2006-08-14 

14.8.2006 Heiligendamm

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- Mecklenburg-Vorpommern begrüßt den G8-Protest ...
- Steinhagen: "Arme aller Länder - vereinigt Euch!"
- Sondierungstreffen G8: wer macht was, mit wem, und warum?
- Spektakulärer Protest in Breker-Ausstellung
- G8-Gegner proben den Widerstand - Zehntägiges Camp in Mecklenburg nach zahlreichen Aktionen beendet
- Camp der G8-Gegner in Kirch Mulsow beendet
- Breker-Skulpturen bei Protestaktion mit Klopapier umwickelt
- G-8-Gegner gegen Breker-Schau

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Mecklenburg-Vorpommern begrüßt den G8-Protest ...

... mit einem verschärften neuen Polizeigesetz

Nicht nur diverse außerparlamentarische Gruppen bereiten sich auf den 2007 im Seebad Heiligendamm stattfindenden Gipfel der G8 vor, auch der Polizeistaat probt seinen großen Einsatz für das Gipfeltreffen.

Seit Juni 2006 gibt es eine Novellierung des bisherigen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (SOG) in Mecklenburg-Vorpommern. Eingebracht von SPD und Linkspartei.PDS wurden diese Gesetzesverschärfungen im Landesparlament in trauter Eintracht mit der hiesigen CDU verabschiedet. Die Neuerungen im SOG lehnen sich eng an das Hamburger Polizeigesetz an, das zu recht als eines der zur Zeit schärfsten und demokratiefeindlichsten Polizeigesetze in Deutschland gelten darf. Während es in Hamburg jedoch zu massivem öffentlichen Protest gegen das von der dortigen Mitte-Rechts-Regierung verabschiedete Gesetz kam, blieb es im beschaulichen Mecklenburg-Vorpommern bei der Änderung des SOG - wie leider so oft - still.

Daß das SOG noch so kurz vor einer Landtagswahl im Schweinsgalopp durchs Parlament gejagt wurde, hat seinen Hauptgrund offenbar im kommenden G8-Treffen 2007. Mit den durch das novellierte SOG legitimierten neuen technischen und rechtlichen Möglichkeiten soll die Protestbewegung gegen den Gipfel polizeistaatlich abgewürgt und sollen Grundrechte weiter eingeschränkt werden. Erste Probeläufe polizeistaatlicher Muskelschau am 1.Mai 2006 in Rostock (damals noch unter dem alten SOG) und zum Bush-Besuch in Stralsund am 13. Juli 2006 (nach neuem SOG) haben gezeigt, wohin die Reise gehen soll: Rote Zonen, Einschränkung der Bewegungsfreiheit, erdrückende Polizeipräsenz (je 10.000 bis 12.000 PolizistInnen), Erprobung von Großkesseln und Massenfestnahmen, willkürliche Platzverweise und Aufenthaltsverbote ...

Ein Grund mehr, daß sich alle KritikerInnen der G8, die sich zum Protest nach Mecklenburg-Vorpommern aufmachen, vorab über das neue SOG im nordöstlichsten Bundesland informieren und entsprechend die neuen polizeilichen Möglichkeiten in ihre Aktionsplanungen mit einbeziehen sollten.

Wir wollen im folgenden kurz beschreiben, was euch in Mecklenburg-Vorpommern polizeistaatlicherseits erwarten kann. Aber nicht alles, was rechtlich oder technisch möglich wäre, muß auch so eingesetzt werden. Es handelt sich, wie bei allem um ein Spiel der Kräfte und der öffentlichen Meinung. Es soll sich also bitte niemand von den polizeirechtlichen Möglichkeiten einschüchtern lassen. Die vergangenen Gipfel in Genua, Evian oder Gleneagles haben gezeigt, daß trotz martialischer Polizeiaktionen erfolgreiche Protestaktionen möglich waren.

Neben diesem speziell zum SOG in Mecklenburg-Vorpommern erstellten Text legen wir euch den kostenlosen Rote Hilfe-Klassiker "Was tun wenns brennt" sehr ans Herz, in dem allgemeine Rechtshilfetipps für Demos gegeben werden. Erhältlich bei jeder Roten Hilfe-Ortsgruppe oder (gegen Portokosten) über den Rote Hilfe-Literaturvertrieb, Postfach 6444, 24125 Kiel.

Was die Polizei in Mecklenburg-Vorpommern
schon nach dem alten SOG alles machen durfte

Bis zum Juni war das SOG ein im bundesdeutschen Vergleich relativ liberales Polizeigesetz. So war u.a. die Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen untersagt. Dennoch finden sich auch dort schon schwerwiegende Grundrechtseinschnitte, u.a. der Einsatz Verdeckter ErmittlerInnen, Platzverweise, verdeckte Überwachung und dauerhafte Observationsmaßnahmen.
Im Folgenden geben wir euch einen kurzen Überblick in die bisherigen Regelungen, die auch im aktuellen SOG beibehalten wurden:
[Zitate sind, wenn nicht anders angegeben, direkt dem Wortlaut des SOG entnommen. - Die Begründung von SPD/ Linkspartei.PDS für ihren Gesetzentwurf ist im vollen Wortlaut unter der Landtagsdrucksache 4/2116 zu finden.]

1. Identitätsfeststellung (�29)
Eine Maßnahme zur Identitätsfestellung ist "zur Abwehr einer im einzelnen Fall bevorstehenden Gefahr" jederzeit möglich. Jede Person ist dann verpflichtet auf Nachfrage die eigene Identität gegenüber der Polizei nachzuweisen (in der Regel durch ein amtliches Ausweisdokument). Was eine "bevorstehende Gefahr" ist, entscheiden die PolizeibeamtInnen eigenmächtig, wodurch die Identitätsfestellung mittlerweile zu einer Routinemaßnahme geworden ist. Insb. an polizeilichen Kontrollstellen, an sog. "gefährdeten Objekten" (festgelegt von den Ordnungsbehörden), in öffentlichen Verkehrmitteln und in bzw. nahe Versorgungseinrichtungen oder Amtsgebäuden sind Identitätsfestellungen dem Gesetz nach möglich. Wer sich nicht ausweisen kann, wird auf die Polizeiwache mitgenommen.

2. Erkennungsdienstliche Behandlung (�31)
Die Erkennungsdienstliche Behandlung von vermeintlichen StraftäterInnen auf der Polizeiwache umfaßt in Mecklenburg-Vorpommern laut SOG: Fingerabdrücke, Hand- und Fußabdrücke, Anfertigung von Fotos, Feststellung und Messung äußerer körperlicher Merkmale sowie Tonaufzeichungen. Routinemäßig werden aber nur Fotos geschossen und Fingerabdrücke abgenommen.

3. Befragungs- und Auskunftspflicht (�28)
Wie auch in anderen Bundesländern sind Personen gegenüber der Polizei auf Nachfrage verpflichtet, lediglich folgende Angaben zu machen: Name, Vorname, Geburtsdatum und -ort, Wohnanschrift und Staatsangehörigkeit. Nicht mehr! Eine Verweigerung dieser Angaben zieht eine Ordnungswidrigkeit (also ein Bußgeld) nach sich.

4. In-Augenschein-Nahme (�27a)
Personen können jederzeit kurzzeitig angehalten werden, ebenso Fahrzeuge. Dies ist im Grenzgebiet in einer Tiefe bis 30 km ins Binnenland (also z.B. in Heiligendamm oder Rostock) jederzeit möglich, außerhalb dieses Gebietes nur in "Einrichtungen des internationalen Verkehrs mit unmittelbarem Grenzbezug" (z.B. Bahnhöfe, Flughäfen) sowie "zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten von erheblicher Bedeutung" (z.B. Landfriedensbruch, Gefährliche Körperverletzung, schwerer Diebstahl, Betrug).

5. Durchsuchung von Personen (�53-54)
Personen können (außer zur Identitätsfeststellung) auch aus folgenden Gründen durchsucht werden: Sicherstellung von Sachen; "zum Schutz der Person" [sic!]; "zur Eigensicherung des Amtsträgers". Also auch hier ein weites Feld, das die Polizei vor Ort eigentlich immer in ihrem Sinne zu nutzen weiß. Bei der Durchsuchung dürfen Körper, Kleidung, Inhalt der Kleidung und "alle sonstigen am Körper getragenen Sachen" (also z.B. Rucksäcke) durchsucht werden, wobei die jeweilige Durchsuchung nur von Personen gleichen Geschlechts oder ÄrztInnen durchgeführt werden darf. (Es sei denn es liegt "Gefahr in Verzug" vor, dann kann jeder Polizeibeamte die Durchsuchung vornehmen.)

