2007-05-10 

Hochschlagende Wellen von Repression und Empörung vor dem G8 Gipfel

von Uwe Lorenz (isl Berlin)
10. Mai 2007

Was von vielen befürchtet wurde ist nun Wirklichkeit geworden: der „Krieg gegen den Terror“ und die damit einhergehende Verschärfung der Sicherheitsgesetze wird gegen linke Strömungen eingesetzt. Laut indymedia gab es insgesamt 40 Durchsuchungen, 17 „Verdächtige“ werden namentlich benannt. Allein in Berlin wurden 18 Büros und Wohnungen durchsucht organisatorische Materialien, Listen, Computer usw. beschlagnahmt. Der Webserver SO36.net und damit die Gipfelsoli Webseite wurdevom Netz genommen. Die Bundesanwaltschaft rechtfertigte die Aktionen mit dem staatsterroristischen Anti–Terror-Paragrafen 129a StGB: Mit dem „Vorwurf der Gründung einer terroristischen Vereinigung...“ und der Verfolgung einer ominösen „'Militanten Gruppe (mg)'“, die sich zu verschiedenen Anschlägen z.B. auf ein Gästehaus des Auswärtigen Amtes in Berlin, bekannt hat. Laut Durchsuchungsbeschluss ist es das Ziel des BKA „Beweismaterial über die personelle und organisatorische Struktur der Vereinigungen sowie begangene und möglicherweise beabsichtigte Brandanschläge aufzufinden“.

Mit den Mitte/Ende der neunziger Jahre neu aufkommenden, antikapitalistischen und kapitalismuskritischen Bewegungen, dem Verschmelzen vorher scharf gespaltener Elemente in der linken Opposition hat sich eine Veränderung in der politischen Landschaft ergeben. Aus diesen Veränderungen erwachsen für die Herrschenden schwer kalkulierbare Bedrohhungsszenarien. Im Gegensatz zu vielen in den frisch politisierten Teilen der „neuen“ Linken existiert bei den Herrschenden, d.h. Funktionsträgern im Staatsapparat und großen Teilen der wirtschaftlichen und sozialen Eliten, ein stark ausgeprägtes historisches Bewußtsein. Sie können sich sehr genau daran erinnern, wie aus kleinen „kommunistischen“ Bewegungswölkchen enorme Gewitterstürme heranwachsen können. Einige linke Gruppen beschreiben einen neuen Antikommunismus auf europäischer Ebene. Demnach finden neue Überlegungen zur Bekämpfung von Bewegungen mit ideologischen und staatlich-repressiven Mitteln auf europäischer Ebene statt. Als Teil der Erprobung dieser Pläne ist insbesondere das Verbot des Jugendverbandes der Tschechischen Kommunistischen Partei zu sehen.

Weiterhin ist den Herrschenden bewußt, dass sich Bedrohungsszenarien für sie insbesondere in Zeiten wirtschaftlicher Krise verschärfen. Dabei ist ihnen die Instabilität der wirschaftlichen Entwicklung in Folge der extrem fragilen weltwirtschaftlichen Gleichgewichte durchaus bewußt. Das „Manager-Magazin“1 schreibt: „Rohstoffmangel, Hedgefonds-Akrobatik, Dollarrisiko, politische Krisen im Irak und im Iran: Die Weltwirtschaft zeigt sich davon unbeeindruckt. Noch. - Die Investmentbank Goldman Sachs hat mit internationalen Experten Krisenszenarien diskutiert. Das Ergebnis ist beunruhigend [...] Welche Folgen wird eine mögliche Eskalation im Atomstreit mit dem Iran haben? Wie wirkt sich ein steigender Ölpreis auf die Entwicklung Chinas aus? Werden riskante Wetten von Hedgefonds die Finanzmärkte erneut ins Wanken bringen?“

Das entzündliche objektive Klassengefüge, dessen Explosion gegenwärtig nur durch subjektive Faktoren vehindert wird, wird von den Herrschenden theoretisch außerordentlich klar durchdrungen. Dies läßt sich auch an so zynischen Institutionen wie der „Initiative neue soziale Marktwirtschaft“ erkennen, deren Ziel es ist, die Bürger der Bundesrepublik Deutschland von der "Notwendigkeit marktwirtschaftlicher Reformen" zu überzeugen. Ob mit der Instrumentalisierung des Fußballs, mit Hochglanzbroschüren oder Lehrveranstaltungen, dieser ideologische Kampf ist u.a. der Kapitalinstitution „Gesamtmetall“, dem Zusammenschluss der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie, jährlich 8,8 Mio € wert! (die Zahl ist aus „wikipedia“-Artikel entnommen)

