2007-04-11
Offener Brief an den Koordinierungskreis in Hannover und attac
Stellungnahme einiger BewohnerInnen zum Umgang mit der Schule in Rostock/Evershagen
Hiermit wollen wir, einige der jetzigen Nutzer- und BewohnerInnen der ehemaligen Ehm-Welk-Schule in Rostock/Evershagen zu der Debatte um die Nutzung dieses Gebäudes für den Widerstand gegen den G8-Gipfel im Juni 2007 Stellung beziehen.
Zuerst ein paar grundlegende Infos:
Die zum Abriss vorgesehene Schule im Satellitenvorort Evershagen wurde Anfang März der Protestbewegung zur Nutzung angeboten. Die Bedingung seitens der Stadt Rostock war, dass sofort Leute dort einziehen, um das Gebäude vor Vandalismus zu schützen (auf diese Weise soll Geld eingespart werden, das bis dato die Feuerwehr für die Bewachung der Schule erhielt…).
Das Angebot der Stadt Rostock wurde der breiten Protestbewegung nicht bekannt gemacht, nur durch Vitamin B gelangte die Neuigkeit an die Convergence Center Gruppe. Diese hatte bereits seit Monaten vergeblich nach einem geeigneten Haus gesucht und beschloss, die Möglichkeit beim Schopfe zu packen, die Schule zu beziehen und ab sofort für die am Protest beteiligten Spektren nutzbar zu machen. Am 11.3. wurde der Nutzungsvertrag von attac unterschrieben. Seither ist von Seiten der BewohnerInnen viel Geld und noch mehr Arbeit, Zeit und Kraft in den Ausbau der Schule geflossen.
Zeitgleich begann ein untransparenter Vorgang, inklusive Machtgerangel, Vorurteilen, Abgrenzungsspielchen, zu dem wir uns nun anhand der folgenden Punkte äußern wollen. Wir möchten damit versuchen eine offene Diskussion zu ermöglichen und laden dazu alle an den Protesten beteiligte und interessierte Gruppen und Einzelpersonen ein!
Vorab – zum besseren Verständnis unseres Diskussionsbeitrages – ein Ausschnitt aus dem Protokoll des Koordinierungskreistreffens am 21.03.2007:
„…die gemeinsame politische Verantwortung bleibt in diesem KoKreis, bis die Schule wieder zurück an die Stadt geht. Die AG wird nicht geöffnet für „alle“. Attac als Vertragsunterzeichner will wissen, wer in der AG ist und wer mitentscheidet. Es gibt keine weiteren Einladungen zu dieser AG.“
1) Wir kritisieren, dass der Nutzungsvertrag allein von attac unterschrieben wurde, obwohl vorher ein Verein gegründet wurde (der ‚Camp-Verein’), der spektrenübergreifend ist und dessen Sinn es ist, für die Bewegung (Miet-) Verträge zu unterzeichnen. Eine der größten NGO’s sichert sich damit vor allen anderen Gruppen das Verfügungsmonopol über Räume, die unserer Meinung nach offen sein müssten für alle, am Widerstand gegen den G8-Gipfel beteiligten Gruppen + AktivistInnen.
2) Zuständig für die Verwaltung dieser Räume sieht sich derzeit der sog. Koordinierungskreis in Hannover. Dieser versucht (nicht nur in diesem Zusammenhang…) sich wieder einmal als Sprachrohr der gesamten Protestbewegung darzustellen, obwohl er nicht transparent arbeitet und darüber hinaus natürlich nicht das ganze Spektrum in ihm vertreten ist. Wir zweifeln generell an der Legitimität eines solchen Koordinierungskreises und lehnen eine Fernsteuerung prinzipiell ab.
3) Eine von diesem elitären KoKreis ins Leben gerufene Schulkonzeptgruppe sollte nun über die Nutzung und Raumvergabe in der Schule entscheiden. Erstmalig traf sich diese Gruppe am 9.4. mit Leuten vom unabhängigen Medienzentrum, dem CC und einigen BewohnerInnen. Gemeinsam wurde entschieden, dass Konzept bei einer Schulkonzept-AG während der 3. Aktionskonferenz zu erarbeiten (13.-15.4., Schulkonzept-AG am 14.4. 11:30 – 13:00 Uhr und 14:00 – 15:30 Uhr). Obwohl und erst recht weil Pedram Shayar von attac bei diesem Treffen nochmals bestätigte, dass attac (in der Rolle der Oberbefehlsgewalt als Vertragsunterschreiber) im Zweifelsfalle nur den Hannoveraner Koordinierungskreis als legitim anerkennt – nicht aber eine offen zugängliche AG auf dem eigens organisierten Aktionstreffen, freuen wir uns über rege Teilnahme! Diese Schule soll der gesamten Bewegung als Basis für erfolgreiche Proteste zur Verfügung stehen, ein Konzept muss daher gemeinsam entwickelt werden.
4) Ein von attac gefordertes alleiniges Vetorecht zu Entscheidungen, die die Schule betreffen, können wir vergleichen mit der Dreistigkeit einiger weniger PräsidentInnen, über die BewohnerInnen der ganzen Welt entscheiden zu wollen. Wir können das Spiel aber auch mitspielen: Vetorecht für Alle!
