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2007-11-18

Der Größenwahn eines Investors

Ausgeweidet, betoniert, durch Zäune von der Bevölkerung getrennt. Ein Ressort für Luxusgäste, die nicht kommen

Wie sehen die Dinge aus, wenn die Scheinwerfer ausgeschaltet sind? Für kurze Zeit war Heiligendamm, die "weiße Stadt am Meer", auf weltweites Interesse gestoßen - als der millionenteure Zaun errichtet wurde und die G 8-Spitzen im Juni ihren Gipfel abhielten. Als Tausende Polizisten aufzogen und der Protest sich nicht wegdrängen ließ. Inzwischen wird - wieder ohne gleißendes Licht - der Kleinkrieg um Wald und Wege, Denkmalschutz und Kredite fortgesetzt.

Das ist die Geschichte der ruinösen Verwandlung eines historischen Ortes. Sie handelt vom ältesten deutschen Seebad, vor 200 Jahren entstanden, bei Bad Doberan, 27 Kilometer von Rostock entfernt. Es war der Großherzog von Mecklenburg, Friedrich Franz I., der ein Kurhaus errichten ließ, nachdem sein Hofarzt hier ein günstiges Mikroklima ausgemacht hatte. Erstaunlicher Weise zog das Bad europäische Aristokraten an, sie bauten an der windigen Ostseeküste klassizistische Strandvillen mit Türmchen und Säulen. Das Grandhotel und die so genannte Hohenzollernburg mit Turm und Zinnen kamen hinzu, der Kaiser reiste mit Gefolge an. Bürgerliche Berliner, auch jüdische Familien bauten im Windschatten der Hotelanlage weitere Villen in verspielten Gärten. Dem ersten architektonischen Entwurf passten sich die Nachfolger an, ein Spleen vielleicht, eine Art Kulisse, die sich bewährte. Bis vor wenigen Jahren blieb all das leicht bröckelnd, mit abblätternden Farben, immer wieder nur notdürftig saniert, aber prächtig und authentisch erhalten. Und darum ein Glücksfall.

Vielleicht Monte Carlo

Die Besitzverhältnisse wechselten mit den Zeiten. Im Krieg verfügte die Marine über das Areal und gab ihm einen dunklen Tarnanstrich. Dann wurde Heiligendamm wieder weiß. Die DDR richtete in der Anlage eines der beliebtesten Sanatorien des Landes und eine Lungen- und Hautklinik ein, die Strandvillen wurden Ferienheime von Betrieben. Außerdem fand hier die Hochschule für Angewandte Kunst einen Ort, mit Werkstätten in historischen Gebäuden und in Baracken, die von den Studenten nach dem Krieg zum Teil selbst gebaut wurden. Die Hochschule belebte die Gegend ungemein. In der Siedlung Heiligendamm wohnten Ärzte und Schwestern, Professoren und Studenten. Familien vermieteten Zimmer an Sommergäste. Man liebte die Künstlichkeit und den morbiden Charme des Ortes, er wurde in der DDR unter Denkmalschutz gestellt, der 1996 ausdrücklich erneuert wurde. Und doch seither fortlaufend verletzt wird.

Gleich nach der Wende ahnten die Anwohner mit gemischten Gefühlen, dass ihrem Seebad eine spektakuläre Veränderung bevorstand. Etwas Hochelegantes würde sicher entstehen, vielleicht etwas wie Monte Carlo. Das Land Mecklenburg-Vorpommern als Haupteigentümer und der Bund, Besitzer der Strandvillen, suchten einen Investor für das ganze Ensemble - die "Ein-Hand-Lösung". Bewohner wurden rausgesetzt, auch rausgeklagt. Die Hochschule kämpfte erbittert gegen ihre Schließung, die als partielle Verlagerung nach Wismar getarnt war. Sauber gestaltete Plexiglas-Schilder mit Grundrissen und historischen Angaben wurden an den Gebäuden aufgestellt. So wartete der ganze Ort auf den potenten Käufer. Der fand sich nicht sofort, bis Ende 1996 die Kölner Fundus-Fonds-Gesellschaft es wagte. Fundus erhielt die Gebäude und 520 Hektar umliegendes Land - mit Rücksicht auf den "Sanierungsauftrag" - für einen sehr guten Preis, heißt es. Der ist geheim, wie so vieles in Heiligendamm.

