2007-02-21 

Von Rambouillet nach Heiligendamm

Die G7- und später die G8-Gipfelkonferenzen waren stets durch eine gehörige Portion symbolischer Politik gekennzeichnet. Trotzdem können sie nicht als bloßer "Medienzirkus" abgetan werden. Dies würde die zentrale Rolle verkennen, die derartige Zusammentreffen für die Ausbildung politischer Strategien und Sprachregelungen sowie für die Entwicklung konkreter politischer Konfliktfelder spielen. Eine Gipfel-Geschichte von Rainer Falk.

Die G7/G8 ist eine selbstkonstituierte Gruppe von Regierungen mächtiger Industriestaaten, die im Zentrum des (real-existierenden) Systems der politisch-ökonomischen "Global Governance" steht. Ihre Beratungs- und Entscheidungsprozesse sind heute von entscheidender Bedeutung für das Management globaler politischer und ökonomischer Angelegenheiten. Fast alle wichtigen wirtschafts- und sicherheitspolitischen Initiativen auf globaler Ebene werden heute im Kreise der G7/G8, sei es der Staats- und Regierungschefs selbst oder auf Ministerebene, diskutiert und vorentschieden, bevor sie in anderen multilateralen Foren und Organisationen auf die Tagesordnung kommen oder umgesetzt werden. Dabei haben sich die Gipfel im Laufe der Jahre sowohl vom äußeren Format als auch von den Inhalten der Tagesordnung her ständig erweitert.

* Die Krisengipfel der Gründungsphase
Zunächst waren die Weltwirtschaftsgipfel im wesentlichen Krisengipfel, die die wirtschaftspolitische Koordination der großen kapitalistischen Industrieländer angesichts der definitiven Beendigung der "Wirtschaftswunder" und des tiefen Kriseneinschnitts in der ökonomischen Nachkriegsentwicklung seit 1974/75 verbessern sollten. Das war das Credo der "Gründer" Helmut Schmidt und Giscard d'Estaing, die sich vor allem neue Impulse für die gemeinsame Konjunktursteuerung erhofften und eine gemeinsame Antwort auf das Aufbegehren der "Dritten Welt" formulieren wollten. Die weltwirtschaftliche Situation wurde in dieser Zeit einerseits durch den Zusammenbruch des währungspolitischen Systems von Bretton Woods (Festkurse gegenüber dem US-Dollar) bestimmt, andererseits durch die Stichworte "Ölkrise" und "Neue Weltwirtschaftsordnung".

Das erste Treffen fand 1975 im Kreise von sechs Regierungschefs (aus den USA, Großbritannien, Frankreich, BRD, Italien und Japan) in Rambouillet bei Paris statt. Ein Jahr später wurde in San Juan/Puerto Rico auf Initiative der USA auch Kanada hinzugezogen. Damit war der G7-Klub komplett. Erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, ab dem Londoner Gipfel 1991, luden die G7 Rußland zu einem politischen Dialog ein, der jeweils im Anschluß an die offiziellen G7-Beratungen stattfand. Ab dem Wirtschaftsgipfel in Birmingham 1998 firmiert Rußland als Vollmitglied der G8 auf Gipfelebene, während die ökonomisch entscheidenden Finanzministertreffen immer noch exklusiv im G7-Kreis stattfinden.

Die Erweiterung der G7 zu G8 markiert den vorläufigen Endpunkt einer längeren Entwicklung, in deren Verlauf sich die G7 schon bald nicht mehr auf das ursprünglich zentrale Anliegen, nämlich als Instrumente der makro-ökonomischen Politikkoordination zu fungieren, beschränkten. Als Hauptverbündete im Kalten Krieg machten sie die Gipfeltreffen seit Ende der 1980er Jahre zu einem zusätzlichen Forum für ihre militärische Sicherheitspolitik. So verurteilten die G7-Gipfel regelmäßig die sowjetische Intervention in Afghanistan.

