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2009-09-09

Stellungnahme von Soli-für-ToNi

Trotz Verhören bei der Staatsanwaltschaft, Verhängung von Strafgeldern, Beugehaftandrohung und Hausdurchsuchung: Wir lassen uns nicht einschüchtern, weder im Widerstand gegen die Repression noch im Kampf gegen die NATO.

Im April 2009 trafen sich die Staats- und Regierungschefs der NATO in Baden-Baden und Strasbourg, um den 60.Geburtstag der NATO zu feiern.
60 Jahre militärische Absicherung einer kapitalistischen Elite, 40 Jahre kalte und über 20 Jahre heiße Kriege sind kein Grund zum Feiern, sondern ein Grund, dieses Nordatlantische (Kriegs)Bündnis und die sie tragenden Gesellschaftsordnungen zu zerschlagen.

Bild: Knast in Strasbourg

Wir sehen mit Genugtuung, dass viele Menschen sich nicht weiter verblenden lassen wollen von Begriffen wie chirurgischer Eingriffe, humanitärer Hilfsleistungen, Einführung von demokratischen Normen, die letztendlich nur mehr Terror und Tod bis in die entlegensten Winkel der Welt bringt.
Wir sehen einen Aufschwung antimilitaristischen Handelns. Selbst in Deutschland vergeht kaum eine Woche ohne direkte Aktionen gegen Militäreinrichtungen, getragen von der Überzeugung, dass nur ein unschädlich gemachter Panzer ein wirklicher Schritt zu einer friedlicheren Gesellschaft ist.

Der sich regende Widerstand ist noch überschaubar. Aber offensichtlich haben die Herrschenden Angst vor der Delegitimation der NATO, vor ihrer Benennung als Terrororganisation, vor dem direkten Ansprechen von Soldaten auf ihren mörderischen Job in Kombination mit direkten, sowohl offenen als auch klandestinen Aktionen. Es jagt ihnen Angst ein, dass ein offenes Anmalen von Militärmaterial in zartem Rosa und das selbstbewusste Abschrauben von Militärmaterial, wie z. B. bei Bombenabwurfsimulationseinrichtungen Schule machen könne.

Dass das im Hinterland extrem leicht verwundbare Militär mit ein wenig Zivilcourage lahm gelegt werden kann, wissen die Verantwortlichen bei der NATO, bei der Polizei und in den Innenministerien.
Die antimilitaristische Demonstration in Strasbourg gegen die Geburtstagsfeier der NATO musste um jeden Preis verhindert werden. Einmal, um das unter viel Schwierigkeiten konstruierte Bündnis aus Friedensbewegung und antimilitaristischer Bewegung zu spalten und um der Delegitimation der NATO zu begegnen. Schon früh war die Strategie der Polizei zu erkennen, die Stadt in einen Ausnahmezustand zu versetzen, um mit herbeigeredeten Gewalttätigkeiten eine Demoroute fernab des Gipfels zu rechtfertigen und sie in einer Orgie der Polizeigewalt enden zu lassen, was dann auch passierte. Gendarmerie und Stahltore versperrten die Straßen, trieben die Menschen auseinander, Spezialeinheiten bekämpften mit Reizgas, Schockgranaten und Wasserwerfern die Demonstrierenden. Anreisende aus Deutschland wurden unzähligen Polizeikontrollen ausgesetzt und dann doch nicht zur Demo über die Europabrücke nach Frankreich gelassen.

Auch aus Rostock hatte ein Bus mit Antikriegsaktivistinnen und Antikriegsaktivisten versucht, an den Protesten gegen den NATO-Gipfel teilzunehmen. Unter der fadenscheinigen Begründung, das gegen 2 der Busreisenden von französischen Ermittlungsbehörden strafrechtlich ermittelt wird, geriet nun die komplette Busbesatzung ins Visier der Ermittlungsbehörden. Die Rostocker Staatsanwaltschaft stellte sie unter den Generalverdacht einer kriminellen Vereinigung, die das Ziel gehabt hätten, Strasbourg in „Schutt und Asche“ zu legen.
Was auch immer die Motivation der Rostocker Staatsanwaltschaft und der Polizei ist, ob dies vor dem Hintergrund des zunehmenden Unmuts gegen die Auslandseinsätze der Bundeswehr geschieht oder vor dem Hintergrund der Selbstverwirklichung einzelner Repräsentanten im Justizapparat oder vor dem Hintergrund einer zunehmend selbstbewusster agierenden Rostocker linken Szene, die ausgeleuchtet werden soll – es wird ihnen nicht gelingen, den Protest zu diskriminieren und für die Zukunft von weiterem kritischen Engagement abzuschrecken.

Chronologie

der Geschehnisse um Zeugenvorladungen, Hausdurchsuchung Zwangsgeldfestsetzungen gegen Rostocker AktivistInnen anläßlich eines Strafverfahrens gegen 2 im Strasbourger Knast einsitzende Rostocker Gefangene

Im Juli und August kam es bei mehreren RostockerInnen zu Vorladungen und einer Hausdurchsuchung. Sie werden vordergründig als ZeugInnen im Ermittlungsverfahren zu dem Brand des Zollhäuschens in Straßbourg geführt. Offensichtlich versucht jedoch die Staatsanwaltschaft Rostock eine kriminelle Vereinigung von Menschen in Rostock herbeizudefinieren, die damals gemeinsam in einem Bus nach Straßbourg gefahren sind, um an den Protestaktionen teilzunehmen.

