor. Kurze Zeit später traf sie auf andere Gruppen, der Samba Band und einer Gruppe von Radical Cheerleadern. Das Fernsehen war anwesend und machte auch ein paar Interviews. Viele Leute waren maskiert und hatten sich mit gemalten Mündern, Clownsmasken und pinken Tüchern vermummt. Einige Autofahrer fuhren langsam vorbei und am Rand sitzende Leute bekamen Süßigkeiten von den Clowns. Als sich dann alle Gruppen versammelt hatten, hob sich die Stimmung nochmal merklich. Die springende Meute von etwa 100 Menschen bewegte sich schnell die Straße hinunter. Einige passierende Passanten schlossen sich der Gruppe an, andere pöbelten, dass die Leute alle betrunken seien. Eine große Straße wurde ohne Polizeipräsenz überquert. Die Autofahrer starteten laute Unterstützung durch hupen. Die Route führte in die Innenstadt, durchquerte schließlich die berühmte Einkaufstraße arbat-prospekt und endete ohne Stress oder Eingreifen der Polizei. Zum Schluss wurde aus einer Trommel heraus Essen serviert. Dann endete die Aktion und die Leute verteilten sich schnell.
Eine erfolgreiche Aktion, die den libertären, antiautoritären, undogmatischen oder wie auch immer genannten Widerstand stärkte. Kürzlich wurde der CSD gegen Homophobie von einem rechten Mob attackiert, daher war unser Protest ein Durchbruch, sich nicht einschüchtern zu lassen.
Unser buntes Leben gegen Euer graues Geld!
3. Globaler Aktionstag 14.Juli
Am 14.Juli fanden in verschiedenen Städten in der Welt Aktionstage statt, teilweise einfach nur Kundgebungen, aber auch z.B. eine critical mass in Amsterdam und eine Reclaim the streets Party in Hamburg. In folgenden Städten (mindestens) gab es Aktionen:
Amsterdam, Berlin, Bonn, Bristol, Cardiff, Davis, Erfurt, Frankfurt, Hamburg, Hannover, Heidelberg, Kiev, London, Lüneburg, Manchester, Manila, Mannheim, Paris, Reutlingen, Strasbourg, Sydney, the Hague, Traunstein, Washington, Wellington, Zittau, Zug am See
Siehe auch: nadir.org/nadir/initiativ/agp/g82006/global_action.html
Zusätzlich fanden überall auf der Welt an den Tagen des Gipfels selbst Aktionen statt, am 15.Juli wurde zu einem Aktionstag zu Klimapolitik aufgerufen, am 16.Juli gab es Mahnwachen und Aktionen in Solidarität mit den Gefangenen in Russland.
4. Der Gipfel und Proteste in St.Petersburg
Pressemitteilung zur Hotelblockade (16.Juli)
Heute Morgen blockierten ungefähr 30 Leute, die am Netzwerk gegen den G8 (NAG8) teilnahmen, den Eingang eines Hotels, das von TeilnehmerInnen des G8-Gipfels in Petersburg benutzt wird. Sie blockierten eine Weile die Strasse, trugen Transparente und verteilten Flugblätter gegen die Politik der G8. Zudem machten sie Lärm mit einer Trompete und riefen Slogans wie "No G8 nowheren!" und "This is the end of G8 as we know it " in russisch und englisch.
Die Aktion hatte internationalen Charakter, es beteiligten sich AnarchistInnen und AntikapitalistInnen aus verschiedenen europäischen Städten wie St. Petersburg, Moskau, Minsk, Kishinew, Warschau, Kiew, Cardiff und Berlin. Die Aktion war geplant um zu zeigen, dass es Protest und Widerstand gegen den G8 gibt, egal wo er stattfindet. Die Polizei reagierte mit heftiger Repression auf die Aktion. Alle wurden verhaftet; einige der AktivistInnen setzten sich auf den Boden und wurden weggetragen, andere wurden brutal gepackt und zum Verlassen der Strasse gezwungen.
Gesetze werden nicht von denjenigen Menschen gemacht, welche schlussendlich damit klar kommen müssen, sondern von denjenigen, welche die Macht haben. Die Straßenblockade und der Protest, welche diese Gesetze verletzten, sind eine Antwort auf die repressive Situation in St. Petersburg, wo momentan jeder Mensch kriminalisiert wird, welcher nicht in das Bild passt, welches das "offizielle" Russland und die Unterstützer des G8 kreieren wollen.
Der G8 als Institution stärkt die Rolle der "Elite-Länder" in der Weltwirtschaft und vertritt eine klare Hierarchie. Es werden Entscheidungen für Millionen von Menschen getroffen und er behindert libertäre und selbstorganisierte Beziehungen zwischen den Menschen. Die Mitgliedsländer des G8 treffen Entscheidungen über direkte und versteckte Kriege.
Es ist dringend notwendig, gegen den G8 Gipfel aktiv zu werden. Der Protest findet überall auf der Welt statt. Die wachsende Widerstandsbewegung gegen die Machthabenden kann weder in Russland noch sonstwo durch brutale Polizeieinsätze oder einen Präsidenten, welcher den Menschen verbietet, sich gegen diesen Elite-Club zu äußern, gestoppt werden.
Die heutige Intervention durch eine direkte Aktion gegen den G8-Gipfel ist ein weiterer Schritt, das Notwendige nicht zu verlangen, sondern daran zu arbeiten - den G8-Gipfel stillzulegen.
Überblick über die Aktionen am 16.Juli
Heute gab es drei Aktionen aus dem libertaeren Lager.
Nachdem gestern eine kommunistische Parteijugend zu einer Protestdemonstration in der Innenstadt aufgerufen hatte und von einigen TeilnehmerInnen des Sozialforums die geplante Demonstration trotz Illegalisierung durchgesetzt werden wollte, gab es auch heute hartes Vorgehen der Schergen.
Die letzten Tage waren viele Vorbereitungstreffen für die heutigen Aktionen gelaufen, mit Aufwand in Übersetzung, konkreter Kommunikation in einer Atmosphäre von Paranoia aber auch Entschlossenheit, sich die Proteste nicht verbieten zu lassen. Einmal wurde ein Treffen durch zivile Beamte beinahe gesprengt und die heutige Pinkblock Aktion wurde massiv observiert. Es war schwer, überhaupt zu starten, obwohl eine große Anzahl an JournalistInnen zugegen waren (etwa 20 aus Fernsehen, Zeitungen, auch international)
Am morgen gab es eine Blockadeaktion vor einem der Hotels, in denen TeilnehmerInnen des G8 untergebracht sind. Offensichtlich für die Polizei überraschend gelang es, für ein paar Augenblicke mit Medienbegleitung auf die Strasse zu kommen und das Demonstrationsverbot infrage zu stellen.
Beinahe alle etwa 37 Beteiligte wurden verhaftet, einige wurden bereits am gleichen Tag dem Haftrichter vorgeführt und sollen abgeurteilt werden für "nicht Befolgen der Polizeianweisungen".
Unter den Gefangenen befinden sich viele AktivistInnen mit nicht-russischem Pass. Die Botschaften wurden teils informiert (die deutsche) teilweise nicht gewollt (die moldauer) und teilweise technisch nicht erreicht (niederlande, polen)
Die zwei deutschen Fahrradkarawane-Aktivisten wurden gestern nach Estland abgeschoben.
Eine zweite Aktion, die bereits seit langem öffentlich bekannt war, war eine Mahnwache gegen den Krieg, bei der 12 Personen festgenommen wurden. (die Mahnwache war aus dem anarchistischen lokalen Spektrum geplant)
Zusätzlich fand oben bereits erwähnte Pinkblock Aktion statt, die nach Einschüchterung durch anwesende Zivilbeamte (ob FSB oder Polizei ist unklar) sich erst zerstreute und dann aber entschlossen durch einen Teil der Innenstadt kreativ und mit pinken Pappnasen schwadronierte (etwa 50 Leute) und hier und dort ein bisschen den Verkehr blockierte. Die Medien sind sehr stark darauf angesprungen, wurden aber auch gezielt eingeladen und vorbereitet. Nach etwa einer Viertelstunde gab es Polizeibegleitung und später zersprengte sich die Menge in verschiedene Richtungen. Es gab viele Kontrollen und Daten wurden aufgenommen, aber verhaftet wurde niemand. Es gab im Laufe der kurzen Demonstration eine Attacke aus einem höher gelegenen Fenster, es wurde ein 10l Wasserkanister gezielt auf eine Aktivistin fallen gelassen, der zum Glück sein Ziel verfehlte, es gab faschistische Pöbeleien aber wir zogen weiter ohne Probleme.
Jetzt ist die gesamte Innenstadt voll Polizei und gepanzerten Paramilitärfahrzeugen. Offensichtlich sind die Schergen nicht zufrieden, wie der Tag verlaufen ist, da es immerhin an verschiedenen Stellen gelang, das absolute und allgemein verhängte Demonstrationsverbot zu sprengen.
Solidarität mit den Gefangenen ist nun sehr wichtig, nicht nur der internationalen, sondern auch der lokalen, die auf verschiedenste Medienkontakte und Druck auf die Verantwortlichen für Verhaftungen hier in St.Petersburg angewiesen sind. Die Infrastruktur hier wird gerade dünner, es ist unklar, wie die weiteren Tage verlaufen werden.
(de.indymedia.org)
Christan Ströbele von der grünen Partei hatte sich öffentlich für die Freilassung der Gefangenen eingesetzt. Ströbele hatte gestern gegenüber den Medien gefordert, Frau Merkel solle umgehend Kontakt mit Herrn Putin aufnehmen, um auf die Freilassung der Inhaftierten hinzuwirken. Es müsse in Russland ebenso selbstverständlich möglich sein wie in Deutschland, gegen Veranstaltungen wie den G8-Gipfel offen demonstrieren zu können. Auch Putin müsse "begreifen, dass das Demonstrationsrecht zur
Demokratie gehört - gerade auch wenn gegen die Regierung demonstriert wird".
