2007-05-24
Gerhard Klas 24.05.2007
G8-Agit-Prop und mehr bei YouTube
Agitation und Aufklärung per Videobotschaft – das praktizieren derzeit mehrere Dutzend Aktivisten im Videoportal YouTube.com, fast alle von ihnen anonym und mit Künstlernamen. Ihr Aufhänger: das Gipfeltreffen der G8 Anfang Juni im Ostseebad Heiligendamm. Die meisten Clips sind am heimischen PC produziert worden. Täglich werden 65.000 Clips in YouTubed hochgeladen, mehr als 100 Millionen werden angeschaut. Auch einige der G8-Clips erfreuen sich großer Beliebtheit und werden per Mailing-Listen weiter empfohlen.
Stop G8 ist der Titel eines Videos, das mit Bildern aus Bosnien, Ruanda, Irak und Darfur seine Betrachter über den Zustand der Welt aufrütteln will. Bilder von Kindersoldaten mit schweren Maschinenpistolen in den Händen flimmern über den Bildschirm, und Leichen über Leichen, auf staubigen Strassen verteilt oder angehäuft zu menschlichen Kadaverbergen.
Aber anklagen allein reicht nicht. Vielleicht liegt es an den positiven Anspielungen auf die G8-Kampagne während der britischen Präsidentschaft 2005, dass das “Stop G8″-Video nicht wie die meisten anderen per Email Freunden, Bekannten und Gesinnungsgenossen weitergeschickt wird und daher nur wenige Zugriffe erhält. “Make poverty history” lautete der Slogan, den auch Tony Blair, der britische Regierungschef, übernahm. Damals jubelte ein großer Teil der Bewegung, wähnte sich erfolgreich im Umwerben der Politiker.
Aber den Worten Blairs folgten kaum Taten. Seitdem ist Ernüchterung eingetreten. Das spiegelt sich in den meisten Videobotschaften, die zwischen wenigen Sekunden und zehn Minuten dauern. Zum Beispiel bei Move against G8. Das ist ein Zusammenschluss von verschiedenen Kulturinitiativen, der Interventionistischen Linken und dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac, die den mit mehr als 65.000 Zugriffen bisher erfolgreichsten Clip bei YouTube veröffentlicht haben.
Für mich repräsentieren die G8 Diktatur und Imperialismus. Die Idee, dass acht Menschen das Schicksal von sechs Milliarden kontrollieren, ist nicht hinnehmbar.
Als erstes kommt bei “Move against G8″ ein Afrikaner, Gyekye Tanoh, zu Wort. Von den G8 erwartet er nichts Gutes. Das gilt auch für Philipp Hersel, den Mitarbeiter der Berliner Nichtregierungsorganisation Blue 21.
Diese Leute, die sich da treffen, sind halt wesentlich verantwortlich für diese Scheiße. Und dafür gehören sie schlicht und ergreifend angegriffen und als solche auch sichtbar gemacht.
Einige Videos sind mehrsprachig, haben englische, deutsche und spanische Untertitel. Aber die meisten Clips sind Musik-, Bild- und Text-Arrangements, deren Botschaft immer anklagend, manchmal informativ, selten melancholisch und oft wütend oder pathetisch ist.
Über hartem, US-amerikanischem Polit-Rap zeigt die Videogruppe Black Flag unter dem Titel Fuck G8 unzählige Szenen maßloser Polizeibrutalität, aufgenommen beim G8-Gipfel 2001 in Genua. Die Beamten schlagen und treten auf Demonstranten ein, die längst am Boden liegen. Auf vielen Bildern sind blutige Köpfe und Nebelschwaden von Tränengas zu sehen. Die Antwort von Black Flag ergibt sich aus dem zweiten Teil des siebenminütigen Videoclips: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Der Polizeigewalt setzt Black Flag die Aufnahme einer verhinderten Festnahme entgegen, aber auch brennende Barrikaden und fliegende Steine, die sie offensichtlich als adäquate Antwort und Selbstverteidigung betrachten.
