2007-03-19
Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser,
seit mehr als 200 Jahren ist Heiligendamm als Ort der Erholung bekannt. Ende des 18. Jahrhunderts entstand dort das erste deutsche Seebad und entwickelte sich bald zu einem Zentrum des aufkeimenden Tourismus. In der DDR war Heiligendamm ein beliebter und stark frequentierter Bade- und Heilort. Nach der Wende war Schluss damit. Die meisten Grundstücke wurden an die Kölner Fundus-Gruppe verkauft, die einen Luxusbadeort plante. Doch nur wenige Gebäude wurden bislang saniert und zu einem Luxushotel umgebaut, zahlreiche Häuser verfallen. Einst öffentliches Gelände wurde privatisiert und ist nur mehr wenigen zugänglich. Die Reichen wollen vor den Blicken neugieriger Zaungäste geschützt sein.
Die neue Nutzung passt hervorragend zum Charakter des G8-Gipfels vom 6. bis 8. Juni diesen Jahres: Heiligendamm als Treffpunkt der Reichen, elitär, unzugänglich, abgeschottet. Der anlässlich des Gipfels errichtete 13 Kilometer lange Sicherheitszaun ist das passende Symbol für das neue Heiligendamm.
Das Gipfeltreffen ist das wichtigste internationale Ereignis des Jahres für die Bundesregierung, die 2007 die G8-Präsidentschaft ausübt und im ersten Halbjahr auch die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Unter dem Motto „Wachstum und Verantwortung“ wird Bundeskanzlerin Angela Merkel die Regierungschefs aus Italien, Frankreich, Großbritannien, Japan, Kanada, Russland und den USA empfangen. Energiesicherheit und Klimawandel, Eigentumsrechte und Investitionsschutz, Finanz- und Kapitalmärkte sowie Afrika sollen die zentralen Themen der dreitägigen Beratungen sein.
Ob beim abschließenden Gruppenbild mit Dame wichtige Beschlüsse präsentiert werden können, ist gar nicht so wichtig. Informelle Verabredungen haben für die G8-Gipfel eine ebenso große Bedeutung wie die Botschaft für die zahlreichen Fernsehkameras, man kümmere sich intensiv um die Probleme dieser Welt.
Doch nicht nur die Bundesregierung, auch die globalisierungskritische Bewegung, viele entwicklungs- und umweltpolitische Organisationen, kirchliche Initiativen und zahlreiche Aktionsgruppen bereiten sich seit langem auf das Treffen in Heiligendamm vor. Sie wollen gegen die Politik der G8 protestieren, einer Form der Globalisierung, die wenigen nützt, aber viele deklassiert und die natürlichen Lebensgrundlagen zerstört. Schon im Vorfeld gibt es zahlreiche Veranstaltungen, Seminare und Aktionen.
Am Samstag, den 2. Juni, bildet eine Großdemonstration in Rostock den Auftakt für eine breit gefächerte Aktionswoche. Die „Choreografie des Widerstands“ (siehe Seite 24) bietet einen Gegenkongress, Blockaden der Zufahrtswege nach Heiligendamm, Aktionstage zu Landwirtschaft, Migration und Antimilitarismus, Konzerte, Gottesdienste und einiges mehr. Es müsste für jede und jeden etwas zu finden sein, um gegen den Gipfel aktiv zu werden.
Auch für das INKOTA-netzwerk ist der G8-Gipfel ein Aktionsschwerpunkt in diesem Jahr. Zahlreiche Aktivitäten sind geplant (siehe Seite 25), darunter eine Rundreise mit INKOTA-Partnern aus Nicaragua und El Salvador, die über die Gefahren des Freihandels für die Ernährungssouveränität in ihren Ländern berichten werden.
Wir hoffen, dass Ihnen dieser INKOTA-Brief eine interessante Lektüre zur Vorbereitung auf die Gipfeltage bietet. Wichtig war uns, sowohl den offiziellen Gipfel und seine wichtigsten Themen zu analysieren und fundierte Kritik zu bieten, als auch die Breite der Protestmöglichkeiten vorzustellen.
Auf kreative Proteste im Juni freut sich
Michael Krämer
[http://www.inkota.de/publik/ibrief/139_gegenaktivitaeten.htm]