5. Zusammenfassung Repressionen und verschiedene subjektive Berichte
Artikel zu den vor dem Gipfel Verhafteten
(Quelle: ru.indymedia.org)
Mihail L. wurde am 10. Juli im Hof seines Hauses aufgrund einer erfundenen Beschuldigung von wegen "geringfügigem Hooliganismus" (unflätiges Geschimpfe an einem öffentlichen Ort) zu 15 Tagen Haft verurteilt, die er gegenwärtig in der Spezialhaftanstalt auf der Zaharjevskaja ulitsa 6 absitzt. Nach Mihails Verhaftung führten Mitarbeiter der "Rechtsschutzorgane" eine ungenehmigte Hausdurchsuchung durch, im Verlauf derer ausser Papiere auch Gegenstände beschlagnahmt wurden, die keinerlei Beziehung zum Untersuchungsgegenstand haben (Modem, Heimtrainer).
Am 18. Juli zur Mittagszeit wurde Mihail aus seiner Zelle zu einem "Gespräch" gerufen, wo ihn jemand (offenbar ein Mitarbeiter des "Staatsschutzes") davon in Kenntnis setzte, dass ihm ein Strafverfahren wegen "Organisierung einer extremistischen Vereinigung" drohe (vermutlich aufgrund dessen, dass er der offizielle Mieter einer Wohnung war, in der noch vor Beginn des G8-Gipfels neun AktivistInnen verhaftet und zu 10-15 Tagen Haft verurteilt wurden aufgrund von gefälschten Anschuldigungen (unflätiges Geschimpfe an einem öffentlichen Ort für russische Leute und Verrichtung der Notdurft an einem öffentlichen Ort für Ausländer). Mihail hat ernsthafte Gesundheitsprobleme und deshalb sind wir extrem besorgt um seine Gesundheit und sein Leben, sollte seine Haft verlängert werden.
Wir werden die Situation aufmerksam verfolgen und eine internationale Solidaritätskampagne einleiten, sollten sich die Drohung und Einschüchterungsversuche bewahrheiten. Ausserdem werden wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln Druck auf den Staat ausüben!
Bleibt dran!
Eine Gruppe von TeilnehmerInnen des Netzwerks gegen den G8, FreundInnen von Mihail, Legal Team
20.Juli
Endlich (nach 9 Tagen!!) gelang es uns Anton P. ausfindig zu machen. Er befindet sich, wie zuvor auch andere minderjährige Gefangene, im "Zentrum für zeitweilige Isolierung minderjähriger Straftäter" (ZVINP).
Er wurde am 10. Juli unweit jener "unschönen Wohnung" (wo es vor dem G8 noch weitere Festnahmen gab) festgenommen und erhielt nach einigen Angaben (Anwalt und Abschnittsbevollmächtigter der Miliz, der zu seiner Mutter kam und ihr die Lage 8 (!) Tage nach Festnahme erklärt hat) 30 Tage Haft aufgrund einer erfundenen Beschuldigung (geringfügiger Hooliganismus, gemeint ist unflätiges Geschimpfe an einem öffentlichen Ort) bis ihn seine Eltern oder ein anderer gesetzlich bevollmächtigter Vertreter abholt (diese Information stammt aus dem ZVINP und entspricht anderen identischen Urteilen bei Minderjährigen. Wenn diese innerhalb von 30 Tagen nicht abgeholt werden, werden sie in ihre Heimatstadt gebracht und dort von den Mitarbeitern des ZVINP den Eltern übergeben). Seine Eltern können aufgrund verschiedener Umstände ihren Sohn nicht abholen. Am 22.Juli wurde er aus der Haft entlassen.
Nach der Freilassung der letzten "internationals", die an der Blockade am Sonntag teilnahmen wurde am Dienstag morgen klar, dass allen das Visum ungültig gestempelt war und sie zwei Tage Zeit hatten, das Land legal zu verlassen und sonst, so war die Drohung, abgeschoben werden und ein Einreiseverbot bekämen.
Am Mittwoch kamen dann auch noch die Personen von der Blockadeaktion raus, die ukrainische Pässe hatten bzw. russische. Der schweizer Fahrradfahrer wurde am Freitag morgen freigelassen.
Am 20.Juli tagsüber wurde Aleksej J., Anarchist aus Naberezhnye Chelny erneut in der 28. Abteilung der Miliz in St. Petersburg festgenommen. Er hatte an der Aktion am Radisson Hotel am 16. Juli teilgenommen. Bei jener Festnahme wurde er verletzt und in das Marinskij Krankenhaus eingeliefert. In der 28. Abteilung blieb sein Pass zurück. Das Krankenhaus hat er nach der Untersuchung verlassen. Bei dem Versuch heute seinen Pass abzuholen wurde er festgenommen und dem Richter vorgeführt. Da ihm für die erste Festnahme lediglich zwei Stunden angerechnet wurden, kommt er nun erst am Samstag den 22. Juli raus.
Die letzten Gefangenen, die bereits vor dem Gipfel kriminalisiert wurden waren am Dienstag, den 25.Juli frei.
Es ist jetzt immer noch offen, ob eine "Extremismusanzeige" noch Auswirkungen hat auf einen sibirischen Aktivisten und ob noch andere Kriminalisierungsversuche der lokalen Szene folgen oder nicht.
Im folgenden ein paar subjektive Berichte von Inhaftierten:
Direkte Aktion gegen den G8 Gipfel in St.Petersburg brutal unterdrückt. Hungerstreik als Antwort auf Schläge von der Polizei, sexuellen Übergriffe und Haft
Ein Augenzeugin-Bericht von der ukrainischen Aktivistin Vlasta P.
(geschrieben direkt nach der Freilassung am 18.Juli)
Am morgen des 16.Juli 2006, dem zweiten Tag des G8 Gipfels in St.Petersburg, nahm ich mit einem internationalen Kollektiv von AktivistInnen an einer direkten Aktion gegen die G8 teil.
Trotz starker Polizeipräsenz gelang es 60 Leuten, den gesamten Nevsky Prospekt zu besetzen, direkt vor dem Haupteingang des Royal Hotel. Trompetenklänge und Transparente untermalten dies einer großen Anzahl an PassantInnen und der im Komplex untergebrachten offiziellen Delegation des Gipfels.
Die Aktion wurde erfolgreich von unabhängigen Medien fotografiert und gefilmt. Ungeachtet der Versuche, dieses Material zu beschlagnahmen sind wertvolle Teile dieser Dokumentation zugänglich (siehe im Internet unter www.ru.indymedia.org)
Die Besetzung des Nevsky Prospekt begann mit einer anscheinend einzelnen Gruppe von Aktivisten, die plötzlich die Straße bei grüner Ampel überquerte. Ein weißes Transparent wurde entrollt, auf dem in russisch stand "Nein zum Kapitalismus! Nein zur autoritären Herrschaft!" Ein Bild auf dem Transparent stellte das offizielle Symbol des G8 Gipfels dar, wobei der Autokrat, Peter der Erste vom Pferd fällt. Die an der Aktion beteiligten kamen aus vielen verschiedenen Ländern. Wir alle riefen gemeinsam "No G8" und ich konnte ein paar Töne aus der Trompete stoßen, die Ampel war noch immer grün, als ein Mann der OMON-Aufstandsbekämpfungs-Einheit mit mehr als 120 kg Gewicht auf mich zurannte und meinen Kopf runterdrückte wärend er meine Haare packte. Selbst jetzt, mehr als 50 Stunden später schmerzt mein Nacken und mein Kopf von dem Vorfall. Wärend dieser Behandlung konnte ich sehen, wie die Blockadekette meiner GenossInnen nach und nach zermürbt wurde. Ein Aktivist aus Wales, der in meiner Nähe stand, versuchte mich aus dem brutalen Griff des Polizisten zu befreien und schaffte es, ihn ein paar Sekunden aufzuhalten. In dieser Zeit rannten bereits massig Polizisten auf uns zu. Dennoch versuchte auch eine Frau aus Moskau mir noch zu helfen. Die Polizei begann, auch andere zu misshandeln. GenossInnen aus Deutschland und Polen wurden an den Köpfen gezerrt, eine junge Frau aus Deutschland und ein Genosse aus Russland wurde der Arm verdreht, andere wurden festgehalten und geschlagen. Wärend die Aktion 2 Minuten dauerte, dauerte die Festnahme mehr als 20 Minuten.
