2007-04-18
Jungle World Nummer 16 vom 18. April 2007
Die Erfahrungen mit kritischen Interventionen in die globalisierungskritische Bewegung sind ernüchternd. Diese zeigt sich erschreckend resistent gegen jede Erkenntnis. von knut knaster
Es gibt ein Plakat zu den Protesten in Heiligendamm, auf dem unter der Parole »Gute Nacht, G 8« klein gedruckt steht: »we are winning«. Zwar war dieser Spruch schon im Jahr 1999 übertrieben, als er in Seattle an eine Wand gesprüht wurde und von dort aus um die Welt ging. Aber der Aufbruch von Seattle weckte tatsächlich die Hoffnung, dass nach dem Bankrott alter linker Konzepte ein neuer, globaler Anfang möglich sein würde.
In der globalen Vernetzung gegen die Institutionen von Welthandel, Multis und Machthabern schien die Via Regia der Zukunft zu liegen. Das war einmal. Heute mutet das trotzige Vertrauen darauf, dass man gewinnen werde, eher komisch an und erinnert an Adornos Kritik der »Pseudo-Aktivität«, die dieser für eine Praxis hielt, »die sich um so wichtiger nimmt und um so emsiger gegen Theorie und Erkenntnis abdichtet, je mehr sie den Kontakt mit dem Objekt und den Sinn für Proportionen verliert«.
»Am Anfang stand Genua«, war Sandro Mezzadras Beitrag betitelt (Jungle World, 7/07). In Wirklichkeit war Genua das Ende. Dort fand zum letzten Mal etwas statt, das neu und unkontrollierbar war und das man eine Demonstration politischer Macht nennen konnte. Weit mehr Menschen als erwartet kamen aus verschiedenen Ländern und gesellschaftlichen Bereichen zusammen, versammelten sich ohne zentrale Organisation und schafften es, die Regierenden symbolisch in die Enge zu treiben. Es war eine Macht im Sinne Rosa Luxemburgs und Hannah Arendts; eine Macht, die nicht aus den Gewehrläufen kam, sondern der spontanen Assoziation und dem gemeinsamen Handeln entsprang.
Zugleich wurde klar, dass nichts mehr so sein würde wie zuvor. Denn der Staat hatte alle Gipfelsturmromantik jäh beendet, als er zeigte, dass, wenn man die Frage nach dem Ausnahmezustand ernsthaft stellt, er nicht zögert, sie für sich zu entscheiden. Der Mord an Carlo Giuliani und die schweren Auseinandersetzungen zerstörten bei jedem, der zur Erfahrung fähig war, das bis dahin alles beflügelnde Gefühl, das Richtige und Gute zu tun. »Die Leichtigkeit und das Glück, Kommunist zu sein« (Negri / Hardt), starben mit Carlo Giuliani auf der Piazza Alimonda.
Hätte die Bewegung, anstatt Carlo als Märtyrer zu beweinen und danach zur Tagesordnung überzugehen, innegehalten, um nachzudenken – über Gewalt und das leibliche Individuum in der Auseinandersetzung um die gesellschaftlichen Verhältnisse –, hätte sie vielleicht wenig später, nämlich am 11. September, die Unterschiede zwischen Emanzipation und Barbarei erkennen können. Stattdessen ließ so mancher Linksradikale klammheimlich die Sektkorken knallen.