6. Durchsuchung von Sachen (�57-58)
Durchsucht werden dürfen also alle Sachen, die eine Person mit sich führt, Fahrzeuge (bei einer Identitätsfestellung); ferner Sachen, in denen sich evtl. sicherzustellende Sachen befinden könnten; Sachen, in denen sich Personen befinden, die in Gewahrsam zu nehmen sind; sowie alle Sachen, die sich in oder nahe Amtsgebäuden, öffentlichen Verkehrsmitteln oder "gefährdeten Objekten" befinden.

5. Platzverweisung (�52)
Eine lästige Maßnahme, wo die Polizei quasi Narrenfreiheit besitzt, sind Platzverweise. Diese können in Mecklenburg-Vorpommern für einen Ort, für ein Gebiet innerhalb einer Gemeinde oder gleich ein ganzes Gemeindegebiet ausgesprochen werden. Platzverweise können bis zu einer Dauer von maximal 10 Wochen ausgesprochen werden (z.B. denkbar beim G8-Gipfel für einen ganzen Ort, wie z.B. Bad Doberan). Der Platzverweis muß nicht schriftlich gegeben werden (was der Polizei zusätzlichen Spielraum bei der Vertreibung unliebsamer Personen gibt). Die einzige Einschränkung: Der Platzverweis darf den Zugang zur eigenen Wohnung nicht behindern. (Was vor Ort wohl nur durch das Vorzeigen des Personalausweises mit der amtlichen Meldeadresse nachgewiesen werden kann.) Bei Nichtbefolgung eines Platzverweises droht Gewahrsamnahme.

6. Gewahrsamnahme (�55-56)
Neben der Durchsetzung von Platzverweisen können Gewahrsamnahmen erfolgen, wenn eine Person sich "erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befindet" (also z.B. unter Alkoholeinfluß) oder wenn "eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung" (was in der Tat weit auslegbar ist) besteht. Eine Gewahrsamnahme kann ebenfalls erfolgen, wenn eine "unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat" verhindert werden soll, u.a. weil die Person "eine Begehung der Tat angekündigt oder dazu aufgefordert hat oder Transparente [sic!] oder sonstige Gegenstände mit einer solchen Aufforderung mit sich führt; dies gilt auch für Flugblätter [sic!] solchen Inhalts, soweit sie in einer Menge mitgeführt werden, die zur Verteilung ungeeignet ist". Auch das Mitführen von Waffen (oder was die Polizei dafür hält), Werkzeugen oder sonstigen Gegenständen, die "zur Tatbegehung bestimmt sind oder erfahrungsgemäß bei derartigen Taten verwendet werden", kann zur Gewahrsamnahme führen.
Auch Minderjährige, "die sich der Obhut der Sorgeberechtigten entzogen haben" können jederzeit in Gewahrsam genommen werden, um sie "dem Jugendamt zuzuführen".

7. Wohnraumbetretung und Hausdurchsuchung (�59-60)
Zur "Verhütung einer erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung" können auch Wohnraum oder ein befriedetes Grundstück von der Polizei betreten werden.
Für eine Durchsuchung wird natürlich ein richterlicher Durchsuchungsbeschluß benötigt (oder eben das beliebte "Gefahr in Verzug" mit nachträglicher richterlicher Zustimmung).
Bei Durchsuchungen hat der/ die BewohnerIn/ MieterIn das Recht bei der Durchsuchung anwesend zu sein und Durchsuchungsgrund sowie Rechtsbehelfe von der Polizei zu erhalten. Die PolizeibeamtInnen haben eine von ihnen unterschriebene Niederschrift anzufertigen (darin: verantwortliche Behörde, Anlaß, Zeit und Ort der Durchsuchung, anwesende Personen namentlich). Lediglich "auf Verlangen" ist eine Abschrift davon auszuhändigen. Unterschreiben muß mensch selbst dabei nichts, eine Unterschrift kann (und sollte) dort ohne weitere Nachteile verweigert werden.

8. V-Personen, Verdeckte ErmittlerInnen, Observation, verdeckte Überwachung (�33)
In Mecklenburg-Vorpommern ist es der Polizei erlaubt sog. V-Personen (also InformantInnen, bei der Stasi früher als "IM" bezeichnet) zu führen, die gegen Bezahlung (oder andere Vergünstigungen) Informationen aus politischen Bewegungen zutragen. Ebenso können verdeckte ErmittlerInnen (also verdeckt ermittelnde PolizeibeamtInnen) eingesetzt werden, die unter einer Legende (falsche Ausweisdokumente, erfundene Identität) z.B. längerfristig politische Gruppen infiltrieren.
Schließlich ist auch die klassische Observation (also die mehrere Wochen anhaltende Beschattung einer Person durch die Polizei) erlaubt, gleichfalls der Einsatz verdeckter Überwachungstechnik.

9. Einsatzmittel und Bewaffnung der Polizeikräfte (�102)
Polizeiliche "Hilfsmittel der körperlichen Gewalt sind insbesondere Fesseln, Wasserwerfer, technische Sperren, Diensthunde, Dienstpferde, Dienstfahrzeuge, Reizstoffe und Sprengmittel; Sprengmittel dürfen nicht gegen Personen angewandt werden". - Insbesondere die chemischen Kampfstoffe CN und CS sowie Pfefferspray sind hier, wie in anderen Bundesländern auch, beim Einsatz gegen Versammlungen erlaubt. "Als Waffen sind nur Schlagstöcke, Pistolen, Revolver, Gewehre und Maschinenpistolen zugelassen." Die übliche Waffe ist dabei der Schlagstock (aber auch Tonfas). Die Ereignisse von Göteburg und Genua 2001 sollten aber klargemacht haben, daß der bürgerliche Staat im Notfall auch vor dem Einsatz von Schußwaffen nicht zurückschreckt.

10. Kennzeichungspflicht für PolizeibeamtInnen (--)
Fehlanzeige, in Mecklenburg-Vorpommern gibt es bis heute immer noch keine Kennzeichnungspflicht für PolizeibeamtInnen. Damit können Straftaten der Polizei im Einsatz nur schwer einzelnen PolizeibeamtInnen zugeordnet werden. - Die Staatsanwaltschaften sollen offenbar nicht mit lästigen Ermittlungsverfahren gegen BerufschlägerInnen belästigt werden.

Und das hat das verschärfte SOG an Neuem zu bieten

"Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll die Polizei in erster Linie diejenigen neuen Befugnisse erhalten, auf die sie aufgrund aktueller Entwicklungen im Bereich der Organisierten Kriminalität und des internationalen Terrorismus, aber auch im Hinblick auf die fortschreitende Entwicklung Europas zu einem Raum der Freiheit [sic!], der Sicherheit und des Rechts zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit nicht länger verzichten kann." [aus der Begründung des Gesetzentwurfes von SPD/ Linkspartei.PDS] Konkret geht es um die "Schaffung zusätzlicher bzw. die Modifizierung bestehender präventiver [sic!] Eingriffsbefugnisse für die Polizei". [aus der Begründung des Gesetzentwurfes von SPD/ Linkspartei.PDS ] Als leuchtendes Beispiel wird stets das Hamburger Polizeigesetz angeführt.

11. Videoüberwachung des öffentlichen Raums (�32)
"Öffentlich zugängliche Orte dürfen offen mit technischen Mitteln zur Bildüberwachung [sprich: Videokameras] beobachtet werden, wenn dies zur Aufgabenerfüllung [...] erforderlich ist. Darüber hinaus dürfen offen Bilder aufgezeichnet werden, soweit an diesen Orten wiederholt [sprich: mindestens zweimal!] Straftaten [sprich: irgendwelche Straftaten, unabhängig von ihrer Schwere!] begangen worden sind und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort künftig mit der Begehung von Straftaten zu rechnen ist." Das ist natürlich ein Freibrief für willkürliche Videoüberwachung im öffentlichen Raum, wenn schon zwei Straftaten ausreichen, um "so genannte[n] Kriminalitätsschwerpunkte" [Zitat aus der Begründung der SPD/ Linkspartei.PDS] zu definieren. Bisher sind in Mecklenburg-Vorpommern noch keine Installationen von derartigen Videokameras bekannt, aber der G8-Gipfel wird hier sicher zur Forcierung dieses Vorhabens dienen. SPD und Linkspartei.PDS sprechen in ihrer Begründung zum eingebrachten Gesetzentwurf Tacheles: "Die demnächst in Mecklenburg-Vorpommern stattfinden[den] Veranstaltungen, wie G8-Gipfel mit einem Massenaufkommen an zu schützenden Personen und Veranstaltungen, wie auch die Übertragung von Fußball-WM-Spielen auf Großbildschirmen verlangen das Vorhandensein bestimmter Eingriffsmöglichkeiten für die Gefahrenabwehrbehörden. [...] Erfahrungen mit dem Einsatz von Videotechnik in der Bundesrepublik haben bisher durchweg positive Ergebnisse gezeigt. Schon aufgrund des Abschreckungseffektes [sic!] durch den offenen Einsatz können regelmäßig ein Rückgang der Kriminalität verzeichnet und somit Straftaten verhütet werden. Gleichzeitig wird das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger verbessert." - Hier wird tief in die Mottenkiste der "Inneren Sicherheit" gegriffen, obwohl britische Untersuchungen (wo ja Videoüberwachung seit vielen Jahren flächendeckend eingesetzt wird) zu dem Ergebnis kommen, daß weder die Kriminalitätsrate abnimmt noch das subjektive Sicherheitsgefühl der BürgerInnen zunimmt. Dafür nimmt aber die Überwachung immer totalere Formen an und begünstig die soziale und rassistische Ausgrenzung an den überwachten Orten.

