2007-03-14
Skizzen zur Mobilisierung links von der Aktionskonferenz
[Marcus Steinhagen, Gipfelsoli Infogruppe, veröffentlicht in ‘Rostocker Stadtgespräche’ Nr. 44]
Gipfelmobilisierungen sind riesige Laboratorien für internationale Protestkultur. Jeder Gipfel der letzten Jahre hat etwas Neues hervorgebracht: Die teils militanten Blockaden in Seattle 1999 wären ohne das alternative Mediennetzwerk Indymedia längst nicht so breit rezipiert worden. Die 3 unterschiedlichen, farbigen Demozüge in Prag zur Konferenz des IWF 2000 können als Antwort darauf verstanden werden. Der “Summer of Resistance” 2001 war der Höhepunkt dieser Bewegung, auf dem sich 300.000 AktivistInnen in Genua trafen mit einem gemeinsamen Ziel: Gegen G8. Nach dem G8 in Genua werden Gipfel nicht mehr in Metropolen abgehalten. Dies bedeutete für den G8 in Evian 2003 eine weiträumige Blockadepolitik, wie sie hierzulande von Castor-Transporten geläufig ist. In Evian waren AktivistInnen in zwei riesigen, nebeneinanderliegenden Camps untergebracht. Das Ziel der Delegitimierung der G8 ist bis zum G8 in Schottland 2005 zur Unkenntlichkeit verschrumpelt: “Make Poverty History”, Bob Geldof, Bono, schmalzige Fernsehfilme appellierten an die G8, doch bitte etwas weniger an der Armutsschraube zu drehen. Wenige radikale Linke waren gekommen, dafür gelang es durch Blockaden extrem sichtbar zu werden. Gleneagles war auch der Startpunkt der “Rebel Clowns Army”. Dieses Aktionskonzept erlaubt es, in die (fast körperliche) Konfrontation mit der Polizei zu gehen und trotzdem Spaß zu haben, sogar die Kontrolle der Situation zu behalten. Sicher hat die Traumatisierung vieler AktivistInnen in Genua zur Entstehung beigetragen. Der G8 2006 in St. Petersburg war der erste überhaupt in Russland. Seitdem hat das Land eine eigene G8-Protestbewegung. Obgleich sich wegen der Repression nur wenige aus anderen Ländern dorthin aufmachten, ist die Vernetzung mit osteuropäischen AntikapitalistInnen erfreulich vorangekommen.
Was wird das Neue beim G8 in Heiligendamm? Welche Aktionsformen werden entworfen, was bringen internationale AktivistInnen mit? Wie werden wir mit den Strategien von Polizei und Regierung umgehen?
The same procedure as every year?
Zunächst scheint es wie das immergleiche Ritual: Linksradikale Gruppen und Einzelpersonen, erfreulich früh dran mit der Mobilisierung, führen endlose Debatten, können keine Entscheidungen treffen. Splittergruppen und kleinere linke Bündnisse entstehen, die ein deutlicheres Profil haben wollen. Scheuklappenträger von attac und Nichtregierungsorganisationen (NGO) treten auf den Plan, die sich wo immer es geht in den Vordergrund drängen, weder korrigier- noch kontrollierbar sind. Ein Alternativgipfel wird vorbereitet, der trotz Kontroversen während der Blockaden stattfinden soll und der medialen Inszenierung in “gute” und “böse” DemonstrantInnen die Steilvorlage liefert. Ein breites linkes Bündnis wird geplant, das in der vorgeschlagenen Form nicht zustande kommt. Zu großen Aktionskonferenzen kommen Viele nur zum Zuhören.
NGO’s kommen zwar spät in Fahrt, profitieren aber bestens von ihrer Professionalität, Liquidität und Kontakten zu Presse und Regierung. Auch die Regierung bleibt in ihrer Rolle, der Protest wird geldofisiert bis es kracht. Ein Kinder-, ein Jugend- und ein StudentInnen-G8-Gipfel, eine Sondersendung von “Wetten dass…?”. Julia Jentsch, Deutschlands generationenübergreifendes Gewissen, verliebt sich bei SAT 1 in einen G8-Delegierten und mischt das kalte Büffet auf. Bob Geldof kündigt eine “ausgeklügelte Kampagne” an: “Herbert Grönemeyer, Campino, Peter Maffay haben sich dieser Sache ganz und gar verschrieben”. Ende April trifft sich die Regierung 2 Tage mit Geldof und NGO’s. Wir dürfen auf die Publicity danach gespannt sein.
