2007-03-15 

Schwerpunktthema: Die Weitersos – Die Globalisierungskritik zwischen Euphorie und Krise

PHASE 2, Leipzig
Aktuelle Ausgabe Nr. 23: »Die Weitersos«

Einleitung zum Schwerpunkt
Für Juli 2007 ruft die Antiglobalisierungsszene zur Störung des G8-Gipfels in Heiligendamm auf. Die Mobilisierung erinnert deutlich an diejenigen der zurückliegenden Jahre. Die führenden »Sachwalter des globalen Kapitalismus« geben sich im Norden Deutschlands ein Stelldichein – und die globalisierungskritische Linke versucht in einer Mischung aus Demonstrationen, Blockaden, Gegengipfeln, Kulturevents und militanten Aktionen ihre Gegnerschaft zum globalen Kapitalismus und seinen ProtagonistInnen zu demonstrieren.
Die Mobilisierung zum G8-Gipfel vermittelt ein durchaus euphorisches Bild der Antiglobalisierungsbewegung. Die Aufrufe ziehen eine direkte Linie von Seattle 1999 über Genua 2001 bis nach Heiligendamm 2007. Dementsprechend sollen die Proteste gegen das Treffen der acht größten Industrienationen ein fulminantes Feuerwerk der internationalen Antiglobalisierungsbewegung werden. Sie sollen zeigen, dass sich das Unbehagen an Kapitalismus, Globalisierung oder Neoliberalismus auch heute noch in Massenspektakeln entladen kann, dass der Kapitalismus samt seiner aktuellen Formen nicht unwidersprochen bleibt und dass ein Widerstandspotential existiert, das aufgrund seiner numerischen Stärke und gegebenenfalls auch seiner Militanz nicht ignoriert werden kann.

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Die Euphorie im Vorfeld kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Globalisierungsbewegung eher in einem Zustand der Stagnation denn des Aufbruchs befindet. Die Fragen, die an diese gestellt werden, sind auch heute noch im Wesentlichen diejenigen der ersten Phase von Seattle. Unbeantwortet bleibt zunächst die Frage nach der Gemeinsamkeit einer Bewegung, die im Grunde lediglich ein allgemeines Unbehagen an den Verhältnissen eint. Zu unterschiedlich sind die verschiedenen Interessen einzelner – aus politisch völlig verschiedenen Weltregionen stammender – Gruppierungen und Interessensgruppen.
Mit den Protesten von Seattle verbanden viele Linke jedoch zumindest die Hoffnung, dass sie der Auftakt einer Bewegung sein könnten, die den Kapitalismus wieder in das Zentrum der Auseinandersetzung rückt, und sich eine Bewegung entwickelt, die das Label »antikapitalistisch« auch verdient. Dieses Gefühl, das nach dem Ende des realen Sozialismus proklamierte »Ende der Geschichte« nicht unwidersprochen zu akzeptieren, ist bis heute ungebrochen. Konnte sich ein Unbehagen an den Verhältnissen nach 1989 meist nur im regionalen Rahmen Gehör verschaffen, wurden mit den Protesten von Seattle antikapitalistische Positionen erstmals wieder in größeren Ausmaßen artikuliert. Die Heterogenität der Bewegung erlaubte es zunächst, sich positiv auf sie zu beziehen, ohne sie als Ganzes verteidigen zu müssen.
Bis heute sind die Gründe, die bereits 1999 für ein Mitmachen bei der Antiglobalisierungsbewegung sprachen, nachvollziehbar geblieben. Dietmar Dath hat sie in seinem Beitrag zum Schwerpunkt noch einmal dargelegt. Der kapitalistische Normalbetrieb provoziert und verlangt förmlich seine partielle, wenn nicht permanente Störung. Jede dieser Störungen, so Dath, sei zunächst als eine solche begrüßenswert. Ihre Attraktivität bezieht die Bewegung daher auch heute noch daraus, dass sie sich zumindest in Teilen gegen den Kapitalismus und die herrschende Weltordnung stellt.