12. Automatisches Kfz-Kennzeichen-Lesesystem (AKLS) (�43a)
"Die Polizei kann [...] im öffentlichen Verkehrsraum personenbezogene Daten durch den offenen Einsatz technischer Mittel zur elektronischen Erkennung von Kraftfahrzeugkennzeichen zum Zwecke des automatisierten Abgleichs mit dem Fahndungsbestand erheben. [...] Die Datenerhebung darf auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen sind." Auch ein verdeckter Einsatz des AKLS ist übrigens zulässig, ebenso ein "Abgleich erhobener Kennzeichendaten mit anderen polizeilichen Dateien". In ihrer Begründung zum Gesetzentwurf heben SPD/ Linkspartei.PDS hervor, daß der Einsatz des AKLS so zu erfolgen habe, "dass betroffene Personen grundsätzlich erkennen können, bei welchen Anlässen und unter welchen Voraussetzungen ein Verhalten mit dem Risiko der Überwachung verbunden ist". Soll wohl heißen: Wer dennoch während solcher Anlässe (z.B. G8-Gipfel in Mecklenburg) mit dem PKW unterwegs ist, hat selbst Schuld, wenn er/ sie per AKLS erfaßt wird; er/ sie hätte ja auch zu Hause bleiben oder woanders hinfahren können.
Zur Illustration geben die beiden Parlamentsfraktionen auch gleich ein plastisches Beispiel für die Anwendung des AKLS: "Aufgrund dieser Regelung ist es z. B. möglich, zur Abwehr konkreter Gefahren Kennzeichendaten auf Zubringerstraßen zu einem Fußballstadion mittels AKLS zu erheben und einen Abgleich mit der Datei "Gewalttäter Sport" vorzunehmen, wenn mit der Anreise von so genannten Hooligans zu rechnen ist." - Wir können ja spaßeshalber mal "Fußballstadion" durch "Anti-Globalisierungscamp" ersetzen und statt der Datei "Gewalttäter Sport" die Datei "Gewalttäter Links" einsetzen (in welche mensch übrigens schon aufgrund "polizeilicher Erkenntnisse" geraten kann, also ohne jemals einer Straf- geschweige denn einer Gewalttat beschuldigt worden zu sein). Dann kann mensch sich ausmalen, was uns 2007 beim G8 erwarten dürfte.
Momentan besitzt das Land Mecklenburg-Vorpommern nur ein AKLS-Gerät, aber im Zuge der Amtshilfe werden zum G8 sicher andere Bundesländer, allen voran Hamburg, mit entsprechender Technik aushelfen.

13. Präventive Telekommunikationsüberwachung (�34a)
Bei dieser Art von Telekommunikationsüberwachung geht es nicht mehr um die konkrete Verfolgung von Straftaten, sondern um das rein präventive Überwachen. Die Datenerhebung kann sich auf "Inhalte der Telekommunikation einschließlich der innerhalb des Telekommunikationsnetzes in Datenspeichern abgelegten Inhalte" (also sowohl Gesprächinhalte/ Textnachrichten als auch Telefon-Mailboxen bzw. gespeicherte eMails/ SMS), auf die Telekommunikationsverbindungsdaten sowie "die Standorterkennung einer Mobilfunkendeinrichtung" beziehen. Die Polizei in Mecklenburg-Vorpommern hat nun die Möglichkeit auch sog. IMSI-Catcher zu benutzen. (IMSI = International Mobile Subscriber Identity) Diese mobilen IMSI-Catcher simulieren eine Mobilfunkzelle in einem Bereich (z.B. einem Ort), über die dann sämtlicher Handyverkehr fließt. Die Polizei kann so die Gerätenummer, die SIM-Kartennummer, die einwählende Rufnummer, die angewählte Telefonnummer und Gesprächsdauer ermitteln und speichern. Mittels der unveränderlichen Gerätenummer bei Handys und der ebenfalls eineindeutigen SIM-Nummer bei Mobilfunkkarten lassen sich so konkret Mobilfunkgespräche Personen zuordnen. Über die Auskunftspflicht der Telekommunikationsdiensteanbieter sind der Polizei darüber hinaus alle Verbindungsdaten der letzten Monate einer ermittelten Rufnummer zugänglich.
Mittels IMSI-Catchern kann aber auch der Handy-Verkehr in dessen "Mobilfunkzellenbereich" unterbunden werden; derartige Funknetzunterbrechungen soll u.a. der Bundesgrenzschutz schon bei CASTOR-Transporten im Wendland eingesetzt haben, um Kommunikation (z.B. aus Polizeikesseln heraus) zu unterbinden.
Aber auch ohne IMSI-Catcher läßt sich bei Mobiltelefonen der Standort der NutzerInnen kinderleicht ermitteln. Denn solange ein Mobiltelefon eingeschaltet ist (also auch im Standby-Modus!) kann die Polizei jederzeit über sog. "stille SMS" ermitteln, wo sich das Handy befindet. "Stille SMS" sind kurze Leer-SMS, die das Mobiltelefon zwar empfängt, den NutzerInnen aber nicht als Meldung anzeigt. - Der einzig sichere Schutz vor Handyüberwachung bleibt weiterhin, das Gerät auszuschalten und Akku sowie SIM-Karte zu entfernen, am besten schon, bevor eine neue Funkzelle betreten wird. So kann die Polizei nur den letzten Standort ermitteln, also den Ort, wo das Handy zuletzt eingeschaltet war.
Jede und jeder sollte daher realtistisch prüfen, ob und wie er/ sie Mobiltelefon, Festnetztelefon oder auch den eMail-Verkehr nutzt/ zukünftig nutzen will. Denn Überwachung durch die Polizei ist mittlerweile technisch - in Mecklenburg-Vorpommern jetzt auch rechtlich - überall möglich. Während sich beim eMail-Verkehr in linken Kreisen langsam auch pgp (pretty good privacy) als Verschlüsselungsprogramm durchsetzt, bleiben beim Mobiltelefonieren nur die beide Extreme des Nichtmehr-Telefonierens und des "Jeder-kann-sowieso-Mithören"-Telefonierens. Die meisten werden aber einen Mittelweg gehen: bei politischen Inhalten oder Terminabsprachen wird eher mal auf die Handynutzung verzichtet.
Begründet werden diese massiven Eingriffe in die Telekommunikation übrigens lediglich mit "der Tatsache, dass zur Vorbereitung bzw. Durchführung terroristischer Anschläge bzw. im Bereich der Organisierten Kriminalität zunehmend Mobiltelefone genutzt werden". [aus der Begründung von SPD/ Linkspartei.PDS]

14. Ausweitung der Rasterfahndung (�44)
Bisher mußte bei der Rasterfahndung eine "gegenwärtige Gefahr" vorhanden sein. Im neuen �44 wird an ihrer Stelle die "erhebliche Gefahr" eingeführt. Das hat für die Polizei den Vorteil, daß sie schon präventiv rastern kann, also bevor überhaupt ein konkreter Anlaß dazu besteht. Als "erhebliche Gefahr" reicht (wie oben beschrieben) schon ein einfaches Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs aus. Der neue Paragraph lautet jetzt: "Die Polizei kann Behörden, anderen öffentlichen Stellen und von Stellen außerhalb der öffentlichen Verwaltung zur Abwehr einer erheblichen Gefahr oder zur Bekämpfung von Straftaten von erheblicher Bedeutung [...] die Übermittlung von personenbezogenen Daten bestimmter Personengruppen aus Dateien zum Zweck des Abgleichs mit anderen Datenbeständen verlangen (Rasterfahndung), wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass dies zur Abwehr der Gefahr oder zur Bekämpfung der Straftaten erforderlich ist."
Nicht um lebensnahe Beispiele verlegen, beschrieben die Einbringerinnen der Gesetzesänderung folgenden potentiellen Fall: "In zunehmendem Maße wird des Weiteren das Internet zur Begehung von Straftaten genutzt. Dabei werden u. a. über so genannte Internet-Auktionshäuser, wie z. B. ebay, aus Straftaten herrührende Gegenstände zum Kauf angeboten. Gezielte Datenabgleiche ermöglichen in diesen Fällen die Feststellung von Tatzusammenhängen und die Eingrenzung des Kreises von Tatverdächtigen sowie deren Ermittlung und damit auch die Verhinderung weiterer Straftaten." - Rastern beim Ebay-Einkauf, eins-zwei-drei-meins...