Auch die Polizei scheint sich wie üblich vorzubereiten. Seit über einem Jahr existiert ein Sonderstab von 130 Kräften, der mit BKA, Verfassungsschutz und Bundesinnenministerium die “Sicherheitsarchitektur” zusammenzimmert. Verbalradikal wird das Feld bestellt für weitgehende Maßnahmen gegen den Protest: “Breite, auch militante Kampagne”, “Unterschätzung des Linksextremismus”, “islamistischer Terror”, “linksextremistische Tätergruppen”, “bisher nicht gekannte Sicherheitsanforderungen”, “gewalttätige Auseinandersetzungen”, “Randale”, “größeres Sicherheitsrisiko als Weltmeisterschaft”, “Blockaden werden unverzüglich geräumt”. Die Vorbereitungstreffen und Konferenzen der G8-“Sicherheitskräfte” drehen sich um zweierlei: Was können wir aus der WM lernen, was für G8 weiterführen?
Viel Bewegung in der Bewegung…
Seit inzwischen 1 1/2 Jahren tourt die “Infotour”, eine AG aus dem anarchistischen, linksradikalen dissent!-Netzwerk durch Deutschland und Europa, Türkei, Israel, USA, Kanada, Mexico um nach Heiligendamm zu mobilisieren. Das ist nicht nur qualitativ neu, auch die Intensität überrascht. Es sind nicht mehr Delegierte, die auf Treffen nach Deutschland fahren müssen, Diskussionen in ihren Herkunftsländern rückkoppeln und zu Checkern werden: Die Protestvorbereitung sucht die AktivistInnen zu Hause auf. Rechnen wir im Schnitt 30 Personen pro Veranstaltung der Infotour und anderer Gruppen, dürften bald 10.000 Menschen an Mobilisierungsveranstaltungen teilgenommen haben.
Erfreulicherweise gibt es als allgemeine Vernetzung auch kein “Linksradikales Bündnis” mehr wie seinerzeit beim G8 in Köln 1999. Denn ein Bündnis mit einem Namen, der auf italienisch oder polnisch nicht einmal auszusprechen ist muß sich nicht wundern wenn Deutsche unter sich bleiben. “dissent!” ist ein Netzwerk, das Spektrum ist breit. Da unklar ist wie eigentlich entschieden werden soll wird manches ausgesessen, anderes in kleinen Arbeitsgruppen ausgemacht, vieles bleibt liegen. Diese Schwäche ist aber auch eine Stärke: Das Abgrenzungsbedürfnis beteiligter Gruppen untereinander ist gering. Zudem bietet “dissent!” jungen AktivistInnen einen niedrigschwelligen Einstieg in politische Aktivität. Gipfelprotest ist für viele Menschen der erste kollektive Ausdruck ihrer Unzufriedenheit. Linksradikale Anti-G8-Strukturen haben ihnen beim G8 in Genua, zumindest international, kein Angebot gemacht wohin mit ihrer Wut nach Knüppeln, Gas und dem toten Carlo Giuliani. Genua war der Höhepunkt der Bewegung, in Deutschland aber hat davon attac profitiert. Nie zuvor, nie danach haben so viele Menschen einen Überweisungsauftrag für die Organisation eingerichtet.
Auch in Heiligendamm werden Tausende Menschen aufgewühlt sein, sei es von ihrer kollektiven Widerstandserfahrung, dem Gelingen von Aktionen, Repression oder Vereinnahmung. “dissent!” und die Aktionskonferenzen haben dazu beigetragen, den allgemeinen Protest bereits im Vorfeld “nach links zu ziehen”. Gelingt es den Strukturen, nach dem Gipfel existent zu bleiben, werden sie Organisationen wie attac die Hegemonie im globalisierungskritischen Diskurs streitig machen.
