2007-05-19
Von Rüdiger Göbel
Wenn sich die Mächtigen der Welt mit medialem Aufwand zu symbolträchtigen Gipfeln zusammenfinden, muß die Demokratie schon einmal ein Päuschen machen. Erst in dieser Woche verfügte die Polizeidirektion Rostock, daß alle öffentlichen Versammlungen vom 30. Mai bis 8. Juni im Umkreis von 200 Metern um den sogenannten Sicherheitszaun in Heiligendamm und im Bereich des Flugplatzes Rostock-Laage verboten sind. Zur Begründung hieß es lapidar, globalisierungskritische Kreise hätten wiederholt öffentlich dazu aufgerufen, den G-8-Gipfel zu blockieren. Während linke Aktivisten am Freitag bei den zuständigen Gerichten in Mecklenburg-Vorpommern Klage gegen die polizeiliche Willkürentscheidung einreichten, verteidigte die Bundesregierung die Ausweitung der demokratiefreien Zone im Nordosten Deutschlands ausdrücklich. Natürlich solle friedlicher Protest möglich sein, erklärte Regierungssprecher Thomas Steg, es müsse aber eben »genauso möglich sein, daß die Behörden den friedlichen Verlauf des G-8-Gipfels in Heiligendamm sicherstellen«.
Vor diesem Hintergrund mutete die Demokratielektion von Bundeskanzlerin Angela Merkel beim EU-Rußland-Gipfel in Samara ebenso absurd wie arrogant an. Die CDU-Politikerin forderte am Freitag in Anwesenheit des russischen Gastgebers, Präsident Wladimir Putin, Oppositionelle müßten unmittelbar am Veranstaltungsort protestieren können. Einige hätten wohl »Schwierigkeiten beim Anreisen« gehabt. Zuvor hatten Nachrichtenagenturen gemeldet, der prowestliche Oppositionspolitiker Garri Kasparow sei auf dem Weg ins südrussische Samara an der Wolga von den Behörden am Moskauer Flughafen festgehalten worden. Merkel bekräftigte, sie habe jedes Verständnis, wenn Gewalttäter festgenommen würden. »Aber wenn jemand nichts gemacht hat, sondern nur auf dem Weg zu einer Demonstration ist, ist das aus meiner Sicht nochmal eine andere Sache.«
Die Doppelmoral der Kanzlerin stieß selbst der Nachrichtenagentur AP auf: »Wenn es um die Demonstrationsfreiheit in Rußland geht, ist die Bundesregierung strikt. Wenn es um Demonstrationsfreiheit beim G-8-Gipfel im eigenen Land geht, sieht die Sache offenbar anders aus.« Putin selbst konterte Merkels Vorhaltungen trocken mit Verweis auf die Großrazzien der Bundesanwaltschaft bei Globalisierungskritikern in Deutschland und den Massenverhaftungen in Hamburg in der vergangenen Woche. Tatsächlich gehört die Einschränkung der Reisefreiheit von politisch Andersdenkenden mittlerweile zum Standardrepertoire der westlichen Demokratien. In der vergangenen Woche hatte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble angedroht, politisch bekannte Aktivisten könnten während des G-8-Gipfels in Heiligendamm bis zu zwei Wochen »vorbeugend« inhaftiert werden.
Sven Giegold vom globalisierungskritischen Netzwerk ATTAC zeigte sich am Freitag zuversichtlich, daß das Demonstrationsverbot vor Gericht keinen Bestand hat. Er verwies auf das sogenannte Brokdorf-Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Castor-Transporten von 1985. Demnach müsse gewährleistet sein, daß die Proteste auch von denjenigen gehört würden, gegen die sie gerichtet seien. »Die G-8-Regierungschefs müssen die Proteste der Menschen hören können.« Giegold erklärte, die Repressionsmaßnahmen der vergangnen Tage würden in der linken Szene derzeit massiv mobilisierend wirken.
19.05.2007 / Titel / Seite 1
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