15. Zwangsweise Blutabnahme (�53, 4)
"Diese Vorschrift soll dem Schutz von Opfern von Gewalttaten, von Polizeibeamten und anderen Berufsgruppen dienen, die mit Personen in Kontakt gekommen sind, bei denen beispielsweise der Verdacht auf Aids oder Hepatitis besteht. Eine Infektion ist kurze Zeit nach dem Kontakt zwischen Verursacher und Opfer gerade bei den o.g. schweren Viruserkrankungen beim Opfer noch nicht nachweisbar. [...] Für diese körperliche Untersuchung (Blutentnahme) ist grundsätzlich eine richterliche Anordnung erforderlich, bei Gefahr im Verzug darf die Anordnung durch die Polizei erfolgen." [aus der Begründung von SPD/ Linkspartei.PDS] Die Blutentnahme darf explizit auch gegen den Willen des/ der BetroffeneN entnommen werden. Da mit dem Gesetz eine "unverzügliche Blutentnahme" angestrebt wird, wird im Normalfall wohl auch auf die richterliche Anordnung gänzlich verzichtet werden und die Polizei eigenmächtig derartiges anordnen. Angewendet werden soll (so die Begründung von SPD und Linkspartei.PDS) die Blutentnahme konsequent u.a. bei Stich- und Schnittverletzungen, bei Bißverletzungen und überall dort, wo Körperflüssigkeiten im Spiel sind (also z.B. auch ein von Polizeiknüppeln blutig geschlagener Demonstrant).
In der Begründung heißt es gutmenschelnd: "Körperliche Untersuchungseingriffe, auch ohne oder gegen den Willen des Betroffenen, können im Einzelfall zum Schutz von Leib und Leben und damit zu dessen Rettung [sic!], z. B. bei einer konkreten Vergiftungsgefahr durch verschluckte Drogenbehältnisse, erforderlich werden." Der eigentliche Zweck, nämlich die Sammlung neuer Einträge für die bundesweite DNA-Datenbank, wird in den öffentlichen Verlautbarungen gerne verschwiegen. Daß hier persönlichste Daten frei kursieren sollen, fordern unverblümt die SPD und Linkspartei.PDS im Landtag in ihrer Begründung zum Gesetzentwurf. Dort wird von der "Möglichkeit, einen direkten Hinweis auf die konkrete übertragbare Krankheit" in die bundesweiten Personendatensätze der INPOL-Datei (ein Datenverbundsystem des BKA, der Bundespolizei und der der Länderpolizeien) aufzunehmen. "Darüber hinaus kann der Hinweis "Ansteckungsgefahr" [in den jeweiligen personenbezogenen Daten in INPOL] Einsatzkräfte warnen und weitere Infektionsgefahren vermeiden." - Soziale Ausgrenzung per Polizeidatensatz, persönliche Krankheitsdaten, die bundesweit jede Polizeidienststelle abrufen kann... George Orwell würde sich gruseln.

16. Videoaufzeichungen in Polizeifahrzeugen zwecks "Eigensicherung" (�32, 4)
"Die Polizei kann zur Eigensicherung bei Personen- oder Fahrzeugkontrollen Bildaufnahmen und -aufzeichnungen durch den Einsatz optisch-technischer Mittel in oder an Fahrzeugen der Polizei herstellen. [...] Die Bildaufzeichnungen sind unverzüglich, spätestens am Ende der Dienstschicht, zu löschen. Dies gilt nicht, wenn die Aufzeichnungen zur Verfolgung von Straftaten benötigt werden." Konkret heißt das: Bei Kontrollen wird mensch ausnahmslos abgefilmt. - Es läßt sich übrigens leicht erraten, was passiert, wenn es bei einer solchen Kontrolle zu Straftaten seitens der PolizeibeamtInnen kommen sollte: am Ende der Dienstschicht wird das Video einfach gelöscht, damit keine bösen Bilder à la Rodney King publik werden.

Fazit: Trendwende nicht in Sicht
Wie diese neuen polizeilichen Möglichkeiten tatsächlich in der Praxis genutzt werden, werden die folgenden Monate zeigen. Festzuhalten bleibt, daß auch im verschlafenen Mecklenburg-Vorpommern unter der rot-roten Landesregierung eine rapide Verpolizeilichung stattgefunden hat. Solange sich nicht nennenswerter öffentlicher Protest in diesem Bundesland gegen das eingesessene law&order-Denken und für Grund- und Freiheitsrechte formiert, wird sich dieser Trend leider fortsetzen. Wir wollen als Rote Hilfe Greifswald jedenfalls unseren kleinen Beitrag dazu leisten, daß sich dieses gesellschaftliche Klima ändert.

Das wichtigste ist und bleibt, auch unter den neuen "Kampfbedingungen" nicht vom Protest und Widerstand gegen die Herrschenden abzulassen, sondern immer wieder zu zeigen, daß Ausbeutung und Repression niemals widerstandslos hingenommen wurden!

In diesem Sinne: Nicht Müsli und Quark - Solidarität macht stark!

Greifswald, August 2006

Kontakt:

Rote Hilfe Greifswald
c/o Klex
Lange Straße 14
17489 Greifswald
greifswald@rote-hilfe.de

[RH Greifswald]

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Steinhagen: "Arme aller Länder - vereinigt Euch!"

Unter dem Leitmotiv "Erwerbslose in Bewegung" berieten sich auf Einladung der Gruppe "Internationale KommunstInnen" am 10. August 2006 verschiedene Erwerbsloseninitiativen mit 19 TeilnehmerInnen von Camp Insky bei Steinhagen/ Hagebök bei Wismar.
Trotz völlig verschiedener Inhalte ihres politischen Engagements suchten sie gemeinsam nach Möglichkeiten des Zusammengehens gegen den G8-Gipfel in Mecklenburg-Vorpommern im Juni 2007. Denn das Thema des kommenden Gipfels soll die Bekämpfung der Armut weltweit sein. "Wir wollen mit unseren Aktivitäten daraufhinweisen, dass Frau Merkel erst mal vor ihrer eigenen Haustür kehren soll" - sagte ein Teilnehmer. Einmütigkeit gab es darin, dass man sich nicht entzweien lasse, wenn reaktionäre Stimmen immer wieder tönten, dass in anderen Ländern Menschen noch viel ärmer seinen als hier.

Einen möglichen Rahmen des Zusammenwirkens bieten die Planungen der Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung (Euromärsche) . Neben Protestdemonstrationen um den G 8-Gipfel ist auch ein noch nicht lokal festgelegter Gegengipfel im Gespräch, auf dem die Armut in der Bundesrepublik Deutschland ebenso thematisiert wird wie auch die Auflagen der wirtschaftsmächtigsten Länder der Welt bei Maßnahmen zur Armutsbekämpfung gegenüber hochverschuldeten Ländern in der sogenannten dritten Welt.

Die Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung (Euromärsche) arbeiten am Runden Tisch der Erwerbslosen- und Sozialhilfeorganisationen mit wie ebenso der Arbeitslosenverband Deutschland e.V. Diese bundesweite Erwerbslosenkoordination hatte sich jüngst mit seinem Aufruf "Für alle individuelle soziale Rechte zum selbstbestimmten Leben" gegen das Fortentwicklungsgesetz zu Worte gemeldet und ein Ende der Bescheidenheit angemahnt. Der Runde Tisch der Erwerbslosen- und Sozialhilfeorganisationen hatte mit Teilen der Interventionistischen Linken bereits in der Aktion Agenturschluss bei Protesten 2004/ 2005 und beim Schwarzbuch Hartz IV zusammengewirkt. Doch zum ersten Mal kam es nun zu Verabredungen zwischen von vier bundesweiten Koordinationen, denn bei den nächsten Aktivitäten würden auch das Dissent Netzwerk und das Anti-G8 Bündnis für eine revolutionäre Perspektive mit von der Partie sein.
Darüberhinaus haben die Euromärsche auch erste Kontakte zu anderen europäischen Protestbündnissen geknüpft.
In Vorbereitung auf den G8 Gipfel sind dezentrale Aktionen gegen Verfolgungsbetreuung, Wohnungsraub, Prüfdienste angedacht. Weitere Verabredungen sollen bei einer Aktionskonferenz vom 10.-12. November 2006 getroffen werden.