Wir wurden in einen OMON Bus gequetscht, die Hinterbänke waren für 8 Personen vorgesehen, wir waren mit 20 Menschen dort reingezwungen. Die OMON beschimpften und belästigten uns die ganze Fahrt über mit verschiedenen vulgären Ausdrücken für Geschlechtsteile. Sie brülten uns an: "Wir ficken Euch in den Mund! Mein Schwanz. Abgefickte Huren" Bezeichnungen, die sich gegen Schwule richtete. Androhungen von körperlicher Gewalt folgten und wurden dann umgesetzt. Der Offizier erlaubte uns nicht, aus dem Fenster zu schauen. Ich wurde gezwungen, auf einem Sitz mit drei Männern zu sitzen. Einer von ihnen war von einem Polizisten auf den Kopf geschlagen worden. Die Frauen wurden in dieser Situation nicht geschlagen, aber mehrmals beleidigt als "Prostituierte", "Warum lächelst du Schlampe?" und "Fick deine Mutter" Als wir mitbekamen, wie andere GenossInnen geschlagen wurden und weibliche Gefangene von männlichen Polizisten am Körper durchsucht wurden riefen wir "Keine Gewalt, no G8" Danach wurde eine deutsche Aktivistin aus dem Bus geholt, ihre Hände auf den Rücken gedreht und sie wurde in einen zweiten Bus gebracht. Bereits im Bus begannen die Polizisten eine illegale Durchsuchung ohne Protokoll. Sie entrissen mir meinen Trompetenkasten. Dann tasteten sie meinen Körper ab und brachten mich zum anderen Bus, in dem nur die eine deutsche Aktivistin saß. Wir als zwei Frauen allen wurden so gezwungen, uns ernsthaft Sorgen zu machen, abseits jeglicher Zeugen vergewaltigt zu werden von den 5 männlichen Polizisten im Bus. Wärend der 7 minütigen Fahrt zur Polizeistation fragten uns die Polizisten "Wieviel haben sie euch bezahlt?" und rühmten sich, für 500 Rubel (17 Euro) faschistische Parolen in der Öffentlichkeit zu rufen wie "Fremde raus" und "Heil Hitler". Außerdem sprachen sie über sexuelle Dinge "Wie können wir dich am besten ficken?" "Ihr seid so süße Girls" Wir bemerkten, dass der Haufen OMON sich zu einem disziplinierteren Benehmen aufraffte, als sie von Polizeieinheiten beobachtet wurden. Um 9 Uhr waren alle Verhafteten auf der Polizeistation Nummer 28. Die Polizei zählte uns als 31, einige aus Weißrussland, einen aus Moldau, zwei aus der Ukraine (mich mitgezählt) und beinahe ein dutzend BürgerInnen aus westlichen Ländern (Deutschland, Großbritannien, Niederlande, Polen). Wir wurden sofort aufgeteilt in AusländerInnen und RussInnen (einbezogen die UkrainerInnen, den Moldawier und die Weißrussen) Die AusländerInnen bestanden auf eine korrekte Übersetzung, die in dieser Polizeistation nicht gewährleistet wurde. Die Polizisten hatten nicht mal ansatzweise Englischkenntnisse. Trotzdessen wurden alle AusländerInnen von uns getrennt und zu einer anderen Station gebracht, obwohl alle Gefangenen verlangten zusammen zu bleiben. Die ausländischen GenossInnen mussten auf dem Flur sitzen. Als wir die Polizeistation erreichten, hatte ich bereits meinen Hungerstreik erklärt und verweigerte bis zur Freilassung zu essen oder zu trinken. Ich habe mich dazu entschlossen, um meinen Widerstand gegen die Herrschaft der G8 fortzusetzen und gegen die gewaltsame Beendung unseres friedlichen Protestes. Meine Entscheidung wurde von der Polizei damit kommentiert "Mach was du willst, es ist dein Recht" In dieser Weise wurde mir von der Regierung, die mich verhaften ließ das prinzipielle Recht eingeräumt, mich umzubringen. Der Hungerstreik wurde auch von anderen GenossInnen, aus Moldawien, Weißrussland und der Ukraine aufgenommen. Der befehlshabende Offizier versuchte eine Körperuntersuchung an mir. Ich leistete Widerstand und verlangte ein ordnungsgemäßes Protokoll und eine weibliche Offizierin für die Untersuchung. Lange Zeit versuchte der Offizier psychologisch Druck auf mich auszuüben, dass ich doch seiner Durchsuchung zustimmen solle. Er bedrohte mich und misshandelte mich. Nach 10 Minuten gab er auf und übergab die Angelegenheit einer weiblichen Offizierin. Nach einer weiteren Stunde wurden wir einzeln aufgerufen und in einen anderen Raum geführt (unter den sogenannten "russischen" Frauen waren zwei russisch, eine Weißrussin und ich aus der Ukraine. Eine halbe Stunde wurde jede von uns am Körper untersucht, wir wurden gezwungen uns komplett auszuziehen. Es wurde deutlich, dass wir alle gerade unsere Menstruation hatten. Das hinderte den gespannten Offizier nicht, eine komplette Körperdurchsuchung durchzuführen. Also wurden wir gezwungen, unsere hygienischen Slips auszuziehen. Ich nahm die Anweisung besonders ernst und packte meine blutige Unterwäsche auf den Tisch zu den beschlagnahmten Objekten. Wie wir dastanden, komplett nackt und mit Blut an uns, beschimpfte uns einer der durchsuchenden Polizisten als Idioten, Trottel und nicht normal. Mir wurde versprochen, dass ich ein Protokoll der Körperdurchsuchung bekommen würde, aber ich bekam später nichts. Auf das Protokoll von der Festnahme und die geschriebene Anschuldigung wartete ich von 9h morgens bis 19:17h. Es sollte möglich sein, dieses in 3 Stunden anzufertigen. Wir wurden abfotografiert und unsere Fingerabdrücke sollten genommen werden. Zuerst konnte ich dies verhindern. Der Fotograf flüsterte sexuell diskriminierende Sprüche. Die erste Gruppe der Inhaftierten wurden für zwei Stunden zum Gericht gefahren, es wurde gesagt, sie hätten ein Protokoll dabeigehabt, dass vor Fehlern strotzte. Jetzt begann das nächste Manöver. Es war offensichtlich, dass das maschinengeschriebene Protokoll den identischen Text für uns alle enthielt, also einfach kopiert war. Interessanterweise war auch die zweite Version mit identischer Wortwahl geschrieben. Der einzige Unterschied war diesmal, dass es sich um handgeschriebene Dokumente handelte. Nach all dem hin und her wurde der Text wieder normiert und lautete: "Festnahme, da den rechtlichen Anordnungen der Polizei nicht Folge geleistet wurde, die ihre Aufgabe erfüllten, die öffentliche Ordnung zu bewahren und die öffentliche Sicherheit. Teilnahme an einer illegalen Demonstration auf der Straße Nevskiy Prospekt Nr 49/2 und Verweigerung, der Polizei freiwillig in den Polizeibus einzusteigen, Festhalten an der Kleidung eines Polizisten, um Aufmerksamkeit rufen und lautes Schreien. Mit der Anwendung von Zwangsmitteln der 28. Polizeistation überstellt. Wie ich bereits sagte, waren es nicht Polizeieinheiten sondern Mitglieder der Spezialeinheit OMON, die uns festnahmen. Nach einer weiteren Stunde fuhren sie die nächste Gruppe zum Gericht, die erstmal nicht zurückkam. In der Polizeistation wurde einer Genossin, die ihr legales Recht in Anspruch nahm, den Pass nicht abzugeben dieser entrissen. Nur ein Genosse, der in dem Rechtshilfeteam gearbeitet hatte, konnte seinen Pass behalten, weil gerade ein Rechtsanwalt anwesend war, als er angegriffen wurde. Ein kalter Wind wehte im Polizeigefängnis. Ich hatte nur ein T-shirt, da mein Pullover bei der Festnahme durch die OMON zersört wurde. Als ich die Polizei fragte, ob sie das Fenster schließen könnten, bekam ich als Antwort "Setz dich auf die andere Seite du Nutte." Dort war es nicht wärmer. Wenn wir leise miteinander sprachen wurden wir angeschriehen "Ruhe, haltet eure tierischen Mäuler, wir ficken euch in den Mund" 15 Männer wurden in einen Raum von 1,5 x 2,5 Meter gesperrt. Nach einiger Zeit wurden sie freigelassen. Es wurde uns verweigert, unsere Telefone zu benutzen (wie es die Rechtslage vorschreibt) ebenfalls Telefonzellen. Wir konnten Informationen nur rausschmuggeln. Wenn wir nach AnwältInnen fragte, wurde uns gesagt "später". Die Anwälte und der Konsul wurde uns erst nach 4 Stunden Knast zugestanden. Es war bereits 9 Uhr abends, als die zweite Gruppe zum Gericht gefahren wurde, die WeißrussInnen, die UkrainerInnen und der Moldawier. Die russischen StaatsbürgerInnen blieben in der Polizeistation, wie auch die westlichen AktivistInnen. Und so wurden wir ein weiteres mal in den traumatisierenden OMON Bus gezwungen. Nun war die Laune der OMON danach, über "Antiglobalisten" zu scherzen. Sie fragten einfach "Woher kommst du?" und begannen bei ignorieren oder eigensinniger Beantwortung loszuschlagen. Ein Genosse aus Weißrussland wurde auf den Kopf geschlagen und ein Aktivist aus Moldawien wurde mehrfach in die Kniee getreten. Als sie sich mir zuwandten und fragten "Bist du eine Frau oder ein Mann?" antwortete ich "Ich mache da keine Unterschiede" und drehte mich dem Fenster zu. Mein Freund aus Moskau erzählte mir später, was in dem anderen Bus während dessen passierte. Als erst zwei Aktivisten im Bus waren und noch keine OMON riefen sie "No G8". Eine Bande OMON stürmte den Bus, zogen den männlichen Gefangenen raus und schlugen ihn in einem anderen Bus so stark auf ihn ein, dass er von den Repressionsorganen direkt einem Krankenwagen übergeben wurde. Vor Gericht gab es nicht einmal für alle Unterstützung durch Anwälte, weil ihnen den Tag über die rechtlich zustehenden Telefonanrufe verwehrt wurde. Selbst nach 3 Tagen hatte unser Legalteam keine vollständige Liste der Gefangenen. Nur einzelne durften bei den Verhandlungen dabei sein, einer von ihnen ein Journalist aus Moskau. Als Regel wurde die Haftstrafe danach vergeben, um so mehr AugenzeugInnen die Unschuld bezeugen konnten, um so höher die Haftstrafe. Ich saß im Eingang zum Gericht etwa eine halbe Stunde, bis ich reingelassen wurde. In dieser Zeit belästigten mich die OMON Wachen mit Fragen wo ich herkomme, wer ich bin.Ich musste diese Fragen als sexuelle Diskriminierung sehen, sie verhielten sich zu mir, als wenn ich ein Straßenbegegnung wäre. Als sie ihrer Anmachen müde wurden sagte der ein "Komm hier nie wieder her!" und der andere sagte mir: "Grunsätzlich ist ja nichts mit dir, Mädchen, wenn du dich nur waschen würdest, anziehen und make up hättest..."