Chronologie der G7/G8-Gipfel

Jahr Austragungsort und Gastgeberland
1975 Rambouillet (Frankreich)
1976 San Juan/Puerto Rico (USA)
1977 London (Großbritannien)
1978 Bonn (Deutschland)
1979 Tokio (Japan)
1980 Venedig (Italien)
1981 Ottawa (Kanada)
1982 Versailles (Frankreich)
1983 Williamsburg (USA)
1984 London (Großbritannien)
1985 Bonn (Deutschland)
1986 Tokio (Japan)
1987 Venedig (Italien)
1988 Toronto (Kanada)
1989 Paris (Frankreich)
1990 Houston (USA)
1991 London (Großbritannien)
1992 München (Deutschland)
1993 Tokio (Japan)
1994 Neapel (Italien)
1995 Halifax (Kanada)
1996 Lyon (Frankreich)
1997 Denver (USA)
1998 Birmingham (Großbritannien)
1999 Köln (Deutschland)
2000 Okinawa (Japan)
2001 Genua (Italien)
2002 Kananaskis (Kanada)
2003 Evian (Frankreich)
2004 Sea Island (USA)
2005 Gleneagles (Großbritannien)
2006 St. Petersburg (Rußland)
2007 Heiligendamm

* Die Rückgewinnung der Offensive in den 80er Jahren
Vor allem die 1980er Jahre waren gekennzeichnet durch die stetige Ausweitung der Agenda der G7-Veranstaltungen, die nicht nur immer größer und publizitätsträchtiger wurden, sondern sich bald auch mit einem Themensprektrum befaßten, das sich mehr und mehr auf alle globalen Probleme bezog, von der Rüstungs- und Abrüstungspolitik über die Reaktion des Westens im sog. Nord-Süd-Dialog, die westliche Politik in der Systemkonkurrenz mit dem realen Sozialismus bis hin zur internationalen Umweltpolitik.

Vor allem seit dem offenen Ausbruch der Schuldenkrise der "Dritten Welt" (mit dem Zahlungsmoratorium Mexikos 1982) entwickelten sich die G7-Gipfel zu einem Machtzentrum, von dem aus das Roll back des Nordens gegenüber dem Süden organisiert wurde. Aus der defensiven Abwehrhaltung gegenüber der Forderung der Entwicklungsländer nach einer Neuen Weltwirtschaftsordnung wurde jetzt eine offensive Strategie, die dem Süden eine flächendeckende "Roßkur" der Strukturanpassung aufoktroyierte. Nicht die Anpassung an und die Veränderung der weltwirtschaftlichen Strukturen im Sinne der Interessen der Entwicklungsländer standen nunmehr im Mittelpunkt der internationalen Auseinandersetzung, sondern umgekehrt die Anpassung des Süden an die Erfordernisse der Weltmarktentwicklung.

Unter der Devise einer "gestärkten Schuldenstrategie" wurde diese neoliberale Strukturanpassung, die den "dirigistischen Spuk" der Neuen Weltwirtschaftsordnung ein für allemal beenden sollte, erstmals auf dem G7-Gipfel von Williamsburg 1983 proklamiert. Das bis heute vorherrschende Oberziel der etablierten Schuldenstrategie, nämlich die "Schuldendienstfähigkeit" der Schuldnerländer abzusichern, wurde damals ebenso verankert wie die zentrale Rolle des Internationalen Währungsfonds (IWF) als Zwangsmechanismus zur Aufherrschung der neoliberalen Anpassungspolitik gegenüber den Schuldnerländern und zur Beitreibung der Auslandsschulden.