Chef des Fundus-Fonds ist Anno August Jagdfeld, der "Immobilienkönig, dessen Imperium stark mit Familienmitgliedern besetzt" ist (Spiegel). Er übernahm die Regentschaft über Heiligendamm und gründete die Entwicklungsgesellschaft ECH. Seine Frau, zuständig für Luxusausstattungen von Fundus-Projekten, richtete ein Architekturbüro ein, sein Schwager übernahm das benachbarte Gut Vorder Bollhagen. Die Jagdfeld-Familie reichte jüngst auch Pläne für den Umbau der eigenwilligsten, etwas abseits gelegenen Villa mit Seeblick - des Alexandrinen-Cottage - ein. Denkmalschützer waren entsetzt. Dem Gerücht nach will Jagdfeld hier künftig selbst wohnen. Aber das alles ist ein Tanz auf dünnem Eis. Der Fonds 34, der für Heiligendamm gilt, ist in Finanznöten. Im Sommer hat die HypoVereinsbank einen 15 Millionen-Kredit "aufgrund der weiterhin negativen wirtschaftlichen Entwicklung der Gesellschaft" nicht verlängert. Und die Anleger folgen dem Lockruf nicht mehr, den Fonds aufzustocken - im Gegenteil, Fondsanteile im Wert von 30 Millionen Euro waren im Sommer noch nicht verkauft, berichtete die Wirtschaftswoche am 5. Juli 2007. Anleger wollten sich zurückziehen.

Die Fahrt Richtung Küste geht durch flaches, leicht schwingendes Land. In den Äckern unterbrechen kreisrunde, morastige Sölle, Reste der Eiszeit, mit ihren Baumgruppen die Furchen. Von Rostock noch 20 Minuten bis zum Städtchen Bad Doberan mit dem wunderbaren Münster. Schon lässt sich Seeluft atmen. Heiligendamm ist über eine Linden-Allee oder mit dem kleinen Dampflokzug Molly erreichbar. Zum Strand werden die Besucher auf neuen Straßen und Wegen durch einen Wald gelenkt, mit gehöriger Distanz zum Hotel.

Grenze zwischen den Welten

Die Hotelgebäude stehen weiß und kantig da: das Grandhotel Kempinski, die Hohenzollernburg, dazu ein neuer Bau, genannt "Severin-Palais", dem historischen Stil nachempfunden, aber ein zu schwerer Klotz und eine Etage höher gezogen, als es angeblich im eingereichten Bauplan vorgesehen war. 225 Zimmer. Das alte Grandhotel wurde beim Umbau "entkernt", nur die Fassade blieb erhalten. Der Hauptkonservator Gerd Baier aus Schwerin sagte öffentlich: "Das ist kein Denkmal mehr, das ist ein Neubau." Zugleich wurden Kneipen, Cafés und Läden unter Dauerdruck zum Aufgeben gebracht und abgerissen. Bald war Fundus mit den Hotelgästen unter sich.

Nur die Besucher aus Bad Doberan störten. Angeblich drückten sie sich die Nasen an den Fensterscheiben platt. Und darum seien eigentlich sie schuld, dass nach der Eröffnung des Hotels 2003 der Gästestrom ausblieb, behauptete Jagdfeld. Er begann einen Dauerkrieg gegen die Kreisstadt Bad Doberan und andere Instanzen, um Wege, die Promenade und den Strand abzusperren. Die Bad Doberaner wehren sich, aber lassen sich auch einschüchtern. Mit den öffentlichen Wegen hatte Jagdfeld inzwischen Erfolg: ein Knie hoher Zaun, dessen Tore sich nur mit Chipcard öffnen lassen, ist die Grenze zwischen den Welten. Die Strandpromenade soll bald nur noch gegen eine Gebühr zu betreten sein. Den ans Hotel grenzenden "Kleinen Wohld" mit alten Bäumen, Windflüchtern und schönen Ausblicken aufs Meer vom "Europäischen Küstenwanderweg" aus, der ihn bisher durchzog, hat Jagdfeld im Zusammenspiel mit den Forstbehörden einige Jahre absperren lassen, um ihn schleichend als "Hotelpark" in eigene Regie zu bringen. Alle diese Maßnahmen dienen vermutlich einfach der Wertsteigerung von Grundstücken, die Jagdfeld künftig einzeln verkaufen will. Das Recht dazu hat er sich inzwischen gesichert.

Wie so oft ist es auch in Bad Doberan eine kleine, beharrliche Bürgerinitiative um die Architekten Hannes Meyer, Heike Ohde und den Rostocker Designer Axel Thiessenhusen, die versucht, Jagdfelds Konzepte und Aktivitäten zu durchleuchten. Ein unendlich mühsames Unterfangen. Die Studien, Vereinbarungen, Pläne stehen meist unter Verschluss. Auf Anfragen gibt es selten konkrete Antworten, auch nicht von Ämtern und Politikern. Von wie vielen widersprüchlichen Entscheidungen, rätselhaften Konzessionen an Jagdfeld und Fällen von Druck auf untere Behörden habe ich gehört, seit ich versuche, mir ein Bild zu machen! Es lässt sich kaum noch rekonstruieren, geschweige denn auf eine Zeitungsseite bringen. Die Initiative mit dem Namen Pro Heiligendamm will der Öffentlichkeit das Seebad als Kulturgut erhalten und den Bewohnern von Bad Doberan, wo bislang viele Familien Zimmer an Sommergäste vermieten, den Zugang dazu.

