2007-05-23 

Prozessberichte G8 Genua

Diaz

Zur Zeit werden – nach den NebenklägerInnen und Geschädigten – die weiteren ZeugInnen der Anklage gehört. Das sind AnwohnerInnen, JournalistInnen und Menschen, die in der Schule gegenüber waren, und zuletzt auch viele PolizistInnen. Das Ziel der Anklage ist, die noch bestehenden Lücken zu füllen, wie: Wer war für diese “Durchsuchung” verantwortlich?

Pressekonferenz Polizei

Die Nummer Zwei der italienischen Polizei Labarbera (direttore del dipartimento centrale polizia die prevenzione) ist seit einigen Jahren tot, und somit auch ein möglicher Link zwischen den verschiedenen Ebenen der Polizei und der Politik. Einer der zeugen der anklage war sein Assistent in Genua. Er war mit Labarbera zusammen vor der Diaz. Während Labarbera entschied, die Diaz-schule zu verlassen, sogar bevor die gesamte Molotow-Geschichte stattfand (so kann er zumindest hierfür nicht verantwortlich gemacht werden), blieb sein Assistent länger vor Ort. Er wurde sehr lange vernommen. Er versuchte weiterhin, die schuld für den übergriff von seinem verstorbenen Chef fernzuhalten. Wie die meisten Polizisten im Zeugenstand der anklage kann er sich kaum an etwas relevantes erinnern. (Ein besonders signifikantes Beispiel hierfür ist eine Digos-Polizistin aus Firenze, die mit drei ihrer Männer in Genua war (also nicht unterste Befehlsempfängerin) und sich an überhaupt nichts mehr zu erinnern scheint. Auf sie komme ich bei den verschwundenen Molotow-Cocktails noch einmal zu sprechen.)

Die Strategie der Verteidigung ist keine einheitliche. Jeder Anwalt versucht, seine Schäfchen halbwegs ins trockene zu bringen. Der Sachverhalt als solcher wird dann in frage gestellt, wenn es aussagen zu den beteiligten Polizisten gibt. Neben generellem immer-wieder-in frage stellen der Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft (Art wie die Ermittlungen geführt wurden aber auch wie fragen gestellt werden (zu suggestiv)), steht auch immer noch die Bemühung im Vordergrund, die “Durchsuchung” als gerechtfertigt hin zu stellen und Angriffe auf Polizisten als Auslöser für die Übergriffe zu bemühen (hier besonders die berühmte Szene, nach der Menschen vor der schule ein Polizeiauto angegriffen haben sollen; während der “Durchsuchung” hätte es Angriffe auf die Polizei gegeben(sogar ein Angriff mit einem Messer), Gegenstände wären geworfen worden usw).

die erstaunlichste Beschwerde kam von dem Anwalt canterinis, der generell eher eine nothing-to-loose-Strategie vertritt und sich beim Richter beschwerte, die Staatsanwaltschaft hätte “alle diese anti-Globalisierungsaktivisten” voller Empathie angehört undginge nun rüde mit den Polizisten im Zeugenstand um. Der Richter antwortete hierauf nur lapidar, dass zeugen, die sich nicht klar äußern und kooperativ seien, sich nachfragen schon gefallen lassen müssten.

Dem gegenüber steht die Behandlung der Polizeibeamten, die willens sind, namen zu nennen, oder nicht die von der Verteidigung gewünschten aussagen machen. Dies führt oftmals zu einer sehr ruppigen Behandlung der Polizisten im Zeugenstand durch die Verteidigung, was den Assistenten von Labarbera dazu brachten, nahe am weinen auszurufen: deve capire che questo processo è una sofferenza per noi. Tutto quello che è successo…

Mehr über die Strategie der Verteidigung lässt sich vor beginn der Anhörung der zeugen der Verteidigung jedoch kaum festhalten.