Keine der Wendungen und Modifikationen der herrschenden Schuldenstrategie war fortan mehr denkbar, ohne zuvor im Kreise der G7 vorgedacht, ausgearbeitet und abgesegnet worden zu sein: Die G7-Gipfel von Toronto (1988) und Neapel (1994) beschlossen eine gewisse Lockerung der Rückzahlungsbedingungen für die Schulden der Entwicklungsländer bei öffentlichen Quellen, die sog. Toronto- und Neapel-Terms. Der Halifax-Gipfel von 1995 bereitete in gewisser Weise den Boden für die spätere HIPC-Initiative zur Schuldenerleichterung für die ärmsten Länder, da er erstmals die Überschuldung bei multilateralen Institutionen, vor allem beim IWF und der Weltbank, als Problem anerkannte. Bis zum G8-Gipfel in Köln 1999 dauerte es freilich, bis sich die G7-Länder bereitfanden, wirklich einmal Schulden (wenn auch in viel zu geringem Umfang) zu erlassen.

* Die Globalisierungsgipfel der 90er Jahre
Das alltägliche Krisenmanagement der 80er Jahre wurde gegen Ende des Jahrzehnts von jener weltpolitischen Wende überlagert, die auch eine neue Phase in der Geschichte der G7-Gipfel einläutete. Noch 1989 hätte das Gipfelkommuniqué von Paris, in dem der Umweltpolitik fast 50% des Platzes gewidmet worden war, als Zeichen dafür interpretiert werden können, daß die G7-Gipfel nunmehr von den wirklichen Herausforderungen der "globalen Probleme" bestimmt werden würden. Der sich abzeichnende Weg zum "Erdgipfel", zur Weltkonferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio (1992), schien dies zunächst zu bestätigen.

Doch entscheidend für die Grundrichtung der internationalen Politik wurde etwas anderes. Während in Houston 1990 vor allem der "Sieg über den Kommunismus" gefeiert wurde, übertönte fortan die Proklamation der "Neuen Weltordnung" von George Bush (Sen.) die Neue Weltwirtschaftsordnung des Südens und die Nachhaltigkeitsdiskurse von Rio gleichermaßen. Die Aufmerksamkeit der G7-Treffen richtete sich künftig auf das Management der Transformationsprozesse in Osteuropa (bis hin zu der schon erwähnten Einbeziehung Rußlands in den G7-Prozeß) - diese war selbst noch eine Facette des großen, wesentlich weiter angelegten Projekts der neoliberalen Globalisierung.

Spätestens seit dem Weltwirtschaftsgipfel von Lyon im Jahre 1996 sind die G7-Treffen auch expressis verbis zu Globalisierungsgipfeln geworden. Geradezu hymnisch formulierte das in Lyon verabschiedete Wirtschaftskommuniqué das Motto der 90er Jahre: "Erfolgreiche Globalisierung zum Nutzen aller". Doch die Hoffnungen erfüllten sich nicht; die Versprechungen, daß die Globalisierung in der vorherrschenden Form alle Menschen wie in einem gemeinsamen Boot nach oben heben werde, wenn die Flut steigt, erwiesen sich als hohl.

Als gelte es, die Ängste der Menschen, die von den G7 vor allem "Gesten für die Ausgeschlossenen" (Präsident Chirac) erhofften, in den Wind zu schlagen, griffen diese in ihrer Mehrheit zu einer Rhetorik, die bei aller scheinbaren Differenzierung zwischen "Chancen" und "Risiken" bis heute stets die positiven Seiten des Prozesses ("benefits") der Globalisierung betont.

Nachdem von dem Gipfel in Denver 1997 keine wesentlichen Impulse ausgegangen waren, sollte das G8-Treffen 1998 in Birmingham – ähnlich wie heute der Gipfel von Gleneagles nach dem farblosen Gipfel von Sea Island - mit der Konzentration auf die Hauptthemen "Konsequenzen der Asienkrise", "weltweite Arbeitslosigkeit" und "internationale Kriminalität" erneut Befürchtungen aufgreifen, die in der Öffentlichkeit in zunehmendem Maße mit der Globalisierung in Verbindung gebracht wurden. In den politischen Planungen der Blair-Regierung ging es darum, auf dem Gipfel zu demonstrieren, daß die G8 die Globalisierungsprozesse "unter Kontrolle" haben. In diesem Sinne sollte bereits Birmingham Antworten auf die genannten internationalen Krisenphänomene liefern, die Entwicklungsrichtung für die künftige Architektur des internationalen Finanzsystems angeben und einen Auftakt für die Verbesserung der HIPC-Initiative bilden.

