2007-05-17
Gemeint sind wir alle!
Ein Aufruf für einen gemeinsamen und solidarischen Umgang mit staatlicher Repression
Am 9. Mai ist es in 40 Privatwohnungen und linken Projekten zu Hausdurchsuchungen unter dem Vorwurf der "Bildung einer terroristischen Vereinigung" gekommen. Es ist mittlerweile offenkundig, dass diese Repressionswelle ein weiterer Schritt der Einschüchterung und Kriminalisierung von linken GipfelgegnerInnen ist. Wir denken in diesem Zusammenhang auch an das Verbot des Sternmarsches, der reichlich Kritik am 7. Juni nach zum Kempinsky Hotel nach Heiligendamm bringen wollte oder an das agressive Vorgehen der Polizei im Hamburger Schanzenviertel, während und am Abend der bundesweiten Hausdurchsuchungen oder an die geplante "Allgemeinverfügung", die Demonstrationen schon bis zu zwei Kilometer vor dem Zaun verbieten soll. Wir warten nur noch darauf, dass der Staat, der mit seiner Pleiterazzia gegen GipfelgegnerInnen mächtig in Verlegenheit geraten ist, gefälschte Beweise für die unhaltbaren Anschuldigungen vorlegt. Das wäre nicht das erste mal im Vorfeld eines Gipfelprotestes. Das einschüchternde Vorgehen von Bundesanwaltschaft und Polizei hat System und weist viele Parallelen zu vorherigen G8 Gipfeltreffen auf. Insbesondere die widerkehrden Verleumdungen, z.B. linksradikale oder GipfelgegenerInnen würden planen Politiker umzubringen sind nicht neu und sollen ein antikritisches Klima schüren, welches alle betrifft die sich nicht damit abfinden möchten, wie die Welt eingerichtet ist.
Die Repression, d.h. die Unterdrückung von Widerstand, hat unserer Ansicht nach zwei wesentliche Zielsetzungen:
Erstens: Linke Politik insgesamt wird kriminalisiert und nun in Verbindung mit dem Konstrukt "Terror" gebracht. Dadurch soll linke Politik gesellschaftlich als Aussenseiterposition dargestellt und Kritik, sowie der Anspruch auf Veränderung isoliert werden. Durch Kriminalisierung soll der breite Zulauf zu den G8 Protesten und zu linker Politik insgesamt beeinträchtigt werden.
Zweitens: Der radikale Teil der Linken soll vom Widerstand gegen den G8 Gipfel abgespalten werden, um ihn kontrollierbar zu machen. Durch Repression soll insbesondere radikalen Teilen der Bewegung gegen den G8 Gipfel ihre Deutung und Berechtigung innerhalb der Proteste abgesprochen werden. Die Hausdurchsuchungen unter dem Vorwand eines "Terrorismus"konstruktes, sind ein weiterer Versuch einen Keil in die Bewegung gegen den Gipfel zu schlagen. Bisher sind alle Versuche entlang der Gewaltfrage zu spalten fehlgeschlagen.
Im Angesicht der sozialen Unzufriedenheit, der menschenverachtenden Politik der G8 Staaten und der alltäglichen Gewalt und Zerstörung durch den globalen Kapitalismus, scheint der (deutsche) Staat etwas nervös, weil die Mobilisierung gegen das Treffen in Heiligendamm mittlerweile nicht nur das Potenzial zur sozialen Revolte, sondern vor allem auch zu längerfristiger Bewegung gegen den Kapitalismus hat; das Potenzial auch für grundsätzliche Veränderungen weit über den G8 Gipfel hinaus, für Veränderungen jenseits kapitalistischer Wertvorstellungen und herrschaftlicher Bevormundung. Jede linke Bewegung im Kapitalismus und erst recht in Zeiten in denen Krieg, Folter und Sozialkürzungen auf der Tagesordnung stehen, widerspricht zunächst den vorherrrschenden Kapitalinteressen. Die Kriminalisierung des Protestes gegen den G8 Gipfel bereits im Vorfeld ist also nicht nur vorsorgliche "Aufstandsbekämpfung", sondern vor allem auch der politische Versuch den Aufbau längerfristiger linker Bewegung zu unterbinden. Zumindest ist das unsere Deutung des derzeitigen Geschehens.
Zwang, Kontrolle, Ausbeutung und Unterdrückung sind Gewaltverhältnisse. Ein nicht unerheblicher Teil gesellschaftlicher Gewalt geht vom Staat aus, welcher das Gewaltmonopol für sich beansprucht. Die Repressionswelle der letzten Tage gegen linke Strukturen bestätigt diesen Anspruch auf eindrucksvolle Weise.