Zwei besondere “Diskussionspunkte” sind die berühmten Molotow-Cocktails und der vermeintlich mit einem Messer angegriffene Polizist. Die Molotow-Cocktails, nachgewiesenermaßen von der Polizei zur Diaz-schule gebracht worden, konnten bei beginn der Zeugenanhörung zu diesem Themenkomplex nicht mehr aufgefunden werden. Der Prozess wurde gestoppt, die Anwälte der Verteidigung freuten sich über die Unterbrechung, doch die zwei Flaschen konnten nicht gefunden werden. Nach offizieller Mutmaßung seitens der Polizei seien diese wohl irrtümlich mit anderem brennbarem material vernichtet worden – was allerdings angesichts der curatesse, mit der diese Vorgänge protokolliert werden (für die Vernichtung dieser Gegenstände gibt es ordentlich extra-Geld) recht unwahrscheinlich und unüberzeugend anmutet. Eine mögliche Begründung für deren vorsätzliche Vernichtung könnte die Verwicklung des damaligen Chefs der Genua Digos gewesen sein (inzwischen ist er versetzt worden). Die Flaschen blieben auf jeden Fall verschwunden.

Schwierig gestalten sich die versuche, den weg der Flaschen durch die Händen der verschiedenen PolizistInnen zu rekonstruieren. Die bereits erwähnte Digos-Polizisten, die sie auch zwischenzeitlich im Hof der Diaz-schule in ihren Händen hielt (ansonsten hielt sie sich nach eigenen aussagen nur auf der Straße vor der Diaz-schule auf, wusste nicht, was warum passierte und hat auch nichts gesehen) kann sich nur erinnern, diese kurz einem neapolitanischen Kollegen zum aufpassen gegeben zu haben (nachdem sie diese zum aufpassen bekommen hatte), um mit ihren drei Männern zu sprechen. Sie konnte besagten Kollegen dann nicht mehr wieder finden, sah die Flaschen im inneren der schule dann jedoch wieder, direkt beim Eingang zusammen mit konfiszierten Gegenständen, ohne sich jedoch weiter darum zu kümmern. Zu diesem Zeitpunkt waren sie nicht mehr, wie vorher, in einer blauen Plastiktüte eingepackt. Sie fuhr dann zur Polizeizentrale und verbrachte dort mehrere stunden, wo sie wiederum nicht weiß, was warum passiert und auch nicht im entferntesten angeben kann, warum sie dort war.

Der ebenso bereits erwähnte ehemalige Assistent von Labarbera hat Luperi (Chef der Digos) mit den Flaschen (noch in der Plastiktüte) über den Hof auf sich zu, also von der schule weggehen sehen, konnte aber die von der Verteidigung so dringlich gewollte und vehement nahegelegte Annahme, er sei wohl aus der schule gekommen, nicht über die Lippen bringen (hier der weinerliche Ausbruch des Polizisten, für den dieser Prozess ein echtes leiden darstellt).

Ähnlich geheimnisvoll auch die Geschichte um den angeblich durch Messerstiche verletzten Polizeibeamten. Nachdem seine ersten Angaben zu den Umständen seiner angeblichen Verletzung von den experten als nicht konsistent mit den Schäden an uniform und plastikschild zurückgewiesen wurden, gab er eine zweite aussage zu Protokoll, bei dem ihm dann wieder einfiel, dass der nicht erkannte Angreifer zweimal, im fallen, auf ihn eingestochen habe. Ein experte der crabinieri und ein von den Anwälten der Nebenklage bestellter experte sehen auch diese Geschichte in keiner Übereinstimmung mit den vorgefunden Schäden. Einzig der ausgewiesen recht kreative experte (der bereits das gutachten erstellte, nachdem placanica, dessen Schuss Carlo tötete, nur in die Luft schoß, wodie Kugel von einem Stein abgelenkt wurde, um dann Carlo frontal in die Stirn zu treffen) bescheinigte die Möglichkeit, dass es sich tatsächlich so zugetragen haben könnte, wie der vermeintlich angegriffene Polizist in seiner zweiten Version beschrieb. Dies unterstrich der experte mit einer nicht ganz überzeugenden Demonstration mit Hilfe eines socken und einer kassettenhülle.
(Ein zeichen dass seinen ausführungen auch bei dem Prozess gegen placanica nicht besonders viel glauben geschenkt wurde, ist, dass dieser wegen “recht auf selbstverteidigung” freigesprochen wurde – wo er doch angeblich in die luft geschossen hat??)