Das Gericht arbeitete mechanisch: die Beschuldigten reinbringen, der Richter kommt rein, der Staatsanwalt kommt rein, der Anwalt (wenn es einen gibt) dann die zeugen, das Gericht geht raus um privat zu entscheiden, dann kommt es wieder und verkündet ein Urteil ohne Prüfungsmöglichkeiten.
Alle Inhaftierten von der Aktion bekamen 1 bis 3 Tage Haft, ich bekam 2 Tage, obwohl das Gesetz vorsieht, Eltern von Kindern unter 14 Jahren nicht zu Haft zu verurteilen. Aber das Gericht ignorierte die Tatsache, dass ich ein zweieinhalb jähriges Kind zuhause habe. Es ist einfach, das zu belegen, da meine Tochter in meinem Pass registriert ist in der offiziellen Sprache, ukrainisch. Aber die russischen Autoritäten verwehrten sich, den Pass in ukrainischer Sprache zu prüfen. Mir wurde auch ein Übersetzer verwehrt, bereits in der Polizeistation habe ich einen Übersetzer verlangt. Meine Anfrage wurde von dem zuständigen Offizier mit einem Lachen beiseite gefegt.
Um 22 Uhr wurden wir alle als "russische" Gefangene in das Gefängnis Nummer 27 gebracht. Dort waren bereits 8 Genossen aus Russland. In dieser Nacht wurden sie in ein anderes Spezialgefängnis gebracht. Bevor wir schlafen gingen wurden uns Gegenstände abgenommen, wieder ohne Protokoll. Um zwei Uhr nachts wurden wir gewaltsam aufgeweckt und sollten ein Papier unterschreiben, dass uns verpflichten sollte, Russland innerhalb von drei Tagen zu verlassen. Dieses Dokument wurde im Gefängnis gelassen, uns gab mensch nicht einmal eine Kopie. Unsere Forderung, uns Stifte und Papier zu geben, um eine Erklärung zu unserem Hungerstreik zu schreiben wurde ignoriert. Mir wurden auch warme Kleidung verwehrt. Diese Nacht verbrachte ich auf einer Holzbank. Das elektrische Licht hinderte uns daran, in der Nacht richtig zu schlafen. Ich teilte meine Zelle mit einer Frau aus Russland und einer aus Weißrussland, in der Nachbarzelle waren 13 Gefangene. Selbstverständlich fanden nicht alle einen Platz auf den Holzbänken und mussten auf dem nackten Boden schlafen.
Am morgen gegen 6 Uhr wurden wir aufgeweckt und bekamen unsere Sachen. Ich überprüfte sie und fand heraus, das nichts fehlte. Um 9 Uhr wurden wir in einem speziellen Gefängnis von einem weiblichen Doktor auf Läuse untersucht. Als ich ihr sagte, dass ich im Hungerstreik sei, sagte sie "du bist dumm und wirst gesundheitliche Probleme haben". Bis zwei Uhr wurden wir in speziellen Käfigen im ersten Stocj festgehalten. Ich war die einzige Frau, die eingeschlossen war, die Männer konnten zumindest zur Toilette gehen. Bevor sie mir wieder alle Sachen abnahmen, wollte ich auch zur Toilette gehen. Ich verweigerte, die Toilette zu benutzen, die sie mir zuwiesen, sie war unglaublich dreckig, ohne Licht und hatte einen höllischen Gestank. Ich konnte an einem solchen Ort nicht meine Menstruations-Slips wechseln. Nach langandauernden Versicherungen konnte ich Raum Nummer 33 benutzen, der nicht ganz so dreckig war. Als mir meine Sachen abgenommen wurden, konnte ich eine Hungerstreik-Erklärung schreiben, die anderen Hungerstreikenden konnten das gleiche erreichen.
Am morgen von 8 bis 10 Uhr mussten die langinhaftierten Gefangenen die Flure schrubben. Einer von ihnen nutzte die Gelegenheit, nahm mich beiseite und bedrohte mich "Heute Nacht komme ich in deine Zelle" Dies versetze mir einen tiefen Schock.
Nachdem ich meine Sachen überprüft hatte, gaben sie mir Bettwäsche und brachten mich in einen anderen Raum. Meine Mitgefangene war eine 20 jährige Weißrussin, die wegen krimineller Verstöße drinsaß. Sie rauchte permanent eine Zigarette nach der anderen und hörte nicht auf zu husten. Nach eineinhalb Stunden wurde ich rausgebracht, um den ukrainischen Konsul zu treffen. Er half mir kein Stück, außer schöne Worte zu sprechen. Nach seinem Besuch wurde ich in eine Zelle mit meiner Moskauer Freundin gebracht. In diesem Gefängnis gab es zweimal am Tag etwas, das sie Essen nannten, um 6 Uhr morgens (porridge mit Wasse und billigem Fett, ein bischen Tee) und am Abend (Suppe mit billigem Fett, Brot und was anderes). Die, die nicht im Hungerstreik waren, hätten eine schlechte Zeit gehabt, wenn nicht die GenossInnen außerhalb den ganzen Tag über versucht hätten, Essen reinzubringen. Das "Trinkwasser" war eine Sinnverdrehung selbst erzählten meine FreundInnen. Vor dem Schlafen kamen wir in Kontakt mit dem russischen Genossen, der in seinen Hausschuhen verhaftet worden war, als er die deutschen Fahrradkarawane Aktivisten treffen wollte. Offiziell wird ihm vorgeworfen, das er Schimpfwörter verwendet hätte und bekam dafür 10 Tage Haft. Die deutschen waren bereits frei, da es hohen Druck von außen gab.
Am morgen wurden wir alle geweckt, ob wir essen wollten oder nicht. Um 7:30h brachten sie mich auf den Flur. Dort traf ich mein GenossInnen, die wie ich 2 Tage Haft bekommen hatten. Nur mein weißrussischer Freund fehlte, der aber auch zu zwei Tagen verurteilt worden war. Später stellte sich heraus, dass der Gefängnisdirektor sein Dokumente nicht lesen konnte und ihn deshalb länger festhielt. Als sie den Fehler bemerkten, war er bereits stundenlang im Gefängnis, ungeachtet ihrer eigenen Regeln. Wir wurden wieder in Käfige gesperrt und um 9 Uhr rausgelassen. Einige GenossInnen und ein Fernsehteam wartete auf uns in der Straße. Wir wollten dringend trinken und duschen.
Die G8 haben die Stadt bereits verlassen und wir sind immer noch hier und laufen auf den Straßen. Wessen Straßen - UNSERE STRAßEN !
Haftbericht eines Anarchisten aus Warschau
Ein paar Erinnerungen an die 48 Stunden Haft vom 16.-18.Juli
(aufgeschrieben am 19.Juli)
Tritte und Schläge trafen meine Beine bei der Verhaftung. Auf der Polizeistation wurde mir gesagt, ich solle Aussagen machen ohne Übersetzer. Einer der Polizeioffiziere (ohne Uniform) versuchte die ganze Zeit mich zu zwingen, russisch zu sprechen... weil ich Pole bin, sagte ich ihm, dass es 15 Jahre her ist, dass ich russisch gelernt habe und dass ich nur ein paar Wörter verstehe, auf jeden Fall zu wenig um Erklärungen abzugeben oder die Schreie der Polizeioffiziere zu verstehen. "Ich werde dich dazu bringen, russisch zu verstehen" schrie er und griff mich mit beiden Händen an meinen Kragen und zog meinen Kopf zu sich. Da ich zwei Wochen zuvor das Fußballspiel Portugal-Holland geschaut habe, weiß ich, wie es enden kann (siehe die Aktion von Figo, dem portugiesischen Nationalspieler).Als der zweite Offizier den Raum betrat, hörte der erste auf. Er sagte mir, ich solle mich auf den Stuhl setzen... und als ich dabei war, trat er den Stuhl weg... der Stuhl fiehl zu Boden... ich nicht. Er sagte mir, ich solle den Stuhl wieder hinstellen und ich wiedersprach. Er begann, mich zu bepöbeln (russische und polnische Pöbeleien sind sich sehr ähnlich, also verstand ich faktisch alles) Ein paar Sekunden später begann ich über meine Aussagen zu sprechen. Ich sagte, ohne die polnische Übersetzung werde ich nicht anfangen. Es war etwa 15h am Sonntag, den 16.Juli. Nach 32 Stunden Knast bekam ich meine Übersetzung, dazwischen wurde ich viel gefragt und mir wurde viel gesagt. Immer wenn wir von den OMON von der Polizeistation zum Gericht oder woanders hingebracht wurden, begannen die OMON rassistische und sexistische Witze (ein weissrussischer Aktivist übersetzte mir alles und sagte, das beste sei, nicht zu reagieren) Am 16.Juli schrie plötzlich einer der polizeilichen Übersetzer "Krieg nicht Frieden! Dritter Weltkrieg!Yeah!" Was immer er damit sagen wollte, mir wurde klar, dass die Menschen, unter deren Kontrolle ich hier festgehalten wurden, mental verwirrt sind. Anrufe wurden mir verweigert, daher wurde der polnische Konsul durch die mainstream Medien in Polen über meine Verhaftung informiert. Als er zum ersten mal nach 10 Stunden Knast in der Polizeistation anrief wurde ihm gesagt, das dort niemand mit meinem Namen sein würde! Er ließ sich von verschiedenen anderen Seiten bestätigen, das ich doch dort war und kam schließlich in der Nacht des 16.Juli zur Polizeistation. Auf der Polizeistation, in die wir in der Nacht vom 16. auf den 17.Juli verlegt wurden gab es einen Polizeioffizier, der mich ständig mit seinem Maschinengewehr ins Visier nahm. Vor mir, wenn er mit mir sprach und hinter mir, wenn er mir zur Toilette folgte.