Aber wer schützt eigentlich die Menschen vor dem Staat? Es ist eine Lüge, dass linke und linksradikale AktivistInnen "TerroristInnen" seien, welche versuchen würden, den Widerstand gegen den Gipfel mit Terror - d.h. mit Angst, Einschüchterung und Gewalt gegen Unbeteiligte - "zu überschatten". Angst, Einschüchterung und Gewalt, also Terror, verbreiteten die Exekutivorgane des Staates mit Massendurchungen und Massenverhaftungen! Ein weiterer Irrtum der durch einen Teil der Massenmedien derzeit verbreitet wird, ist, dass sich militante AktivistInnen gegen diejenigen in der Bewegung richten würden, die versuchen "gewaltfrei" zu agieren. Militanten und radikalen AktivistInnen geht es bei ihren Aktionen nicht darum der Vielfalt, von der der Gipfelprotest lebt, einen einheitlichen Stempel aufzudrücken oder alles zu dominieren. Militante sollten sich ihrer Verantwortung bewusst sein, dass es innerhalb einer solchen Grossmobilisierung Orte gibt, an denen sich die Menschen für eine andere Aktionsform entschieden haben. "Gewaltfreie" AktivistInnen sollten sich bewusst sein, dass wenn sie sich von militanten AktivistInnen entsolidarisieren, sie diese leichtfertig an das Messer staatlicher Repression liefern. Militanz, so argumentieren militante AktivistInnen, soll das staatliche Gewaltmonopol und die gesellschaftlichen Besitzverhältnisse in Frage stellen. So gesehen ist schon Kritik mitunter militant und damit für den Staat potenziell "terroristisch". Und so betrachtet sind viele Aktionsformen schon militant, z.B. wenn eine Sitzblockade gemacht wird, die von der Polizei weggetragen werden muss, wenn ein Genmaisfeld von Monsanto besetzt wird oder wenn ein Innenminister mit einer Torte beworfen wird. Alle Aktionsformen haben ihre Daseinsberechtigung und ergänzen sich hervorragend in ihrer Vielfalt - egal ob Barrikade oder Sitzblockade. Das macht die Stärke des Widerstandes gegen den G8 Gipfel aus und diese sollten wir uns nicht nehmen lassen! Medienberichten zufolge soll schon das mitführen von Flugblättern oder Transparenten mit radikalem Inhalt künftig als Grund dienen in vorsorgliche Haft zu kommen. Wenn die Behörden nun einem Teil der Bewegung gegen das Gipfeltreffen willkürlich die Kritik und den Widerstand durch Meldeauflagen, vorsorgliche Haft oder Einreisesperren austreiben wollen, dann ist davon die gesamte Linke (nicht nur in Deutschland) in ihren politischen Grundlagen betroffen. Wenn eine oder einer von uns an der Grenze gestoppt wird, dann sind wir alle gemeint! Wenn ein Mensch in Haft kommen soll, weil er sich das Maul nicht stopfen lassen möchte oder ein nettes Flugblatt dabei hat, dann sind wir alle gemeint. Und wir werden uns auch so verhalten!
Bei der Nachfrage bezüglich "Gewalt und Terror" empfehlen wir gegenüber den sensations- und gewaltlüsternen Medien weiterhin einfach die Gegenfrage zu stellen: Von welchen Gewalt- und Terrorbegriffen wird hier eigentlich ausgegangen? Der Staat und grosse Teile der Medien haben die Grenzen des politischen Umgangs mit Menschen, welche die Welt verändern möchten erneut eindeutig überschritten. Indem sie uns leichtfertig als "TerroristInnen" gebrandmarkt und in die Ecke religiöser FanatikerInnen und SelbstmordattentäterInnen gerückt haben. Wir denken, dass die Vielzahl von Solidarisierungen mit den von der Repression Betroffenen ein Ausdruck von breitem geschichtspolitischen Bewusstsein ist: Die Linke ist ein vielfältiges und breites politisches Spektrum mit Geschichte, Kriminalisierungserfahrungen und dem ganz heterogen ausgeprägten Anspruch in fortschrittlicher Absicht über das Bestehende hinauszuweisen. Die unterschiedlichen Ansprüche auf emanzipatorische Veränderung sind insgesamt durch die derzeitige Kriminalisierung bedroht und die gilt es nun gemeinsam zu verteidigen, ganz egal ob linke SozialdemokratInnen oder linke GewerkschafterInnen, ob Linksliberale, umwelt- oder bürgerrechtsbewegte Menschen, egal ob FeministInnen, Queer-AktivistInnen, oder NoBorder AktivistInnen, egal ob Revolutionäre oder Reformer, egal ob friedlich oder militant, egal ob SozialistInnen, KommunstInnen oder AnarchistInnen. Die breite Linke hat viel gestritten in den letzten Jahren - und das werden wir auch in Zukunft tun müssen. Aber in den nächsten Wochen sollte es vor allem darum gehen die gemeinsamen Grundlagen emanzipatorischer und ausserparlamentarischer Politik, also die berechtigte Kritik, den berechtigten Protest und den berechtigten Widerstand, gemeinsam und solidarisch gegen das antikritische Klima das derzeit geschürt wird zu verteidigen.
Mit solidarischen Grüssen
Six Hills (Berlin), Gipfelsoli-Infogruppe (Berlin), NoG8 Gruppe Kiel
(falls eure Gruppe diesen Aufruf noch mit unterstützen mölchte, meldet euch bei nog8-kiel@web.de )