Genua war für die globalisierungskritische Bewegung in Europa Trauma und Initialzündung
Es gibt kaum einen Videoclip bei YouTube, der keine Szenen aus Genua zeigt. Smash G8 – Heiligendamm 2007 – unter diesem Titel fordern die Macher in Abwandlung des britischen Slogans “make poverty history” ihr “Make capitalism history”. Auch sie zeigen hauptsächlich Bilder aus Genua - einschließlich Bilder vom Tod des 20-jährigen Carlo Guiliani, der mit einem Kopfschuss aus einer Polizeipistole niedergestreckt wurde. Unterlegt haben sie ihren Clip mit einem Punk-Stück. “Ich hab keine Angst vor euch”, lautet der Refrain.
Die Strategie der Sicherheitsbehörden und Innenminister ging in Genua nicht auf. Einschüchterung war ihr Ziel gewesen – aber es folgte eine ungeahnte Welle der Solidarität mit den Verletzten und Opfern der staatlichen Gewalt. Nicht nur in Italien, in ganz Europa. Die “Bewegung der Bewegungen” beschloss, das erste Europäische Sozialforum im November 2002 in Florenz zu organisieren – trotz Silvio Berlusconi, der immer noch an der Macht war und der Polizeibrutalität in Genua. Es wurde ein großer Erfolg: Statt der erwarteten 20.000 Teilnehmer kamen 60.000, zur Abschlusskundgebung, die sich vor allem gegen den drohenden Krieg gegen den Irak richtete, kam eine Million Menschen.
In Deutschland erhielt Attac ungeahnten Zulauf. Tausende erklärten ihre Mitgliedschaft im globalisierungskritischen Netzwerk. Auch Attac mobilisiert über YouTube nach Heiligendamm. In dem Clip verzichtet Attac allerdings völlig auf eine Verherrlichung des jugendlichen, maskulinen Straßenkämpfers. Stattdessen setzt das Netzwerk in seinem 50 Sekunden-Spot, der auch im Werbeprogramm einiger Programmkinos gezeigt wird, auf kurze und knappe Aufklärung: Musik, Text und schnell geschnittene Bilder.
G8 – Gipfel der mächtigsten Industriestaaten.
Acht Staaten die meinen, die Welt dominieren zu können,
Durch Kriege, Menschenrechtsverletzungen, Umweltzerstörung und Sozialabbau.
Unsere Welt sieht anders aus.
Deswegen demonstrieren wir in Heiligendamm.
Mach mit. Die Welt braucht Dich.
Besonders phantasievoll gibt sich die Hedonistische Internationale. Mit Nacktdemonstrationen und Kaufrauschaktionen im Weihnachtsgeschäft hat die hedonistische Internationale bisweilen Aufsehen erregt. Vor allem in Berlin.
Die hedonistische Internationale, weil sie ja nur eine Idee ist, unter der sich Leute zusammenschließen, auch nur temporär, hat keine Patentrezepte.
Mit “Rave against G8″ will sie im Juni mit hochgerüsteten Sound-Systems und wuchtigen Bässen den Protest am Zaun in Heiligendamm unterstützen.
Die Gruppe Badespasz aus Halle an der Saale ist gleich mit mehreren Videos vertreten. Unterlegt mit beschwingter Skamusik greift sie Alltagssituationen auf und verbindet sie mit der Protestmobilisierung. Zum Beispiel bei einem Ausflug an die Ostseeküste. Dort angekommen, zertrampeln junge Leute während des romantischen Sonnenuntergangs eine Sandburg, die den Gipfel symbolisieren soll. Oder es fordert eine Plastikente, gern gesehenes Accessoire in heimischen Badewannen, dazu auf, den Gipfel der G8 zu versenken.
[http://www.heise.de/tp/r4/artikel/25/25343/1.html]