2007-05-25
Schwerin (RPO). Das Verwaltungsgericht Schwerin hat ein weiträumiges Demonstrationsverbot der Polizei zum G-8-Gipfel rund um den Tagungsort Heiligendamm weitgehend gekippt.
Wie das Gericht am Freitag mitteilte, halten die Richter nur ein Versammlungsverbot von 200 Metern vor dem Sperrzaun um das Seebad für rechtmäßig. Die Polizei hatte dagegen in einer Allgemeinverfügung Versammlungen vom 5. bis 8. Juni auch kilometerweit vor dem Zaun untersagt.
Die Veranstalter eines für den 7. Juni geplanten Sternmarsches nach Heiligendamm hatten gegen das weiträumige Demonstrationsverbot geklagt. Das Schweriner Verwaltungsgericht gab ihnen weitgehend Recht. Die Sicherheitsbedenken der Polizei könnten auch "in einer das Grundrecht der Versammlungsfreiheit schonenderen Weise" zufrieden gestellt werden.
Sternmarsch nur auf bestimmten Straßen
So soll der Sternmarsch auf bestimmte Straßen beschränkt bleiben. Damit sei sichergestellt, dass zum Beispiel eine Versorgungsstraße von Heiligendamm nach Bad Doberan frei bleibe. Außerdem müssen die Ordner des Sternmarsches dafür sorgen, dass die Teilnehmer nicht die Gleise der Bäderbahn "Molli" betreten, die zwischen Heiligendamm und Bad Doberan fährt. Die Anmelder der Demonstration zeigten sich zufrieden mit der Entscheidung.
Der Richterspruch ist noch nicht rechtskräftig. Eine Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Greifswald ist möglich. Eine Polizeisprecherin in Rostock erklärte, ein Einspruch werde geprüft.
Beim Verwaltungsgericht ist ein weiteres Verfahren noch offen, in dem G-8-Gegner gegen ein Demonstrationsverbot rund um den Flughafen Rostock-Laage klagen. Auch hier hatte die Polizei am 15. Mai alle Versammlungen verboten. In Laage sollen viele der Politiker landen, wenn sie zum G-8-Gipfel anreisen.
Das Sternmarsch-Bündnis erklärte, nach der ursprünglichen Verfügung wäre eine Fläche von 40 Quadratkilometern als demonstrationsfreie Zone ausgewiesen worden. Dies wäre in der Geschichte der Bundesrepublik demnach einmalig gewesen. Dennoch erwägen die Organisatoren weiter einen Widerspruch, denn ursprünglich wollten sie direkt am Tagungshotel demonstrieren. Das ließ das Gericht nicht zu.
Spektrum des Protestes ist breit
Das globalisierungskritische Netzwerk Attac begrüßt die Entscheidung. "Offenbar hat das Gericht eine klarere Vorstellung davon, was ein Rechtsstaat bedeutet, als Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und die Polizei", sagte Pedram Shahyar vom Attac-Koordinierungskreis.
Die wichtigsten Fakten zum G-8-Gipfel
Das Spektrum des Protestes ist so breit wie nie zuvor bei einem vergleichbaren Ereignis. Vom 2. bis 8. Juni werden sich Schätzungen zufolge bis zu 120 verschiedene Gruppen allein aus Deutschland an Veranstaltungen und Aktionen gegen den G-8-Gipfel beteiligen. Hinzu kommen aus dem Ausland noch einmal etwa 50 Gruppen. Das heterogene Protest-Bündnis reicht von radikalen Linken über Attac, Umweltverbände und Linkspartei bis zu kirchlichen Gruppen, Gewerkschaften und Popstars wie Herbert Grönemeyer oder Bono.
Ihr gemeinsames Ziel ist der Widerstand gegen die Politik der Industriestaaten. Allerdings ist die globalisierungskritische Bewegung gespalten in die, die "die Gewalt klar ablehnen und solche, die Gewalt als politisches Mittel akzeptieren", wie Attac-Sprecher Werner Rätz sagt.
Die "Interventionistische Linke", ein Zusammenschluss linksradikaler und autonomer Gruppen, ließ bereits verlauten: "Wir begrüßen alle Aktionsformen und distanzieren uns von keiner." Man halte sich aber an Absprachen.
Bislang gebe es keine Hinweise auf Gewalttäter, sagt Attac-Aktivist Peter Wahl der AP. Aber Gewalt bei den Protesten könne keinesfalls ausgeschlossen werden, da sich das Klima durch die jüngsten Razzien, die Entnahme von Geruchsproben oder die angekündigte Einführung von Grenzkontrollen stetig verschlechtere. Niemand könne voraussagen, ob tatsächlich Gewalttäter anreisten.
