2007-04-24
Auswertung und Schlussfolgerungen des Attac-Ratschlags vom Januar 2003
Die meisten TeilnehmerInnen haben den Attac-Ratschlag vom Januar 2003 in Göttingen wahrscheinlich mit einem lachenden und einem sorgenvollen Auge verlassen. Einerseits war der Ratschlag ein (wenn auch nicht ganz gelungener) Auftakt für die Kampagne gegen den drohenden Irak-Krieg und war die Debatte um das gemeinsame Papier von Attac, DGB und VENRO ein erfolgreiches Stück demokratischer Debatte und Entscheidungsfindung. Andererseits hat der Ratschlag offenbart, dass sich innerhalb des Attac-Netzwerks unterschiedliche Vorstellungen gegenüber stehen, deren Vereinbarkeit offen ist. Das polarisierende Verhalten der Mehrheit der Mitglieder des bundesweiten Koordinierungskreises (Ko-Kreis) während und nach dem Ratschlag lässt erwarten, dass der Göttinger Ratschlag nicht das Ende eines unglücklich entstandenen Konflikts markiert, sondern den Anfang einer tiefgreifenden politischen Debatte über wichtige Differenzen.
Das ATTAC/DGB/VENRO-Papier
Das Papier wurde inhaltlich von der großen Mehrheit der TeilnehmerInnen abgelehnt. Unterschiedliche KritikerInnen mögen unterschiedliche Gründe für ihre Ablehnung haben. Aber die einseitige Ausrichtung des Papiers auf eine Reform der neoliberalen Globalisierung, das Nicht-Infragestellen der kapitalistischen Institutionen, die Akzeptanz der kapitalistischen Marktwirtschaft, die Ignoranz der globalisierungskritischen Bewegung und die Orientierung auf Regierung und Staat zur Durchsetzung von Reformen haben wohl die meisten KritikerInnen dazu bewegt, dieses Papier abzulehnen.
Das undemokratische Vorgehen des Ko-Kreises bei der Unterzeichnung des Papiers wurde einhellig abgelehnt. Wie die taz schrieb, zeigten die RatschlagsteilnehmerInnen dem Ko-Kreis die gelbe Karte und sie forderten Transparenz und interne Demokratie.
Das Verständnis von Bündnispolitik, welches im Ko-Kreis dominiert, wurde in Frage gestellt. Bündnisse mit den Gewerkschaften wurden nicht abgelehnt, aber die einseitige Orientierung des Ko-Kreises auf die Gewerkschaftsspitze und die Bereitschaft eigene Inhalte aufzugeben und sogar wissentlich falsche Positionen zu unterschreiben wurde kritisiert und dem die Orientierung auf Aktionsbündnisse zu konkreten Fragen gegenüber gestellt.
Es wurde klar: hätte es eine demokratische Debatte über dieses Papier gegeben, wäre die Unterschrift niemals geleistet worden.
Die Unterschrift wurde nicht zurückgezogen, sondern ein Weg gefunden, mit dem eine inhaltliche Distanzierung von dem Papier bei Aufrechterhaltung der Unterschrift ermöglicht wurde. Viele stimmten nicht für eine Rücknahme der Unterschrift, obwohl sie das bevorzugt hätten. Diese Attac-Mitglieder hatten Sorgen, ein Zurückziehen der Unterschrift sei eine öffentliche Blamage, würde Attac als nicht ernsthaft erscheinen lassen und würde der Bündnisarbeit mit den Gewerkschaften nachhaltig schaden. Die faktischen Erpressungsversuche einiger Ko-Kreismitglieder („wenn wir die Unterschrift zurückziehen ist das Projekt Attac tot“; „wenn wir die Unterschrift zurückziehen könnte die DGB-Jugend aus Attac austreten“; „wenn wir die Unterschrift zurückziehen ruft der DGB möglicherweise nicht zu der Antikriegsdemo am 15.2. auf“) hatten das ihre dazu getan. Trotzdem stimmten ca. ein Viertel der TeilnehmerInnen für die Rücknahme der Unterschrift. Das wäre sicherlich die politisch deutlichere Lösung gewesen und sie hätte eine inhaltliche Diskussion bei den Bündnispartnern (also auch unter Gewerkschaftsmitgliedern) auslösen können. Die Zusatzerklärung wird logischerweise nur von Attac benutzt. Gewerkschaften und VENRO werden weiter wie gehabt mit der Erklärung arbeiten. Die mediale Aufmerksamkeit für das Papier gehört sowieso schon der Vergangenheit an. Die wenigsten GewerkschafterInnen, die mit dem Papier in Berührung kommen, werden über die wirkliche Attac-Position informiert werden. Es ist zu erwarten, dass der Ko-Kreis Papier und Zusatzerklärung in der Versenkung verschwinden lässt. Eine Rücknahme der Unterschrift hätte dem Ko-Kreis (oder dem Attac-Büro oder wer auch immer dafür verantwortlich ist) auch nicht die Möglichkeit gegeben die Realitäten so auf den Kopf zu stellen, wie auf der Website und in der ersten Fassung der Presseerklärung nach dem Ratschlag geschehen.