Militante Gruppen haben den G8 in Heiligendamm international als Ziel markiert. Es ist der Versuch, die in die Jahre gekommene Politik gezielter Sachschäden, Lahmlegen von Infrastruktur oder das Aufsuchen politisch Verantwortlicher an ihrem Wohnort zu vitalisieren. Die kräftige internationale Mobilisierung in Verbindung mit dieser hohen Bereitschaft, legitime Kritik an den Erscheinungsformen des Kapitalismus notfalls militant durchzusetzen, lassen die Luft knistern. Die wochenlangen Solidaritätsaktionen zur Räumung des Ungdomshuset in Kopenhagen lassen ahnen, welche internationale Begleitmusik zum G8 in der radikalen Linken gespielt wird. Aktionen während des G8 sind auch in anderen Ländern angekündigt.
Die deutsche radikale Linke profitiert von der “Gewaltdebatte”, bietet sie doch die Möglichkeit auch über die Ziele, nicht nur die Mittel zu reden. Das mag sich nicht unbedingt in den Mainstreammedien spiegeln, sicher werden auch die BewohnerInnen rund um Bad Doberan im Juni nicht ihre Burger King-Filiale zertrümmern. Dennoch wird die Nervosität von Polizei, Bundeskanzleramt, Medien und manchen NGO’s spürbar: Niemand hat eine Ahnung, wie die Mobilisierung im linksradikalen, anarchistischen Spektrum durchschlägt. Konservative und das liberale Feuilleton haben sich in Deutschland mit der Entgnadigung Christian Klars selbst ins Knie geschossen, wenigstens was die G8-Mobilisierung betrifft. Der Versuch, linke Kapitalismuskritik durch das Aufkochen des heißen Herbstes zu delegitimieren ist durchsichtig. Solange militante Gruppen beim G8 keine Arbeitgeberpräsidenten entführen, Busse ungarischer Juden angreifen oder Sprengstoffanschläge in US-Kasernen verüben, dürfte ihnen klammheimliche Freude vieler Bewegungsforscher über manchen geglückten Anschlag sicher sein. Zumal sich um die inhaltliche Vermittlung von Aktionen sehr gründlich Gedanken macht wird.
Die Textproduktion im Vorfeld des G8 ist beachtlich. Wenngleich sich die “AG Inhalte” des “dissent!” – Spektrums nicht mehr trifft (was extrem schade und ein nicht aufzuholender Fehler ist!); das Bedürfnis nach Mitteilung der eigenen Position ist immer noch groß. Zu diskutieren gibt es viel, namentlich unterschiedliche Politikkonzepte der letzten 30 Jahre. Auch wenn sich die Koordinaten der radikalen Linken dabei nicht sichtbar verschieben; etliche Konflikte werden immerhin tatsächlich ausgetragen und sich nicht nur in gegenseitigen Projektionen verloren: Anti- und Pro-Globalisierung, verkürzte und verlängerte Kapitalismuskritik, Antisemitismus und Antiimperialismus sind Schlagworte in Debatten um die Neu-Verortung der globalisierungskritischen Linken. Sicher werden nicht alle dieser Texte wirklich hochfrequent gelesen, Diskussionen um Inhalte und Aktionsformen sprudeln aber allerorten merklich. Multipliziert wird dies durch die Bandbreite beteiligter Gruppen an der Gesamt-Mobilisierung. Zumindest für Deutschland lässt sich sagen, dass sämtliche Teilbereiche linker und linksradikaler Politik repräsentiert sind. Auf dem G8-Vorbereitungscamp im August waren immerhin 800 Menschen, um am Gipfelprotest zu stricken. Die ersten “dissent!”-Treffen 2005 und 2006 waren jeweils von 250 Menschen besucht. Das hat es bei keinem früheren Gipfelprotest gegeben.
Wenig in Fahrt kommt bisher die Mobilisierung zu “Global Action Days”. Diese Aktionstage geben Menschen in aller Welt die Gelegenheit, zeitgleich gegen die Politik der G8 zu demonstrieren, auch wenn sie nicht die Zeit und das Geld haben selbst nach Heiligendamm zu reisen. Zum Global Action Day beim G8 in Köln gab es Demonstrationen in über 40 Städten, allein in Nigeria fanden sich 10.000 auf der Straße. In London wurde das Finanzzentrum blockiert. Für Heiligendamm wird nun zu einer “Woche der Aktionen” aufgerufen.