Im Jahr 2007 gesellen sich jedoch zum allgemeinen Unbehagen fast zehn Jahre Erfahrung mit der Antiglobalisierungsbewegung. Zunächst muss konstatiert werden, dass das, was sich Bewegung nennt, nicht die Gemeinsamkeit entwickeln konnte, die für eine Qualifizierung als »Bewegung« eigentlich nötig wäre. In den zurückliegenden Jahren konnten immer wieder zu ausgewählten Ereignissen Großproteste veranstaltet und in den Zwischenräumen nationale oder globale Sozialforen organisiert werden. Dennoch bleibt unbeantwortet, wie sich eine auf den Gipfel-Protesten aufbauende, regelmäßige Politik organisieren ließe. Ebenso erscheint die Frage nach den Gemeinsamkeiten, die die sich aus allen möglichen politischen und sozialen Feldern rekrutierende Globalisierungskritik zu einen scheinen, ungelöst. Diese Fragen hatten sich bereits kurz nach Seattle gestellt. Mit ihrer Beantwortung ist man bis heute kaum vorangekommen.
Angesichts dieser Probleme ist der allgemeinen Euphorie der Anfangstage eine gewisse Ernüchterung gewichen. Die eigenen Analysen sowie die Kritik von außen haben zu einem gewissen internen Reflexionsprozess geführt. Die Kritik, die an die Globalisierungsbewegung herangetragen wurde, verlangte einen Umgang, der sich nicht allein auf das Argument der Heterogenität zurückziehen konnte. Und tatsächlich wurde teilweise Kritik aufgegriffen und auf diese reagiert.
Der Schwerpunkt dieser Ausgabe will jenen Reflexionsprozess in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung rücken. Kritik an der Antiglobalisierungsbewegung ist vielfach geübt worden und somit weitestgehend bekannt. Welche Antworten hat die Bewegung jedoch hierauf gefunden und – viel entscheidender – welche Konsequenzen hat sie daraus gezogen? Dies ist die Grundfrage, der der Schwerpunkt nachgehen will.
Es waren weniger die strukturellen, sondern vor allem substantielle Probleme inhaltlicher Natur, die seit Seattle zu permanenter Kritik Anlass gaben. Schließlich sind es nicht nur logistisch-strukturelle Fragen, die sich einem Erfolg der Bewegung in den Weg stellen. Zwar stellt sie sich nicht als eine dar, die ein gemeinsames politisches Projekt verfolgt, dennoch gibt es Gemeinsamkeiten, die an ihrem emanzipatorischen Potential zweifeln lassen. Bis heute konnte sie z.B. keine befriedigende Antwort auf den Vorwurf geben, nicht das »gesellschaftliche Ganze« des Kapitalismus im Visier zu haben, sondern nur bestimmte Formen desselben bekämpfen zu wollen oder ihn gar in personalisierender Form den »Herrschenden« zuzuschreiben.
In der Form der Gipfelproteste ist bereits das grundlegende Verständnis gesellschaftlicher Prozesse angelegt, das als das Böse der Welt die Regierungen der führenden Industrienationen identifiziert. Die größten Industriestaaten, multinationale Großkonzerne oder die Vereinigten Staaten von Amerika – immer wieder sind es diese mehr oder minder konkreten »Kategorien«, die nicht nur als Symbole herangezogen, sondern tatsächlich zu Feinden erkoren werden. Sie zu bekämpfen, wird gleichgesetzt mit der Bekämpfung des Kapitalismus als solchem.
Neben diesen simplifizierenden, verkürzenden und personalisierenden »Analysen« der kapitalistischen Weltwirtschaft fällt auf, dass große Teile der Bewegung an der Aufhebung des Kapitalismus nicht wirklich interessiert sind. Die Statthalter »Globalisierung« oder »Neoliberalismus« sind keine anderen Begriffe für Kapitalismus, sondern stehen in vielen Analysen für seine brutalste oder degenerierte Form. Der Kampf gegen »Globalisierung« und »Neoliberalismus« meint somit den Kampf gegen als besonders unerträglich empfundene kapitalistische Formen, nicht aber den Kampf gegen den Kapitalismus als solchen.
Felix Körner befasst sich in seinem Text mit dieser Problematik. Die sich militant gerierenden Parolen gegen Kapitalismus, Globalisierung und Neoliberalismus zielen nicht auf den Kapitalismus an sich, sondern lediglich auf die aktuelle Art der Umsetzung. In der Konsequenz bedeutet dies, nicht die Aufhebung des Kapitalismus zu betreiben, sondern in einer kritischen Auseinandersetzung seine zeitgemäße Umsetzung zu forcieren. Auf einen Großteil der Bewegung trifft also durchaus zu, dass sie keine Kapitalismuskritik, sondern mit den Worten Körners lediglich eine »militante Modernisierung« betreibt.