Dass die KritikerInnen den Vorschlag der Zusatzerklärung gemacht haben und alle (auch diejenigen, die für eine Rücknahme der Unterschrift waren) dem zugestimmt haben, zeigt die hohe Konstruktivität, die unter diesen Attac-Mitgliedern vorherrschte. Es gab eine große Bereitschaft auf den Ko-Kreis zuzugehen und diesem Brücken zu bauen. Leider haben die wenigsten Ko-Kreis-Mitglieder diese Brücken betreten.
Es gab von Seiten der KritikerInnen nur ein Versäumnis: wir hätten deutlicher machen müssen, dass die Forderung nach einem Rücktritt des Ko-Kreises bei Aufrechterhaltung der Unterschrift nicht mehr bestand. Die Haltung der Kölner VertreterInnen, dass sie den Antrag des Kölner Regionalplenums nicht zurückziehen konnten, ist zwar nachvollziehbar, aber wahrscheinlich wäre dem Kölner Plenum zu erklären gewesen, dass dies notwendig geworden war, um eine Zerreißprobe innerhalb Attacs zu vermeiden. Tatsächlich hat niemand - weder in der Debatte noch in den beiden Randtreffen der KritikerInnen - für einen Rücktritt des Ko-Kreises gesprochen. Die Versuche einiger Ko-Kreis-Mitglieder, die Debatte als „Machtkampf“ und „Inszenierung linker Gruppen“ darzustellen sind Unterstellungen, die nichts mit der Wahrheit zu tun haben.
Der Ko-Kreis hat sich bei diesem Ratschlag von der aktiven Mitgliedschaft isoliert. Er hat kein Vertrauen geschaffen, sondern Misstrauen verstärkt. Die einseitige und wahrheitsverdrehende Darstellung des Ratschlags auf der Website verstärken dies. Vielen TeilnehmerInnen wurde klar, dass die Mehrheit der Ko-Kreis-Mitglieder die inhaltliche Kritik nicht verstanden haben und es keine Garantie gibt, dass eine solche Prinzipienlosigkeit nicht wieder vorkommt. Nicht nur, dass sich verschiedene Ko-Kreis-Mitglieder bei der Bewertung der Bedeutung des Papiers widersprachen (für die einen war es eine zum Elefanten mutierte Mücke, für die anderen hing die Zukunft von Attac davon ab), die in der schriftlichen Stellungnahme des Ko-Kreises formulierte Position das Papier basiere auf dem Attac-Konsens wurde nicht mehr vertreten und zumindest ein Ko-Kreis-Mitglied betonte sogar, es handele sich um falsche Positionen, sah das aber nicht als Anlass ein solches Papier nicht zu unterschreiben. Kein Wunder, dass viele Ko-Kreis-Mitglieder bei den Abstimmungen einfach nicht mitstimmten.
Der tiefere Hintergrund
Die Auseinandersetzung um das Papier war kein Zufall und basierte nicht auf mangelnder Sensibilität des Ko-Kreises. Die Mitglieder des Ko-Kreises wurden nicht müde zu sagen, dass sie die Unterschrift nie geleistet hätten, wenn sie gewusst hätten, welche Reaktion das innerhalb von Attac hervorrufen würde. Damit geben sie indirekt zu, dass sie den Inhalt der Kritik nicht teilen und sich nicht haben überzeugen lassen, sondern nur dem Ärger gerne aus dem Weg gegangen wären.
