Vom "Spiel" am Zaun um Heiligendamm

Frankfurter Rundschau 11. Juni 2007

VON FELIX HELBIG

Die Bilder aus Rostock unterscheiden nicht. Nicht zwischen brennenden Bankfilialen und zertrümmerten Gemüseläden, nicht zwischen politisierten Vermummten und kompromisslosen Hooligans. "Das ist eine Schwäche", sagt Arthur. "Aber das müssen wir hinnehmen." Was zähle, seien die Bilder. Und die gab es zuhauf von diesem Samstag in Rostock. Diesem Samstag der brennenden Autos, zerschlagenen Scheiben, fliegenden Steine. "Ein großer Erfolg", sagt Arthur.

Das Treffen ist genau eine Woche später in einem Garten am Frankfurter Stadtrand vereinbart. Sieben Tage sind vergangenen seit den Krawallen von Rostock, sieben Tage voller Fragen. Was sind das für Menschen im so genannten "Schwarzen Block"? Warum und wofür kämpfen sie? Was haben gebrochene Polizistenarme mit Armut in Afrika zu tun?

Arthur sitzt im Schneidersitz auf der Wiese, er trägt ein weißes T-Shirt und Shorts, vor sich zwei eng beschriebene Zettel mit Sätzen, die unbedingt gesagt werden müssen. Zunächst sind das die einfachen Dinge. Deckname Arthur, Alter 24 Jahre, Student an der Goethe-Uni. Mehr nicht. Keine Bilder, keine Telefonnummern. Das ist wichtig. Arthur hat in Rostock Steine auf Polizisten geworfen.

Strategie Krawall

Das war von Anfang an klar. Schon am Freitag vor der Gipfelwoche, als Arthur und zehn andere Leute mit dem Auto gen Ostsee aufbrachen. Die Strategie lautete von vornherein, am Zaun Krawall zu machen, bei jeder Gelegenheit, eine Woche lang. Arthur wählt seine Sätze überlegt, liest zwischendurch von seinen Zetteln. "Es ging darum, diesen Anlass symbolisch zu begreifen, zu verdeutlichen, dass wir das Spiel nicht mitspielen, dass wir nicht die G 8 kritisieren oder ihre Legitimation diskutieren. Das geht schon zu weit. Wir sind gegen die kapitalistische Verfasstheit der Weltgesellschaft."

Arthur sieht nicht aus, wie man sich einen Steinewerfer ohne Sturmhaube vorstellt. Zu schmal, zu sanft der Blick. Was Steine auf Polizisten mit Globalisierungskritik zu tun haben? "Erstmal nix", sagt Arthur. Gewalt gegen die Polizei sei "nicht das Hauptziel", eher eine Reaktion auf "schlechte Erfahrungen", etwa auf Hausdurchsuchungen. "Das Hauptziel ist symbolische Gewalt, wir wollen Aufmerksamkeit schaffen." In einer Mediengesellschaft dränge es sich auf, drastische Bilder zu produzieren, "davon profitiert die gesamte Bewegung".

Attac und Militante

Leider hätten Gruppen wie Attac noch nicht verstanden, "warum sie so viel Aufmerksam- keit bekommen, warum die Militanten ein konstitutiver Teil der Bewegung sind". Natürlich könne man sich wunderbar darüber aufregen, dass Radikale mit Steinen werfen. sagt Arthur. "Aber wenn man sich die strukturelle Gewalttätigkeit dieser Gesellschaft ansieht, dann ist das belanglos." Er flüchtet sich in Vergleiche, nennt Armut und Kindersterben, weicht aus. Und will nicht gelten lassen, dass Gewalt historisch nie viel bewirkt hat im Vergleich zu friedlichen Massenprotesten. "Es hat etwas bewirkt, die Aufmerksamkeit ist da."

Der "verantwortungsvolle Umgang mit Gewalt" steht auch auf seinen Zetteln. Es sei wichtig, friedliche Protestteilnehmer zu schützen. Auch bei "unreflektierten Hooligans" schauten die "organisierten Militanten" genau hin. "Aber um Hools kommt man bei dieser Aktionsform nicht herum, man kann nur Grenzen aufzeigen." Arthur wirkt müde. Er ist durch Felder gerannt, hat Barrikaden angezündet und am Donnerstag furchtbaren Heuschnupfen bekommen. "Aber es hat sich gelohnt", sagt er leise. Dann verbrennt er seine Spickzettel.