2007-03-23
Zu den Demonstrationsbeobachtungen des Grundrechtekomitees Anfang Juni 2007 rund um Rostock und Heiligendamm
Elke Steven
„Versammlungen unter freiem Himmel“, wie es in Art. 8 GG heißt, sind ein hohes demokratisches Gut, das insbesondere in repräsentativen Demokratien geeignet ist, den „politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren“ (Brokdorf-Beschluss des BVerfG). Angesichts des Treffens der Staats- bzw. Regierungschefs der großen und mächtigen Staaten dieser Welt steht allerdings zu befürchten, dass nicht die Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit staatlich geschützt und hochgehalten werden, sondern dass erneut ein repressives Sicherheitskonzept jede demokratische Regung ersticken soll.
Konnte ein solches G-8-Treffen 1999 noch mitten in Köln stattfinden – und mussten wir auch damals schon ein oft unverhältnismäßiges Eingreifen der Polizei beklagen –, so suchen die Mächtigen dieser Welt seit den Ereignissen in Seattle und Genua abgelegene Orte auf, die sich fast militärisch abschirmen lassen. Um Heiligendamm und das dortige Nobelhotel Kempinski wird für 12 Mio. Euro ein 12 km langer und 2,50 m hoher Zaun gebaut. Gesichert bis tief in den Boden, oben mit Nato-Stacheldraht bewehrt und rundum videoüberwacht, entsteht sozusagen ein umgekehrter, von der Außenwelt abgeschirmter Hochsicherheitstrakt. Das, was die Bürger und Bürgerinnen denken und wollen, soll die Politiker und Politikerinnen nicht erreichen und interessieren.
Präventives Polizeigesetz
Noch hält sich die Politik in ihren diffamierenden Äußerungen zurück. Die absperrenden Taten sprechen jedoch schon jetzt eine eindeutige Sprache. Zu befürchten ist, dass kurzfristig eine Allgemeinverfügung weitere Räume von den Grundrechten ausnehmen wird. Die Linkspartei.PDS steht dem Protest zumindest nahe. Aber auch mit der PDS ist im Juni 2006 das Sicherheits- und Ordnungsgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern novelliert worden, um präventive Eingriffsbefugnisse für die Polizei auszuweiten. So treibt dieses Polizeigesetz die Vorwärtsverrechtlichung weiter voran. Dass es zur Abwehr und Einschüchterung von Demonstrierenden eingesetzt werden kann und soll, ist offensichtlich. (Verdeckte) Überwachungen spielen eine zentrale Rolle. V-Personen, also solche, die gegen Bezahlung Informationen aus der „Szene“ weitergeben, dürfen von der Polizei geführt werden. Ebenfalls können verdeckt ermittelnde Polizeibeamte eingesetzt werden. Sowohl eine längere Observation als auch der Einsatz verdeckter Überwachungstechniken sind erlaubt. Ein automatisches Kfz-Kennzeichen-Lesesystem (AKLS) darf eingesetzt werden. Platzverweisungen können für maximal zehn Wochen sogar für ein ganzes Gemeindegebiet ausgesprochen werden. Chemische Kampfstoffe (CN und CS) sowie Pfefferspray sind beim Einsatz gegen Versammlungen erlaubt.
Wie schon bei der WM im letzten Jahr wird die Polizei darum bemüht sein, „verdächtige“ Personen möglichst frühzeitig herauszufiltern und „auszusperren“. Wer, auf welche Weise auch immer, in die Verdachtsdateien geraten ist – eine gerichtliche Verurteilung ist hierfür nicht notwendig –, soll mittels Einreiseverboten, Meldeauflagen und Platzverweisen an jeder Beteiligung an den Demonstrationen gehindert werden. Wieder soll auch die Bundeswehr „im Notfall“ für eine Unterstützung bereit stehen. Da ein Einsatz der Bundeswehr im Inneren illegal ist, wird mit der Inszenierung von helfender Bundeswehr im Notfall deren weiterer Einsatz im Inneren vorbereitet. Die Bundeswehr stellt Kasernen zur Unterbringung von 6.000 Einsatzkräften sowie ein mobiles Krankenhaus zur Verfügung. „Im Bedarfsfall könnten ABC-Schützen, Sanitäter oder Fernmeldeeinheiten Unterstützung leisten“, so der Inspekteur der Streitkräftebasis, Vize-Admiral Wolfram Kühn. (NDR, 16.2.07) Im Frühjahr soll es gar „gemeinsame Notfallübungen der Stäbe geben“.