Doch es stecken fundamental unterschiedliche politische Vorstellungen hinter dieser Auseinandersetzung. Attac hat sich von einem Bündnis einiger Nichtregierungsorganisationen zu einer Mitgliedsorganisation mit 11.000 Mitgliedern entwickelt. Während die Mehrheit des Ko-Kreises ein Politikkonzept verfolgt, was Attac als einen Lobbyverband für die NGO’s betrachtet, will die Mehrheit der in den Gruppen aktiven eine soziale Bewegung aufbauen, außerparlamentarischen Widerstand organisieren und tatsächlich eine andere Welt erkämpfen.
Dementsprechend haben sich die Positionen im Attac/DGB/VENRO-Papier am rechten Rand des Attac-Konsens bewegt. Dementsprechend haben viele KritikerInnen eine grundsätzlichere Kapitalismuskritik eingefordert.
Der Ko-Kreis hat auch in der Vergangenheit eher blockierend gewirkt, wenn es um Transparenz innerhalb von Attac ging. So wurde das Attac-Büro nach Frankfurt/Main verlegt und ein neuer Stab hauptamtlicher MitarbeiterInnen eingestellt ohne dass es darüber eine breite Debatte und Entscheidungsfindung beim Ratschlag gegeben hätte. Die hauptamtlichen MitarbeiterInnen sind nicht abwählbar und erhalten Gehälter, die deutlich über den Durchschnittslöhnen in der Bundesrepublik liegen. Gründungen von bundesweiten Arbeitsgruppen wurden behindert und verzögert, weil sie dem Ko-Kreis nicht in den Kram passten, kontroverse Debatten sollen im Ko-Kreis gehalten werden, die Protokolle der Ko-Kreis-Sitzungen wurden monatelang nicht öffentlich gemacht. Auch wenn die NGO-VertreterInnen immer wieder betonen, dass Attac keine Partei sein, scheint der Ko-Kreis wie ein Parteivorstand zu funktionieren.
Wie weiter?
Attac steht am Scheideweg. Eine Erneuerung von unten ist nötig, wenn das Projekt nicht scheitern soll. Dazu muss die Antikriegsbewegung genutzt werden. Diese wird tausende neue AktivistInnen hervorbringen, die für Attac zu gewinnen sind. Mit diesen Menschen kann Attac zu einer wirklichen sozialen Bewegung gemacht werden. Die wichtigste Aufgabe ist deshalb in den nächsten Wochen und Monaten die aktive Beteiligung am Widerstand gegen den Irak-Krieg.
Dieser Widerstand sollte die Verbindung zu anderen Folgen der kapitalistischen Globalisierung ziehen. Das heißt soziale Fragen, vor allem die der Privatisierung und der Zerschlagung der sozialen Sicherungssysteme, müssen aufgegriffen werden – und zwar nicht in abstrakter Weise, sondern in Form von lokal organisiertem Widerstand gegen Sozialabbau und Privatisierungen.
Die inhaltliche Debatten müssen forciert werden. Der Ratschlag hat die Diskussion über den Charakter einer neuen Weltwirtschaftsordnung eröffnet. Das beinhaltet Debatten über eine Analyse der kapitalistischen Globalisierung, sowie über gesellschaftliche Alternativen. Diese Diskussion muss auf allen Ebenen geführt werden und Attac so politisiert werden. Dazu sollte auch die Sommerakademie genutzt werden, vor allem aber die lokalen Treffen und Veranstaltungen.
Die Frage der Bündnisarbeit muss von unten beantwortet werden – durch lokale und überregionale Bündnisse für gemeinsame Aktionen gegen Krieg, gegen Hartz und gegen Privatisierungen.
Die örtlichen Attac-Gruppen und der Rat müssen dem Ko-Kreis auf die Finger schauen, regelmäßige Rechenschaftslegung einfordern und eingreifen, wenn die Verselbständigungstendenzen weitergehen.
