2007-03-21
Claudia Schmid: Die linksextreme Szene ist zerstritten
Gezündelt wird im Monatstakt. Meistens gehen Firmenfahrzeuge in Flammen auf. In der Regel wettern die Täter in ihren Erklärungen gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm. „So stark war eine militante Kampagne der extremen Linken in Norddeutschland schon lange nicht mehr“, sagt Claudia Schmid, Chefin des Berliner Verfassungsschutzes. Schmid befürchtet, dass die Serie linksextremer Brandanschläge bis zum Gipfel im Juni anhält. Sieben Attentate wurden seit Juli 2005 in der Region Berlin-Brandenburg verübt, acht in Hamburg, der Rest in Schleswig-Holstein und Niedersachsen.
Doch die Intensität der Kampagne steht laut Schmid im Kontrast zur Schwäche der extremen Linken bei der Planung von Straßenprotesten – für die Zeit vor dem Gipfel und gegen den Gipfel selbst. Das gelte auch für die mehrheitlich friedliche Protestbewegung. Inzwischen würden nicht mehr 100 000 Teilnehmer bei den Demonstrationen im Juni erwartet, sondern die Hälfte, sagt Schmid.
Sie habe Grund zur Hoffnung, dass der autonomen Szene das gewünscht krawallige „Warming up“ in Berlin am kommenden Wochenende und am 1. Mai nicht gelingt. Am Sonnabend wollen Linksextremisten bei der Demonstration auf dem Alexanderplatz gegen das Treffen der Staats- und Regierungschef der Europäischen Union mitmischen. Dass es die gewaltbereite Minderheit schaffen könnte, den Protest friedlicher Demonstranten in Straßenschlachten mit der Polizei münden zu lassen, hält die Leiterin des Verfassungsschutzes für eher unwahrscheinlich. Das gelte auch für den 1. Mai, sagt Schmid. Aus mehreren Gründen.
Erstens: Die linksextreme Szene, darunter etwas mehr als 1200 Gewaltbereite, ist stark zerstritten. Die Gräben sind tief zwischen pro-israelischen „Antideutschen“ und ihren pro-palästinensischen Widersachern. Und zwischen autonomen Gruppen überhaupt und den stalinistischen Vereinigungen, von denen einige immer noch Mao huldigen. Die Konflikte schwächten die Fähigkeit der extremen Linken, zu größeren Demonstrationen das Anhängerpotenzial voll zu mobilisieren, sagt Schmid.
Zweitens: Die Kreuzberger Bürgerparty am 1. Mai, seit Jahren unter dem Namen „Myfest“ ein friedliches Straßenspektakel, hat 2005 und 2006 den gewaltbereiten Linken und den actionsüchtigen Jugendlichen, oft türkischer und arabischer Herkunft, den Raum für Randale weitgehend genommen. Das müsste auch dieses Jahr gelingen, sagt Schmid. Außerdem sei zu erkennen, dass Erwachsene der türkischen und arabischen Communitys mäßigenden Einfluss auf die Jugendlichen ausüben. Dazu seien auch die Gespräche zwischen der Polizei und Migrantenverbänden in den Wochen vor dem Maifeiertag sehr hilfreich.
Drittens: Die Polizei hat mit ihrer Taktik der massiven, allgegenwärtigen Präsenz bei den letzten beiden Maifeiertagen und in der Walpurgisnacht den Aktionsradius gewaltbereiter Gruppen stark eingeengt. Derselbe Effekt sei auch jetzt zu erwarten, glaubt Schmid.
Sie sieht allerdings auch Gefahren. „Mir bereiten die kleinen, unkalkulierbaren Gruppen der Autonomen Sorge, die in der Dunkelheit militant agieren wollen.“ Außerdem fühle sich diese Szene besonders motiviert – am 1. Mai jähren sich zum zwanzigsten Mal die ersten schweren Krawalle. Am Abend des Maifeiertags 1987 gingen in Kreuzberg reihenweise Fahrzeuge und ein Supermarkt in Flammen auf, Plünderer räumten Geschäfte aus. Die Polizei war überfordert.
Dass die linksextreme Propaganda gegen den G-8-Gipfel so martialisch klingt wie schon lange nicht mehr, könnte laut Schmid ebenfalls die Stimmung am 1. Mai anheizen. So wird auf einem Flugblatt links die Maschine des US-Präsidenten gezeigt und rechts daneben ein brennendes Wrack. Außerdem kursiert in der Szene ein Aufruf von „Autonomen Gruppen Berlin“ zu einem „Volxsport Aktionsmonat“ vom 10. Mai bis zum 10. Juni. Unter dem Motto „Jetzt das Image Eurer Stadt beschädigen - Randalieren gegen G 8“ wird ein makaberer Wettbewerb angekündigt: „Gesucht wird die Stadt/Ort mit den meisten Sachbeschädigungen“. Je nach Delikt gibt es „Punkte“.
Rechtsextreme Aktivitäten zum G-8-Gipfel gebe es kaum, sagt Schmid. Bislang zeichne sich in Berlin auch kein rechter Mai-Aufmarsch ab. Bleibt die Sorge vor weiteren linksextremen Brandanschlägen. Zu mehreren Attentaten hat sich die äußerst konspirativ agierende „militante gruppe“ bekannt. Schmid ist schon froh, dass die von der „mg“ angestoßene Diskussion verebbt, auch Menschen anzugreifen. Frank Jansen
(21.03.2007)
[http://www.tagesspiegel.de/berlin/archiv/21.03.2007/3153549.asp]