2007-04-16 

BEWEISSICHERUNGS- UND FESTNAHMEEINHEIT

Auszug aus der Broschüre “Repression und Widerstand”, Anti-Repressions-Veranstaltungsgruppe, Frühjahr 2007

LBP 941/942 – DIE HAMBURGER BEWEISSICHERUNGS- UND FESTNAHMEEINHEIT

Seit 1990 existiert in Hamburg eine “Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit” (BFE), die der Bereitschaftspolizei zugeordnet ist. Sie ist der 4.Hundertschaft angeschlossen und bildet dort den 1. und 2. Zug, woraus sich die Kennung 941 bzw. 942 ergibt. Die Gründung der BFE-Einheit geht auf die polizeilichen Erfahrungen mit (Groß-)Demonstrationen zurück, bei denen es den ein gesetzten Kräften der Bereitschaftspolizei nur selten gelang, nach Aktionen, die aus Demos herausliefen, am Ende der Öffentlichkeit Festnahmen präsentieren zu können. Die Polizei stand vor dem Problem, dass die geschlossenen Einheiten der Bereitschaftspolizei zu unflexibel und zu wenig geschult waren, um gerichtsverwertbare Ergebnisse zu produzieren.

In der Praxis lief das für die Polizei meist so ab: im Rahmen einer größeren Demo mit etlichen tausend TeilnehmerInnen und einem großen “schwarzen” Block wurden irgendwelche Scheiben entglast; einige Bereitschaftspolizisten meinen, Leute dabei erkannt zu haben – das meldet der Gruppenführer dem Zugführer, der reicht es an den Hundertschaftsführer weiter. Letzterer muss dann mit der Einsatzleitung Rücksprache halten, ob es einsatztaktisch gerade opportun ist, vermeintliche TäterInnen abzugreifen. Das Ende des polizeilichen Funkkonzerts war oft, dass bis auf weiteres Maßnahmen zu unterlassen waren. Sollten in einer “günstigeren” Situation doch noch Festnahmen gelingen, waren die Ergebnisse am Ende nicht wesentlich effektiver, denn die Aussagen der Bereitschaftspolizisten und deren Zeugenberichte sowie die Frage der sicheren Wiedererkennung waren meistens schlecht.

Um diesen aus polizeilicher Sicht Missstand zu beenden, wurden bundesweit Überlegungen zur Schaffung von Spezialeinheiten angestellt, die für mehr Effektivität bei der Festnahme sorgen und vor allem die spätere Verurteilung von “gewalttätigen Störern” sicherstellen sollen.