Was Erwerbslose in Mecklenburg-Vorpommern bewegen

Die Palette der Erwerbslosenaktivitäten reicht bei den anwesenden Initiativen von der Arbeit eines Erwerbslosenparlamentes mit dem Arbeitsminister der Linkspartei.PDS in Mecklenburg-Vorpommern, über aktive Beratungsmaßnahmen und die Arbeitsbeschaffungspolitik des Arbeitslosenverbandes Mecklenburg-Vorpommern bis hin zum Betrieb eines Notruftelefons und zur Protestpolitik der Kampagne gegen Zwangsumzüge in Berlin gegen die relative Tatenlosigkeit der Sozialsenatorin Knake-Werner von der Linkspartei.PDS.

Gerd-Erich Neumann vom Erwerbslosenparlament in Mecklenburg-Vorpommern berichtet, dass 1991 die wettbewerbsfähigen Betriebe in Mecklenburg-Vorpommern liquidiert wurden, in der Folge dann viele andere Unternehmen Konkurs gingen bzw. privatisiert wurden. Bis 1993 führte dies zu 152.000 Arbeitslosen bei einer Entlastung durch die BA von 173.000 Menschen. Der Widerstand gegen die Abwicklung war damals außer bei den Werften gering. Dass konstruktive Zusammenarbeit von Westlern und Ostlern bzw. hartnäckiger Widerstand von Belegschaften und Stadt auch zum Erhalt von Unternehmen beitragen kann, beweisen der Transformationsprozesses des KKW Lubmin und die Volkswerft Stralsund. Mit dem Abbau der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen bis 1997 stieg die Arbeitslosenrate dauerhaft auf 20 Prozent. Durch eine Arbeitsplatzförderung in innovativen Branchen und zukunftsfähigen Branchen erholen sich das verarbeitende Gewerbe, die Tourismuswirtschaft und das Dienstleistungsgewerbe langsam, so dass 2005/ 2006 die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse langsam ansteigt. Im Juli 2006 gibt es in Mecklenburg-Vorpommern nun wieder 500.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze bei 160.000 Arbeitslosen und 157.000 Arbeitslosengeld II-EmpfängerInnen.

Gleich nach dem BeiTritt haben sich Engagierte wegen der plötzlichen Massenarbeitslosigkeit auf die Suche gemacht nach einer Organisationsform, dass den Anspruch verwirklichen konnte, die Arbeitslosigkeit offensiv zu bekämpfen. Da wir die vorfindbaren Modelle für unsere Situation nicht hilfreich fanden, entstand am 31.03.1990 der Arbeitslosenverband in Mecklenburg-Vorpommern (ALV MV), berichtet ihr jetziger Vorsitzender Christian Köpke. 1992 entstand in diesem Bundesland auch noch die gewerkschaftliche Arbeitsloseninitiative "Dau wat!". 1998 entstanden in vielen Orten in Mecklenburg-Vorpommern Sozialbündnisse, die seither an 10 Aktionstagen mehr als 12.000 Menschen auf die Strasse brachten. Dabei entstand der Wunsch, diese Einheit auf der Straße auch in anderer Form nutzbar zu machen.
Als der ALV MV hat mit "Dau wat" am 30. Oktober 1998 - dem Weltspartag "Tag der Erwerbslosen" - zu einem Erwerbslosenparlament einluden, kamen 250 Interessierte aus 40 Verbänden und Vereinen. Sie bekundeten gegenüber die SPD-PDS-Koalition ihren Willen zu einer anderen Arbeitsmarktpolitik unter Einbeziehung der Erwerbslosenorganisiationen. Letztere messen die rot-rote Koalition an ihren Wahlversprechen, am Umfang der Schaffung existenzsichernder, tariflich und sozial abgesicherter Arbeitsplätze. Auf dem ersten Erwerbslosenparlament setzten sich die TeilnehmerInnen zum Ziel, alle Erwerbslosen- und Beschäftigungsinitiativen zu einem Dialog mit der Politik zusammenzubringen und die Interessen der Erwerbslosen zu bündeln. Jährlich am "Tag der Erwerbslosen" beauftragt das Erwerbslosenparlament einen gewählten Beirat von 25 Mitgliedern mit der Umsetzung seiner Zielstellungen. In konzeptioneller Arbeit wurden Gedanken zu einem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor (ÖBS) verabschiedet. Im Dokument "Was die Erwerbslosen Wollen" von 2002 sind erste Positionen zur Gründung von Genossenschaften, insbesondere Sozialgenossenschaften zu finden. Zur Durchsetzung ihrer Ziele vertreten die Erwerbslosen ihre Positionen öffentlich vor der Staatskanzlei, vor Rathäusern, Arbeitsämtern und anderen Institutionen und arbeiten auch mit den Gewerkschaften zusammen. Dies alles ist auch einem Papier der Mitglieder des Sprecherrates des Erwerbslosenparlamentes, zu erreichen unter ALVMV@freenet.de, zu entnehmen.

Die Vorstellungen des Erwerbslosenparlamentes zu einem ÖBS, einer Regionalisierung der Beschäftigungspolitik entsprechend den konkreten Bedingungen vor Ort und einer Beteiligung der Betroffenenorganisationen an der Ausarbeitung und Umsetzung der Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik im Bundesland wurden in guter Zusammenarbeit mit dem Arbeitsminister umgesetzt. Der Erwerbslosenbeirat wurde an der Erarbeitung der Arbeits- und Strukturentwicklungsprogramme vom Entwurf bis zur Abstimmung der Richtlinien in der Regierung beteiligt. In Beiräten zur Umsetzung und in Planungsregionen haben die ErwerbslosenvertreterInnen Sitz und Stimme und nehmen sogar einen aktiven Einfluss auf die Verwendung der mit der Regionalisierung übergebenen Budgetmittel und die Projekte, die gefördert werden. Besonders wichtig ist es, dass die MitarbeiterInnen der Arbeitsmarktprojekte auch vernünftiges Entgelt erhalten. Deshalb hat der Arbeitslosenverband Mecklenburg-Vorpommern e.V. Haustarifverträge abgeschlossen. Und natürlich bietet der ALV MV ebenso und hauptsächlich den von Erwerbslosigkeit Betroffenen eine reichaltige Beratung in Fragen der Sozialgesetzbücher II (Hartz IV) und III (Arbeitsförderung) an.

Wie Erwerbslose die Politik in Berlin und anderswo in Aktion bringen

Anne Allex stellte die Kampagne gegen Zwangsumzüge als bundesweiten Zusammenhang vor. Der hatte sich erforderlich gemacht wegen der Erscheinung, dass die SGB II-Träger bundesweit sichtbar seit Sommer 2005 begannen, Tausende Arbeitslosengeld II-EmpfängerInnen zur Senkung der Kosten der Unterkunft und Heizung aufzufordern. Deshalb gab es erste lokale Zusammenschlüsse und Protestbündnisse aus Betroffenen, Erwerbsloseninis und MieterInneninis und -verbänden seit September 2005 in Oberhausen, Bochum, Leipzig, Freiburg und Bremen. Auch in weiteren Städten hatten sich ähnliche Proteste entwickelt. Sie mündeten erst im März 2006 in einer gemeinsamen Protestform, weil in Berlin erst ab Jahresbeginn 2006 zur Wohnkostensenkung bei Hartz IV-Betroffenen aufgefordert wurde.
Die Kampagne gegen Zwangsumzüge www.gegen-zwangsumzuge.de versteht sich als bundesweit lockere Verbindung, die die rechtswidrigen Vertreibungen von Erwerbslosen aus ihrer Wohnung thematisieren und skandalisieren will. Sie hat daher mit Sympathie und Solidarität auch die Besetzung des BARMER-Viertels in Köln-Deutz durch Betroffene und autonome Gruppen popularisiert; sie unterstützt die Proteste gegen die Prüfdienste der Jobcenter, die sich als Beziehungs-TÜV zu Lasten der Betroffenen aufspielen.

