G-8-Richter angezeigt

junge Welt 11. Juni 2007

Von Rüdiger Göbel
Rund um Heiligendamm hat am Wochenende nach dem G-8-Gipfel zwar der Abbau der Sicherungsanlagen begonnen. Doch der Einsatz von Polizei und Bundeswehr beim Treffen der Acht wird in den kommenden Wochen vor Gericht und im Bundestag ein Nachspiel haben. Der Republikanische Anwälteverein (RAV) erstattete mittlerweile Anzeige gegen die Justiz wegen der »Käfighaltung« festgenommener Globalisierungskritiker in Rostock. Im Bundestag steht vermutlich schon am Mittwoch eine Debatte über den – grundgesetzwidrigen – Einsatz deutscher Soldaten an der Seite der Polizei an. Auch die Einschleusung von Zivilfahndern als »Agents provocateurs« in die Reihen der Gipfeldemonstranten soll das Parlament beschäftigen.

Anwälte des RAV erstatteten nach Freilassung der letzten G-8-Gegner aus den sogenannten Gefangenensammelstellen Strafanzeige wegen der Unterbringung in Drahtkäfigen. »Die Käfighaft ist eine unmenschliche und entwürdigende Behandlung«, begründete RAV-Sprecher Martin Dolzer am Sonntag den Schritt. Die Anzeigen gegen die verantwortlichen Richter lauteten auf Freiheitsberaubung und Rechtsbeugung. Laut RAV waren während der Gipfelproteste 1146 Personen festgehalten worden. In einer großen Industriehalle in Rostock seien jeweils bis zu 20 Gefangene in 25 Quadratmeter große, von allen Seiten einsehbare Drahtkäfige eingesperrt gewesen. Dolzer zufolge wurden in einem Fall mehr als 50 Menschen zudem elf Stunden lang an den Händen gefesselt.

Die Polizei wies die Vorwürfe zurück und betonte, ihr Vorgehen habe in jeder Hinsicht den gesetzlichen Erfordernissen entsprochen. Das Bundes­innenministerium kündigte unmittelbar nach Protestende eine verstärkte Überwachung der autonomen Szene an. Vor allem der Verfassungsschutz müsse »operativ in diese Strukturen eindringen, mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen«, sagte Innenstaatssekretär August Hanning dem Spiegel. Vorwand für die neue deutsche Spitzeloffensive sind die gewaltsamen Auseinandersetzungen während der G-8-Demonstration in Rostock – von denen wiederum nicht klar ist, ob bzw. wie viele Zivilbeamte als Provokateure beteiligt waren.

Der verteidigungspolitische Ausschuß des Bundestages soll nach Angaben der Abgeordneten Birgit Homburger (FDP) noch in dieser Woche über den Umfang des Bundeswehreinsatzes während des G-8-Gipfels informiert werden. So haben Spähpanzer und Hubschrauber der Bundeswehr rund um Heiligendamm offensichtlich der Polizei bei der Aufklärung zugearbeitet. Darüber hinaus wurden Sondereinheiten der Polizei sowie Journalisten in Helikoptern der Luftwaffe transportiert. Die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Petra Pau, meldete in der Sache am Wochenende Aufklärungsbedarf. »Was hatten Bundeswehrpanzer am Tagungsort zu suchen?« Die Bundestagsvizepräsidentin will schließlich auch wissen: »Welche Rolle haben Zivilfahnder der Polizei inmitten der G-8-Kritiker gespielt?«

Ihr Fraktionskollege Bodo Ramelow kämpft derweil an der entgegengesetzten Front. Der Vizevorsitzende der Linkspartei.PDS erkor am Sonntag – frei nach Spiegel online: »Rostock-Gewalt=Köln« - den evangelischen Kirchentag zum großen Vorbild für globalisierungskritische Kundgebungen, ja Demonstrationen überhaupt. Ramelow ging auf Distanz zu allen Kritikern des massiven Polizeieinsatzes in Heiligendamm. Protest soll besser fernab vom eigentlichen Geschehen stattfinden und bitte auch der Bundeskanzlerin genehm sein, bleibt als Schlußfolgerung aus seiner Erklärung »Ein anderer Protest ist möglich«.

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