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In Hamburg wurde zu diesem Zweck besagte BFE-Einheit aufgebaut, ihre ersten Einsätze hatte diese Einheit Anfang 1991 während der damaligen Golfkriegsdemos. Ein Teil der BFE-BeamtInnen ging in der Demo in Zivil, d.h. in szenetypischem Aussehen mit. Ausgerüstet mit verdeckt getragenen Funkgeräten hielten sich die BeamtInnen im der Nähe von Zusammenhängen/Gruppen auf. die im Rahmen einer Vorfeldaufklärung als “potentielle Störer” erkannt wurden. Außerhalb wird die Demo von weiteren Aufklärungskräften begleitet. die zusätzlich mit Foto- bzw. Videokameras ausgerüstet sind, und deren Aufgabe es ist, mögliche Aktionen und vor allem die dar an Beteiligten abzufilmen. Weiterhin halten sich mit entsprechenden Dokumentationsmöglichkeiten BFE-BeamtInnen an Örtlichkeiten auf, an denen aus polizeilicher Sicht u.U. Aktionen laufen könnten (Banken, Konzernfilialen, Behörden u.ä.). Diese Orte im Zusammenhang mit einer Demo werden nach einem Raster von “Bezugs-, Symbol-, Ausweich- und Ersatzobjekten” bestimmt. Die Observationskräfte beobachten und begleiten die Demo, sie sind geschult. sogenanntes “Tat- und Täterverhalten” frühzeitig zu erkennen, um es entsprechend beobachten und dokumentieren zu können. Da die BFE-Einheit eigenständig und flexibel im Demogeschehen agieren kann, hat sie die Möglichkeit, immer an Kleingruppen dranzubleiben, die sich z.B. kurzfristig von der Demo lösen. Sollte tatsächlich etwas vor den Augen oder den Linsen der BFE passiert sein. Was eine Festnahme rechtfertigt, ist es ganz in das Ermessen der Einheit gestellt, wann dies läuft. Grundsätzlich wird die Einheit bestrebt sein, nach Beendigung der Demo zuzugreifen. Dazu werden vermeintliche TäterInnen lückenlos observiert, die BFE-Einheit entscheidet dabei selbständig, auf wen sie sich konzentriert, da es ihnen nicht auf viele Festnahmen, sondern auf Festnahmen ankommt. bei denen sie glauben, gerichtsfeste Beweise zu haben. Erfahrungsgemäß ist nach der Auflösung einer Demo die Zugriffsmöglichkeit für die BFE-Einheit sehr günstig: weil eben alle glauben, jetzt “sei es vorbei”, ist die Aufmerksamkeit für polizeiliche Aktivitäten gering. Zudem bieten versprengte Gruppen auf dem Nachhauseweg kaum Schutz gegen eine Festnahmeaktion. Und schließlich kommt hinzu, dass eine Festnahme erst Tage oder Wochen nach der eigentlichen Demo laufen kann, da die BFE-Einheit ihre Observationen über den eigentlichen Tag einer Demo im Bedarfsfall ausdehnt. Ist sich die Einheit z.B. sicher, dass sich eine Person, die sie im Zusammenhang mit einer Straftat festnehmen will, im Floraumfeld aufhält, wird sie diesen Bereich entsprechend auch Tage nach einer Demo observieren, um zu einer Festnahme zu kommen.

Die Festnahmen erfolgen in der Regel durch die uniformierten Kräfte der BFE, die ziemlich martialisch aussehen, da sie gut gepanzert sind – sie tragen keine Schutzschi1der und sind in der Regel wegen des nicht unbeträchtlichen Anteils von Observationen im Rahmen ihrer Einsatztätigkeit oft vermummt (und werden deswegen oft mit dem MEK verwechselt). Nach der Festnahme läuft ein genau entwickeltes Szenario der Beweissicherung ab. Es wurde in Zusammenarbeit mit StaatsanwältInnen und polizeilichen Rechtsexperten in Schulungen entwickelt und soll sicherstellen, dass die BFE-BeamtInnen später in einem Gerichts verfahren eindeutige “Beweise” präsentieren können. Ebenso werden sie auf die Befragung durch AnwältInnen der Beschuldigten vorbereitet, um sich nicht verunsichern zu lassen. Alles in allem soll am Ende eine Verurteilung stehen.

Es gibt gute Chancen, sich dem Zugriff von “beweissichernden” Festnahmeeinheiten zu entziehen. Grundsätzlich muss man dabei auf zwei wesentliche Aspekte achten:
dem der individuellen Identifizierbarkeit und dem der räumlichen Identifizierbarkeit.

