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11.06.2007

Dirk D.-Conradt: Berichte von den Demonstrationen in Rostock

Ich bin aus Rostock zurückgekommen mit rund 370 Bildern auf dem Speicherchip meiner Kamera. Martin und Sebastian aus Mainz sind noch da, es geht ihnen gut. Sie sind untergebracht in einem der Camps. Überraschend bin ich am Samstagabend wieder nach Mainz zurück gefahren (ich wollte bis Sonntagabend bleiben). Ich hatte CS-Gas (zum Glück nur einen Hauch) abgekriegt - vielen anderen ging es bedeutend schlechter und wurden vor Ort von Notärzten versorgt, ich darf mich nicht beklagen. CS-Gas grenzt wirklich an schwere Körperverletzung. Ich habe darauf verzichtet, Verletzte zu Fotografieren, bzw. diese Bilder (bis auf eines) in das Bildarchiv einzustellen.

Es waren nicht 1000 oder gar 3000 sondern "nur" rund 50 gewalttätige Demonstrantinnen und Demonstranten und rund ebensoviele "Mitläufer" an den Rändern, die sich ein "Katz und Maus-Spiel" am nördlichen Rand des Kundgebungsplatzes mit der Polizei geliefert haben. Ausserdem waren vielleicht rund 200, 300 relativ dunkel bis schwarz bekleidete Menschen hier zu sehen, die wohl dem "schwarzen Block" einfach so mit dazugerechnet werden (eben wohl die hoffnungslos übertriebenen "1000 bis 3000", die nun in den Medien kolportiert werden).

Ich war mit Sebastian bei den Auseinandersetzungen in erster Reihe um zu beobachten und zu fotografieren. Da waren auch rund 10 bis 15 behelmte Pressefotografen, die sich zwischen die Fronten warfen. Die müssten es wissen, wieviele der Demonstrantinnen und Demonstranten wirklich "militant" waren und das auch obkjektiv berichten. Aber was bedeutet schon "journalistisches Ethos" in der heutigen Zeit?

Dramatisch natürlich die Bilder, gemacht von Fotografen die Deckung hinter grauen Telekomkasten oder Parkscheinautomaten suchen und mit einem 500er-Teleobjektiv einen Steinewerfer fotografieren, im Hintergrund DAS brennende Auto. Und das wird dann auf der Titelseiten abgebildet. In der "Welt am Sonntag", noch in der Nacht der Rückfahrt auf einem Rastplatz gesehen, stand auch, dass es 150 verletzte Polizisten gab, 25 davon "schwer". Ich selbst habe zwei oder drei mit verbundener Hand gesehen, ebenso "viele" die humpelnd in den Hintergrund liefen. Klar, ich war nicht überall und kann nicht alles gesehen haben. Es waren aber definitiv mehr Verletzte (friedliche) Demonstrantinnen und Demonstranten durch CS-Gas und Knüppeleinsatz zu sehen.

Die Berichterstattung ergeht sich in Naheinstellungen des gezeigten Fotomaterials wie auch in close-ups der gesendeten Filmbeiträgen. Würden die Auschnitte einmal in der Totalen gezeigt werden, wäre sofort erkennbar, dass es sich bei den "Krawalltätern" und "militanten Autonomen" um kleine Gruppen handelte, auch um viele Einzeltäter. Die Aufnahmeästhetik lässt aber keinen anderen Schluss für die unbedarften TV-Zuschauerinnen und -Zuschauer und Zeitungs-Leserinnen und Leser zu, als dass es sich um große "Horden" handelte, die mit äusserster Gewalt die schutzlos ausgelieferte Polizei verprügelte, die dann auch 400 Verletzte und 40 Schwerverletzte zu beklagen hatte (letzte "Welt"-Meldung).