Letztendlich wurde ich verurteilt, ohne dass irgendein Anwalt anwesend war. Auf meine Frage hin vor Gericht, ob denn ein Anwalt da wäre, sagte der Richter "Das müssen wir überprüfen" und er telefonierte kurz mit seinem Mobiltelefon. Nach 20 Sekunden antwortete er "Nein, hier gibt es gerade keinen Anwalt, der zur Verfügung steht" Ich stimmte zu, ohne Anwalt fortzufahren, damit ich nach allem, was ich die letzten 35 Stunden erlebt hatte, das alles möglichst schnell hinter mich bringen könnte... Es gab noch weitere kleinere Übergriffe aber ich verließ die Haftzeit zuletzt ohne ernsthafte physische oder psychische Schäden. Ich bin mir aber sicher, dass eine jüngere Person (ich bin 32 Jahre alt) viel stärker hätte leiden können unter diesen Erlebnissen und danach, als es bei mir jetzt der Fall war.
James Bond, Angst und der lustigste Polizeigewahrsam, den ich je hatte
http://caravan2006.outra.net/wiki/Memories_from_actions_and_prison
Mitternacht auf dem Leningrader Bahnhof in Moskau. Ich fühle mich wie ein Spion, auf der Hut vor zivilen und uniformierten Staatsschützern, die mich aufgrund meines Äusseren mit den G8-Protesten in Verbindung bringen könnten. Ich sehe eine Menge bekannte Gesichter, Leute, die ich vom Libertären Forum kenne, dass die letzte Woche über hier in Moskau stattgefunden hat. Hier auf dem Bahnhof beachten wir uns kaum, jede versucht, ganz unauffällige Touristin zu sein, nur kurz trifft mensch mal zum Tuscheln zusammen.
Nachdem in der letzten Woche schon über 100 Menschen, die nach Petersburg fahren wollten, festgenommen oder am Wegfahren gehindert wurden, sehen wir uns alle schon im Knast, ohne St. Petersburg auch nur gesehen zu haben. Beim Fahrkartenkauf direkt vor Abfahrt des Zuges treffen wir einen polizeibekannten Aktivisten, der schon zweimal am Einsteigen in den Zug gehindert wurde und sich jetzt das dritte Ticket kauft. Bei jedem Fahrkartenkauf in Russland muss mensch den Reisepass vorzeigen - damit die Staatsschützer immer wissen, wer mit welchem Zug fahren will.
Elena und ich steigen deshalb am entgegengesetzten Ende des Zuges ein, gehen erst nach Abfahrt in unseren Waggon, schlafen in Betten, die wir nicht reserviert haben, und steigen in Petersburg auch aus einem anderen Wagen wieder aus. Ich komme mir vor wie auf geheimer Mission, dabei haben wir überhaupt nichts geplant, werden nicht mehr als 200 anti-autoritäre AktivistInnen in der Stadt sein und wissen kaum, wo wir übernachten und uns treffen können, von Aktionen ganz zu schweigen...
In Petersburg geht das Undercover-Dasein weiter. Es gibt keine festen Treffpunkte, die Aktivistis sind über die ganze Stadt verteilt, es gibt keine geplanten Aktionen - entsprechend anstrengend wird die Vielzahl von geheimen Treffen auf verwunschenen Friedhöfen, in U-Bahn-Stationen und vegetarischen Restaurants; Verabredungen per SMS, in denen von "Sightseeing" und "Parties" die Rede ist, über Stadtplänen brüten und ewige, nur selten produktive, zweisprachige Diskussionen... Die Angst vor der Repression ist allgegenwärtig. Von Bullen zusammengeschlagen und zu tage- oder gar monatelangem Knast verurteilt zu werden, scheint die zwingende Folge jeder möglichen Aktion zu sein. Einige befürchten gar, von durchdrehenden Anti-Terror-Einheiten abgeknallt zu werden. Andererseits denken sich aber auch viele, wenn wir es schon ohne Arrest bis hierher geschafft haben, müssen wir den Gipfel allen Schwierigkeiten zum Trotz wenigstens symbolisch angreifen, zeigen, dass wir uns nicht einschüchtern lassen, und dass Widerstand möglich ist...
Als wir in Zweierteams durchs Zentrum spazieren, um mögliche Ziele für unseren Blockadeversuch auszukundschaften, kommt uns unser Plan manchmal wie ein Suizidkommando vor. Die Strassen sind so voll von normaler Polizei, Zivilbullen und OMON (Spezialkräfte für Strassenkampf, die u.a. in Tschetschenien "trainiert" wurden), dass wir bezweifeln, ob wir überhaupt zum Aktionsort gelangen werden. Wir malen uns aus, dass wir vielleicht 30 Sekunden lang auf der Strasse stehen werden, bevor wir verprügelt werden. Wie viele Leute da sein werden, wissen wir nicht, aber wir wollen es auch als kleine Bezugsgruppe durchziehen.
Der Morgen dann wird richtig aufregend. Nach der Anspannung der letzten Tage ist es aber auch ganz gut, dass endlich was passiert. Im Cafe gegenüber dem Hotel im Zentrum, wo ein Teil der Delegierten übernachtet, sitzen schon früh halb neun erstaunlich viele junge Leute, und eine Menge bekannte Gesichter laufen draußen vorbei. Kurz vor halb stehen wir dann an der Bushaltestelle, immer mehr Menschen tauchen auf, wenn es jetzt noch drei Minuten länger dauert, fliegt alles auf... Endlich tauchen drei Menschen mit Zeitungen auf, direkt gegenüber vom Hoteleingang. Als sie die Zeitungen fallen lassen, rennen wir los, in fünf Sekunden sind drei Transpis aufgespannt, wir stehen mitten auf der Strasse, schreien, trompeten und trillern, etwa vierzig Leute sind zusammengekommen, der Verkehr stoppt, die Polizisten schauen verdattert und rufen Verstärkung...
Ein paar Minuten dauert es doch, bis sie anfangen, uns wegzuziehen, und auch das geht nicht so schnell und lautlos. Zwei Beamte schleifen mich zum Polizeiwagen an der Seite des Hotels, wo wir dann alle, Arme und Beine ausgebreitet, an die Wand gelehnt stehen müssen. Wir brüllen fleißig weiter, ab und zu kriege ich eins auf den Kopf, um still zu sein, und muß Arme und Beine noch weiter auseinandermachen, dass ich mich kaum noch halten kann. Einer der Bullen versucht, mir zusammengerollte Flyer als Knebel in den Mund zu schieben: "Mach auf! Das ist lecker!" ist das Einzige, was ich verstehe.
In der Polizeistation war die Stimmung richtig gut, ein Geburtstagskind wurde 29mal hochgeschmissen, einmal für jedes Jahr, und alle AusländerInnen stellten sich dumm: Wir verstehen kein Englisch, keine Zeichensprache... "Passport! Dokumenty!" Wir verstehen nicht. Was sagt er? Deutsch bitte! Ich hätte gern einen deutschen Übersetzer! "Passport oder Bum Bum!" sagt einer der Bullen und macht eine entsprechende Geste, aber alle lachen und er muss selber grinsen... Von den vielen, vor allem westlichen AusländerInnen sind die russischen Beamten sichtlich überfordert. Obendrein rufen irgendwelche Menschen aus Grossbritannien die ganze Zeit über bei der Polizeiwache an, nach und nach melden sich die verschiedenen Konsulate, und dummerweise wurden ein AP-Fotograf und mehrere andere Journalisten gleich mit verhaftet. Einigen Bullen sieht mensch es richtig an, dass sie am liebsten zuhauen würden, aber nicht dürfen. So lassen sie dann Sachen durchgehen, für die deutsche Polizisten uns schon längst grün und blau geschlagen hätten.
Wir lümmeln die ganze Zeit auf dem Gang rum, so dass alle über unsere Beine steigen müssen; wir spielen Personenraten und Bewegungsspiele; weil keiner auf den Namen reagiert, werden die Falschen zum Verhör geholt; Papiere mit Fingerabdrücken verschwinden; und ein Mensch, der sich als Brite ausgegeben hat und dessen Pass unauffindbar war, ist ein paar Stunden später einfach verschwunden - allem Anschein nach stand die Tür der Wache irgendwann offen...
Später können wir auch in der Polizeistation herumlaufen und uns mit den anderen treffen. Am Anfang wurden nämlich die Ex-SowjetbürgerInnen von uns anderen Ausländern getrennt, und für die war es nicht so lustig. Im Grossen und Ganzen werden sie zwar gleich behandelt, wegen der großen internationalen Aufmerksamkeit, aber auch auf unser Drängen hin - wir verweigern jede Kooperation, wenn nicht alle gleich behandelt werden, und würden auch eine frühere Entlassung ablehnen. Dennoch müssen die Russen, Weissrussen, Ukrainer und Moldawier rassistische Sprüche, Beleidigungen und Drohungen über sich ergehen lassen. Einige Menschen werden bei den Verhören herumgeschubst und so lange bedroht, bis sie eine Aussage machen.