Was ist passiert: Bereits zwei Tage nach der Verhaftung der beiden Rostocker in Straßbourg (4.4.2009), gab es bei den Eltern des einen eine Hausdurchsuchung. Nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft Rostock kam diese Durchsuchung aufgrund eines Hilfeersuchs der französischen Ermittlungsbehörden zustande. Wie sich jetzt herausgestellte, hat Oberstaatsanwalt Lückemann mittlerweile ein eigenständiges, bei der Staatsanwaltschaft Rostock angesiedeltes Ermittlungsverfahren gegen die beiden Rostocker eingeleitet. Haupttätigkeit dieses Verfahrens ist das Sammeln von Informationen über die weiteren im Bus mitreisenden Personen. Da man aufgrund von Polizeikontrollen während des Gipfels von einigen Personen bereits Namen hatte, gab es mindestens 4 Zeugenvorladungen zum Staatsschutz. Unter ihnen der Busfahrer und die Organisatorin des Busreise.

Während zwei Zeugen unter Berufung auf ihr Aussageverweigerungsrecht nicht zur Vorladung erschienen, stellte sich die Organisatorin der Busreise im Beisein ihrer Anwältin den Fragen. Im Zuge eines fünfstündigen Verhöres wurde die gesamte Anreise detailliert hinterfragt, so z.B. nach der Stimmung im Bus, wer neben wem saß, welche Gesprächsthemen im Bus liefen, wo Zwischenstationen gemacht wurden, ob TeilnehmerInnen der Demonstration über das Geschehene diskutierten, ob sie verbrannte oder nach Gas riechende Kleidung trugen… Zu den meisten dieser Fragen konnte die Zeugin keine Antwort geben. Die für die Polizei wohl zentralste Frage nach der Namensliste der Mitreisenden wollte die Zeugin nicht beantworten. Daraufhin kündigte die Polizei, nach einem zwischenzeitlich geführten Telefonat mit der Staatsanwaltschaft, eine staatsanwaltschaftliche Vernehmung an. Die Zeugin hatte den Eindruck, dass die Polizei von einer organisierten Gruppe in Rostock ausgeht, die sich darauf voerbereitete, Strasbourg in “Schutt und Asche” zu legen und schwerbewaffnet an dieser Busreise teilnahm. Der Busfahrer erschien zur Vernehmung und machte Aussagen.

Sowohl die Organisatorin des Busses als auch die beiden nicht beim Staatsschutz erschienenen Zeugen erhielten Vorladungen zur Staatsanwaltschaft. Alle drei gingen mit anwältlicher Begleitung zur Vernehmung. Ein Zeuge verweigerte mit Berufung auf §55 StPo die Aussage. Dieses wurde von der Staatsanwaltschaft abgelehnt. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wurde dem Zeugen vom Amtsgericht ein Zwangsgeld in Höhe von 300 Euro auferlegt. Dagegen legte er unmittelbar Widerspruch ein. Der andere Zeuge ließ sich die Fragen vortragen und beantwortete diese. Zu der entscheidenen Frage der Staatsanwaltschaft nach den Namen anderer Mitreisender konnte er nur den Namen seines Sitznachbarn nennen, der jedoch identisch ist mit dem anderen Zeugen. Gegen diesen Zeugen wurde kein Zwangsgeld erhoben.
Die Organisatorin der Busfahrt ließ sich, nachdem ihre auf § 55 StPO gestützte generelle Weigerung, auszusagen, von der Staatsanwaltschaft nicht akzeptiert wurde, die Fragen vortragen, beriet sich dann mit ihrer Anwältin. Das Verhör sollte sich ausschließlich um die Nennung der Namen der Mitreisenden drehen. Weil die Zeugin keine Namen nennen wollte, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500 Euro bestimmt. Im übrigen äußerte sich die Staatsanwaltschaft während der Vernehmung dahingehend, das sie sich vorbehält, ein Verfahren wegen Strafvereitelung gegen die Zeugin einzuleiten. Gleichzeitig mit der Festsetzung des Zwangsgeldes wurde vom Amtsgericht ein Durchsuchungsbeschluss ihrer Privatwohnung erlassen, mit dem Ziel, die Namensliste zu finden. Fünf Polizeibeamte fuhren augenblicklich mit ihr und der Anwältin zu ihrer Wohnung und durchsuchte diese. Weder der Anwältin noch der Zeugin selbst wurde die Anwesenheit während der Durchsuchung erlaubt. Die Zeugin konnte hören, wie Fotos gemacht wurden. Ihr Computer wurde beschlagnahmt. Der Zeugin wurde Beugehaft angedroht, wenn es nicht gelänge, die Liste zu finden.

Gegen alle Maßnahmen wurde Widerspruch eingelegt. Nach wenigen Tagen wurde der Computer wieder herausgegeben. Die Polizei teilte mit, daß Sie dort eine Blankoliste gefunden hätte, auf der die Mitreisenden eingetragen werden konnten. Namen von Mitreisenden habe sie offensichtlich nicht finden können. Ende August wurde vom Landgericht der Widerspruch der Organisatorin gegen das Zwangsgeld abgewiesen.

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