Was es für die eigene Strategie bedeutet, wenn auf einmal faschistische Attentäter die Kritik des globalen Finanzkapitals in die Hand nehmen, indem sie möglichst viele Menschen umbringen, vermochte nur wenige zu interessieren oder gar zu Selbstkritik zu bewegen. Geschweige denn zu der Einsicht, dass alle vermeintlichen Alternativen zur US-amerikanischen Hegemonie gegenwärtig nur Schlimmeres bedeuten. Lieber rationalisierte man die Gewalt der Islamisten als Reaktion auf amerikanische »Ausbeutung« und pflegte im Protest gegen die »Operation Enduring Freedom« sein Gewissen. Diese Ignoranz wiederholte sich im Jahr darauf, als Europa die schlimmsten antisemitischen Gewalttaten seit der Nazi-Zeit erlebte. Und bis heute haben selbst die wenigen Globalisierungskritiker, die inzwischen für dieses Thema sensibilisiert sind, nicht wirklich verstanden, dass es bei der Kritik des Antisemitismus um eine objektive Erkenntnis der Gesellschaft geht und nicht nur darum, die subjektive Kritik politisch korrekt vorzutragen.
Mit 9 / 11 ging die Ära zu Ende, in der die globalisierungskritische Bewegung als politischer Akteur bezeichnet werden konnte. Seither führt sie ein politisches Schattendasein und reagiert bloß noch, eingeklemmt in einem Konflikt, den zu begreifen ihr jeder Begriff fehlt. Offensichtlich wurde dies im Jahr 2005 in Großbritannien, als während des G8-Gipfels islamistische Attentäter in London 56 Menschen ermordeten. Der Terror, der darauf zielt, Menschen den Status politischer Subjekte zu nehmen, sie durch Angst zu lähmen und noch die Hoffnung darauf, dass die Welt mehr sein könnte als Tod und Opfer, praktisch zu widerlegen, zerstörte en passant jeden mühsam eroberten politischen Raum, in dem eine widerständige Bewegung sich hätte artikulieren können.
Das für die Zeit von Seattle bis Genua so charakteristische Gefühl, sich in der Offensive zu befinden, konnte nur noch aufrechterhalten werden, indem man entweder kurzerhand alle Widersprüche verdrängte und sich mit dem Jihad identifizierte, wie etwa der Soziologe Walden Bello, oder indem man sich gegen die reale Welt immunisierte und sich in eine Endlosschleife reiner Politiksimulation begab. Dadurch aber »hat sich der Wahn in derselben Position wiederhergestellt, die ihn zu bekämpfen beansprucht« (Guy Debord).
Seinen Höhepunkt fand dieses Spektakel in den Aufrufen zum Protest gegen den Irak-Krieg. Das Peinliche daran war vor allem der Gestus, mit dem man sich zu einem bedeutenden Faktor der Geschichte hochzuspielen versuchte. Um sich die eigene Orientierungslosigkeit nicht einzugestehen, musste man immer lauter schreien und sich selber einreden, dies sei der archimedische Punkt, an dem man die Verhältnisse endlich aus den Angeln heben könnte; gerade so, als könne man den Krieg im Irak aus der Globalisierung dergestalt ableiten wie Lenin seinerzeit den Ersten Weltkrieg durch das Zählen von Eisenbahnschienen. Die ganze Sache endete damit, dass man den gegenhegemonialen Bestrebungen von Old Europe eine zivilgesellschaftliche Form verlieh.
In der Kampagne anlässlich der luxemburgischen EU-Präsidentschaft im Jahr 2005, an der wir, die Gruppe lif: t, als Teil des »Rise-Bündnisses« beteiligt waren, wurden einige dieser Probleme angesprochen. Sicher nicht alle, und vieles zu zaghaft. In der Hoffnung, dort Resonanz zu finden, wollten wir »kritisch-solidarisch« in die Bewegung intervenieren. Dabei lagen uns zwei Themen am Herzen: zum einen, die Fixierung auf die großen Gipfeltreffen zu lösen, um stattdessen im Alltag »das Bewusstsein der Begierde und die Begierde des Bewusstseins« (Debord) zu wecken, den alltäglichen, strukturellen Charakter kapitalistischer Vergesellschaftung, der eben nicht auf das politische Personal beschränkt ist, in den Blick zu bekommen. Zum zweiten ging es uns darum, die Formierung von Old Europe zum weltpolitischen Gegenhegemon und die dazugehörigen identitären Diskurse zu kritisieren – eine Entwicklung also, die beispielsweise Toni Negri ausdrücklich begrüßte und forderte.