abschließend noch zwei zeugen, die vor gericht aussagen, wie Polizei arbeitet und organisiert ist, auf welchen wegen Polizei nach innen und außen versucht, fakten zu vertuschen bzw zu verschleiern. Der eine ist der pressesprecher der italienischen Polizei, der immer wieder betonte (auf nachfragen, warum er dieses und nicht jenes angegeben habe), dass das von ihm gesagte “da un punto die vista mediatico” besser funktionieren würde. Beispiel: er erwähnte nach der “Durchsuchung” der Diaz nicht die Molotow-Cocktails – daran wären die journalisten nicht interessiert gewesen, sondern die schwarze kleidung, die in der schule gefunden worden war.

Ein besonderer zeuge war Anfang April ein Polizist aus bari, der mit seiner aussage die Aufnahme des Prozesses in dieser Form überhaupt erst möglich gemacht hatte. Er hatte die Molotow Cocktails als die Flaschen identifiziert, die er Samstag nachmittag auf den Straßen Genuas konfisziert hatte. Er ist schwer krank und wurde daher per videokonferenz in bari befragt. Er bestätigte, die Flaschen eindeutig wiederzuerkennen und erklärte vorherige ungereimtheiten in seinen aussagen mit dem druck, dem er in der Polizei ausgesetzt ist. Er erklärte, anfangs aufgrund dieses drucks keine namen nennen wollte. An einem bestimmten punkt musste er dies aber tun, was seine aussage änderte. Die Verteidigung versuchte ihn in seiner aussage zu verunsichern, doch er konnte konsistente erklärungenh liefern.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass zur zeit eine reihe von zeugen gehört werden, die oftmals mit großem glück nicht auch auf der anklagebank sitzen und sich wenig bis gar nicht kooperativ zeigen. The show will go on – bald mit den zeugen der Verteidigung.

bolzaneto

bolzaneto ist der “einfachste” und “unaufregendste” prozess, keine mysterioesen begebenheiten wie bei diaz. die rolle der nebenklage ist nicht besonders bedeutend. grundsaetzliche werden in diesem prozess langweilige details oft wiederholt und eher selten spannende einzelheiten berichtet oder strukturen aufgedeckt. nach einem jahr der anhoerung von nebenklaegern (bis 27.11.2006) und weiteren zeugen der anklage wie polizisten, carabinieri, gefaengnispersonal und gefaengnisverwaltung. die aussagen beziehen sich auf die allgemein situation und – seltener – auf bestimmte einzelne vorfaelle, in der regel das schlagen. dies ist generell natuerlich noch schwerer einzelnen personen zuzuordnen als generelle verantwortung.

die genannte zeugengruppe von ploizei und gefaengnispersonal versucht die geschehnisse herunterzuspielen und zu verharmlosen. es wird von einer grossen verwirrung und stress gesprochen, manche bad words waeren wohl verwendet worden und vielleicht sei auch mal jemand etwas groeber angefasst worden. generell sind diese zeugen nach eigenen angaben aber nicht umhergelaufen und haben nichts gesehen. es kommt oftmals zu widerspruechen. so gaben einige an, es seien uebersetzer vor ort gewesen, andere gaben an, man haette sich mit ein bisschen englisch und gesten verstaendigt.