Proteste werden seit 2005 geplant
Die Polizei trainiert für den Ernstfall G8-Gipfel: Das fast verlassene Dorf Alt-Spenrath, das für den Tagebau bereits umgesiedelt worden ist, dient als Kulisse.
Die Polizei trainiert für den G8-Gipfel
Die Proteste gegen den G-8-Gipfel werden bereits seit 2005 geplant. Das linke internationale dissent-Netzwerk, deutsche Nichtregierungsorganisationen und Attac gründeten Netzwerke, um sich abzustimmen. Es entstanden Zusammenschlüsse auf Zeit wie das Sternmarsch-Bündnis, das einen Marsch auf Heiligendamm am 7. Juni plant. Die Kampagne "Block G8" veranstaltet seit Wochen in ganz Deutschland Blockadetrainings. Die Plattform Gipfelsoli verschickt unregelmäßig Nachrichten zu Gipfelereignissen.
In Heiligendamm laufen die Vorbereitungen zum G8-Gipfel auf Hochtouren. Das Kempinski-Hotel wurde bereits durch einen Sicherheitszaun zu einer Festung.
Heiligendamm rüstet sich
Am meisten Unterstützung hat die für den 2. Juni geplante Großdemonstration "Gegenwind für G-8 - Eine andere Welt ist möglich" in Rostock, zu der rund 100.000 Menschen erwartet werden. Dafür mobilisieren nicht nur Gruppen des griechischen Sozialforums, der italienischen Kommunistischen Jugend oder der dänischen Rot-Grünen Allianz. In Deutschland sind große Teile der Gewerkschaftsjugend, Umweltverbände wie Greenpeace oder Robin Wood und praktisch die ganze Linke mit ihren verschiedenen Strömungen mit im Boot. Teilnehmen wird auch die Welthandelskampagne "Gerechtigkeit jetzt!", ein Bündnis aus 41 Organisationen.
Den Alternativgipfel in der Hansestadt vom 5. bis 7. Juni initiieren rund 40 Organisationen. Zu den Unterstützern zählen unter anderem der BUND, Attac, Oxfam, Pro Asyl, Misereor, Greenpeace, Ver.di, Brot für die Welt und die GEW. Persönlich genannt werden Politiker der Linkspartei und der Grünen, darunter Grünen-Chefin Claudia Roth.
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Die kooperations- und Bündnisbereitschaft habe seit dem letzten G-8-Gipfel in Deutschland 1999 deutlich zugenommen, sagt Rätz. Das zeige sich in der sehr breiten Trägerschaft des Alternativgipfels, die auch aktionistische Gruppen umfasse, die fast zeitgleich zu Blockaden am Zaun rund um den Tagungsort aufriefen. In mehreren Blockadeaufrufen versuchten Gruppen aus dem eher linken und aktionsorientierten Spektrum, Vertrauensbasis für neue Protestformen aufzubauen.
Das linke Bündnis Move against G-8 will die kulturellen Aktivitäten gegen den Gipfel unterstützen und organisiert das Kulturprogramm während der Proteste. Schon vor dem Gipfel gibt es Konzerte zur Finanzierung des Kulturprogramms. Teil der Kampagne sind Musiker wie Jan Delay, Gentleman, die Toten Hosen, Juli oder Wir sind Helden. Delay sagte, um den Protesten die nötige Ausdruckskraft zu verleihen, sei auch Gewalt legitim. "Es geht hier schließlich nicht um Frieden, sondern um die Zukunft der Erde."
Briefe in Hamburg durchsucht
Schlagzeilen machte am Freitag auch die Mitteilung, dass der Staatsschutz der Hamburger Polizei Post im Briefzentrum Altona durchsucht hat, um militanten G-8-Gegnern auf die Spur zu kommen. Die Beamten wollten Bekennerschreiben von Gipfelgegnern frühzeitig herausfiltern, um Briefkästen observieren zu können.
"Dabei handelt es sich nicht um eine flächendeckende, sondern um eine punktuelle Maßnahme", sagte der Leiter des Hamburger Staatsschutzes, Detlef Kreutzer, am Freitag. Der Hamburger Polizeipräsident Werner Jantosch betonte: "Ziel ist es, Bekennerschreiben zu finden, und nicht, die Post der Hamburger zu lesen." Bundesinnenminister Schäuble dementierte, dass die Briefe zum Schutz des G8-Gipfels kontrolliert worden seien. "Mit Verlaub, es ist falsch", sagte Schäuble am Freitag in München. Das habe nichts mit der Vorbereitung auf das Treffen der G8-Staatschefs in Heiligendamm zu tun.
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