Trotzdem ist die Stimmung bei allen überwiegend gut, dank des Legal Teams und der verschiedenen Konsulate haben wir reichlich zu essen und abends in der Zelle herrscht Partystimmung. Nach Mitternacht werden wir zu fünft in eine andere Station gefahren. Dort durchsucht uns ein Typ mit Maschinengewehr und Lederjacke, der unseren Companiero aus Belarus die ganze Zeit beleidigt und bedroht, was er genau sagt, verstehe ich zum Glück nicht. Zum Glück sind wir alle müde genug, um in der stickigen und engen Zelle auf dem Steinboden zu pennen, ohne alles.
Der nächste Tag bringt nach langem Warten und Papierkram am Abend endlich die Gerichtsverhandlungen für uns Ausländis, die schon 24 Stunden früher hätte stattfinden sollen. Alle 35 Menschen sind des Ungehorsams gegen Polizeibeamte angeklagt, alle mit exakt denselben Zeugenaussagen und Anklageschriften. Da die meisten schon vor uns "dran" waren, wissen wir schon, dass uns 1 bis 3 Tage Knast erwarten, das Urteil steht ja schon fest. Entsprechend legt auch niemand mehr Wert auf einen teuren Anwalt. Während anderen nahegelegt wird, sich doch zu entschuldigen und Unwissen über die Illegalität der Aktion vorzugaukeln, erkläre ich von Anfang an, dass es ja keine legale Möglichkeit gab, gegen diesen G8-Gipfel zu demonstrieren, und erläutere ausführlich, warum ich hier bin. Trotzdem bin ich einer von vier Menschen, die zu nur einem Tag Haft verurteilt werden und noch am selben Abend freigelassen werden - während die ex-SU-Bürger, die sich am vehementesten verteidigten und die Legalität der Polizeiaktion anzweifelten, drei Tage bekamen. Sicher nicht zufällig waren es durchweg westliche AusländerInnen, die mit einem Tag davonkamen.
Als wir vier dann nach 40 Stunden Arrest rausdürfen, ist es schon nach Mitternacht, nichts fährt mehr, und wir fragen allen Ernstes, ob wir nicht noch die Nacht in der Polizeistation verbringen dürften. Auf einmal wollen sie uns aber so schnell wie möglich loswerden und schubsen und drängen uns auf die Strasse...
Bliebe noch zu erwähnen, dass alle AusländerInnen innerhalb von zwei Tagen Russland verlassen mussten - nicht jedoch, ohne uns nochmal wiedergetroffen zu haben. Sogar der aus der Polizeistation verschwundene "Brite" tauchte auf einmal wieder auf...
Informationen von einem der russischsprachigen Gefangenen aus einer Ex-Sowjet Republik
Es gab mehrmals Schläge, schon im Bustransport auf dem Weg von der Festnahme zur Polizeistation und auf dem Weg zum Gericht. Sie wurden oft verbal angegriffen und einzelne ins Gesicht geschlagen. Als eine Person aus dem OMON-Bus das Fenster öffnete und auf russisch schrie "Nein zum Polizeistaat", wurde er an den Haaren zurück in den Bus gezerrt und geschlagen. Es schien als wären die OMON und Miliz Cops nicht sonderlich positiv zueinander, sie tauschten wenig Informationen aus und unterhielten sich gar nicht.
In der Polizeistation begann er zusammen mit ein paar anderen Gefangenen einen Hungerstreik, eine Person aß bis zur Freilassung überhaupt nichts, die anderen nur den ersten Tag nicht.
Einer Person, die bei der Antikriegskundgebung festgenommen wurde, war den ganzen Tag über schlecht, er wurde wohl auf den Kopf geschlagen und kam nach dem Gerichtstermin nicht wieder in die Zelle. Am Sonntag gab es besuchsverbot, aber am Montag brachte jemand von unseren Leuten Essen vorbei. Es gab wohl Decken für die Nacht, aber die Zellen waren sehr klein, dunkel und es war keine Möglichkeit, z.B. etwas zu lesen. Ein Kommentar, den er erinnerte war von einem OMON "Wenn ihr lust habt auf Aktion, dann kommt nach Tschetschenien" Eine junge russische Frau, die bei dem PinkSilver Protest mitgenommen wurde, war auch am 16.Juli in der Polizeistation. Sie wurde etwa eine Stunde in einem geschlossenen Raum umringt von männlichen Polizisten brutal verbal attackiert wurde. Ihr wurde gesagt, sie werden sie vergewaltigen und nachdem sie wieder bei den anderen war, war sie weiß im Gesicht und sichtlich traumatisiert. Sie wurde nach wenigen Stunden wieder entlassen.
Eine deutsche Person, die Essen zu den Gefangenen bringen wollte, wurde vom Polizeioffizier abgewiesen am Sonntag mit den Worten "Wenn du willst, wir haben auch noch eine Zelle für dich frei"
Bericht von Protesten beim G8 St. Petersburg
von:no G8 St. Petersburg (de.indymedia.org)
Ein ganz persönlicher Bericht von der Blockade des Radisson Hotels am Nevski Prospekt in St. Petersburg, den Erlebnissen im Knast und bei der Gerichtsverhandlung
Anarchistischer Protest beim G8-Gipfel in St. Petersburg
Im russischen Knast als BesitzerInnen eines westeuropäischen Pass
Die Zahl der Internationalen bei den G8-Gipfel-Protesten in St. Petersburg vom 15. bis zum 17.Juli 2006 lässt sich nicht rühmen. Es waren nur wenige, die darauf beharrten, ihren Rechten Ausdruck zu verleihen. Angst vor Repressionen, Horrorbilder von Übergriffen der russischen Cops, von russischen Knästen und von der russischen Justiz, überhaupt ein diffuses Bild von diesem Land, Sprachschwierigkeiten und auch die hohen Reisekosten sind nur einige von vielen möglichen Gründen für die kleine Anzahl der ProtestteilnehmerInnen.
Zur Vorbereitung der Proteste fand bereits vom 8. bis zum 12.7. ein libertäres Forum in Moskau statt. Schon hier breiteten sich schnell Ängste aus: Berichte von Menschen, die bei ihrer Reise zum russischen Sozialforum (das fast zeitgleich in St. Petersburg stattfinden sollte) aus dem Zug gerissen wurden, Verhaftungswellen in den russischen Metropolen, Gefängnisstrafen wegen des Besitzes von Flugblättern. Ein besonders deutliches Zeichen für die Internationalen war die Verurteilung eines Schweizers und zweier Deutscher zu 10 Tagen Haft, wegen so etwas fadenscheinigem wie "in einen Vorgarten pissen". Trotz des repressiven Klimas wurde vor dem sehr konspirativen Aufbruch nach Petersburg (auf den verschiedensten Wegen und in den verschiedensten Verkehrmittel) eine echt erfolgreiche "Anti-G8 Pink&Silver Action" in Moskau durchgeführt.
Angekommen in Petersburg war es schwer die eigentlichen Aktionen zu planen. Zu sehr hatte sich die Angst verbreitet, zu frustrierend erschien die Zahl der Mitstreiter und zu schwierig war es, sich zu treffen und zu organisieren. Es war nicht möglich für kurze Zeit einen Raum zu mieten, aber auch viel zu auffällig sich mit einer größeren Gruppe von Menschen im Park zu treffen. Wir hätten als Treffpunkt das Stadion des Sozialforums nutzen können, aber der Stadionbau war leicht abzuriegeln und hätte schnell zur Falle werden können. Und wie die Tatsachen beweisen, haben wenige Polizeikräfte genügt, um in kürzester Zeit dort mehrere Hundert Leute festzuhalten. Trotz aller Schwierigkeiten und mehrerer geplatzter Treffpunkte (z.B. durch das auftauchen der FSB-Schergen), gelang es immer wieder sich zu treffen, zu planen und neu zu verabreden. So vereinbarte eine kleine Gruppe von Delegierten einzelner "Grüppchen" eine Strassenblockade am 16.7. um 8:30 vor dem Radisson-Hotel, wo einige Gipfelteilnehmer residierten.
Dass es eine Kamikaze-Aktion sein würde, dass höchstens eine kurze Straßenblockade gelingen würde, bevor dann alle festgenommen würden, war allen Beteiligten klar. Klar war aber auch, dass wir unsere Meinung trotz der widrigen Situation kund tun wollten, um den Ablauf des Gipfels wenigstens für einen winzigen Augenblick zu stören. Die "großen Acht" sollten nicht auf die Idee kommen, zukünftig die nächsten Gipfel und andere internationale Treffen häufiger in Russland durchzuführen, weil dort ihre Ruhe kaum gestört wird.
Kurz nach 8:30, stürmten etwa 40 Leute mit drei Transparenten auf die breite Nevsky Prospekt, russische und englische Slogans skandierend und von einer Trompeterin unterstützt. Es dauerte keine zwei Minuten und schon hingen an jeder/m Demonstrierenden zwei bis drei Bullen. Wir wurden zu Boden geworfen oder warfen uns selbst hin, um zurück zum Transpi zu kriechen, manch eine/r versuchte eine Sitzblockade, bis er oder sie weggeschliffen wurde. Zumeist Kopfüber-handhinter ging es nun an die Seitenfront des Hotels, wo schon mehrer Einsatzbusse warteten. Schlagstöcke kamen nur selten zum Einsatz. Unsere nicht enden wollenden No-G8-Sprachchöre versuchten die Bullen mit Kopfnüssen, Tritten auf die Füsse, dem Zwang zum Beinspreizen und "bedrohlichem" Brüllen zu unterbinden. Offensichtlich gab es die Order Polizeibrutalität zu unterlassen, um negative Schlagzeilen in der internationalen Presse zu vermeiden.
