2007-05-15
Aufruf zur Verantwortung für menschliche Entwicklung und globale Solidarität
ROM, 15. Mai 2007 (ZENIT.org).- Eine Delegation von katholischen Kardinäle und Bischöfen aus vier Kontinenten haben die Regierungen Deutschlands, Großbritanniens und Italiens im Hinblick auf den bevorstehenden Gipfel der G8-Staaten in Heiligendamm bei Berling Anfang Juni zu verantwortlichem Handeln aufgerufen. In der folgenden Erklärung wird die Position der katholischen Kirche zum G8-Gipfel deutlich.
Erklärung der katholischen Kardinäle und Bischöfe zum bevorstehenden G8-Gipfel 2007
Verantwortung für menschliche Entwicklung und globale Solidarität wahrnehmen
Wir, katholische Kardinäle und Bischöfe aus Nord und Süd, sind nach Europa gekommen mit einem Appell an die Regierungen der “Gruppe der Acht” (Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Russland, Großbritannien und die USA), die sich derzeit auf ihr alljährliches Gipfeltreffen vorbereiten. Nicht zum ersten Mal tragen wir unsere Forderungen in Bezug auf Entwicklung und Armutsbekämpfung vor dem G8-Gipfel vor. Bereits 1999 reisten wir nach Köln und abermals 2005 nach Edinburgh, als die G8-Staaten wichtige Zusagen zur Entwicklungszusammenarbeit formulierten.
Gemeinsam mit den Bischöfen in unseren Heimatregionen, den Gläubigen in unseren Gemeinden, den Millionen Männern, Frauen und Kindern unterschiedlicher Glaubensrichtungen und aller Altersstufen, sind wir zutiefst besorgt über unsere zunehmend gespaltene Welt. Enttäuscht vermissen wir den Fortschritt seitens der G8-Länder im Hinblick auf die Ziele, die sie sich selber vor zwei Jahren in Gleneagles gesetzt haben. Und uns beunruhigt, dass die G8-Staaten ihre Entwicklungshilfeversprechen nicht werden einhalten können, wenn sie nicht sofortige Korrekturmaßnahmen zu deren Umsetzung vornehmen. Wir befinden uns genau in der Halbzeit zwischen dem Jahr 2000 – als mit der UN-Millenniumserklärung die “Millennium Development Goals” verabschiedet wurden – und 2015, dem Jahr, in dem sie umgesetzt sein sollen. Uns ist allzu bewusst, dass viele Länder dem Zeitplan um Jahre hinterherhinken. Allein eine umgehende Bereitstellung von finanziellen Mitteln und ein erneuerter Einsatz auf Seiten der Geber- wie der Empfängerländer können diese fatale Tendenz brechen.
2003 mahnte Papst Johannes Paul II anlässlich des Weltfriedenstags: “Wenn alle übernommenen Verpflichtungen eingehalten werden müssen, so ist mit besonderer Sorge auf die Erfüllung der gegenüber den Armen übernommenen Verpflichtungen Wert zu legen. Denn ihnen gegenüber wäre die unterlassene Einhaltung von Versprechen, die sie als lebenswichtig empfinden, besonders frustrierend. So gesehen stellt die unterlassene Erfüllung der Verpflichtungen zugunsten der Entwicklungsländer ein ernstes moralisches Problem dar und rückt die Ungerechtigkeit der in der Welt bestehenden Ungleichheiten noch stärker ins Licht. Die von der Armut verursachten Leiden erfahren durch den Vertrauensverlust eine dramatische Steigerung. In letzter Konsequenz geht jegliche Hoffnung verloren. Bestehendes Vertrauen ist in den internationalen Beziehungen ein soziales Kapital von fundamentalem Wert.”
Es gäbe in Bezug auf Entwicklung eine Fülle wichtiger Themen anzusprechen – z.B. die Rolle von Geldtransfers als Quelle der Entwicklungsfinanzierung, ausländische Direktinvestitionen, geistige Eigentumsrechte und der unzureichende Fortschritt im Bereich des Welthandels aufgrund etablierter Interessen in den USA und der EU. Wir möchten uns hier jedoch auf eine begrenzte Anzahl von Bereichen beschränken, in denen – den nötigen politischen Willen vorausgesetzt – die G8-Staaten jetzt wirklich etwas bewirken können.
Immer noch müssen wir mit ansehen, wie Kinder infolge Unterernährung und mangelndem Zugang zur Basisgesundheitsversorgung sterben. Wir sehen, wie Familien auseinander gerissen werden, weil Mütter und Väter außerstande sind im Heimatland für ihre Kinder zu sorgen und so auf der verzweifelten Suche nach lebensnotwendigen Einkommen zu illegalen Auswanderern ohne Papiere werden. Wir sehen, wie Kleinbauern und Fischer hilflos zusehen müssen, wie ihr Grund und Boden verwüstet, ihre Wälder gefällt und durch Brandrodung zerstört oder ihre Fischereigründe durch Fischereiflotten im industriellen Maßstab leer gefischt werden. Wir sehen, wie die wuchernden Slums der Mega-Städte Verzweiflung, Gewalttaten und soziale Unruhen erzeugen. Wir sehen, wie ganze Gemeinwesen um wirtschaftlicher Vorteile willen vertrieben werden.