5) Darüber hinaus sehen wir in attac’s aktueller Distanzierung von allen Blockaden einen Versuch zur Spaltung der Bewegung, bzw. sich schon vorher als ‚die Guten’ darstellen zu wollen. Dies bringt alle, die Widerstand nicht nur mit Diskussionen leisten wollen, in die Gefahr von der Öffentlichkeit als ‚RandaliererInnen’ wahrgenommen zu werden. Wir fordern von allen BündnispartnerInnen, sich an die Verabredung zu halten, sich in den Medien nicht zum Thema ‚Gewalt’ zu äußern, sondern einen offenen und fairen Dialog über Sinn und Unsinn verschiedenster Protestformen zu führen. Wir wollen die schlimmen Erfahrungen die z.B. in Genua und Evian gemacht wurden, ernst nehmen (damals wurde Polizeigewalt gegen teilweise gerade schlafende AktivistInnen von Einzelpersonen im Nachhinein legitimiert, mit dem Argument, die Betroffenen hätten randaliert). Wir können nicht akzeptieren, dass selbsternannte ‚Chefs des Widerstands’ ihre individuelle Meinung für die der gesamten Protestbewegung ausgeben. Bevor Protestspektren wegen angeblicher Gewaltbereitschaft vorverurteilt werden, muss der Begriff ‘Gewalt’ (Wo fängt Gewalt an? Wer hat sie zuerst ausgeübt? Wer kann sie legitimieren?) und die Rolle der Staatsregierungen und der internationalen Konzerne in der Ausübung von Gewalt diskutiert werden.
6) Wir halten es für völlig falsch, dem Rostocker Bürgermeister W. Mehtling für seine Kooperationsbereitschaft zu danken (so geschehen z.B. durch Peter Wahl in mehreren Zeitungen). Ein solches Verhalten fällt denen in den Rücken, die daran arbeiten, weitere Plätze für alle Leute aufzutreiben. Außerdem bleibt festzuhalten, dass nach langen und zähen Verhandlungen und durch öffentlichen Druck, der unter anderem durch viel Pressearbeit und zahlreiche kreative Aktionen aufgebaut wurde, bisher nur eine zum Abriss vorgesehene Schule rausgesprungen ist, die bei weitem nicht den Bedarf an Räumen decken kann. Dabei spart die Stadt Rostock durch unsere Nutzung sogar Geld ein.
7) Es wurde mehrfach Kritik daran geäußert, dass die momentanen BewohnerInnen der Schule offensiv Gruppen und Personen einladen, ab jetzt beim Aufbau des Convergence Centers und bei der Nutzbarmachung des Schulgebäudes zu helfen und vorhandene Räume durch Veranstaltungen mit Leben zu füllen. Daher halten wir es für wichtig, allen KritikerInnen die Situation vor Ort noch einmal genau zu schildern: Die Schule war beim Einzug absolut leer, es gab überhaupt keine Möbel und Kücheneinrichtung; Stromkabel, Wasserleitungen, Lampen, Telefonleitungen sind teilweise entfernt worden. Es gab kein Telefon und kein Internet, keine Dusche und noch immer gibt es kein warmes Wasser, inzwischen eine nur sehr unzuverlässige Internetverbindung und noch keinen Telefonanschluß. Das Gebäude ist total verdreckt übergeben worden. Desweiteren plagt die BewohnerInnen die Befürchtung von (nächtlichen) Übergriffen durch organisierte Nazis, pöbelnde Besoffene und Polizei (diese Befürchtungen sind nicht aus der Luft gegriffen, alle drei Varianten haben schon stattgefunden). Um die Schule fit für den Widerstand zu bekommen, sind Kapazitäten nötig, die wir nicht allein aufbringen können und wir wollen uns auch nicht mit einer kleinen Gruppe der Gefahr von Übergriffen aussetzen.
Wir haben die Befürchtung und möchten euch mitteilen, dass wir nicht bereit sind, hier nur die „PlatzhalterInnen“ zu spielen, bzw. die ganze Aufbauarbeit zu machen und darüber hinaus unsere Köpfe hinzuhalten für Organisationen, die ab Mai hier während des großen Medienrummels ein Büro beziehen wollen.
Wir fordern jetzt dazu auf, uns auf jede erdenkliche Art zu unterstützen!
8) Im letzten Punkt wollen wir noch etwas klarstellen: Unsere Kritik an attac richtet sich gegen die hierarchische Machtverteilung innerhalb dieser Organisation und Stellungnahmen und Äußerungen, die von einzelnen Sprechern kommen, nicht aber gegen Aktionsformen, die sich eventuell von anderen unterscheiden. Lasst nicht zu, dass sich Einzelpersonen über eure Köpfe hinweg profilieren und die Bewegung in ‚gut’ (= sytemkonform und gewaltfrei) und ‚böse’ (= die BlockiererInnen und RandaliererInnen) unterteilen!! Wir haben z.B. hier in Rostock sehr gute Erfahrungen mit der Basis von attac gemacht und wollen nicht alle in einen Topf werfen.
Soweit einige unserer Gedanken zu diesem ganzen Theater!
Wir hoffen auf eine offene und lebhafte Diskussion zu diesem Thema und rufen alle am Protest beteiligten Spektren dazu auf, hierzu Stellung zu beziehen und sich in das Nutzungskonzept der Schule einzubringen. Es gilt jetzt anzupacken!
In Liebe,
die CC-Crew