2007-04-12
Am Montag den 9. April fand in der Roten Flora, Hamburg eine Diskussionsveranstaltung der Gruppe "Sous la plage - Antigravitationistische Linke" unter dem Titel "Sinn und Unsinn der Mobilisierung gegen den G8-Gipfel" statt. Eingeladen waren Vertreter verschiedener linker Strömungen. Und auch wenn keine Stühle flogen bekamen die Freunde einer guten Polemik einiges geboten. Im folgenden ein kommentierender Bericht zu Sesselpupern und akademischen Elfenbeintürmen,lieben Attackies und genauer Positionsbestimmung sowie der Konfrontation mit der verdammten Realität. Game The Player,Play The Fight,Fight the Play oder quo vadis radikale Linke?
Gekommen waren ein Vertreter der eher interventionistischen Gruppe "No G8 Kiel", ein einzelner Vertreter des Dissent Netzwerkes/Peoples Global Action aus Hamburg, zwei Vertreter des wertkritisch angehauchten linksradikalen "Ums Ganze-Bündniss" aus Göttingen und Berlin, sowie ein Vertreter der wertkritischen Gruppe 8. Mai auf Frankfurt. Etwa 300 interesierte Linksradikale waren erschienen, soviel wie sonst wohl nur zu Partys in die Rote Flora kommen. Das Interesse an einer kritischen Außeinandersetzung mit der Mobilisierung gegen den G8-Gipfel war und ist ganz augenscheinlich gegeben, wie die Veranstalter dann auch zufrieden festellen konnten.
Die live von Radio FSK übertragene Veranstaltung begann zunächst mit Input- Referaten aller anwesenden Gruppen, in denen diese zunächst ihre Positionen darstellten und sich zum Teil auch schon zum Thema/zur Fragestellung der Veranstaltung äußerten. Der Vertreter der NO G8 Gruppe Kiel erzählte über die Arbeit im Kieler Anti-G8-Bündniss,der Vertreter des Dissent Spektrums über die Arbeit und den Entstehunsprozess des Dissentnetzwerkes, die Gruppe sous la plage erneuerte ihre Kritik an der G8 Mobilisierung, die beiden Vertreter des Ums-Ganze Bündnis erläuterten die Bildung ihres Bündnisses vor dem Hintergrund der Suche nach Perspektiven für die radikale Linke jenseits von interventionistischer Schwammigkeit und einer wertkritischen Position des passiven Kommentierens der Situation. Durch die Geschichte des deutschen Globalisierungsopfers, dass gegen die internationalen Konzerne und Hedgefonds als Auswüchse eines "aus dem Rude gelaufenen Kapitalismus" wettert, dabei aber die "vernünftige" Deutsche Wirtschaft verklärt, machte die Gruppe 8. Mai deutlich, dass eine diffuse und verkürzte Kapitalismus- kritik in der Mitte der Gesellschaft weitverbreitet ist.
Desweiteren bemängelte die Gruppe 8. Mai verkürzte Kapitalismuskritik, die personalisiere und somit Herrschaftsverhältnisse verschleiere. Zwar wurde versucht dem Dissent-Vertreter und der NO G8 Gruppe Kiel verkürzte Kapitalismuskritik und strukturellen Antisemitismus vorzuwerfen, da diese den Gefahren einer verkürzten Kapitalismuskritik aber zustimmten, drängte sich der Eindruck einer tendenziell antideutschen Abarbeitung am immergleichen Thema des strukturellen Antisemitismus in anderen Strömungen der radikalen Linken auf. Vielleicht sollten Gruppen wie sous la plage und vor allem die Gruppe 8. Mai lieber auf Linksparteitagen oder bei kirchlichen G8-Gegnern ihre durchaus berechtigte, aber dem Diskussionsstand der radikalen Linken (bis auf einer kleinen antiimperialistischen Minderheit) mittlerweile einfach nicht mehr entsprechenden Kritik vortragen.
Als eine Vertreterin von sous la plage schließlich fragte, was denn ein Erfolg des Anti-G8 Widerstandes wäre, war es am Vertreter von NO G8 Kiel festzustellen, dies sei aber nun wirklich verkürzt. Im weiteren Verlauf des Diskussion benannte er aber dann doch vorsichtig und tiefstapelnd Punkte wie "die nationale und internationale Vernetzung" von linksradikalen Gruppen oder die "Erfahrung einer kollektiven Widerständigkeit" - Ziel müsse es sein die Handlungsfähigkeit der radikalen Linken zu erweitern.