Staatlicher Verruf des Protestes
Die Polizei Mecklenburg-Vorpommern schreibt in ihrem Grußwort zum G8-Gipfel auf ihrer Internetseite: „Seit einigen Jahren werden diese Treffen leider auch von gewalttätigen Ausschreitungen begleitet. Darauf werden wir uns einstellen müssen.“ Dies entspricht dem Tenor, der zur Zeit vorrangig von Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz angeschlagen wird. Das Bundesamt für Verfassungsschutz warnt vor Anschlägen auf den G-8-Gipfel in Heiligendamm. Erst schwadroniert der Behördenpräsident Heinz Fromm von potentiellen Personenschäden, behauptet, in der „militanten Szene sei auch über gezielte Attentate auf Personen intensiv diskutiert worden“. Um dann zu berichten, solche „Angriffe seien aber abgelehnt worden, da eine Eskalation für politisch nicht opportun eingestuft werde“. (FAZ, 29.1.07) Bereits im November 2006 äußerte BKA-Präsident Ziercke bei einer Sicherheitskonferenz in Rostock „große Besorgnis“. Bereits jetzt werde eine „Zunahme von Straftaten wie Sachbeschädigungen, Brand- und Farbanschlägen registriert ... Selbst mit Terroranschläge müsse gerechnet werden“ (FAZ, 23.11.2006).
Gleichzeitig wird versucht, in der öffentlichen Darstellung und Wahrnehmung eine Spaltung des Protests zu erreichen. BKA-Präsident Ziercke betont, dass „nur wenige Demonstranten gewaltbereit seien. Friedliche Protestierer würden von den Sicherheitsmaßnahmen nicht berührt“. Wer also von den „über 1000 Beamten“ des Bundeskriminalamts und den „insgesamt weit über 10.000 Beamten“ der Polizeien (FR, 28.12.2006) ins Visier genommen wird, so ist zu schließen, kann nicht friedlich sein. Wie allerdings die „friedlichen Protestierer“ nicht von Überwachung, Abschreckung, Kontrollen und Absperrungen berührt sein könnten – und nicht davon, dass ein Teil der BürgerInnen an der Wahrnehmung ihrer Grundrechte gehindert wird, – bleibt das Rätsel, dessen Lösung der Quadratur des Kreises entspräche.
In München und in Erlangen sind im Januar 2007 linke Projekte, Betriebe und Privatwohnungen von der Polizei durchsucht worden. In München wurde vorgeblich nach einem Aufruf gesucht, in dem zur Blockade des Flughafen Rostock-Laage am 5.6.07 aufgerufen wird. Daraus machte der Staatsschutz eine „Stürmung“ des Flughafens und einen „Aufruf zu Straftaten“. Das Landgericht München entschied nachträglich, dass die Hausdurchsuchungen in München rechtswidrig waren.
Versammlungen müssen an den Orten stattfinden können, an denen sie die von den Veranstaltern gewünschte Öffentlichkeit erreichen können. Eine Politik, die dafür sorgt, dass Versammlungen polizeilich eingehegt und an den gewünschten Orten verboten werden, die die Schaffung der organisatorischen Voraussetzungen – wie z.B. Camps – behindert und diejenigen, die den Protest tragen, kriminalisiert, gar polizeilich oder verfassungsschützerisch überwacht, die also strukturell gewaltförmig auf den bevorstehenden Protest reagiert, schadet der Demokratie.
Das Komitee für Grundrechte und Demokratie wird mit vielen Beobachtern und Beobachterinnen Anfang Juni 2007 die Proteste rund um Heiligendamm und Rostock beobachten und darüber berichten.