Generell haben es die Sozialprotestgruppierungen damit zu tun, dass es die kommunalen Mietobergrenzen zu gering sind, zu wenig Wohnungen in billigen Mietsegmenten zur Verfügung stehen, die Jobcenter ihren Informations-, Auskunfts- und Beratungspflichten nicht nachkommen oder rechtswidrige Aufforderungen zur Kostensenkung an Härtefälle bzw. Kranke, Behinderte, Alleinerziehenden mit 2 und mehr Kindern bzw. über Sechzigjährige mit Mietverträgen mit langer Dauer - also Personen, denen die Kostensenkung unzumutbar ist - zusenden. Während Ende 2005 aus 32 Städten zirka 50.000 Menschen aufgefordert waren, kann bundesweit getrost mit der zehnfachen Anzahl gerechnet werden. Allein in Berlin sind zum Ende Juni 2006 bereits 5.400 Bedarfsgemeinschaften zur Kostensenkung bei den Unterkunfts- und Heizkosten aufgefordert. Umgekehrt gewähren die SGB II-Träger bundesweit überwiegend kaum Wohnungsbeschaffungs- und Umzugskosten - überwiegend sowieso nicht bei "notwendigen" Umzügen wegen Scheidung, Trennung, zu kleiner Wohnung, krankmachenden Wohnbedingungen usw. Außerdem versagen sie massenhaft bedürftigen Jugendlichen vor dem 25. Geburtstag den Erstauszug aus der Wohnung ihrer bedürftigen Eltern. Eine Transparenz über die Anzahl der Aufforderungen zur Senkung der Kosten der Unterkunft und über die Anzahl der Zwangsumzüge von Seiten der SGB II-Träger gibt es in den meisten Städten und Optionskommunen der Bundesrepublik derzeit nicht. Die Kampagne gegen Zwangsumzüge fordert deshalb die Bundespolitik auf, Gesetze zu schaffen, die Zwangsumzüge für Hilfebedürftige ausschließen, die Freizügigkeit für Bedürftige und Jugendliche unter dem 25. Lebensjahr gewährleisten und die komplette Kostenübernahme bei notwendigen Umzügen garantieren. Die Wohnkosten soll der Bund zur Sicherung gleicher Lebensverhältnisse übernehmen. Die Kommunen werden im Rahmen des SGB II aufgefordert, eine Erhöhung der Mietobergrenzen vorzunehmen, notwendige Umzüge zuzulassen, voll die Wohnungsbeschaffungs- und Umzugskosten bei notwendigen und veranlassten Umzügen zu erstatten, ihren Pflichten zur Information, Auskunft und Beratung nach den �� 13,14,15 SGB I nachzukommen und die Transparenz zu Aufforderungen zur Senkung der Unterkunfts- und Heizkosten sowie der verschiedenen Zwangs-Umzüge monatlich den SGB II-Trägern abzufordern.
Eva Willig berichtete im Anschluss an konkrete Auswüchse der Arbeit der Jobcenter in Berlin. Deutlich wurde, dass nicht nur oft Alleinerziehende mit zwei und mehr Kindern aufgefordert und schikaniert werden, sondern auch von den Grundsicherungsämtern von Frauen und Männern mit mehr als 72 Jahren die Kostensenkung der Unterkunfts- und Heizkosten verlangt wird. Ebenso wird es in Berlin zunehmend zum Problem, dass die Jobcenter offensichtlich keineswegs so kulant wie die ehemaligen Sozialämter Mietschuldendarlehn gewähren.
Hinzukommt die Verschärfung der Bedingungen beim Berliner Umzug, wo bislang nach nicht gezahlten 2 Monatsmieten der Vermieter fristlos kündigen konnte, die Räumung kostenpflichtig zu Lasten des Vermieters ging, aber das Hab und Gut der Leute zumindest staatlich untergebracht wurde. Nunmehr wurden in Berlin Vermietern Entlastungen bei den Kosten für Wohnungsräumungen eingeräumt und weitere, für die Betroffenen belastende Maßnahmen eingeführt.
Aus diesem Grunde hat sich die Kampagne gegen Zwangsumzüge zumindest in Berlin vorgenommen, wenn nötig - auch Räumungen durch personelle Präsenz zu verhindern. Die Berliner Erwerbslosen haben bei ihren Aktivitäten keineswegs die Rückendeckung der Linkspartei.PDS, sondern bestenfalls reagieren ParteivertreterInnen auf ihre Äußerungen. Nicht zur Unterstützung der Erwerbslosengruppen, sondern zur Schwächung selbiger soll schon mal im Großbezirk Berlin-Neukölln im März/April diesen Jahres die Linkspartei.PDS dafür gesorgt haben, dass die seit acht Jahren bestehende unabhängige Erwerbsloseninitiative Neukölln (ERWIN) als Arbeitskreis der Linkspartei.PDS in Neukölln eingemeindet wurde.

Weshalb Kämpfe anders und Ziele nur ähnlich sind

Gleichwohl war im Workshop deutlich geworden, dass sich die Bedingungen, die Strukturen, die Arbeitsformen und sogar die Ziele der Erwerbsloseninitiativen lokal deutlich unterscheiden. Denn Erwerbsloseninitiativen sind eben nicht per sé linke Zusammenhänge, sondern bilden sich aus Engagierten mit verschiedenen Affinitäten zur Politik von Parteien bzw. parteiähnlichen Gebilden und unterschiedlichen Ideologien.
So legen der ALV MV und die Euromärsche stärker den Schwerpunkt auf arbeitszentrierte Vorstellungen und Beschäftigungsinitiativen ebenso wie gewerkschaftlich orientierte Arbeitsloseninitiativen. Nicht im Gegensatz dazu verfolgen die Erwerbslosen in Berlin stärker einen beratungs- und informationsorientierten Ansatz, der durch Proteste in die Öffentlichkeit getragen werden. Während in Mecklenburg-Vorpommern eine breite Organisation der Erwerbslosen selbstverständlich erscheint, handelt es sich bei der Berliner Kampagne gegen Zwangsumzüge um einen Zusammenschluss von Menschen, die überwiegend aus verschiedenen politischen Gruppen und Parteien in der Stadt und wenigen ErwerbslosenaktivistInnen besteht.
Handeln die Erwerbslosen als eigenständiges Parlament in ihrem Bundesland zusammen mit der Linkspartei.PDS so unvorstellbar erscheint in Berlin eine derartige Zusammenarbeit mit der SPD und der Linkspartei.PDS im Senat und im Abgeordnetenhaus zu Berlin.
Die Differenzen der jeweiligen Arbeitsschwerpunkte spiegeln sich auch graduell in den Forderungen der Gruppierungen wider. Beide meinen, dass die jetzige Regelleistung beim Arbeitslosengeld II sofort auf mindestens 500 Euro angehoben werden muss, der BerlinerInnen setzen hinzu, dass sich die Regelleistung in schnellen Schritten verdoppeln muss. Dennoch nehmen die Gruppen zur politischen Forderung des bedingungslosen Grundeinkommens für alle einen unterschiedlichen Standpunkt ein. Während sich die zwei KollegInnen aus Berlin ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle von 850 Euro plus volle Wohnkosten und Krankenversicherung vorstellen können wie es auch der Runde Tisch der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen öffentlich vertritt, sieht der ALV MV darin eher eine antikapitalistische Forderung, die wegen der "Bedingungslosigkeit" erst in einer Gesellschaft auf der Grundlage anderer Eigentums- und Produktionsverhältnisse verwirklicht werden kann. Der ALV MV stellt sich deshalb ebenso wie die Euromärsche auf den Standpunkt des Frankfurter Appells vom 18. Januar 2004. Dort hatten sich mehr als 500 AktivistInnen aus gewerkschaftskritischen und sozialpolitischen Gruppen sowie linken Parteien nach heftigem Streit unter anderem auf die Forderung nach einem ausreichenden, garantierten Mindesteinkommen ohne Bedürftigkeitsprüfung einigen können. [Solches Mindesteinkommen ist freilich nur für Erwerbsunfähige und Erwerbslose gedacht.] Sibyllinisch formuliert deshalb auch Gerd-Erich Neumann vom Erwerbslosenbeirat in Mecklenburg-Vorpommern: "Von Arbeit muss man leben können - ohne Arbeit auch." Denn bei der Forderung von 10 Euro Brutto Lohn als gesetzlichen Mindestlohn und einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich waren sich immerhin in Frankfurt alle einig. Aber das alte Bibelzitat "Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen", geistert eben auch in vielen Köpfen sich als "Links" betrachtender AktivistInnen herum.

Beispielweise können die Euromärsche nur verwässerte, freilich nicht ganz unrichtige Forderungen wie "Schluss mit der Unsicherheit von Arbeit und Leben!", "Gleiche Rechte für alle überall!", "Alle gemeinsam - für einen europäischen Mindestlohn deutlich oberhalb der Armutsgrenze, für eine europäische Höchstarbeitszeit von 40 Stunden in der Woche, für eine Mindestsicherung gegen Erwerbslosigkeit, Berufsunfähigkeit und Alter, die die EU-Armutsgrenze nicht unterschreitet!", "Arbeit ist genug da - ihre Finanzierung eine öffentliche Aufgabe. Reichtum umverteilen" und "Schluss mit der Privatisierung von Bildung, Gesundheit, öffentlichem Verkehr und Alterssicherung! Kostenloser Zugang zu öffentlichen Gütern für alle!" als Konglomerat von attac-, Gewerkschafts-, PDS-, DKP- und Antiprivatisierungsforderungen artikulieren.
Im Interesse der Erwerbslosen bleibt nur zu hoffen, dass sie bundesweit bald auf gemeinsame Positionen einigen und gemeinsam voranschreiten. Denn die Mitstreiter vom ALV machen darauf aufmerksam, dass mit den Demonstrationen am 2.10. und 3.10.2004 gegen Sozialkahlschlag die Spaltung der Erwerbslosenbewegung -maßgeblich durch die MLPD vollzogen wurde. Allerdings darf nicht unerwähnt bleibten, dass sich inzwischen mit dem Aktionsbündnis Sozialproteste http://www.die-soziale-bewegung.de neben den alteingesessenen, überwiegend beratungsorientierten Organisationen und Initiativen am Runden Tisch der Erwerbslosen- und Sozialhilfeorganisationen www.pariser-kommune.de ein sich dem Selbstverständnis nach aktionsorientiertes bundesweites Bündnis begründet hat.