Was die Polizei aber bei all der offensichtlich ungewohnten Disziplin in der Aufregung nicht beachtete: Auch nach russischem Gesetz hätten sie erst einmal sagen müssen, wer sie sind und uns mehrere Male dazu auffordern müssen, die Straße zu verlassen.
Auf der Polizeistation angekommen wurde von sprachgewandteren Streitgenossen den Bullen erklärt, dass sie mit uns nicht kommunizieren können solange keine Dolmetscherinnen für Englisch, Deutsch, Polnisch, Niederländisch etc. da sind. Schade für die Bullen war auch das wir uns weigerten ihre Körpersprache zu verstehen. Jede Frage oder Aufforderung oder Namensaufruf wurde von uns beantwortet mit "deutsch bitte", "englisch bitte".
Unsere Stimmung auf der Polizeistation war zunächst sehr gut. Gesang, Gekicher, freundschaftliche Umarmungen, das 29malige Hochwerfen eines Geburtstagskindes füllten die Wache mit Lärm und wachsender Zuversicht. Dann wurden die russischsprachigen Menschen (aus der Ex-Sowjetrepublik: Russen, Weißrussen, Ukrainer, Moldavier) von den anderssprachigen (Wales, Niederlande, Deutschland, Polen) getrennt. Erstere blieben im unteren Stockwerk, uns brachte man in die 2. Etage.
Wir befürchteten, dass es den russischsprachigen Freunden schlechter ergehen sollte und sie eventuell schlimmere Strafen zu erwarten hätten. Um dies zu verhindern forderten wir lautstark die gleiche Behandlung wie sie.
Inzwischen schon relativ selbstbewusst, verweigerten wir als Nachdruck unserer Forderung jede Zusammenarbeit mit den Wachen. Wir verstanden nicht, was sie von uns verlangten (nicht einmal "Passport"), verweigerten selbstverständlich jede Unterschrift und vermummten uns bei erkennungsdienstlichen Maßnahmen.
So vergingen Stunden des inszenierten Missverstehens, erst nach sechs Stunden kam eine Übersetzerin, obwohl man uns nach russischem Gesetz innerhalb von drei Stunden über den Grund der Gefangennahme hätte aufklären müssen. Wir bekamen bis dahin auch nichts zu Essen und kein Wasser. Ab 15:00 Uhr etwa wendete sich das Blatt abermals. Die Nachrichten unserer FreundInnen und des russsichen Legalteams hatten inzwischen weitere UnterstützerInnen erreicht und diese hatten die westeuropäischen Botschaften unserer Länder alarmiert. Fortan gaben sich Vertreter der verschiedenen Konsulate die Klinke in die Hand. Sie besorgten Getränke, Essen und malten sich alle möglichen Strafszenarien aus von 15 Tage Haft bis zum gänzlichen Einreiseverbot. Einzig das niederländische der Vertreter des niederländischen Konsulats ließ auf sich warten. Ein Botschaftsangestellter kam erst am nächsten Tag.
Bis 17 Uhr am Sonntag, so hieß es gegenüber den Vertretern der Konsulate, sollten wir dem Richter vorgeführt werden. Eine Busladung mit russischsprachigen Gefangenen ist dann auch tatsächlich im Laufe des Nachmittags dorthin gefahren, kam aber nach ein paar Stunden zurück, weil kein Richter anzutreffen war.
Also hieß es weiter rumhängen auf dem Flur, immer weniger Bullen wurden zu unserer Beaufsichtigung abgestellt. In Kleingruppen brachten sie die russischsprachigen Menschen zur Datenaufnahme nach oben. Eine Person die sich den Bullen bis dahin glaubhaft als Brite vorgestellt hatte und die glaubhaft machte keine Papiere dabei zu haben, um das zu bestätigen, konnte dabei sogar auf wundersame Weise türmen.
Auch unsere Bewegungsfreiheit konnten wir ein Stück ausbauen, wir stellten fest, dass wir nicht gehindert wurden zu unseren Freunden nach unten zu gehen. Nur zurück nach oben wollte man uns dann nicht gleich lassen, erst als sie wegschauten wurde die One-Way-Option wieder umgekehrt. Die Partystimmung hielt an, besonders nach der ersten großen Essenslieferung vom russischen Legalteam.
Als dann langsam klar wird, dass heute niemand mehr zum Gericht fährt, sperrte Bulle Frauen und Männer getrennt (nun also nicht mehr nach nationalen Prinzipien) in die Zellen ein. Erstere wurden irgendwann gegen Mitternacht in eine andere Polizeistation gebracht, wo man ganz erstaunt über westeuropäische Gefangene ist. Wir werden recht nett behandelt, dürfen zum Rauchen die Zelle verlassen und wir können fast all unser Zeug behalten. Hier verbrachten wir also unsere erste Nacht im russischen Knast auf harten Holzbänken und ohne Decke.
Am nächsten Morgen - wir glaubten es ginge nun endlich zum Gericht - wurden wir Frauen wieder in einen Polizeibus gesetzt. Diesmal von einer richtigen Fraueneinheit bewacht, wie wir es verlangt hatten. Wir fuhren zu einer neuen Polizeistation, wo wir auf die männlichen westeuropäischen Kameraden trafen.
Ein langweiliger Vormittag zog vorbei, die Vertreter von den Konsulaten (bis auf Niederlande) besuchten uns und versuchten ebenso wie wir das Vorgehen von Bullen und Justiz zu verstehen und vorherzusagen.
Vor der Gerichtsverhandlung wurde uns Akteneinsicht gewährt, ein natürlicher Weise aufwändiger Prozess, da alles übersetzt und vieles erklärt werden musste. Im Polizeibericht stand unter anderem, dass es keine Beweismittel (unsere Flugblätter haben wir auf der ersten Polizeistation rumliegen sehen und die Transpis haben sich wohl schon am Ort der Blockade in Luft aufgelöst) für unsere Aktion gebe! Und dass die Polizei uns fünf Mal (!) zur Auflösung der Blockade aufgefordert habe, bevor sie uns verhaftete. Der Vorwurf lautete: Erregung öffentlichen Ärgernisses, administrative Störung des Straßenverkehrs und das "Anfassen der Bullenuniform" alles in allem "nur" eine Ordnungswidrigkeit. Der G8-Gipfel oder Proteste in diesem Zusammenhang wurden mit keinem Wort erwähnt, jeder politische Bezug wurde fein säuberlich verschwiegen. Die Aussagen von den zwei einbestellten Polizisten waren vollkommen identisch: vorgedruckte Formulare, in die die Zeugen nur Namen und Unterschrift einsetzten.
Man sagte uns, wenn wir nicht unterschreiben würden, dass wir die Möglichkeit zur Einsicht erhalten hätten, könnten wir nicht dem Richter vorgeführt werden. Der Frau vom deutschen Konsulat erklärte die Wache gleich bei ihrer Ankunft, wir würden uns verweigern und deshalb wären wir immer noch hier und nicht bei Gericht. Letztendlich war es dennoch kein Problem nicht zu unterschreiben. Zwei fremde Zeugen wurden von der Straße geholt und mussten mit ihrer Unterschrift bestätigen, dass wir Einsicht genommen hatten. Wir wussten nicht, ob es sinnvoll ist, sich so zu verhalten, aber wir hatten bis dahin keinen Anwalt gesehen und die Übersetzung war so schlecht, dass wir nicht ermessen konnten, was wir da unterschreiben sollten.
Am Montagabend brachte uns eine (männliche) Wachmannschaft dann tatsächlich zum Zivilgericht. Wir Ausländer waren die letzten, über die an diesen Tag verhandelt wurde. Auf dem Hof trafen wir zuvor Freunde, die schon vom Strafmaß berichten konnten: Die Urteile erscheinen vollkommen willkürlich: Ein bis drei Tage Haft, wobei die schon abgesessene Zeit angerechnet wurde. Die Gerichtsverhandlung schien keinen festen Regeln zu folgen. Ob die Vertreter der Konsulate anwesend waren oder nicht spielte keine Rolle. Ob man den Pflichtverteidiger bestellte oder nicht war unwichtig. Menschen, die ihre Tat bereuten, erhielten ein Tag Gefängnis als Strafe, Menschen die mit Hingabe ihre politischen Beweggründe offen legten, bekamen ein oder zwei Tage Arrest. Lediglich vier Russen und Ukrainer, die von ihren Rechten vor Gericht gebrauch machten (Wechsel des Richters, Ansprechen der Polizeizeugen, Hinweis auf Rolle als Berichterstatter und nicht als Teilnehmer) bekommen drei Tage aufgebrummt.
Alle westlichen Ausländer (egal ob schon freigesprochen oder nicht) wurden zur Polizeistelle zurückgefahren, auf dem Weg dorthin traktieren die Polizisten einen Genossen aus Wales doch noch mit einem Gummiknüppel, weil wir immer wieder die Fenstervorhänge aufmachten, um nach draußen winken zu können. Auf der Wache angekommen sperrte man uns wieder in die Zellen. Die Leute die eigentlich schon aus dem Gefängnis entlassen werden sollten, landeten in einem "Warteraum" und verlangten von da aus laut und kräftig ihre (rechtmäßige) Freilassung. Irgendwann nach Mitternacht wurden ihnen ihre Papiere ausgehändigt und mitgeteilt, sie müssten bis zum Ende des 19.7. das Land verlassen. Andernfalls drohten Deportation und Einreiseverbot.