Schlimm war aber dagegen, dass die Polizei irgendwann mit drei Wasserwerfern ankam. Von denen hat einer eine Bresche von sicher 100 Metern vom Rand der Kundgebungsmenge aus in die friedlich demonstrierende Menge geschlagen. Das Wasser war mit CS-Reizgas oder -mitteln gemischt. Überall tränende Menschen, auch wenn sie kein Wasser abbekommen hatten. Alleine die Ausdünstungen des Gemisches reichten schon, um die Schleimhäute in Mund, Nase und Augen sofort anschwellen zu lassen. Hier hat sich gezeigt, mit welcher Gewalt und Brutalität die Staatsmacht gegen friedliche Menschen vorging.

Dies zeigt sich auch in den folgenden Angriffen nach dem Wasserwerfereinsatz: große Menschengruppen gingen immer wieder mit erhobenen Händen im Gänsemarsch auf die in die Menge eingedrungenen Polizeigruppen in der Stärke von 10, 15, 20 Mann zu. Dabei riefen sie "Wir sind friedlich, was seid ihr?" Die Polizisten wichen dann etwas zurück. Plötzlich aber der Ausfall in Keilform, um die Demonstrantinnen- und Demonstrantengruppen von links und rechts einzukesseln. Die Polizeigruppen waren wohl Greifertrupps, die - dieser Eindruck entstand bei mir - willkürlich und ohne Verdacht irgendwelche Demonstranten griffen und mit brutaler Gewalt abführten. Auch Leute, die nicht schwarz gekleidet waren und eindeutig NICHT zum "militanten schwarzen Block" der 1000 bis 3000 Vermummten gehörten. Und das alles in unmittelbarer Nähe zu der großen Menge von rund 80.000 Demonstrantinnen und Demonstranten, die der Bühne zugewandt waren um die Beiträge dort zu verfolgen. Immer wieder von hier der Aufruf von den Organisatorinnen und Organisatoren an die Polizei, sich zurückzuziehen und die beiden tief über dem Gelände kreisenden Hubschrauber abzukommandieren.

Wie zu hören war, gab es am Samstag 128 Festnahmen, von denen die meisten wieder freigelassen werden "mussten". Das waren wohl die scheints willkürlich verhafteten, friedlichen Demonstranten (von Frauen haben sie die Finger weggelassen), denen nichts nachzuweisen war. Der Nachweis einer Straftat war wohl auch nicht die Absicht - glaube ich - es ging hier einzig um die Kriminalisierung der Menschen!

Geradezu Idiotisch und nicht zu rechtfertigen war, dass "der schwarze Block" Feuerwehrfahrzeuge aufhielt, die DAS brennende Auto löschen wollten (wohlbemerkt nicht "die" Autos entgegen der Berichterstattung). Dabei ging EINE Seitenscheibe EINES Löschwagens zu Bruch. Es wurden keine Feuerwehrfahrzeuge demoliert, lediglich aufgehalten durch Sitzende, die sich flugs entfernten, als das vordere Einsatzleitfahrzeug der Feuerwehr rigoros losfuhr.

Ich will nichts schönreden. Ich bin gegen Gewaltanwendung und richte mich entschieden gegen Steinewerfer. Ich richte mich gegen die Verletzung von Menschen durch Gewaltanwendungen, seien es Polizeibeamte oder - wie geschehen - ein Notarzt und auch einige Fotografen. Wenn ich berichte, dass es ja keine 1000 bis 3000 "gewalttätige Demonstrantinnen und Demonstranten" waren, dann will ich damit nicht sagen, " ... die paar machen doch nichts ... ". Ich will damit doch auch sagen, dass die Verhältnismässigkeit in der Berichterstattung beachtet werden muss!

Und: die Provokationen gingen eindeutig von der Polizei aus, obwohl natürlich vom "schwarzen Block" auch die "Randale" gesucht und Provokationen gerne angenommen wurden. Am Bahnhof in Rostock sah man eine große Gruppe von ca. 30 Polizistinnen und Polizisten, die gelbe Warnwesten trugen. Auf diesen Stand "Anti-Konflikt-Team" und "Konfliktmanagement". Das ist sehr zu begrüßen. Die waren nicht in Kampfmontur erschienen, sondern in "normaler" Ausstattung. Von denen war dann aber, als die Krawalle losgingen KEINE und KEINER zu sehen um irgendwelche Konflikte zu schlichten.