Georg Fülberth deutet an, wie man mit den Begriffen »Globalisierung« und »Neoliberalismus« umgehen könnte. Ihm sind diese Begriffe keine Metaphern für das Böse in der Welt, sondern Beschreibungen der Entwicklungen des modernen Kapitalismus. Fülberth sieht diesen in die Phasen des Keynesianismus (1945 ff) und des Neoliberalismus (1973 ff) eingeteilt. Gleichwohl sei die Phase des Neoliberalismus keine homogene, sondern eine wiederum durch Brüche und Veränderungen geprägte. Besonders seit dem Jahr 2001 sei der Neoliberalismus selbst durch verschiedene Veränderungen in eine neue Phase getreten. Die Hauptkomponenten dieser derzeitigen Transformationsphase des Neoliberalismus – die zu dessen Veränderung aber auch zu einer dritten Phase des modernen Kapitalismus führen können – beschreibt Fülberth in seinem Text.
Es ist somit eigentlich nicht der Antikapitalismus, der die Bewegung eint, sondern eine diffuse Ablehnung der »Herrschenden«. Und die Herrschenden – und dies ist wahrscheinlich die entscheidende Gemeinsamkeit der Bewegung – sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Sie gelten als Protagonist der kapitalistischen Globalisierung, als Wegbereiter des Neoliberalismus und als politischer sowie militärischer Hegemon der Weltpolitik gleichermaßen. Der Antiamerikanismus ist wohl die einzige inhaltliche Klammer der Antiglobalisierungsbewegung, die tatsächlich als übergreifend bezeichnet werden kann. In dieser Lesart können all diejenigen zu potentiell Verbündeten avancieren, die zu Opfern des Imperii Americani stilisiert werden. Und so kommt es, dass der irakische »Widerstand«, die palästinensische Hamas oder das iranische Mullah-Regime mit ihren regressiven Unterdrückungs- und Vernichtungsideologien des Islamismus zum Teil als Opfer betrachtet und damit zu Verbündeten der Antiglobalisierungsbewegung gemacht werden.
Innerhalb der Bewegung mögen diejenigen zwar eine Minderheit darstellen, die Gelder für den irakischen Widerstand sammeln oder sich mit Vertretern der Hamas auf einen antiimperialistischen Tee treffen, sie sind aber dennoch deutlich wahrnehmbarer Teil der Bewegung und innerhalb dieser keineswegs isoliert. Dies verweist bereits auf ein grundlegendes Problem: Die Heterogenität der Bewegung erlaubt ein Nebeneinander von z.B. Positionen einer dezidierten Kritik des Antisemitismus und Antiamerikanismus und der Unterstützung islamistisch-antisemitischer Bewegungen im Nahen Osten. Zwar würde wohl ein Großteil der Bewegung die Solidarisierungskampagnen ablehnen; zu einem Bruch mit der gesamten Bewegung, in der solche Positionen möglich sind, führt dies jedoch nicht.
Die Unterstützung dieser antisemitischen Gruppierungen geht in der Globalisierungskritik darüber hinaus eine unheilvolle Liaison mit dem verkürzten Antikapitalismus derselben ein. Lassen die Personalisierungen der Kapitalismuskritik häufig Elemente eines strukturellen Antisemitismus erkennen, materialisiert sich dieser in der Unterstützung antisemitischer Terrorgruppen im Nahen Osten. Angesichts dieser Entwicklung nur von strukturellem Antisemitismus zu sprechen, würde ignorieren, dass sich verschiedene Gruppen in der Solidarisierung mit antisemitischen Terrorgruppen auch durchaus offen zum Antisemitismus bekennen.
Die Bewegung der GlobalisierungskritikerInnen ist von verschiedenen antisemitischen Positionen durchzogen. Immer wieder wurde ihr dieser Vorwurf entgegengebracht. Seien es die klaren Solidarisierungen mit Hamas & Co., die Einteilung der Welt in Gut und Böse, in Herrschende und Unterdrückte oder die klassische Abspaltung der Finanzsphäre vom Gesamtprozess des Kapitalismus – die antisemitischen Strukturen sind evident. Nora Sternfeld zeigt noch einmal diese verschiedenen Formen auf, fragt aber vor allem nach den internen Auseinandersetzungen. Schließlich war die Bewegung durchaus gezwungen, mit den Vorwürfen umzugehen. Besonders das Netzwerk Attac ist seit einigen Jahren darum bemüht, der Antisemitismuskritik den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch obwohl es hier offensichtlich eine gewisse Sensibilität für das Thema gibt, führt dies nicht zu einer tief greifenden Auseinandersetzung. Sternfeld macht deutlich, dass Attac weniger gegen die antisemitischen Positionen in den eigenen Reihen vorgeht, sondern eher gegen den Antisemitismusvorwurf. Es sind nicht die Positionen, die bei Attac Besorgnis hervorrufen, sondern der Vorwurf, den diese provozieren. Folgerichtig ist die Auseinandersetzung mit Antisemitismus auch eher oberflächlich, bestehend aus Unvereinbarkeitsbeschlüssen und verbalen Distanzierungen. Die tendenziell antisemitische Grundstruktur der Attac'schen Weltsicht bleibt davon jedoch unberührt.