Protestvorbereitungen in MV
Natürlich kann eine linkspolitisch “strukturschwache Region” die Protestvorbereitungen niemals allein tragen (was auch für die politischen und juristischen Folgen gilt!). Auf Vorbereitungstreffen 2005 wurde deutlich, dass Vieles von außen eingebracht werden muß. Einigkeit erzielten die Bedenken, dass lokale Strukturen nicht dominiert werden sollen.
Die Situation in MV ist nicht vergleichbar etwa mit dem Wendland und den Castor-Transporten. Niemand erwartet, dass die Bevölkerung massenhaft mitdemonstriert oder Transparente aus dem Fenster hängt. Dennoch wird sich seit einem Jahr große Mühe gegeben, die Inhalte und Vorbereitungen der Mobilisierung in der Region zu vermitteln – das ist bei früheren Gipfeln vernachlässigt worden. Lokalzeitungen veröffentlichen ausgiebig und gern die Pressemitteilungen der Regierung, Polizei, Arbeitgeberverbände oder CDU. Es nimmt nicht Wunder, dass jene sich auf die “Chaoten” einschießen und weder inhaltlich etwas zum G8 zu sagen haben noch einen differenzierten Blick auf den Protest werfen. Bezeichnend: Das mediale Interesse an der Anti G8-Bewegung entwickelte sich erst nach den Farbbeutelwürfen auf das Haus des Ministerpräsidenten.
Es gab inzwischen etliche Veranstaltungen in Rostock, Bad Doberan, Kühlungsborn und Umgebung. Gestützt wurden diese Bemühungen vor allem von der Linkspartei in Bad Doberan. In Rostock diversifizierten sich die Strukturen. Als erstes trat 2005 “Progress 07” auf den Plan, gefolgt von einer kleinen Gruppe aus Strukturen des DGB, attac und DFG/VK. Immer mehr Menschen aus dem bundesweiten Vorbereitungsspektrum verlegten ihren Wohnort nach Rostock. Mittlerweile sind diese Ansätze sinnvollerweise miteinander verschmolzen.
Seit dem Beschluß der Linkspartei-Bundesfraktion im Dezember 2006 engagiert sich auch der Rostocker Kreisverband immer stärker, bietet eigene ReferentInnen auf. Andere Gruppen wie die “attac-Speakerstour” oder die “Infotour globale Landwirtschaft” besuchen die Region.
Wie erwartet mobilisiert nun auch die NPD gegen den G8. In der Rechten gibt es seit längerem eine Kampagne gegen Globalisierung und Kapitalismus. Das ist nicht nur Provokation oder der Versuch der Vereinnahmung linker Codes. Im Gegensatz zu linker Globalisierungskritik wollen Rechte mehr Privilegien für Deutsche. Angesichts des Wahlerfolges vom September 2006 müssen diese Vorbereitungen ernst genommen werden. Glücklicherweise gibt es in MV verlässliche Strukturen gegen Nazis.
Was wird sein nach dem G8? Etliche Enttäuschungen, viele nicht realisierte Ideen, verpasste Chancen. Womöglich wird die Bewegung wütend auf dem Acker sitzen und Zeitung lesen über Grönemeyers Comeback, feixende Polizei oder Chirac, der das Weltklima mit Atomkraftwerken rettet.
Auf jeden Fall gehört die radikale Linke schon jetzt zu den GewinnerInnen der Mobilisierung. Selbst wenn nur 80.000 zur Auftaktdemonstration kommen, nur 10.000 eine Woche in den Camps bleiben und Polizei tatsächlich die Wunderwaffe “LRADS-Master Blaster” (BILD über die “Schall-Kanone”: Verjagt jeden Chaoten!") einsetzt: Die Mobilisierung löst sich am 9. Juni 2007 nicht in Luft auf. Die über 2jährigen Mühen der Ebene haben bleibende, international vernetzte Strukturen geschaffen. Spannend was die Mühen der Gipfel die nächsten Wochen bergen. Während die einen von Currywurst singen, reden manche gar von Revolution.
[Marcus Steinhagen, Gipfelsoli Infogruppe]
Mehr Informationen: www.gipfelsoli.org