Was wichtig wird

In der nächsten Zeit stehen für Erwerbslose und die sie unterstützenden Protestgruppierungen und -Netzwerk neue Überlegungen an, wie und mit welchen Formen sie die neuen Verschlechterungen der sozialen Lage von Erwerbslosen, aber auch anderen Gruppen der Bevölkerung aufgrund der Leistungsabstriche in Sozialgesetzen begegnen wollen. Hierbei gilt es, Profilneurosen und Vereinnahmungsdrang in der Erwerbslosenbewegung zu überwinden und den häufig zerlegenden Einfluss von Parteien innerhalb der Erwerbsloseninitiativen wirkungsvoll zu begegnen. Interessant ist, dass sich zunehmend aus ganz verschiedenen Gründen Protestgruppierungen wie z.B. die Bürgerbündnisse gegen die Privatisierung von öffentlichen Wohnungen und zum Bleiben der Wagenburgen wie in Freiburg, Notgemeinschaften aus Sozialberatung und Mieterbund in Bochum, Erwerbslosenräte wie in Köln, Nottelefone gegen Zwangsumzüge wie in Bonn, Berlin u.a. Städten bilden oder sich auch die Telefonseelsorge neue Interessengemeinschaften zur Abhilfe neuer sozialpolitischer Notlagen unterstützt: Alle diese Gruppierungen und viele bestehende politische Gruppen haben inzwischen durchaus Aufmerksamkeit für die Situation der erwerbslosen MitbürgerInnen entwickelt, weil sie auf sich selbst und ihre Freunde und Angehörigen kontinuierlich solche Situationen wie Hartz IV oder Wohnungslosigkeit zukommen sehen. Ebenso wie neue Gruppierungen entwickeln sich auch bundesweite und lokale Vernetzungen quer zu den länger bestehenden Koordinationen. Es bleibt zu hoffen, dass bald genügend Kraft entwickelt werden kann, um gemeinsam der Bundespolitik erfolgreichen politischen Widerstand entgegenzusetzen sowohl gegen die Ausspielung der Interessen von Erwerbstätigen und Erwerbslosen als auch gegen Leistungsabbau im Gesundheitssystem oder die Vertreibungen von Hilfebedürftigen aus ihren Wohnungen.

Über Heiligendamm hinaus

Wie sich in der anschließenden Diskussion in dem Workshop gezeigt hat, planen verschiedene Initiativen auch zum G8-Gipfel Aktionen gegen prekäre Arbeitsverhältnisse, Zwangsdienste etc. Dazu wird es in den nächsten Wochen konkretere Informationen geben. Der Workshop auf dem Camp hat vielleicht einen kleinen Anteil dazu geleistet, dass in einer Region, in der Erwerbslosigkeit für ganz viele Menschen das zentrale Thema ist, regionale Initiativen und bundesweite Gruppen ins Gespräch gekommen sind. Es ist zu hoffen, dass sich daraus die Grundlage für eine Zusammenarbeit gibt, in der Mobilisierung zum G8 und darüber hinaus.
Anne Allex (Kampagne gegen Zwangsumzüge)

[http://de.indymedia.org/2006/08/154964.shtml]

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Sondierungstreffen G8: wer macht was, mit wem, und warum? Zeit/Kapazität/Ideen/Bündnisse??

Hallo alle

6-8 Juni 2007 findet in Heiligendamm (Mecklenburg-Vorpommern) das jährliche G8-Treffen statt. Es gibt schon mehrere Bündnisse in Vorbereitung von Protestaktionen gegen den G8. Auch wir als ARI haben Lust uns einzubringen, weil wir glauben, dass so ein G8-Treffen eine schöne Chance bietet, das Globale mit dem Lokale zu verknüpfen. Einerseits kann mensch internationale (neo-koloniale) Ausbeutungsverhältnisse und die tödliche internationale Migrationspolitik thematisieren, anderseits können auch Lager, Abschiebungen und die alltägliche rassistische Verhältnisse aufgegriffen werden.

Wir haben Interesse an einem Bündnis, das Lust hat Rassismus und Migration in die Anti-G8 Proteste mit einzubringen. Unsere Wunschvorstellung ist ein Bündnis, das so stark ist, dass es in der Lage ist auch nach dem Gipfel zu existieren. Wir finden das wichtig, weil wir glauben, dass starke Bündnisse eine notwenige Voraussetzung sind im Kampf gegen Rassismus.

Es gibt schon Ideen für nächstes Jahr (grosse Demo, Aktionstag gegen Lager), aber deswegen laden wir NICHT ein.

Was wir konkret zusammen machen wollen, im Laufe dieses Jahres oder auch zum /bzw. während des Gipfels steht noch nicht fest. Für uns ist es wichtig das gemeinsam zu entwickeln, nachzuhaken, wo andere Gruppen stehen, wie viel Interesse ist generell vorhanden zum G8 zu arbeiten, wo kann man sich ergänzen, etc. Diese gemeinsame Entwicklung sehen wir als Schritt für eine Bündnisarbeit die perspektivisch sein kann.

Also: wir laden euch zu einem Treffen ein um zu gucken, was ein noch zu gründendes Bündnis gegen den G8 machen möchte. Ort: Antirassistische Initiative: Colbestrasse 19, Berlin, Donnerstag 17.08. um 18.00

bis dann

liebe grüsse

die Aris

[ari-berlin [at] gmx.de]

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Spektakulärer Protest in Breker-Ausstellung

Fuchsberg/Schwerin Unter konspirativ anmutenden Umständen hatten Vertreter der Anti-G8-Bewegung Sonnabend Medien zu einem Treff an der Autobahn-Tankstelle Fuchsberg eingeladen, um dort, wie es hieß, an einer Aktion teilzunehmen. Die war allerdings nicht an der A 20. Da hieß es nur: "Wir fahren jetzt in eine Stadt, wo die Aktion stattfindet". Mehr nicht. Und ab ging es Richtung West bis zum Abzweig Wismar Mitte. Dort wurde aber nicht links in die Hansestadt, sondern nach rechts abgebogen.

Richtung Schwerin, konnte man nur vermuten. Ziel war letztlich dort das Schleswig-Holstein-Haus in der Puschkinstraße, wo die viele Kontorversen auslösende Arno-Breker-Ausstellung ist. Dort nahm plötzlich eine spektakuläre politische Aktion ihren Lauf. Vor den Augen verblüffter Besucher kamen ohne Ankündigung etwa 20 junge Leute in die Ausstellungsräume, verhüllten Skulpturen mit Toilettenpapier sowie Küchenrollen und erklärten die Ausstellung für geschlossen: "Sie, liebe Ausstellungsbesucher, bitten wir höflich, aber bestimmt, das Museum zu verlassen. Diese Nazi-Skulpturen gehören umgestaltet und das Schleswig-Holstein-Haus mit einer Kette und einem Vorhängeschloss versperrt".

Letztes hatten sie zwar nicht dabei, brachten aber am Eingang ein Absperrband an, hängten über die Eingangstür ein Plakat und gaben per Megaphon eine Erklärung ab, was sie zu der spektakulären, aber friedfertigen Aktion veranlasst hatte. Sie protestierten dagegen, dass Arno Breker als "Lieblings-Bildhauer" von Adolf Hitler in der Landeshauptstadt offenbar wieder hoffähig gemacht werden solle. "Brekers Nazi-Kunst und die braune Ästhetik werden verharmlost und als Teil pluralistischen Kunstverständnisses banalisiert. Das passt in die alte Schlussstrichdebatte unter dem Motto, dass man 61 Jahre danach mit dem nötigen Abstand doch über alles reden dürfe. Faschismus aber war keine Meinung, sondern ein Verbrechen", so der Kern ihrer Erklärung.

