2007-05-13
Martin Dolzer, Sprecher des vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein eingerichteten anwaltlichen Notdienstes, zu den Razzien und den Sicherheitsmaßnahmen für den G8-Gipfel
Die Hausdurchsuchungen vom 9.Mai gegen linke und alternative Projekte im ganzen Bundesgebiet wurden von der Bundesanwaltschaft mit der Verhinderung terroristischer Anschläge begründet. Wurde hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen?
Martin Dolzer: Die Durchsuchungen von bundesweit über 40 Objekten wurden auf Grundlage des Paragraphen 129a durchgeführt. Das bekannte Problem bei diesem Paragraphen ist seine weitgehende Anwendbarkeit und Auslegbarkeit. Er setzt nicht mehr an der konkreten Verletzung eines Rechtsguts an, sondern abstrakt an einer Organisation. Der Straftatbestand ist also sehr weit gefasst und geht noch weiter im Falle einer so genannten Werbung und Unterstützung. Im Grunde genommen wird er hauptsächlich als "Ausforschungsparagraph" genutzt. Soziale Bewegungen sollen damit kriminalisiert, eingeschüchtert und ihre Infrastruktur zerschlagen werden. Außerdem wird versucht, auf diese Weise ein Klima der permanenten Kriminalitäts- und Terrorismusangst in der Gesellschaft zu schaffen. Die meisten 129a-Verfahren werden nach langen Gerichtsverhandlungen später eingestellt. Doch im Rahmen der Ermittlungen können Abhörmaßnahmen, verdeckte Ermittlungen und eben auch Durchsuchungen durchgeführt werden.
Aber müssen die Richter nicht auch bestimmte Kriterien beachten, bevor sie eine solche Hausdurchsuchung genehmigen?
Martin Dolzer: Eigentlich muss für einen Durchsuchungsbefehl ein Anfangsverdacht bestehen. Bei den mir bekannten Fällen der jetzigen Razzien handelt es sich allerdings hauptsächlich um Vermutungen. Die reichen eigentlich für die Genehmigung einer Hausdurchsuchung nicht aus. Trotzdem wurden auch in der Vergangenheit gerade bei 129a-Verfahren Durchsuchungen auf Grund von reinen Vermutungen angeordnet. Das ist durch die genannte enorme Breite der Gesetzesauslegung möglich. Es wird dann von den Details in den einzelnen Fällen abhängen, inwieweit die Maßnahme als unrechtmäßig angefochten werden kann.
Sehen Sie hier einen politischen Trend über den G8-Gipfel hinaus?
Martin Dolzer: Seit Ende der 90er Jahre, verstärkt durch die Anschläge vom 11.September 2001, wird ein Paradigmenwechsel in der Rechtsprechung und der Praxis staatlicher Behörden sichtbar. Nicht die Schutzrechte der Menschen vor individueller, wirtschaftlicher und staatlicher Willkür, sondern die staatlichen Abwehrrechte gegen die Bürger stehen im Vordergrund. Das wird gerade bei verschiedenen Vorstößen von Bundesinnenminister Schäuble deutlich.
Es gab in letzter Zeit verschiedene Tabubrüche in dieser Hinsicht, z.B. die Diskussion um die Aufhebung des Folterverbots, die Ausweitung der Eingriffe in das Recht der Informationellen Selbstbestimmung. Erinnert sei auch an die Forderung und faktische Umsetzung der Zusammenlegung von Polizeibehörden und Geheimdiensten, die nach 1945 als Konsequenz aus der NS-Vergangenheit ausgeschlossen werden sollte. Dazu gehören auch Schäubles Vorstöße, die Bundeswehr im Innern einzusetzen. Der politisch aktive Bürger wird im Rahmen eines "Feindstrafrechts" zum Feindbild erklärt.
Wie macht sich das im Umgang mit den geplanten Protesten gegen den G8-Gipfel bemerkbar?
Martin Dolzer: Beispielsweise in einem Bild-Interview, in dem Schäuble das Unterbindungsgewahrsam für Gipfelgegner in die Debatte geworfen hat. Das wären eine unzulässige Ersatzstrafe und ein Eingriff in das Grundgesetz. Betroffen wären u. a. das Recht auf Versammlungsfreiheit (Art.8) und das Freiheitsrecht (Art 2 Abs. 2) So sollen Menschen gehindert werden, auf demokratische Weise ihren legitimen Protest zum Ausdruck zu bringen.
Ist also von Seiten der Behörden gegenüber den Protesten eher Konfrontation als Kooperation zu erwarten?
Martin Dolzer: Wir beobachten das Vorgehen der Behörden mit großer Sorge. Die wenig kooperative Haltung der Verantwortlichen in der BAO Kavala gegenüber dem anwaltlichen Notdienst ist sehr bedenklich. Wir haben bisher mündlich und schriftlich vergeblich auf ein Gespräch gedrängt, um die Sicherstellung der anwaltlichen Tätigkeit während der Proteste zu erörtern. Solche Gespräche waren vor anderen politischen Großereignissen, wie beispielsweise den Castortransporten, möglich. Da derartige Gespräche bisher verweigert werden, haben wir die Befürchtung, dass von Seiten der Sicherheitsbehörden im Rahmen der G8-Proteste wenig Interesse an der Anwendung einer deeskalierenden Polizeistrategie besteht.
Welche Aufgaben hat der anwaltliche Notdienst vor Ort?
Martin Dolzer: Es wird ein Ermittlungsausschuss eingerichtet, dessen Nummer spätestens Ende Mai bekannt gegeben wird. Darüber wird der aus 100 Juristen bestehende anwaltliche Notdienst zu erreichen sein. Er sieht seine Aufgabe vor allem darin, die Einhaltung von Grundrechten, wie z.B. Telefonate für Betroffene, bei einer freiheitsentziehenden Maßnahme zu gewährleisten und unverhältnismäßiger Polizeimaßnahmen möglichst zu verhindern.
[http://www.heise.de/tp/r4/artikel/25/25269/1.html]