zwei sanitaeter sind bis jetzt die einzigen zeugen der anklage, deren version mit den beschriebungen der nebenklaegerInnen uebereinstimmen. sie berichteten, es haette keine angemessenen medizinische untersuchung gegeben, die wuerde der “insassen” sei wiederholt verletzt worden. sie haben gesehen, dass die insassen in den zellen an der wand stehen mussten. sie berichteten auch beide von schlaegen, auch direkt vor dem angeklagten doktor toccafondo. diese beiden sind besonders wichtige zeugen und dementsprechend hart war das kreuzverhoer der anwaelte der verteidigung. der eine sanitaeter machte sehr klare aussagen, der andere war sehr emotional und hatte in der vergangenheit psychiatrische probleme. er hatte probleme mit der zeitliche abfolge und es gab eineige wiedersprueche. besonders ein bestimmter vorfall, bei dem ein insasse geschlagen wurde, wurde von beiden sehr unterschiedlich beschrieben. die anwaelter der verteidgung haben daher eine gegenueberstellung der beiden sanitater eingefordert, bei der sich dann heausrstellte, dass beide unterschiedkliche uebergriffe beobachtet hatten.

zusaetzlich wurde noch ein medizinischer sachverstaendiger gehoert, der den gesundheitlichen zustand der verhafteten rekonstruierte und wiederholt saetze sagte wie “diese person haette ins krankenhaus gebracht werden muessen” oder “diese person wurde nicht angemessen/ausreichend medizinisch versorgt”.

anschliessend wurden einige wenige zeugen der nebenklage gehoert, hauptseachlich aerzte, die einige nebenklaeger nach ihrer rueckkehr aus bolzaneto untersucht hatten und ueber deren verletzungen berichten konnten. auch sagten einige eltern aus.

seit dem 20.03.2007 werden die zeugen der verteidigung gehoert. die zeugen der verteidigung – gleichfalls polizisten, carabinieri, gefaengnispersonal und gefaengnisverwaltung, belasten in ihren aussagen auffallend oft die nicht angeklagten mitglieder der GOM (gruppo operativo mobile), die gefaengnis-anti-riot-einheit, der vor beginn des prozesses nicht nachgewiesen werden konnte, dass sie sich im innern der bolzaneto-kaserne aufhielten. tatsaechlich stellt sich vor allem seit der anhoerung der zeugen der verteidigung immer deutlicher heraus, dass dies der fall war. so ist die anwesenheit der GOM innen in der kaserne und gleihzeitig die nicht-anklage dieser eine moeglichkeit fuer die verteidigung, die verantwortung fuer einzelne vorkommnisse abzulehnen. (ein interessantes detail ueber ein mitglied der GOM kam bei der befragung eines genueser gefaengnisdirektoren heraus. der GOM-mann war mit dem direktor in streit geraten, da sich dieser ueber die brutale vorgehensweise des GOM-mannes innerhalb seines gefaengnisses beschwert hatte. da dieser vorfall zu den akten genommen wurde, kam er auch vor gericht zur sprache.)

ein weiterer interessanter zeuge ist der ehemailge chef der gefaengnisverwaltung, ein richter, der nicht angeklagt wurde, da ihm nicht nachgewiesen werden konnte, dass er absichtlich die kontrolle ueber die geschehnisse innerhalb bolzaneto verlor. er versuchte nicht die geschehnisse zu verharmlosen, sondern schob die verantwortung hierfuer der polizei zu. bolzaneto war auf polizeigelaende, es wurden aber auch dinge ge,macht, die normalerweise erst nach ueberfuehrung in ein gefaengnis gemacht werden. bolzaneto war als organosation also quasi der eintritt in verschiedene gefaengnisse, eine mischung von polizeizentrale und bueros verschiedenener gefaengnisse. diese mischstruktur machte besagter richter fuer viele vorkommnisse und unklare zustaendigkeiten verantwortlich.

zusammenfassend laesst sich sagen, dass der prozess einigermassen gut laeuft. natuerlich wird nicht allen angeklagten nachgewiesen werden koennen, dass sie tatasaechlich beteiligt waren. doch gibt es keine widersprueche in den aussagen der inhaftierten und diese decken sich auch mit den aussagen der zwei sanitaeter. die liste der zeugen der verteidigung reicht noch bis juni. so nach der sommerpause sollten die schlussplaedoyers gehoert werden.

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