Die Polizei hatte keine Deeskalationsstrategie. Wohl zeigte sie keine große Präsenz in der Stadt am Rande des Demonstrationszuges. Jedoch waren die Beamtinnen und Beamten, die zu sehen waren, martialisch hochgerüstet und gepanzert erschienen. Vor allem die drei eingesetzten Berliner Hundertschaften in ihren schwarzen Uniformen waren erschreckende und vor allem auf den "schwarzen Block" provokativ wirkende Erscheinungen.

* Warum wohl hat man die Beamtinnen und Beamten in dieser Montur aufgestellt? Mit aussen angebrachten Panzerungen. Wie auf meinen Bildern zu sehen ist, waren die Polizistinnen und Polizisten bei den späteren Auseinandersetzungen mit unter der Kleidung liegenden Panzerungen aufgelaufen. Das sieht zwar immer noch gewaltig aus, aber längst nicht so martialisch, wie zu sehen ist.
* Warum wohl hat man einen einzelnen Beamten in einem ungeschützten Streifenwagen dicht an die Straße fahren lassen, wo sonst nur gesicherte Mannschaftswagen und gepanzerte Einsatzfahrzeuge im Hintergrund geparkt waren? War das eine absichtliche "Einladung"?
* Warum wohl hat die Polizei sich nicht zurückgezogen, nachdem sich die Lage nach den ersten Auseinandersetzungen beruhigte? Die eng stehenden Beamtinnen und Beamten haben weiterhin allein mit ihrer Anwesenheit und durch Äusserungen provoziert. (Beleg dazu: auf einem meiner Bilder im Bildarchiv ist eine Frau als Clownin zu sehen. Der im Hintergrund stehende Beamte sagte laut und vernehmlich: "Hau hier gefälligst ab").
* Wo waren die "Konfliktmanager" des Deeskalationsteams? Diese waren vor Aufbruch des Demonstrationszuges sichtbar. Später waren sie nicht mehr zu sehen. Selbst vor dem unmittelbaren Ausbruch der ersten Auseinandersetzungen mit "dem schwarzen Block" war keiner von diesen Beamtinnen und Beamten vor Ort. Ich selbst habe zudem am Hauptbahnhof beobachtet, konnte es aber leider nicht fotografieren, wie eine schwarz gekleidete junge Frau und ein schwarz gekleideter junger Mann beim "Konfliktteam" standen, sich nach einem Gespräch entfernten und in einem Streifenwagen davonfuhren. Nachtigall, ick hör Dir trapsen. Waren das etwa Leute, die sich unter das Volk, sprich "die Autonomen" mischen sollten, um zu provozieren, andere aufzustacheln? Solche Maßnahmen seitens der Polizei kamen schon vor und sind mehrfach belegt. Ich kann das in diesem Fall nicht belegen und ich kann diese Behauptung nicht mit Fotos untermauern. Dennoch: es schmeckt schal wie altes Bier!

Es ist klar, was mit solchen Provokationen und den resultierenden Auseinandersetzungen erreicht werden soll: die Schäuble-Gesetze sollen verschärft und die Bürgerrechte weiter eingeschränkt werden. Die 30 Millionen für den Zaun und die Abermillionen für die "Sicherheit" des G8-Gipfels müssen gerechtfertigt werden. Dazu wird Rostock nun zu einem "2. Genua" konstruiert durch Provokationen seitens der Polizei, durch Kriminalisierung der gesamten Bewegung. Gezeigt werden die Bilder, auf denen Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten zu sehen ist, aber keine verletzten Demonstrantinnen und Demonstranten durch willkürliche Verhaftung, Schlagstockeinsatz, Reizgasangriffe und Wasserwerfer, die gezielt gegen friedliche Menschen vorgehen.

[http://www.dielinke.pds-rlp.de/g8/berichte_rostock/02062007_ddc/index_ddc.html]