2007-04-13 

Stellungnahme einiger Attac-KoKreismitglieder zur Debatte um Aktionsformen

Berlin, Weyhe, Hamburg, Verden, den 12. April 2007

Liebe Freundinnen und Freunde!

In den letzten Tagen gab es einige Stellungnahmen, in denen Attac scharf kritisiert und das Verhältnis zu bestimmten Aktionsformen thematisiert wurde. Anlass waren leider auch vereinzelte Äußerungen von Attac-RepräsentantInnen. in denen MitstreiterInnen mit anderen Meinungen als „stockdumm“ oder „irrational“ bezeichnet wurden.

Als Mitglieder des bundesweiten Koordinierungskreises sind wir daran beteiligt, Positionen festzulegen, die Attac im G8-Bündnisprozess vertritt. In unserem Netzwerk existieren zur sog. Gewaltfrage sehr unterschiedliche Meinungen. In diesem Papier geben wir daher nur unsere persönliche Sichtweise wieder. Dabei geht es uns vor allem darum, auf einige Punkte hinzuweisen, die unserer Ansicht nach in der bisherigen Diskussion zu kurz gekommen sind. Wir hoffen, damit einen Beitrag zu leisten, die Gründe für die Positionierung des Attac-Koordinierungskreises in dieser Frage transparenter zu machen und zu einer konstruktiven Auseinandersetzung beizutragen. Dabei warnen auch wir vor einer isoliert geführten Gewaltdebatte. Fruchtbar kann ein solcher Meinungsaustausch nur sein, wenn das Thema eingebettet ist in eine weiterführende Diskussion um Strategien, wie wir politische Veränderungen erreichen können. Über die in diesem Papier angesprochenen Fragen wollen wir mit Euch im Rahmen der Konferenz Rostock III sprechen.

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Verfolgt man die Debatte und die Vorwürfe, die uns von anderen gemacht werden, erinnern sie stark an die Auseinandersetzung, die es in Attac bereits nach den Ereignissen von Göteborg gab. Vieles, was damals von einzelnen in Attac gesagt wurde, taucht auch heute wieder auf, teilweise vorgetragen von den gleichen Personen . Auch wenn wir selbst damals noch nicht alle im Koordinierungskreis mitgearbeitet haben, halten wir nach wie vor die vom damaligen Koordinierungskreis herausgegebene Erklärung für lesenswert und aktuell. Darin wurde u.a. klipp und klar als Position formuliert:
„ATTAC ist der Meinung, dass gesellschaftliche Veränderungen durch die Köpfe der Menschen gehen müssen. Ohne die Emanzipation von ideologischer Bevormundung wird es keine Veränderung geben. Veränderung kann deshalb auch nur demokratisch, d.h. durch die Teilnahme vieler Menschen an gesellschaftlicher Bewegung erreicht werden. Anders funktioniert sie nicht. An diesem demokratischen Imperativ orientieren sich auch die Aktionsformen von ATTAC. Aktionsformen, die diesem Ziel widersprechen und zur politischen Isolierung und moralischen Diskreditierung der Bewegung führen, lehnen wir ab. Daraus ergibt sich, dass unsere Aktionsformen friedlich und frei von physischer Gewaltanwendung sind. Das schließt Aktionen zivilen Ungehorsams, wie Blockaden und begrenzte Regelverletzungen nicht aus.“

ALB wirft uns in einem offenen Brief vor, dem sich mittlerweile auch die Gruppe Avanti angeschlossen hat , „zu glauben, durch die Beschwörung der eigenen Harmlosigkeit sich ‚politikfähig’ machen zu können, und so um ein Plätzchen am runden Tisch der Mächtigen zu betteln.“ Die Gipfel-Soli-Infogruppe und das Anti-G8-Plenum Greifswald schließen sich dem sinngemäß an, indem sie schreiben „Wir glauben nicht, dass die AktivistInnen sich nach Demonstrationen und Camps in Genua und Evian für Attac entschieden hatten, weil der Koordinierungskreis gute Kontakte zu Politikern unterhält oder professionelle Pressearbeit betreibt.“ Diese Darstellung ist ein Zerrbild von Attac bzw. des Koordinierungskreises, das wir zurückweisen. Attac macht sehr wenig Lobbyarbeit, weil wir skeptisch sind, ob sich damit derzeit der notwendige Bruch mit der neoliberalen Globalisierung erreichen lässt. Wir konzentrieren uns vielmehr auf Bildungsarbeit und politische Kampagnen.

Zur Frage von Militanz hat Jochen Stay in einer E-Mail im Zusammenhang mit „brennenden Heuballen“, die NoLager aus Bremen gerne zu „mahnenden Rauchzeichen gegen Hunger und Armut“ erklären würde „oder aber - sollte dies nicht möglich sein“ uns rät, „sich auf die Kommentierung eigener Aktionen zu konzentrieren bzw. ganz zu schweigen“ bereits wichtiges angemerkt: „Die Sinnhaftigkeit eines brennenden Strohballens bemisst sich nicht darin, wie viele Kinder in der Welt an Hunger sterben, sondern darin, wie viele Hungertote damit politisch verhindert werden können.“ Wir können in den Aktionen, von denen sich unser KoKreis-Kollege Pedram Shahyar auf Nachfrage im Namen von Attac in einem Interview mit der taz öffentlich distanziert hat, keine Sinnhaftigkeit erkennen.