Das Bemühen, sich mit der Kritik und den Problemen der eigenen Bewegung auseinanderzusetzen, bleibt jedoch bestehen. Es wäre billig, der Globalisierungskritik vorzuwerfen, was man ihr bereits schon vor zehn Jahren vorwarf, ohne anzuerkennen, dass es Reflexionsprozesse gibt.
Heiligendamm 2007 kann Aufschluss darüber geben, wie sich die Reflexionen auf die Mobilisierung auswirken. Führen die unbefriedigenden Antworten auf die Fragen der Bewegung zu einer Stagnation oder sorgen sie für eine inhaltliche Neuausrichtung? Beides ist nicht der Fall. Vielmehr bemüht man sich um Zweckoptimismus und die Vermittlung eines euphorischen Bildes. Nach Heiligendamm ruft die gesamte Bandbreite der globalisierungskritischen Linken auf. Antiimperialistische Gruppen, NGOs, antirassistische Initiativen, linksradikale Ex-Antifa-Gruppen, Parteien wie die Linkspartei oder antimilitaristische Organisationen: All jene mobilisieren nach Heiligendamm, um das Treffen der G8-Staaten zu einem Großereignis der Globalisierungskritik zu machen. Lucy Sandberg gibt einen Überblick über die unzähligen Gruppierungen, die in verschiedenen Bündnissen nach Heiligendamm aufrufen. Dieser Überblick zeigt, dass praktisch kein Spektrum der Linken in der Bundesrepublik nicht vertreten wäre. Gleichzeitig ist zu sehen, dass die hauptsächlichen Konfliktlinien entlang praktischer Fragen von Mobilisierung und Protest verlaufen und weniger entlang inhaltlicher Differenzen. Die Mobilisierung macht klar, dass nicht damit zu rechnen ist, dass die Erfahrungen der letzten Jahre zu einer Schwächung der Gipfelproteste führen könnte.
Besonders für diejenigen, die die »Kritik an Globalisierungskritik« nachvollziehen können und teilweise teilen, stellt sich die Frage nach dem Mitmachen – nach einem Innehalten oder einem »Weiterso«. Diese Überlegungen drücken sich deutlich in dem Streitgespräch zwischen Christian Stock und Thomas Seibert aus. Beide haben die Antiglobalisierungsbewegung von Anfang an begleitet, beide haben sich an den ersten Mobilisierungen beteiligt, beide haben bestimmte inhaltliche Positionen kritisiert. In den Mobilisierungen für Heiligendamm zeigt sich jedoch ein eklatanter Unterschied. Während Seibert daran festhält, dass trotz aller Kritik die Globalisierungsbewegung nicht als Ganzes diskreditiert wäre und ein Mitmachen auch weiterhin sinnvoll sei, betont Stock, dass es Zeit sei, einen Bruch zu vollziehen. Seibert glaubt daran, dass es durch die Heterogenität der Bewegung durchaus möglich sei, positiv zu intervenieren. Gleichzeitig argumentiert er, dass, wenn auch langsam, wesentliche Kritiken zu einer positiven Veränderung der Bewegung als Ganzes führen könnten. Stock hingegen vermutet, dass man die Kritik weiterführen kann, dies aber nicht zu wesentlichen Reflexionsprozessen innerhalb der Bewegung führt.
Im Zentrum des Schwerpunkts stehen also die »Weitersos«. Dabei ist es uns nicht daran gelegen, die Kritik an der Antiglobalisierungsbewegung zu wiederholen, wie sie seit Jahren geführt wird. Vielmehr gilt unser Interesse den Reflexionsprozessen und den daraus gezogenen Schlussfolgerungen. Müsste man nach zehn Jahren Globalisierungskritik und gleichzeitiger Kritik an dieser besonders die Erfahrungs- und Kritikresistenz der Bewegung konstatieren, halten verschiedene kritische Positionen beharrlich an einer Bewegung fest, die sich im Grunde kaum bewegt.

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