Daß der Gipfels in Köln eine ähnliche Struktur aufwies, war angesichts der damaligen deutsch-britischen Gemeinsamkeiten, wie sie in einem gemeinsamen Papier von Schröder und Blair zum Ausdruck gebracht wurden, ebensowenig ein Zufall, wie das erneute Auftauchen des Globalisierungsmotivs. Es gehe um die "Suche nach geeigneten Antworten auf die Herausforderungen der Globalisierung", um dieser ein "menschliches Antlitz" zu verleihen, wie die Bundesregierung formulierte. Gemeinsamen Handlungsbedarf sah die neu ins Amt gekommene sozial-ökologische Koalition vor allem in folgenden Bereichen: Währungs- und Finanzarchitektur der Weltwirtschaft; Wirtschafts- und Sozialpolitik für eine globalisierte Welt; Krisenprävention durch Schuldenerlaß und nachhaltige Entwicklung; Investition in Bildung und Aufbau von Humankapital.

In Erinnerung bleibt neben der HIPC-Initiative jedoch vor allem das Schicksal des Themas "Neue Internationale Finanzarchitektor": Die Reformanstrengungen wurden mehr und mehr auf die "Verbesserung" des bestehenden Finanzsystems konzentriert und nicht auf eine "neue Architektur", seit klar wurde, daß sich die globalen Auswirkungen von Finanzkrisen auf die Dritte Welt begrenzen lassen. Das seit Halifax versprochene Projekt einer "Neuen Internationalen Finanzarchitektur" ist heute nicht viel mehr als eine Entwicklungsruine, von der allenfalls ein neuer Auflagen- und Forderungskatalog an die emerging economies, ihre eigenen Finanzmarktstrukturen den Bedingungen des Weltfinanzsystems anzupassen, übrig geblieben ist.

* An den Grenzen der Globalisierung
Die Geschichte der G8 trägt, gemessen an deren selbst gesetzten Standards, durchaus Züge einer Erfolgsgeschichte: In den 70er Jahren trug ihr Krisenmanagement dazu bei, ein Umschlagen der ökonomischen Strukturkrise in eine politische Systemkrise zu verhindern. In den 80er Jahren bereitete das nord-süd-politische Roll back den Übergang in eine neue Phase des globalen Kapitalismus nach dem Abschluß des Kalten Krieges vor. Die G7 spielten eine wichtige Rolle beim Zustandekommen und beim Abschluß der Uruguay-Runde und der anschließenden Gründung der Welthandelsorganisation (WTO). Bis heute erweisen sich die G7/G8-Konsultationen als unverzichtbarer Mechanismus, um die wachsenden Interessengegensätze, vor allem auf handelspolitischem Gebiet, zwischen den großen Industriestaaten zu organisieren und in Grenzen zu halten.

Doch indem die G8 den Prozeß der neoliberalen Globalisierung so tatkräftig vorantrieben, schufen sie auch für ihre eigenen Strategien immer wieder neue Grenzen. Nirgendwo hat sich dies bislang so deutlich gezeigt, wie auf dem G8-Gipfel in Genua im Jahre 2001. Die italienische Hafenstadt erlebte 2001 nicht nur die größten Protestdemonstrationen am Rande einer G7/G8-Konferenz. Der Gipfel selbst markierte nicht mehr und nicht weniger als den einstweiligen Höhepunkt einer tiefgreifenden Legitimationskrise der G8. Diese Krise hat sich über mehrere Jahre herausgebildet und hat höchst unterschiedliche Facetten - eine davon ist die zunehmend schwerer werdende Legitimierung von Regierungshandeln in der internationalen Politik.