Im Gegenteil halten wir sie für das von uns angestrebte Ziel einer breiten Mobilisierung für kontraproduktiv und schädlich. In vielen Gespräch und öffentlichen Veranstaltungen von Attac und BündnispartnerInnen haben wir immer wieder erfahren, dass die Aussicht auf Sachbeschädigungen und Krawall viele Menschen abschrecken, mit uns auf die Straße zu gehen. Wir finden es auch abwegig, aus Widerstandsaktionen in Diktaturen der „Dritten Welt“ Schlussfolgerungen für Aktionsformen in Deutschland zu ziehen.

Wir glauben zudem, dass die in der Debatte von einigen vertretene Bewertung der Ereignisse von Göteborg und Genua falsch ist. Unsere Wahrnehmung ist, dass die globalisierungskritische Bewegung in Schweden nach den Ereignissen von Göteborg in eine tiefe Krise geriet, weil die Ursache für die dort zu Tage getretene Gewalt in den Augen einer breiten Öffentlichkeit den Protestierenden zugeschrieben wurde. Daran änderte sich leider auch später nichts, als selbst von schwedischen Behörden durchgeführte Untersuchungen immer mehr bestätigten, dass es vor allem die sog. Sicherheitskräfte waren, die mit unverhältnismäßiger Gewalt gegen Protestierende vorgingen, darunter auch mit Schüssen, die einige Protestierende zum Teil schwer verletzten.

Auch uns ist klar, und da sind die Ereignisse von Göteborg und Genua nur zwei Beispiele von vielen, dass es naiv wäre, darauf zu vertrauen, dass staatliche Strukturen immer demokratische Grundrechte respektieren oder sich an getroffene Vereinbarungen halten. Der entscheidende Unterschied zwischen den Ereignissen in Göteborg und Genua, der den nach Genua sich abermals verstärkenden Aufschwung der globalisierungskritischen Bewegung erklärt, ist aber, dass die Bewegung in Genua in der Öffentlichkeit als Opfer und nicht als Täter angesehen wurde. Wir halten es deshalb für wichtig, die eigene Gewaltlosigkeit selbst aktiv in der Öffentlichkeit herauszustellen und bei allen Aktionen, an denen wir uns beteiligen, bestmöglich zu gewährleisten.

Kapitalismus ohne wirksame Garantierung sozial-ökologischer Rechte, wie er derzeit in westlichen Demokratien existiert, ist eine Herrschaftsform, die auf die aktive Zustimmung großer Teile der in ihr lebenden Menschen angewiesen ist. Wir glauben nicht, dass diese Wirtschaftsform dadurch zum Einsturz gebracht werden kann, dass man einzelne ihrer Symbole oder Repräsentanten angreift. Dieser Kapitalismus schöpft seine Kraft und Beständigkeit vor allem daraus, dass sich eine große Mehrheit immer wieder neu seinen vermeintlichen Sachzwängen unterwirft. Dies schließt nicht aus, dass dieses System auch Menschen ausgrenzt und unterdrückt bzw. in anderen Weltregionen nach anderen Mechanismen funktioniert. Wer aber Alternativen zum Neoliberalismus unter den Bedingungen, wie sie im Deutschland des Jahres 2007 herrschen, erfolgreich durchsetzen will, der kann dies nicht einfach ignorieren.

Wer dem Gebot der Gewaltlosigkeit widerspricht, riskiert deshalb nicht nur, dass all diejenigen nicht zu den Protesten kommen, die militante Aktionsformen ablehnen, sondern läuft auch Gefahr, all jenen in die Hände zu arbeiten, die unseren Protest und unsere Alternativen im öffentlichen Diskurs diskreditieren und ausgrenzen wollen.

Deshalb halten wir es für die beste Strategie, unseren Widerstand gegen die Politik der G8 zu leisten, indem wir Alternativen verbreiten und eine breite und bunte Mobilisierung nach Heiligendamm auf die Beine stellen. Das ist zugleich der bestmögliche Schutz gegen Polizeiwillkür. Erreicht werden kann das unserer Ansicht nach vor allem dann, wenn sich alle, die nach Heiligendamm kommen wollen, darauf verlassen können, dass von unserer Seite alles menschenmögliche getan wird, dass die Proteste gewaltfrei bleiben. Dazu gehören auch Aktionen des zivilen Ungehorsams, die durch einen klaren Aktionsrahmen zum Mitmachen ermutigen. Wir unterstützen daher ausdrücklich Block G8. Wir werden uns an den von X-tausendmalquer organisierten Bezugsgruppen beteiligen. Wir rufen dazu auf, sich diesen anzuschließen und sich so an Block G8 zu beteiligen. Angesichts des organisierten Unrechts der G8 ist es angemessen und legitim, den Gipfel gemeinschaftlich und gewaltfrei zu blockieren. Wir wollen durch eine massenhafte Blockade des Gipfels ebenso wie die Großdemonstration, der Alternativgipfel und die vielen anderen kreativen Aktionen dazu beitragen, die politischen Kräfteverhältnisse in diesem Land zu unseren Gunsten zu verschieben.

Chris Methmann
Detlev von Larcher
Stephan Lindner
Sven Giegold

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