Die Aktion rief unter den Besuchern, die der Aufforderung, die Räume zu verlassen, natürlich nicht folgten, zwiespältige Reaktionen hervor. Vor laufender Kamera betonte einer, dass es sich die jungen Leute zu einfach machten, über eine Zeit zu urteilen, in der sie nicht gelebt hätten. Zur Demokratie gehöre, dass man auch Dinge aushalten müsse, die einem nicht gefallen. Diese Erklärung wurde mit zustimmendem Kopfnicken von einigen Umstehenden bekräftigt.

Es gab auch andere Meinungen, zum Beispiel die, dass es beschämend für das Land sei, in einer Zeit, da Werke großer Künstler aus der DDR aus Expositionen entfernt oder Ausstellungen durch öffentliche Debatten gar verhindert würden, nun den Altnazi und Busenfreund Hitlers Breker ausgerechnet hier zu präsentieren. Das sei im Westen durch Bürgerproteste immer verhindert worden.

[Ostsee-Zeitung 14. August 2006]

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G8-Gegner proben den Widerstand - Zehntägiges Camp in Mecklenburg nach zahlreichen Aktionen beendet

13.08.2006: Bad Doberan/MVr Das Camp der G8-Gegner in Mecklenburg ist heute nach zehn Tagen und zahlreichen Aktionen und Beratungen zu Ende gegangen.

"Wir sind mit der Resonanz sehr zufrieden", sagte Carl Kemper von den Veranstaltern. Rund 1000 Teilnehmer hätten das Treffen besucht, das seien mehr gewesen als erwartet. Man habe auf "bunte, kreative und freche Art" Protest gegen den für das kommende Jahr geplanten Weltwirtschaftsgipfel in Heiligendamm gezeigt, sagte Kemper. Gewalt habe bei den Aktionen - wie geplant - keine Rolle gespielt. Auch die Polizei sprach heute von einer friedlichen Veranstaltung.
In der mecklenburgischen Gemeinde Kirch Mulsow an der Ostseeküste hatten sich zeitweise bis zu 500 Vertreter vorwiegend der linken und autonomen Szene, aber auch von Bürgerinitiativen aufgehalten. Ziel war, Protestaktionen gegen den G8-Gipfel im Juni kommenden Jahres zu planen und Kontakte zwischen einzelnen Aktivistengruppen zu knüpfen. Es sei auch viel diskutiert worden über Themen wie Gentechnik, Ausländerpolitik und den NPD-Wahlkampf, sagte Kemper.
Protestaktionen hatte es unter anderem auf einem Versuchsfeld mit gentechnisch veränderten Pflanzen in Groß Lüsewitz sowie vor der Arno-Breker-Ausstellung in Schwerin gegeben. Bei einem so genannten Aktions-Badetag vor dem Kempinski Grand Hotel in Heiligendamm wurde mit Trommeln, Transparenten und Clownerie Stimmung gegen den G8-Gipfel gemacht. "Das war ein friedlicher Protest", sagte Polizeisprecher Volker Werner heute. Für die Landespolizei habe es keinen Grund gegeben einzugreifen.
Zu einer Auseinandersetzung war es lediglich in einem Regionalzug zwischen Bad Doberan und Wismar gekommen. Dabei wurde von der Polizei Pfefferspray gegen zwei Camp-Teilnehmer eingesetzt, weil diese ein Abteil blockiert haben sollen. Es wurde eine Anzeige wegen des Verdachts auf Landfriedensbruch aufgenommen. Auch eine 21-jährige Demonstrantin muss sich verantworten, weil sie einer Polizistin in den Arm gebissen hat.
Im kommenden Jahr wollen Gipfelgegner am Rande des G8-Treffens ein Camp für rund 15 000 Aktivisten errichten. Noch in diesem Jahr ist eine zweite Vorbereitungskonferenz in Rostock geplant, zu der auch Teilnehmer aus dem Ausland erwartet werden.

MVregio Landesdienst mv/dbr

[http://www.mvregio.de/15184.html]

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Camp der G8-Gegner in Kirch Mulsow beendet

In der mecklenburgischen Gemeinde Kirch Mulsow an der Ostseeküste ist das Camp der G8-Gegner nach zehn Tagen und rund 150 Aktionen zu Ende gegangen. Rund 1.000 Teilnehmer hatten nach Angaben der Veranstalter das Camp besucht. Dies seien mehr gewesen als erwartet. Auf "bunte, kreative und freche Art" habe man Protest gegen den für das kommende Jahr geplanten Weltwirtschaftsgipfel in Heiligendamm gezeigt, sagte Veranstaltungssprecher Carl Kemper am Sonntag.
Durch gute Absprachen und Kontakte zu den Gemeinden und zur Polizei hätten die Campteilnehmer "große Bewegungsfreiheit" gehabt. "Das war überraschend für uns", so Kemper. Ziel des Treffens sei es gewesen, Protestaktionen gegen den Gipfel im kommenden Jahr zu planen und Kontakte zwischen einzelnen Aktivistengruppen zu knüpfen.
Skulpturen mit Klopapier umwickelt
Die Aktionen der zehn Tage richteten sich nicht nur gegen den Gipfel im kommenden Juni. Diskutiert wurde auch über Themen wie den NPD-Wahlkampf, Gentechnik und Ausländerpolitik. Am Sonnabend hatte es unter anderem eine Aktion gegen die umstrittene Arno-Breker-Ausstellung in Schwerin gegeben. 20 bis 30 teils maskierte Personen waren in die Räume der Ausstellung eingedrungen und hatten vier der 70 ausgestellten Skulpturen mit Klopapier umwickelt. Die Polizei ermittelt jetzt wegen des Verdachts des Hausfriedensbruchs.
Stand: 13.08.2006 12:49

[http://www1.ndr.de/ndr_pages_std/0,,OID2960526_REF_SPC1729540,00.html]

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Breker-Skulpturen bei Protestaktion mit Klopapier umwickelt

Bei der umstrittenen Ausstellung von Werken des Bildhauers Arno Breker (1900-1991) ist es am Samstag in Schwerin zu einem Zwischenfall gekommen. Am Vormittag seien 20 bis 30 teils maskierte Personen in die Räume der Ausstellung im Schweriner Schleswig-Holstein-Haus eingedrungen und hätten vier der derzeit dort gezeigten 70 Skulpturen mit Klopapier umwickelt.

Schwerin (ddp). Bei der umstrittenen Ausstellung von Werken des Bildhauers Arno Breker (1900-1991) ist es am Samstag in Schwerin zu einem Zwischenfall gekommen. Am Vormittag seien 20 bis 30 teils maskierte Personen in die Räume der Ausstellung im Schweriner Schleswig-Holstein-Haus eingedrungen und hätten vier der derzeit dort gezeigten 70 Skulpturen mit Klopapier umwickelt, sagte ein Sprecher der Schweriner Polizeidirektion auf ddp-Nachfrage. Dies habe das Ausstellungspersonal berichtet. Sachbeschädigungen an der Ausstellung habe es nicht gegeben, es werde wegen des Verdachts des Hausfriedensbruchs ermittelt.

Beim Eintreffen der Beamten hatten die Personen nach Polizeiangaben das Haus bereits verlassen und waren nicht mehr auffindbar. Sie hätten jedoch ein Flugblatt hinterlassen, aus welchem hervor gehe, dass es sich um Teilnehmer eines derzeit in Mecklenburg-Vorpommern stattfindenden Camps handeln soll. In diesem Camp hätten sich Gegner des 2007 in Heiligendamm (Kreis Bad Doberan) stattfindenden G8-Gipfels versammelt.

Die Werkschau in Schwerin ist die erste Einzelausstellung Brekers nach dem Zweiten Weltkrieg. Breker galt als Lieblingsbildhauer Adolf Hitlers.

[http://www.freiepresse.de/NACHRICHTEN/KULTUR/636766.html]

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G-8-Gegner gegen Breker-Schau

SCHWERIN dpa Gegner des G-8-Gipfels im kommenden Jahr in Mecklenburg-Vorpommern haben am vergangenen Samstag die umstrittene Arno-Breker-Ausstellung in Schwerin symbolisch geschlossen. Nach eigenen Angaben verhüllten sie Plastiken aus der NS-Zeit mit Toilettenpapier und zeigten Protesttransparente gegen die Schau. Sie hätten einen Teil der Besucher bewegt, die Ausstellungsräume zu verlassen, und das Haus mit einer Kette verschlossen, sagte ein Sprecher. Die Polizei prüft, ob eine Straftat vorliegt. Die Demonstranten sind nach eigenen Angaben Teilnehmer eines Camps von G-8-Gegnern in Steinhagen bei Rostock. Die Aktion in Schwerin begründete der Sprecher damit, dass Breker (1900-1991), der als Hitlers Lieblingsbildhauer galt, auch nach 1945 bis zu seinem Tod Nazi geblieben sei und sich in Organisationen von Altnazis betätigt habe.

[taz 14.08.2006]