2007-05-02 

"Sie wollen eine Entsolidarisierung, eine Schere im Kopf"

Razzien gegen linke Infrastruktur in München

Insgesamt mindestens elf Geschäftsräume und Privatwohnungen wurden in München am 17. Januar 2007 von Polizei und Staatsanwaltschaft durchsucht.

Die Rote Hilfe Zeitung sprach mit Annette Müller und Münir Derventli vom betroffenen Druckerei-Kollektiv "Druckwerk" über die Hintergründe der Aktion.

SIKO

RHZ: Wie wurde die Durchsuchung begründet? Was wird euch vorgeworfen?
Es ging um angeblich strafbare Inhalte der Broschüre "In Bewegung bleiben", um das Flugblatt "Siko und G8 angreifen" und einen Beitrag auf dem Internet-Portal "Indynews". Hintergrund ist der schon beinahe traditionelle Stress im Vorfeld der Sicherheitskonferenz, die jeden Februar hier in München stattfindet und bei der sich 2007 vom 9. bis 11. Februar Nato- und Kriegsherren sowie Rüstungslobbyisten getroffen haben. Jedes Jahr organisieren zahlreiche Menschen in München die Gegenwehr. Insofern kam die Aktion für uns nicht überraschend.

Neu war aber doch das Ausmaß. Wie lief es denn ab und was wurde alles beschlagnahmt?

Ja, es hat heuer eine neue Qualität erreicht. Betroffen waren insgesamt elf Geschäftsräume und Wohnungen, unser Druckwerk wurde acht Stunden lang von einem Staatsanwalt, acht bis zehn Zivilbeamten und insgesamt bis zu 40 Polizisten als Verstärkung durchsucht. Insgesamt wurden neun Personen aus verschiedenen Zusammenhängen ED-behandelt. Besonders krass war für uns, dass alle drei Geschäftsführer des Druckwerks zugleich mitgenommen wurden und die Polizisten unseren ganzen Betrieb ohne Zeugen durchwühlt haben. Ein Anwalt wurde abgewiesen. Außerdem wurde im Nachhinein behauptet, wir hätten selbst auf einen Zeugen verzichtet. Das ist reine Erfindung. Hier hat sich wieder mal gezeigt, wie vorsichtig man sein muss und dass man auf gar keine Fall bei der Polizei etwas unterschreiben darf! Mitgenommen haben sie bei der Aktion insgesamt elf Computer, Druckvorlagen, Ordner, Buchhaltung und zahlreiche Unterlagen. Überall wurde das inkriminierte Flugblatt eingesammelt und aus der Broschüre die kritische Seite 22 herausgerissen.

Warum das? Was genau ist der Vorwurf gegen die linken Materialien?

Es heißt, sie würden "eine Mobilmachung" der linken Szene betreiben, eine merkwürdig militärische Ausdrucksweise. Und vor allem behauptet die Staatsanwaltschaft: "Ziel ist es, eine Vielzahl von Personen dazu zu bewegen, dass der Flughafen Rostock Lage am 5. Juni 2007 gestürmt wird. An diesem Tag sollen die Regierungschefs der Teilnehmerstaaten des G8-Gipfels mit dem Flugzeug dort ankommen. Durch die Erstürmung des Flughafens soll die Ankunft zumindest verzögert werden. Das Eindringen auf das Flughafengelände stellt einen Hausfriedensbruch dar. Dadurch, dass sich Personen auf die- Landebahnen begeben, wären die ankommenden Flugzeuge gehindert, zu landen. Dadurch wäre der Tatbestand der Nötigung erfüllt". Die Staatsanwaltschaft betätigt sich hellseherisch und sieht hier Dinge voraus, die überhaupt nicht in den Texten stehen. Thema war immer eine Flughafen-Blockade, nie aber eine "Erstürmung" von Gebäuden oder gar Landebahnen. Stürmen und blockieren sind doch grundverschiedene Dinge.

Ihr seid nicht presserechtlich verantwortlich für diese Texte, fungiert weder als Autoren noch Organisatoren. Was wird euch konkret vorgeworfen?

Es geht um "öffentliches Auffordern zu Straftaten" nach § 111 StGB. Durch Drucken, in unserem Fall, Verbreiten und Auslegen im Fall der Buchhandlung "Basis", des Kulturladens Westend und des Cafe Marat sollen wir nun angeblich zur Erstürmung des Flughafens auffordern. Auch ein Transportunternehmen und ein Buchbinder haben polizeilichen Besuch bekommen, obwohl sie die Materialien gar nicht in den Händen hatten.

Betroffen sind also hier Menschen aus linken Infrastrukturen, keine Anmelder oder direkten Teilnehmer an Aktionen. Wie bewertet ihr dieses Vorgehen politisch?

Kurz vor den anstehenden Protesten gegen die "Sicherheitskonferenz" wurde mal wieder die Keule ausgepackt und ein Anlass gesucht, Linke zu nerven und zu verfolgen: Dabei ist es diesmal ganz klar ein Angriff auf unsere Infrastrukturen, weil nicht nur die "direkte Szene", sondern auch diverse Lieferanten betroffen waren. Wir sehen es als Versuch, Menschen zu kriminalisieren, die für Linke arbeiten oder überhaupt irgendwie mit uns zu tun haben. Durch Repression sollen sie zur Zensur-Behörde gemacht werden und sich schon im Vorhinein immer fragen: Darf ich das drucken, auslegen oder verkaufen? Könnte das strafbar sein? Soll ich diese Linken überhaupt in meinen Laden" lassen? Sie wollen also eine Entsolidarisierung, eine Schere im Kopf. Dagegen müssen wir uns alle gemeinsam wehren.

Interessant ist, dass der Durchsuchungsbeschluss, mit dem ihr konfrontiert wart, gar nicht auf das Druckwerk ausgestellt war, sondern auf das Netzwerk München e.V. Das ist doch eine ganz andere Organisation?

Allerdings! Im Netzwerk sind selbstverwaltete Betriebe aus München zusammengeschlossen, um sich gegenseitig zu unterstützen und zu kooperieren. Das Druckwerk ist Mitglied, mehr nicht. Und natürlich haben nicht alle diese Betriebe etwas mit den Siko- und G8-Materialien zu tun. Als wir darauf hinwiesen, sagte der Staatsanwalt nur: "Ist mir doch egal, was Sie für Konstrukte haben. Wir gehen bei Ihnen sowieso rein". Presse rechtlich interessant fanden wir auch, dass eine Anzeige des Netzwerks in der Broschüre "In Bewegung bleiben" als Beweis für die inhaltliche Verantwortung gewertet wurde. Hier wurde eine klar gekennzeichnete Anzeige sozusagen zum Impressum gemacht. Auch dieses Vorgehen weist auf eine neue Qualität der Repression hin.

Wie sieht euer weiteres Vorgehen aus?
Wir halten die Maßnahmen für rechtswidrig, ebenso wie die Begründung haltlos ist, und haben Beschwerde eingelegt.

[Rote Hilfe 1.2007]

SIKO
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