Da sich die Gruppe 8. Mai laut eigenem Bekunden vor allem die Aufklärung anderer zum Ziel gesetzt hat, kam im Verlauf der Diskussion die Frage nach der Praxis der Gruppe 8. Mai auf. Nach einigem hin und her lamentieren man solle doch lieber die Kämpfe der TextilarbeiterInnen in Bangladesch unterstützen, die ihre Fabriken verwüsten und plündern und das es in Deutschland einfach keine emanzipatorische Bewegung die man unterstützen könne gebe, folgte schließlich das Bekenntnis, dass auch Kritik eine Praxis sei. Dem antwortete ein Vertreter des "Ums Ganze - Bündnis,dass sich überhaupt den ganzen Abend über auffällig oft und direkt auf Marx bezog mit dem Klassiker: "Die Waffe der Kritik kann die Kritik der Waffen nicht ersetzen." Die Gruppe 8. Mai musste sich dennauch die Frage gefallen lassen, wo denn eine unterstützenswürdige soziale und/oder politische Bewegung in Deutschland herkommen solle. Wer meterhohe Ansprüche politischer Korrektheit vor sich her trage, die erst einmal erfüllt sein müssen, könne niemals, auch nicht politisch korrekt ohne beliebiges Mitlaufen, in eine soziale Bewegung intervenieren. Mal wieder lag der Begriff vom "Szeneghetto" im Raum.
Zur Sprache kamen auch die von Peoples Global Action vertreten PGA Hallmarks und ihre Unzulänglichkeit. So kritisierte die Gruppe 8. Mai, dass sich die Hallmarks zwar gegen Fundamentalismus, nicht aber gegen Religion an sich richten würden. Sie prangerte an, dass kirchliche Gruppen wie bsw. das Institut für Theologie und Politik Münster in der Interventionistischen Linken mitarbeiten würden anstatt "auf die Fresse zu kriegen". Auf diese polemische Zuspitzung wurde mit allgemeinem Gelächter seitens des Publikums reagiert. Die Vertreter des Dissent Netzwerkes und die Gruppe NO G8 Kiel verwiesen im Folgenden darauf, dass es sich bei diesen Gruppen um befreiungstheologische Gruppen handele.
In pointierter, klarer Sprache und beißender Polemik nahm die Gruppe 8. Mai schließlich anhand von Zitaten der Promiaufrufer zur Großdemo am 2. Juni in Rostock die Bündnispolitik der Interventionistischen Linken außeinander und zeigte die ganz und gar nicht wiederspruchsfreie Politik der IL auf. So wies sie darauf hin, dass beispielsweise Tatort-Schauspieler Peter Sodann die Initiative "Halle gegen Graffiti", welche Sprayen als krank denunziert, mitgegründet hat. Über einen anderen prominenten, Anti-G8 Aufruf-Unterzeichner namens Lafontaine sei ja bereits genügend geschrieben worden. Bündnispolitik sei zum bloßen Mitlaufen um jeden Preis verkommen. Doch ob linksradikale Gruppen und ihre Aktionsformen zwangsweise dazu verdammt sind vereinnahmt zu werden darf angesichts der aktuellen Entwicklungen bezweifelt werden. So gab es nach den Äußerungen des Attac Bundesvorstandes eine breite Front bestehend aus No Lager Bremen, der Antfiaschistischen Linken Berlin und dem Avanti-Projekt, die die Äußerungen vom "friedlich-sein" in Presseerklärungen und öffentlichen Briefen ablehnten. Diese Kritik der vorauseilenden Gewalddistanzierung, fand denn auch ihren Niederschlag in den bürgerlichen Medien. Ein Indiz für den bisherigen Erfolg des Konzepts der Interventionistischen Linken, die ja gebildet wurde, um vorauseilende Distanzierungen von "Gewalt" und sonstige Spaltungen möglichst zu unterbinden, ist auch, dass mittlerweile immer mehr Attac Ortsgruppen den Aufruf BLOCK G8 unterschreiben, den ihr Vorstand ablehnt. Zur allgemeinen Erheiterung bekannte der Vertreter von NO G8 Kiel freimütig, dass man mit den Kielern Attackies durchaus reden könne. Schließlich seien diese eher bereit sich mit einer tiefergehenden Gesellschaftskritik im Gegensatz zum Rest der Gesellschaft überhaupt außeinanderzusetzen.