Auf der anderen Seiten sehen wir Regionen mit einem Wirtschaftswachstum in Rekordraten und multinationale Konzerne, die jeglicher Kontrolle nationaler Gesetzgebungen entzogen sind, und sich zu einflussreichen Akteuren in der internationalen Gemeinschaft entwickelt haben. Wir sehen, wie neben Wohlstand und materiellen Segnungen abgrundtiefe Armut herrscht. Während die Zahl der Millionäre und Milliardäre in manchen Teilen der Welt rasch zunimmt, bleibt die Anzahl extrem armer Menschen gleichwohl unerschütterlich hoch. Wir sehen ebenfalls eine gigantische Kluft zwischen den Militärausgaben in Höhe von 824 Mrd. US-Dollar im Jahr 2006 und der globalen Entwicklungshilfe in Höhe von bescheidenen 75 Mrd. US-Dollar.
Als Kirchenführer glauben wir, dass “Gott die Erde mit allem, was sie enthält, zum Nutzen aller Menschen und Völker bestimmt hat; darum müssen diese geschaffenen Güter in einem billigen Verhältnis allen zustatten kommen; dabei hat die Gerechtigkeit die Führung, Hand in Hand geht mit ihr die Liebe.” (2. Vatikanisches Konzil, Pastorale Konstitution Kirche in der Welt von heute “Gaudium et Spes”, Nr. 69)
Aus dieser Perspektive stellen wir das vorherrschende Modell des Wirtschaftswachstums in Frage, das keine Rücksicht auf die allgemeinen Güter und das Wohlergehen der Menschen – denen es eigentlich dienen und zugute kommen sollte. Orientiert sich Wirtschaftswachstum nicht an wohl durchdachten, durch klar definierte ethische Werte geleiteten politischen Entscheidungen, werden wir eine zunehmend polarisierte Welt erleben, eine in “Globalisierungsgewinner” und “Globalisierungsverlierer” gespaltene Menschheit. Unsere Überlegungen führen uns dazu, ein Modell des Wirtschaftswachstums und der Globalisierung einzufordern, das die Solidarität mit einschließt, die auf gegenseitigem Respekt und wechselseitiger Unterstützung fußt. Der Klimawandel führt uns nur allzu deutlich vor Augen, wie zerbrechlich unsere Umwelt, wie bedroht die Entwicklung und das menschliche Leben durch unkontrolliertes Wirtschaftswachstum nach einem “business-as-usual-Prinzip” tatsächlich sind.
Wir appellieren an die G8-Staats- und Regierungschefs, die Weltwirtschaft in eine umfassende humane und ökologisch nachhaltige Entwicklung basierend auf globaler Gerechtigkeit und Solidarität zu führen. Die G8-Staaten haben zwar kein Mandat für eine globale Regierungsführung. Ihre Entscheidungen haben indes weit reichende Konsequenzen für das Leben von Millionen Menschen in anderen Teilen der Welt. Nehmen Sie Ihre Verantwortung ernst. Heute, einen Monat vor dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der G8 in Heiligendamm, besteht insbesondere in folgenden Bereichen dringender Handlungsbedarf:
1. Entwicklungshilfe: Versprechen halten und neue Ressourcen erkunden
Auf lange Sicht sollten alle Länder imstande sein, mit ihren eigenen Mitteln auszukommen. Bis es jedoch so weit ist, bedarf es auf absehbare Zeit weiterhin externer Entwicklungshilfe für die Bekämpfung der Armut und den Ausgleich gravierender globaler Ungleichheiten. Unsere Forderungen lauten deshalb:
2. Verantwortliche Kreditvergabe und -aufnahme für nachhaltige Entwicklung
Entschuldungsinitiativen wie die HIPC-Initiative und die MDRI haben den Spielraum der Empfängerländer für sozial- und armutsrelevante Ausgaben und Investitionen erweitert. Dies ist ein willkommener Beitrag zu der so dringlichen Armutsbekämpfung. In vielen Ländern ist die Verschuldung jedoch noch lange nicht auf ein tragfähiges Niveau reduziert. Weiter gehende Kreditvergabe und Schuldentragfähigkeit erfordern vermehrte Anstrengungen auf der Grundlage verstärkter gemeinsamer Verantwortung seitens der Gläubiger- und Schuldnerländer, um neue Schuldenfallen zu vermeiden, insbesondere:
3. Gute Regierungsführung und Korruptionsbekämpfung
Armut geht Hand in Hand mit schlechter Regierungsführung. Und schlechte Regierungsführung öffnet der Korruption Tür und Tor. Der missbräuchliche Umgang mit dem Vermögen eines Landes (externe und einheimische Ressourcen) erzeugt und verstärkt Armut – infolge von persönlichem Profitstreben oder von Unfähigkeit (wobei Letztere oftmals aus Ersterem folgt). Da Korruption kein lediglich nationales Problem, sondern international verwurzelt ist, muss sie auf beiden Ebenen bekämpft werden. Deshalb sollten:
Als Bürger wie als Kirchenführer sind wir uns bewusst, dass uns und unseren Regierungen ein Teil der Verantwortung zukommt. Wir bekennen uns zu unserer Verantwortung für die Förderung wahrer menschlicher Entwicklung und globaler Solidarität. Gleiches erwarten wir aber auch von denjenigen, die in den reichen Ländern die politische und wirtschaftliche Macht innehaben. Die meisten Bürger der Erde eint die Vision von einer vereinten und prosperierenden Menschheit, die in Harmonie zusammenlebt. Viele Menschen sind entschlossen, für die Realisierung dieser Vision zu arbeiten. Aber es müssen alle, insbesondere die Mächtigen, ihren Teil dazu beitragen. Die Welt kann nicht warten.
[Vom bischöflichen Hilfswerk Misereor veröffentlichtes Original]