Auf Grund dieser Bewußstseinslage ist nicht davon auszugehen, dass eine „Unterschätzung“ unserer Bewegungen stattfinden wird. Dies kommt auch in der Begründung des Durchsuchungsbefehls für das SO36 zum Ausdruck: „ ... mit (...) gewalttätigen Aktionen den bevorstehenden Weltwirtschaftsgipfel (g8) im Frühsommer 2007 in Heiligendamm erheblich zu stören oder zu verhindern. Diese Straftaten sind dazu bestimmt, die in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung zu erschüttern und können insbesondere die internationale Position der Bundesrepublik Deutschland als verlässlicher Partner im Verbund der acht wichtigsten Wirtschaftsnationen erheblich schädigen.“

Die aktuellen Repressionen im Vorfeld des G8-Gipfels sind Teil einer lange vorbereiteten politischen Aktion. Pünktlich auf die Minute, vier Wochen vor dem Gipfel werden gezielt in ganz Deutschland, Wohnungen und Büros gestürmt und Materialen beschlagnahmt, zentrale AktivistInnen beschuldigt, Terrroristen zu sein. Die bürgerlichen Medien waren informiert. Die Aktion folgte der Ablehung der Gnadengesuche von Christian Klar und Birgit Hogefeld und der Versteigerung des alternativen Wohn- und Kulturprojekts „Köpi“ auf dem Fuße. Der breitangelegte Angriff auf die „autonome Szene“ findet also, von erzkonservativen Kreisen wohl durchdacht, im ideologischen Raum und auf der Ebene der unmittelbaren Staatsgewalt statt.

Mit diesem Angriff sollte die „Szene“ eingeschüchtert und gelähmt sowie die Strukturen und das Mobilisierungspotenzial der Bewegung aufgedeckt und ausgetestet werden. Auf „spiegel-online“ werden Ermittler folgendermaßen zitiert: „dass man der Szene mit dem Zugriff zeigen wollte, dass die Behörden nicht schlafen. 'Wir haben in den Busch geschossen, nun sehen wir weiter, was und wer sich dort bewegt'“ Damit wird die Haltung der Genossen von der Volkspolizei deutlich. Nicht nur, dass die Organisation von Protestaktionen dem Terrorismusverdacht ausgesetzt wird. Frühmorgens wird mit Brachialgewalt in Wohnungen und Büros eingebrochen, Computer und andere Materialien beschlagnahmt, eine politische Strömung wird „erschreckt“ und alles was sich daraufhin bewegt ist Freiwild. So geht’s nicht meine Herren!

Die spontanen Demonstrationen von bundesweit von ca. 10.000 Leuten haben gezeigt, dass das erste Ziel nicht erreicht wurde. Viele AktivistInnen sind zu neuer Klarheit und Motivation gelangt, unsere Reihen wurden gefüllt und gefestigt. Es hat sich den Ermittlern ein enormes Mobilisierungspotential gezeigt. Die lange Vorbereitung unserer Bewegung, hunderte von Veranstaltungsreihen, Filmvorführungen Solikonzerte, Partys usw. haben sich jetzt ausgezahlt. Am Vormittag wurde reprimiert, am Abend sind 10.000 Leute bei spontanen Demonstrationen auf der Straße! Für deutsche Verhältnisse eine gute Leistung einer Szene die durch die Aktionen ins Abseits geschoben werden sollte. Hier hat sich die solidarische Linie, die sich u.a. auf den Aktionskonferenzen in Rostock zeigte, ausgezahlt. Das politische Ziel der Repression ist es auch, Teile der Bewegung zu kriminalisieren. Die sich abzeichnende Polarisierung der Gesellschaft an der Frage für oder gegen die neoliberale Zerstörungspolitik der G8 zu sein soll in eine Spaltung der Bewegung in „Gewalttätige“ und „Friedliche“, „TerroristInnen“ und „DemokratInnen“ umgewandelt werden. Dabei stehen absurder Weise schwer bewaffnete und vermummte Einsatzkräfte für „Demokratie“ und eine bunte, nach Sambatrommeln tranzende Protestbewegung für „Terror“. Die Kluft zwischen Ideologie und Wirklichkeit kann kaum grotesker sein.

Die Demonstrationen haben gezeigt, dass die Bewegung die Einschüchterungsversuche durchsteht. Für den kick-off der G8 Mobilisierung, d.h. für die Gründung und Ausweitung von Mobilisierungsgruppen usw., ist jetzt ein extrem günstiger Zeitpunkt. Neben der Subjektformierung, d.h. der Auslösung einer sich selbstverstärkenden Bewegungsdynamik und einem Motivationsschub bei vielen Aktivisten, bietet eine große Medienpräsenz und eine damit einhergehende gesellschaftliche Polarisierung beste Vorraussetzungen für die Entwicklung einer erfrischenden Protestwelle.

1 http://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/0,2828,403677,00.html