Schon seit den 80er Jahren läßt sich eine zunehmende Interaktion zwischen internationalen Wirtschaftsorganisationen und -gruppierungen einerseits und globalen sozialen Bewegungen andererseits beobachten. Der "alte", exklusiv staatliche Multilateralismus wird mehr und mehr durch internationale Prozesse ergänzt und teilweise verdrängt, in denen nichtstaatliche Akteure eine wachsende Rolle spielen. Mehr und mehr wird anerkannt, daß z.B. Nichtregierungsorganisationen (NGOs) nicht nur die eigene Klientel organisieren, sondern - meistens thematisch orientiert - öffentliches Interesse zum Ausdruck bringen.

Es entsteht auch auf internationaler Ebene ein "vorstaatliches" Terrain, in dem um die Hegemonie gerungen wird. Wenn auf diese Weise Prozesse der "Global Governance" zum Kampffeld werden, rücken automatisch auch die G8 in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Es muß betont werden, daß diese Gegenbewegungen von vornherein ein inhärenter Bestandteil des Prozesses der Globalisierung waren und das zeitweilig grassierende Un-Wort von der Anti-Globalisierungsbewegung insofern von Beginn an irreführend war.

* Katalysator für Protestbewegungen
Die Geschichte der Protestbewegungen und Parallel- oder Gegenveranstaltungen zu G7/G8-Konferenzen läßt sich ziemlich genau bis Mitte der 1980er Jahre zurückverfolgen. Sie tauchten bezeichnenderweise fast zeitgleich mit der Einführung des sog. "G-Worts" in den allgemeinen politischen Sprachgebrauch auf, erstmals am Rande des G7-Gipfels 1984 in London (1. TOES: "The Other Economic Summit") und 1985 in Bonn (erste Straßenaktionen). 1988 folgten der Internationale Gegenkongreß und die große Demonstration mit 80.000 TeilnehmerInnen zur Jahrestagung von IWF und Weltbank in West-Berlin. 1989 tagte parallel zum Weltwirtschaftsgipfel in Paris ein "Gegengipfel der Ärmsten" mit über 3000 TeilnehmerInnen.

Ein Blick in die Jahrgänge dieses Informationsbriefes genügt, um festzustellen, daß die meisten großen internationalen Ereignisse der 1990er Jahre - nicht nur die G7-Gipfel, auch die großen Weltkonferenzen der Vereinten Nationen und mehr und mehr die Jahrestagungen internationaler Organisationen - von Alternativbewegungen und Parallelveranstaltungen begleitet waren. Dabei waren diese Aktionen keineswegs durch eine unilineare Aufwärtsbewegung charakterisiert, in deren Gefolge "wir immer mehr geworden" wären. Bei aller Tendenz zur Globalisierung hing die Fähigkeit zur Mobilisierung immer sehr stark von den lokalen Gegebenheiten, vor allem den spezifischen Traditionen, Schwächen und Stärken der politischen Kräftekonstellationen vor Ort ab sowie auch vom Grad der Konkretisierung, in der globale Probleme ernsthaft bearbeitet wurden.

Hervorgehoben werden müssen hier die großen Menschenketten am Rande der Weltwirtschaftsgipfel von Birmingham (1998) und Köln (1999), die einen Höhepunkt in der Bewegung für die Streichung der Auslandsschulden der Dritten Welt darstellten, aber auch die gewerkschaftlichen Massendemonstrationen im Vorfeld des G7 in Lyon (1996) und des EU-Gipfels von Nizza (Ende 2000). Den bisherigen Höhepunkt dieser Aktionen bildeten zweifellos die Großdemonstrationen von rund 250.000 Menschen im Juli 2001 in Genua. Dies war nicht so schnell zu wiederholen - unter den Bedingungen des Rückzugs der G8 in den scheinbar nichtöffentlichen Raum wie in Kananaskis, Sea Island und Gleneagles schon gar nicht.