Nach dem letzten Besuch des Legalteams, ergriffen die Cops doch noch die Chance, uns zu schikanieren und ließen uns nicht mehr auf die Toilette gehen. Auch das solidarisch Trommelkonzert aller noch Einsitzenden konnte daran nichts ändern, die Staatsdiener erfreuen sich offensichtlich an unseren Nöten. Gegen 4:00 Uhr weckten sie uns, gaben uns die Dokumente zurück und dann konnten wir pünktlich um 8:00 endlich gehen.
Welches Fazit ziehen wir aus dieser Aktion:
1) Es hätte vielmehr Unterstützung von Internationalen bedurft, die es sich sonst kaum nehmen lassen, ins sonnige Italien oder Frankreich zu fahren.
2) Unsere Blockade war unter anderem deshalb eine Kamikaze-Aktion weil wir so wenige waren und deshalb auch Leute in Petersburg vor einer Teilnahme zurückschreckten.
3) Wie von den russischen Aktivisten schon vorher vermutet wurde, können Internationale bei solchen Aktionen als Schutz für die Leute vor Ort dienen, die ohne unsere Anwesenheit vielleicht anders behandelt worden wären. Gerade weil die Situation vor Ort schwierig und gefährlich erscheint, sollte mensch den Leuten vor Ort zur Seite stehen. "Wir sind überall!" sollte auch für Russland gelten.
4) Russische Bullen sind nicht unbedingt schlimmer oder besser als andere. Die gut organisierte Arbeit des Legalteams und eine hohe öffentliche Aufmerksamkeit haben dazu geführt, dass es kaum zu Übergriffen auf uns kam.
5) Die Solidarität zwischen russischsprachigen und Wessis bei der Aktion und während der Haft stärkt die Bewegung. Das erste russische Legalteam war sehr erfolgreich und die Presse hatte großes Interesse an seiner Arbeit für die Inhaftierten. Jede erfolgreiche Abwehr der Bullen lässt die Betroffenen beim nächsten Mal noch selbstbewusster auftreten. Wir haben denen, die es für unmöglich hielten, überhaupt irgendwas zu tun, bewiesen, dass immer irgendwas geht und dass sich der Erfolg einer Aktion nicht unbedingt mit der zeitlichen Dauer bemessen lässt.
Auswertungstreffen in Moskau vom 21.Juli 2006
Auf einem Nachbereitungstreffen in Moskau waren etwa 35 Leute, großteils aus Moskau selbst, aber auch ein paar Internationals. Wir machten eine Runde und es wurden sehr unterschiedliche Einschätzungen deutlich. Wärend einigen die Konspirativität zu inkonsequent und durchlässig war, beklagten andere, dass kaum Informationsaustausch stattfand. Es gab Unzufriedenheit über den Ablauf, z.B. auch dass die zweite Aktion am Sonntag (Pinkblock) viel zu schlecht geplant war und die Cops uns mit Leichtigkeit hätten alle mitnehmen können, weil mit geheimen Informationen unzuverlässig umgegangen wurde. Übereinstimmung gab es, dass vor Ort zu wenig gelaufen war in der Vorbereitung, also fundamental Infrastrukturen fehlten und dass das Legal Team und die Mediengruppe LINK sehr gut gearbeitet haben. Es gab eine Einschätzung, dass mehr Autorität besser gewesen wäre, wogegen sich andere Anwesende vehement aussprachen. Das russische Sozialforum wurde sehr unterschiedlich gesehen. Einige hätten sich gewünscht, in diesem Rahmen mehr zu planen und eine zentrale Demonstration durchzusetzen, andere meinten, dass das RSF kein geeigneter Ort war und dass es einfach an geeigneten Treffpunkten gefehlt habe. Die Aktionen in Moskau wurden als gelungen gesehen. Viele Treffen fanden ohne Ergebnisse statt, waren lang und frustrierend, vor allem die Aktionsvorbereitungstreffen. Es hätte mehr Koordination und Netzwerke gebraucht. Es war vorher klar, dass lokal wenig Vorbereitung möglich war, die Idee sich auf Moskau zu konzentrieren wurde noch mal in den Raum geworfen als vielleicht bessere Variante. Die Clownarmy Aktionen haben gefallen, einigen ging es auch nur darum nicht verhaftet zu werden. Es gab zumindest genügend Pennplätze in St.Petersburg aber überhaupt keine Poster in der Stadt. Die große Angst vor Repression hat blockiert. Insgesamt waren zu viele Leute vorher von Repression beeindruckt. Es war sehr gut, dass was stattfand, weil vorher alle gedacht haben, es würde überhaupt kein Protest laufen. Es gab die Frage, ob verschiedene Aktionen gerade sinnvoll sind, oder ob es eine Schwäche war, dass nicht eine zentrale gemeinsame Aktion gelaufen war. Es wurde geäußert, dass nicht alle AktivistInnen sich auf Aktionen und Knast einstellen und dass das auch OK ist, verschiedene Grenzen zu setzen für sich. Es war gut, dass die Gefangenen versorgt wurden, aber es gab zu wenige Infos, vor allem über den einen Minderjährigen, der 8 Tage ohne Essen im Knast war. Einspruch einzulegen bei Festnahmen kann gefährlich enden, der Geheimdienst hat auch in der Vergangenheit schon Aktivisten eingeschüchtert, die gegen Unrecht protestiert hatten. Das Verfahren gegen eine Person aus Sibirien wegen Extremismus fand bisher nicht statt, da er vor Gericht nicht erschienen ist. Es ist nicht klar, ob nicht noch die Extremismus-Gesetzes Keule zuschlägt und noch im Nachhinein einzelne kriminalisiert werden. Daher macht das Legal Team weiter und ist auf Öffentlichkeit angewiesen.
Weitere Texte, Infos, Bilder, Videos unter:
www.ru.indymedia.org/int
www.piter.indymedia.org
www.indyvideo.ru
[a3yo@riseup.net]
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Der Platz steht fest!
Nach langer Platzsuche und vielen Unsicherheiten ist es nun 100% sicher: Wir haben einen Platz für das Camp Inski 2006! Es kann sich nun also beruhigt zurückgelehnt werden und schon langsam angefangen werden die Koffer zu packen. Der Platz befindet sich wie angekündigt in der Region Bad Doberan und wird am nächsten Sonntag mit Adresse, Karte, Beschreibung und Anfahrtskizze für Bus, Bahn, Pkw, Fahrrad usw. bekanntgegeben. Dies geschieht über die Internetseite http://www.camp06.dissentnetzwerk.org und über die diversen E-Maillisten. Der Grund dafür, dass wir den Ort erst nächsten Sonntag veröffentlichen, ist, dass wir zuersteinmal in Ruhe mit den Anwohnern und Nachbarn sprechen möchten, um zu verhindern, dass staatliche Institutionen oder hetzerische Medien unser Verhältnis zu ihnen beeinträchtigen.
Ab Montag den 30.juli bis Donnerstag den 3. August wird das Büro für alle eventuellen Fragen von 12.00h bis 20.00h geöffnet und telefonisch erreichbar sein:
Mariannenplatz 2
10997 Berlin
Tel: 0176-62078158 oder 030-40985406
Während dieser Zeit stellt das Büro auch den Anlaufpunkt für Anreisende (internationals) dar.
[http://camp06.dissentnetzwerk.org]
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Politisch campen
Wer träumt in diesen Hundstagen nicht vom Camping am Meer? Politaktivisten sind davon nicht ausgenommen. Am 4. August startet direkt an der Ostsee in der Region Bad Doberan das Anti-G8-Camp. Eine Woche lang werden sich Globalisierungskritiker aus Deutschland und dem europäischen Ausland auf den G8-Gipfel vorbereiten, zu dem sich im Juni 2007 die führenden Globalplayer der Welt treffen.
Während sie im Seebad Heiligendamm im mondänen Hotelkomplex Kempinski absteigen werden, sind die Gegner bescheidener. Sie beanspruchen nur eine Wiese zum Zelten. Nach wochenlangen Verhandlungen hat man sich am 25. Juli auf den Platz geeinigt. Die genauen Ortsangaben werden allerdings erst ab kommender Woche unter http://www.camp06.dissentnetzwerk.org im Internet bekannt gegeben. "Wir wollen zunächst in Ruhe mit den Anwohnern und Nachbarn sprechen, um zu verhindern, dass staatliche Institutionen oder hetzerische Medien unser Verhältnis zu ihnen beeinträchtigen", begründet Gabriele Aust von der Campvorbereitungsgruppe die Verschwiegenheit. Tatsächlich hat sich in der Vergangenheit das rechtslastige regionale Anzeigenblättchen "Stadtanzeiger am Samstag" mit hetzerischen Artikel gegen die G8-Kritiker und die Linkspartei, die die Proteste unterstützt, hervorgetan. Auch Mitglieder der Bürgerinitiative Öffentlichkeit in Heiligendamm", die im Vorfeld des G8-Treffens die Sperrung des Kempinski Hotelgeländes für die Öffentlichkeit zu verhindern sucht, klagen über Drohungen und Telefonterror. Langeweile dürfte auf dem Camp nicht aufkommen. "Neben gutem Leben an der schönen Ostsee mit ausreichend Raum für Diskussionen und Veranstaltungen wird das Anti-G8-Camp, selbstverständlich mit Protesten und - wo es angebracht sei - auch mit sozialem Ungehorsam in Aktion treten", heißt es in einer Presseerklärung. Der Kontakt mit den verschiedenen regionalen Gruppen nimmt dabei eine zentrale Stelle ein. Schließlich will man ja im nächsten Jahr wiederkommen und noch Freunde mitbringen. Für den Juni 2007 suchen die G8-Gegner in der Region Doberan einen Campplatz für 15.000 Personen.
[Neues Deutschland vom 28. Juli 2006]