Die Diskussion über die Strukturen und das Funktionieren von Attac ist nicht von der Diskussion über die inhaltliche Ausrichtung zu trennen. Beides sind zwei Seiten derselben Medaille. Dabei sollte der Kampf für tatsächliche Autonomie der Arbeitsgruppen (das bedeutet, dass Arbeitsgruppen mit ihren eigenen Inhalten nach Außen treten dürfen, solange sie nicht in einem eklatanten Widerspruch zum Attac-Konsens stehen) geführt werden. Außerdem ist es sinnvoll das Konsensprinzip in Frage zu stellen und einen Weg zu finden, dieses zu lockern. Konsensorientierte Debatte sind sinnvoll und richtig, aber die starre Anwendung eines Konsensprinzips, das auf 90-prozentiger Zustimmung zu allen Fragen basiert, wird früher oder später die Arbeit und Weiterentwicklung von Attac lähmen und blockieren – spätestens wenn die Bundeswehr an einem als humanitären Einsatz kaschierten Krieg teilnehmen wird und Attac-Mitglieder wie Sven Giegoldt ihre Ankündigungen wahr machen dies zu unterstützen. Mehrheitsentscheidungen mit zwei Drittel- oder drei Viertel-Mehrheit würden sicher stellen, dass keine große Minderheit übergangen werden kann, aber einer großen Mehrheit ermöglichen, Attac zu gestalten.
Beim nächsten Ratschlag sollten personelle Veränderungen im Ko-Kreis angestrebt werden. Die derzeitigen Ko-Kreis-Mitglieder haben das Vertrauen der Mitgliedschaft weitgehend verloren. Der Ko-Kreis braucht eine stärkere Vertretung aus den örtlichen Gruppen und weniger NGO-Profis.
Die Rolle der SAV und der Linken bei Attac
SAV-Mitglieder haben engagiert an der Debatte um das Attac/DGB/VENRO-Papier teilgenommen. Attac Köln und Attac Hamburg haben jeweils ein SAV-Mitglied ausgewählt, um beim Ratschlag ihre Anträge zu dieser Frage zu begründen. SAV-Mitglieder beteiligen sich konstruktiv und solidarisch an den Debatten und Aktivitäten bei Attac. Wir haben immer erklärt, dass wir eine radikalere und antikapitalistische Ausrichtung für Attac vorschlagen, aber kein sozialistisches Programm (weil dieses zur Zeit die Breite von Attac sprengen würde). Wir sind uns der Sensibilitäten gegenüber Organisationen und Parteien in der Attac-Mitgliedschaft bewusst, wir verteidigen den Pluralismus bei Attac und lehnen jegliche Versuche von politische Gruppen Attac oder bestimmte Attac AG’s mit undemokratischen Mitteln zu dominieren ab.
Nach dem Ratschlag haben auch einzelne KritikerInnen des Papiers das Vorgehen der SAV kritisiert und behauptet, wir hätten die Diskussion dominiert, wir würden Attac ein sozialistisches Programm aufdrücken wollen und hätten ein instrumentelles Verhältnis zu Attac. Diese Vorwürfe weisen wir zurück. Die Beteiligung von SAV-Mitgliedern an der Diskussion über das Papier hat die Rolle ausgedrückt, die diese Personen in der Debatte vor Ort gespielt haben. Nirgendwo haben wir Attac vorgeschlagen ein sozialistisches Programm anzunehmen geschweige denn versucht, dieses aufzudrücken. Ein instrumentelles Verhältnis zu Attac haben wir nur insofern, als Attac ein Instrument zum Aufbau einer starken sozialen Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung ist (genauso wie die SAV nur ein Instrument zur Erreichung einer sozialistischen Gesellschaft ist). Das gilt aber hoffentlich für alle Attac-Aktiven, denn Attac ist kein Zweck, sondern ein Mittel. Die andere, die solidarische Welt ist der Zweck. Es ist gerade das Verhalten des Ko-Kreises, das darauf schließen lässt, dass dort einige zu der Überzeugung gelangt sind, Attac sei ein Selbstzweck.
Die linken KritikerInnen bei Attac sollten eine offene und transparente Diskussion über ihre Aufgaben und ihre Rolle bei Attac beginnen. Eine solche Diskussion könnte zu Koordination und Zusammenarbeit führen, die einen wichtigen Beitrag zur Demokratisierung von Attac leisten könnten.
Claus Ludwig, Attac Ko-Kreis Köln und SAV
Lucy Redler, Ko-Kreis Attac Hochschulgruppe Hamburg und SAV
Sascha Stanicic, Attac AG gegen den Krieg Berlin und SAV
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