Mit der individuellen Identifizierbarkeit ist die Wiedererkennung von Personen gemeint, die z.B. trotz Vermummung noch während einer Aktion oder aber durch Auswertung von Filmmaterial danach durch die Polizei / Staatsanwaltschaft identifiziert werden können. Dazu muss man sich im Wortsinne vor Augen führen, dass eine Vermummung zwar meist das Gesicht verdeckt, aber eine Wiedererkennung anhand anderer körperlicher oder kleidungsbezogener Auffälligkeiten trotzdem möglich ist. Für PolizistInnen bedeutet das, sich auf andere Merkmale zu konzentrieren: dazu gehören z.B. die Schuhe, markante Armbänder, Uhren, Schmuck oder auffällige Gürtel. “Dankbar” ist die Polizei denjenigen Menschen, die zwar ihr Gesicht gewissenhaft verbergen, aber die ganze Zeit eine (markante) Umhängetasche mit sich schleppen oder (auffällige) Aufnäher /Flicken an ihrer Kleidung/ Jacke tragen. Auch beim Anlegen und beim Ablegen der Vermummung muss darauf geachtet werden, dass dies nicht unter den Augen der Polizei geschieht. Schließlich wertet die Polizei mittlerweile Demoaufzeichnungen computergestützt aus und macht sich dabei die Erkenntnisse der Biometrik (“Lehre von der Körpermessung”) zunutze. Der Abstand der Augen zueinander ist beispielsweise ein ähnlich einzigartiges körperliches Merk mal wie ein Fingerabdruck, d.h., wer eine Motorradhaube trägt, kann trotzdem auf Fotos oder Videoaufnahmen und der Hinzuziehung von Vergleichsaufnahmen im Nachhinein über die sichtbare Augenpartie identifiziert werden. In diesem Zusammenhang ist BrillenträgerInnen besondere Sorgfalt bei der Vermummung nahe zu legen, denn hier ist der Einsatz computergestützter Identifizierung fast überflüssig. Der zweite wesentliche Aspekt des Schutzes vor Festnahmeeinheiten besteht in der Beachtung der “räumlichen Identifizierung”. Wenn z.B. immer aus bestimmten Ketten während einer Demo Sprühereien oder Plakatieraktionen laufen, vereinfacht das die Arbeit einer Festnahmeeinheit erheblich, weil sie weiß, auf welchen Ketten der Demo sie ihr Hauptaugenmerk zu richten hat. Insbesondere die Aufteilung in Demoblöcke vereinfacht manchmal für die Polizei das Festnahmegeschäft, weil sie ihre Zielpersonen einfacher “wieder finden” können. Deswegen müssen sich z.B. Menschen mit Aufgaben wie Lautsprecherschutz, “1. Ketten” mit besonderer Vorsicht bewegen. Der Gefahr der Kriminalisierung setzt sich aus, wer zwar nach allen Regeln der Kunst vermummt ist, sich aber die ganze Zeit mit unvermummten und gar noch markant-auffällig gekleideten Personen bewegt und am besten noch mit ihnen zusammen nach Ende der Demo/Aktion selbst unvermummt den Heimweg antritt.

Gleichfalls ungünstig ist die Variante, wenn z.B. zwei auffällig unterschiedlich große Menschen zuerst zusammen vermummt unterwegs sind und dann gemeinsam unvermummt den Ort von Geschehnissen verlassen. Und leider muss es an dieser Stelle geschrieben werden: wer sich unvermummt mit kriminalisierbaren Aktivitäten hervortut, macht es einer Festnahmeeinheit “sträflich” leicht, zuzugreifen, soweit es ihres Einsatzes überhaupt noch bedarf. Zusammengefasst kann gesagt werden: BeamtInnen der BFE-Einheiten u.a. auf auffällige farbliche Elemente an Kleidungsstücken. Aufnäher, auffälliges Schuhwerk mit z.B. auffälligen Schnürsenkel. Weiterhin sind die beobachtenden BFE-BeamtInnen darauf geschult, zu achten wer in einer Demo aktiv wird. Also reihen sich AktivistInnen oftmals bewusst an einer anderen Stelle in der Demo wieder ein nach Aktionen und achten darauf, dass das für observierende Polizeikräfte nicht allzu offensichtlich ist. Schließlich verändern manche nach dem Ablegen der Vermummung andere äußere Erscheinungsmerkmale (zwei Jacken übereinander tragen, dunkel gegen hell unauffällig tauschen u.ä.).

Ausgeweitet hat sich die Praxis der Festnahmeeinheit, Tage bzw. Wochen später Menschen auf Demos für zurückliegende Aktionen festzunehmen. Eine Rolle spielt dabei, dass andere Dokumentationseinheiten der Bereitschaftspolizei Filmmaterial erstellen, das im Nachhinein systematisch ausgewertet wird und der BFE zur Verfügung gestellt wird. Sollte mensch durch eine Festnahmeeinheit abgegriffen werden, gilt selbstverständlich: keine Aussagen, Erklärungen, Schutzbehauptungen, Ausflüchte, auch wenn die Festnahmesituation vermeintlich eindeutig zu sein scheint.

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