2007-05-23 

«Was tun, wenn's brennt?» - Medien, Gewalt und die G8-Proteste

Von Caroline Bock, dpa Berlin (dpa) – Das abschreckende Beispiel wird herumgereicht. «Anarchie!» prangt in Riesenlettern auf der Titelseite einer englischen Zeitung, die dazu eine Kampfszene zwischen vermummten Demonstranten und Polizisten zeigt. Ein Bild der Mai-Randale in London, gedruckt vor einigen Jahren am Vortag des 1. Mai – als es noch gar keine Ausschreitungen gab. Für die Protestforscher am renommierten Wissenschaftszentrum Berlin ist das ein Paradebeispiel, das auch als Mahnung für den G8-Gipfel in Heiligendamm (6.-8. Juni) dient. «Die Berichterstattung ist geradezu fixiert auf Gewalt», kritisiert der Politikwissenschaftler Dieter Rucht.

Der Gipfel, bei dem die sieben wichtigsten Industrienationen und Russland tagen, ist nicht nur ein politisches, sondern auch ein mediales Großereignis. Rund 3500 Journalisten aus aller Welt sind akkreditiert. Allein das ZDF, das mit dem NDR den «Pool» hat und so bestimmt, welche Fernsehbilder direkt aus Heiligendamm an die Weltpresse gehen, schickt 50 Journalisten an die Ostsee. Längst haben die G8-Gegner und -Kritiker, die bei Kundgebungen, Konzerten und Blockaden für ihre Ziele werben wollen, erkannt, welche Bühne sich ihnen bietet. Aber was die Medien berichten, haben selbst die Experten von Greenpeace oder Attac nicht in der Hand.

Damit Reporter und Kamerateams sich rund um Heiligendamm nicht nur auf etwaige brennende Mülleimer oder johlende Vermummte stürzen, stand im Wissenschaftszentrum ein Workshop unter dem Motto «Hilfe, die G8-Proteste kommen» auf dem Programm. Es war nur eine von unzähligen Info-Veranstaltungen rund um den Gipfel, bei dem die Demo- Szene bunt, vielfältig und reichlich unübersichtlich ist. Da kann eine kleine Nachhilfestunde nicht schaden: Soziologe Simon Teune erläuterte, wie der Protest, in den 50er Jahren noch ein «Nischenphänomen», heute in der Mitte der deutschen Gesellschaft angekommen ist. Und wer als Journalist die «vierte Gewalt» im Staate verkörpern wolle, müsse sich mit den sozialen Bewegungen befassen.
Doch bei der Berichterstattung hat Protestforscher Rucht diverse Fehler ausgemacht, die er in seinem ironisch betitelten Kurzvortrag «Was tun, wenn’s brennt?» zusammenfasst. Neben der «Fixierung auf Gewalt» moniert er eine «Stereotypisierung» – ein Neonazi ist dann fernsehtauglich, wenn er auch Springerstiefel und Glatze trägt. Außerdem stört Rucht, dass Medien gern personalisieren und anhand von Leitfiguren erzählen. «Das ist einfach ein Unding», findet er. Ein Beispiel war für ihn die Grünen-Politikerin Petra Kelly, die nach seinen Worten in der Partei nicht die Bedeutung wie in der Presse hatte. Zudem wünscht sich Rucht, dass bei Berichten über Proteste mehr auf Motive und Gründe eingegangen wird. Seine Empfehlung an die Journalisten sei «trivial», räumt er ein: «Sorgfalt, genaues Hinsehen, besonders, wenn Sie unter Zeitdruck schreiben.»
Bei der Podiumsdiskussion stoßen Ruchts Lektion und die Positionen der Gipfel-Kritiker nicht nur auf Gegenliebe. Es sei schwierig, Inhalte und Forderungen umfassend darzustellen, wenn diese so unübersichtlich und uneinheitlich seien wie beim G8-Widerstand, meinen die Reporter. «Wir berichten darüber, was passiert», unterstreicht Margaret Heckel, Ressortleiterin Politik bei der «Welt»/«Welt am Sonntag» und der «Berliner Morgenpost». Die einzelnen Gruppen hätten es in der Hand, wie über sie berichtet werde, je nachdem, ob der «Event» oder die Botschaft im Mittelpunkt steht. «Sie können das steuern.»