Heute muss man feststellen, dass keines dieser hehren Ziele erreicht werden konnte. Die »Intervention« gelang nicht. Die Bewegung zeigte sich in weiten Teilen völlig unfähig, Erfahrungen zu machen und selbstkritisch zu verarbeiten. Einen diesbezüglichen »Grund zum Optimismus«, wie ihn John Doe in der Jungle World (9/07) ausmacht, können wir nicht mehr sehen.
In den Aufrufen zum Protest in Heiligendamm kapriziert man sich wieder gänzlich auf das Spektakel des Gipfeltreffens, zumal mit George W. Bush das beliebteste Feindbild an Ort und Stelle sein wird. Austausch und Diskussion, die allerorts beschworen werden, sind längst schon so schal, dass sie nur der Selbstbestätigung dienen: »Sie reden einfach zum Fenster hinaus, der Publizität zuliebe, deren Gefangene sie sind« (Adorno). Das immer wieder, auch in dieser Reihe, vorgetragene Argument, die Globalisierungskritiker seien derart heterogen, dass man von »der« Bewegung nicht sprechen könne, ist nicht mehr wahr. In ihrer Vorhersehbarkeit und ritualisierten Abstumpfung sind die einzelnen Fraktionen in die Totalität einer verdinglichten Welt längst sauber eingefasst.
Es weist darin heute nichts über die gesellschaftliche Synthesis hinaus; man belügt sich selbst, wenn man diese Annahme hartnäckig aufrechterhält. Es ist folgerichtig, dass am Ende einzig der existenzialistische Appell bleibt, man müsse am Gestus des revolutionären Seins gerade angesichts der Erfolglosigkeit festhalten. »Brecht sagte einmal (…) ihn interessiere, wenn er ganz ehrlich mit sich sei (…) das Theater mehr als die Veränderung der Welt. Solches Bewusstsein wäre das beste Korrektiv eines Theaters, das heute mit der Realität sich verwechselt« (Adorno).
In den Aufrufen zum Protest in Heiligendamm wiederholt sich arbeitsteilig die historische Tragödie noch einmal, und zwar als Komödie. Ihr Vorbild im Jahr 2007 ist nicht mehr der halbwegs korrekte Sub aus Chiapas, sondern der zugekokste venezolanische Präsident, den man als Komödianten noch schätzen könnte, wenn er nicht zugleich einer Bande den Holocaust leugnender Irrer beim Erwerb von Massenvernichtungswaffen helfen würde.
Das libertäre Netzwerk »dissent!« entblödet sich nicht, auf seiner Homepage einen Aufruf zu veröffentlichen, in dem der Stacheldraht rund um das G 8-Hotel mit dem israelischen Sicherheitszaun gleichgesetzt wird. Die »Koordinationsstelle Kirche & G 8« ruft derweil zur Lichterkette auf, dazwischen wuseln geschäftig die Autonomen im Clinch mit der Polizei, während Attac zum »lustig-kreativen Song- & Slogancontest« einlädt. So »wird der allgemeine Konfusionismus nachgestaltet; nur noch graduell vom Hantieren des Heimwerkers zu unterscheiden, der sich nach Feierabend mürrisch in seinen Hobbykeller zurückzieht, um dort Dinge zu basteln, die im Baumarkt nicht nur in besserer Qualität, sondern auch billiger zu erstehen sind« (Jan Gerber).
Die wenigen Inhalte, die der Sache nach noch richtig sind, führen sich durch das Mitmachen im Spektakel selber ad absurdum. In einer Bewegung, deren maßgeblicher Teil sich längst in eine strategische und geistige Sackgasse manövriert hat, hilft der Verweis auf die gute Absicht des Restes auch nicht mehr weiter.
Knut Knaster ist Mitglied der Gruppe lif:t aus dem Umfeld des Infoladens Trier.
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