Die Gruppe sous la plage brachte nun noch die Frage des Verhältnisses von Gipfel-Hopping zu den alltäglichen Kämpfen in die Debatte mit ein. Für die G8 Mobilisierung sei unglaublich viel Energie verwandt worden und ob der Aufwand sich denn lohnen würde, um sich dann später am Zaun aufzureiben oder an den Bullen abzuarbeiten. Auch das Konzept der dezentralen Aktionen, nachdem man nicht den G8 Gipfel in Heiligendamm angreifen, sondern überall in Deutschland Aktionen machen solle wurde in diesem Kontext erwähnt. Dies lehnten No G8 Kiel und der Dissent-Vertreter aber ab. Diesem Konzept nach würde es wieder zur alltäglichen Vereinzelung kommen - die Chance beim G8-Gipfel in Heiligendamm sei doch gerade die Bündelung der Kräfte durch die breite Mobilisierung. Und schließlich solle der G8 Gipfel ein Schritt hin zu einer erweiterten Handlungsfähigkeit und einem Ausbruch aus der Marginalisierung der radikalen Linken sein. Dies würde die alltäglichen Kämpfe weitaus mehr stärken als eine "weiter wie bisher"-Politik. Die Gruppe sous la plage erneuerte daraufhin ihre Kritik und fragte besorgt nach den Perspektiven "für danach". Der Dissent Vertreter verwies dazu auf bereits feststehende Folgetreffen des Dissent Netzwerkes und auf ein geplantes Grenzcamp in der Ukraine.
In der abschließenden Diskussion mit dem Publikum war dieses dann zunächst etwas sprachlos, brachte sich dann aber in die Debatte ein. Vertreter der Interventionistischen Linken von Avanti-Projekt undogmatische Linke nutzten die Gelegenheit zur Intervention und machten sich Luft, weil sich bei Ihnen, laut eigenen Angaben, ob der Positionen der Gruppe 8. Mai bereits "einiges an Adrenalin angestaut" hatte. Auf der IL war im Laufe der Podiumsdiskussion bereits nicht zu knapp herum-gehackt worden. Die Gruppe 8. Mai wurde von jenem Avanti-Vertreter leider sehr unsachlich als "Sesselpuper" tituliert. Insgesamt konnte man sich, sowohl wegen der rein kommentierenden Rolle der wertkritischen Position die sich jeder Praxis verweigert und auch des leicht arroganten Redestils der Gruppe 8. Mai, bei welchem Intellektualität scheinbar Selbstzweck war, dem Eindruck des "sicheren akademischen Elfenbeinturmes" nicht ganz verwehren. Und so blieb es dann passenderweise einer anwesenden amerikanischen Jüdin überlassen die Haltung und Ausführungen der Gruppe 8. Mai als "antideutschen Bullshit" zu kommentieren.
Insgesamt muss man auch sagen, dass das Publikum sich sehr selbstdiszipliniert zeigte - Zwischenrufe oder Unmutsäußerungen waren nur vereinzelt zu hören und schafften es nicht die Debatte zu stören. Auch die Moderation von sous la plage, die ja auch mitdiskutierten, hielt sich weitestgehend zurück. Die Veranstaltung war sehr intellektuell geprägt und für Nicht-Studenten oder Fachwörter-Unkundige sicherlich zeitweise schwer zu verfolgen, weil die Mehrheit auf dem Podium lieber von "externalisieren" als von "auslagern" sprach.
Alles in allem ist es positiv, dass Vertreter verschiedener Strömungen der radikalen Linken sich der offenen Diskussion gestellt haben und einen Abend lang miteinander konfrontiert waren und miteinander, anstatt wie üblich übereinander zu reden.
http://souslaplage.blogsport.de/
http://achtermai.blogsport.de/
http://umsganze.de.tl
http://dissentnetzwerk.org
http://norden-gegen-g8.info
Hinweis: In diesem Beitrag handelt es sich nur um einen Ausschnitt der Veranstaltung, da ich kein Protokoll geführt habe, kann ich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben - Ergänzungen und Kritik sind ausdrücklich erwünscht.
[http://de.indymedia.org/2007/04/172903.shtml]