Dennoch ist es fraglich, ob solche Versuche, durch den Gang in die geografische Abgeschiedenheit vor einer kritischen Öffentlichkeit mehr Legitimität für das G8-Gremium zurückzugewinnen, von Erfolg gekrönt sein können. Gerade die Globalisierung geht mit einem beträchtlichen Bedeutungszuwachs globaler Institutionen und -gruppierungen einher, wobei die G8 bereits durch ihre bloße Existenz eine besondere Herausforderung für den zunehmenden Willen einer wachsenden Zahl von Menschen darstellt, die Politik dieser Institutionen zu beeinflussen.

* Problematische Klubstruktur
Denn von den drei Typen bzw. Ebenen institutioneller Strukturen, die das globale Machtsystem kennzeichen - multilaterale Organisationen/Institutionen, globale Klub-Strukturen und drittens regionale Integrationsprozesse bzw. -strukturen -, ist das G8-Kartell am problematischsten:

* Regionale Organisationen nehmen in jüngster Zeit an Zahl und Bedeutung zu. Sie sind in der Regel regional repräsentativ, meistens (tendenziell) symmetrisch, aber in ihren Entscheidungsstrukturen mehr oder weniger auf die staatliche Ebene beschränkt.

* Multilaterale Organisationen zeichnen sich in der Regel durch eine globale Repräsentation aus, aber auch diese ist zumeist auf die staatliche Ebene beschränkt. Wenngleich global, kann die Repräsentation wie im Falle der UNO und ihrer Sonderorganisationen annähernd symmetrisch organisiert sein (Prinzip "One country - one vote") oder aber wie im Falle der Bretton-Woods-Institutionen weitgehend asymmetrisch mit eingebauten Mehrheiten für die Industrieländer (Prinzip "One dollar - one vote").

* Globale Klubstrukturen wie die G7/G8 sind im Unterschied dazu global nicht repräsentativ, aber von globaler Relevanz: ihre Beschlüsse stellen entscheidende Vorgaben beispielsweise für die Bretton-Woods-Institutionen dar (wie sich u.a. an der Rolle der G7 bei der Gestaltung des internationalen Schuldenmanagements gezeigt hat; s.o.).

Ein Spezifikum von "Klubs" ist ihre extrem geringe Offenheit: In einen Klub kann man nicht ohne weiteres eintreten, man wird eingeladen oder berufen. So wurde Rußland im Rahmen der Geostrategie der "Neuen Weltordnung" zum Mitglied der "politischen G8" gemacht. Seit einiger Zeit gibt es Konsultationsmechanismen zwischen der G7/8 und den Entwicklungsländern, wobei afrikanische Staatschefs seit Genua sogar für ein paar Stunden im Kreise der Großen Acht zu Gast sein dürfen. In Heiligendamm soll erstmals ein "Outreach" zu den großen Schwellenländern (Brasilien, Indien, China, Mexiko und Südafrika) organisiert werden (G8+5). Auch NGOs werden seit ein paar Jahren im Gipfelvorfeld von G8-Regierungen konsultiert - irgendeinen signifikanten Einfluß auf die Beschlußfassung hat dies jedoch nicht.

Die entscheidenden Grenzen im "contest over global governance" stellen also die Demokratiedefizite dar, die für das internationale Machtsystem funktional sind: Sie dort am größten, wo die Bedeutung für die Funktionsweise des Systems am höchsten ist. Am krassesten ist die Exklusivität deshalb bei der G7/G8. Selbst in den Bretton-Woods-Institutionen gibt es ein Moment der Repräsentation des Südens, wenngleich die Stimmenverhältnisse extrem ungleich verteilt sind.

Veröffentlicht: Juli 2005; seither mehrfach aktualisiert, zuletzt 21.2.2007

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