Zum Selbstmord getrieben

Welche Luxusgäste wird es überhaupt künftig in die Ödnis des steril gewordenen Heiligendamm ziehen? In ein Disneyland ohne Leben? Wie viel werden es sein, wenn wenige Kilometer weiter auch Kühlungsborn Luxushotels anbietet? Auch der Yachthafen mit der Hotelanlage Hohe Düne bei Warnemünde wäre eine Konkurrenz, die ebenfalls leer steht.

Die Initiative sagte von Anfang an: Man hätte Kulturtourismus entwickeln sollen für ein bildungsbürgerliches Publikum, das Sinn für den Reiz auch des Hinterlandes aufbringt: für kleine Dörfer in der hügeligen Landschaft mit Namen Kühlung, breite Bauernhöfe mit tiefgezogenen Strohdächern, das alte Münster in Doberan. Noch wäre wohl eine Kehrtwende möglich, meinen die Kritiker, doch jetzt sind auch noch ein Ayurweda-Zentrum in Form eines indischen Tempels und eine Thalasso-Anlage geplant. Die Jagdfeldsche Gigantomanie verschlägt den Mecklenburgern geradezu die Stimme.

Doch es herrscht im Lande Angst vor einem Bankrott des Hotelunternehmens, das zu viele mit ins Loch ziehen könnte. Beamte auf allen Ebenen stellen Bedenken zurück, um nichts "zu verderben". Bad Doberan ist von der Sorge um Arbeitsplätze paralysiert. In der Stadtvertreterversammlung gibt es regelmäßig Mehrheiten für Jagdfeld, da stimmen CDU, SPD, die Linke und die Partei Doberaner Mitte gegen die Grünen, die FDP und den Bürgerbund. Über die vierköpfige Fraktion der Linken sind viele schockiert und ihre Anhänger beschämt. Die NPD sitzt in den Startlöchern. Und weil keiner mehr "durchsieht", breitet sich Resignation aus.

Die öffentliche Hand, die schon 53 Millionen Euro für Strukturverbesserungen investiert hat, was 24 Prozent der Gesamtinvestitionen in Heiligendamm ausmacht, ist erpressbar geworden. Es muss ja weiter gehen, zu viel Geld ist schon geflossen. Und zu viel ist bereits an historischer Substanz zerstört. Bei Fundus hingegen haftet niemand. Man arbeitet mit dem Geld der Anleger, die ECH ist als Tochtergesellschaft eine GmbH &Co KG. Bei Insolvenz bliebe ein Berg an belastetem Vermögen. Darum lässt niemand Jagdfeld fallen, da funktioniert ein Gesetz des Systems, mit dem er traumwandlerisch sicher umgeht. Er hat alle in Zugzwang gebracht, weiter zu machen.

Noch stehen sieben Strandvillen der "Perlenkette" im alten Zustand am Rand der Promenade: Fenster und Türen verrammelt, Farbe abgeblättert, dennoch apart und verlockend. Sie waren acht, die Villa Perle wurde kurz vor dem G 8-Gipfel abgerissen. Das von der russischen Großfürstin Marie erweiterte, in DDR-Zeit dem ungarischen Schriftstellerverband übertragene Haus war angeblich marode. Das glaubt niemand. Ging es um Platz für die Medientribüne zum G 8-Treffen? Oder musste sie weg, weil sie den Blick aus dem Wellness-Bereich des Severin-Palais aufs Meer störte? So wuchern bis heute die Vermutungen.

Die Bürgerinitiative erfuhr nachträglich, dass Jagdfeld schon vor drei Jahren angefragt hatte, ob er nicht die ganze Perlenkette abreißen dürfe, aber nur die Genehmigung für die Perle und noch zwei Villen, genannt Schwan und Möwe, erhielt. Zuletzt hat er das Recht durchgesetzt, die Objekte einzeln zu verkaufen. Die Kritiker befürchten, dass er für die Seegrundstücke ohne denkmalgeschützte Villen viel höhere Preise erzielen würde. So scheint ihr Schicksal besiegelt, er lässt sie verrotten und wartet ab.

Die Hotelgäste langweilen sich nach zwei, drei Tagen. Im kleinen privaten Café, das sich am Ende der Promenade noch gehalten hat, klagen sie darüber. Claudia Kapellusch, die zum letzten Jahrgang der Kunsthochschule gehörte, zeigt mir die vielen leeren Flächen, auf denen früher Läden und Kneipen standen, darunter auch die Kleine Drogerie. Die Inhaberin war den Studenten lieb, ein wenig wie eine Mutter für sie. Jagdfeld setzte sie unter Druck, den Laden aufzugeben. Um sie wurde es immer leerer. Eines Tages erfuhr Claudia von Studienkollegen, dass Frau Karin Höfer von der Seebrücke in die eisige Ostsee gesprungen und ertrunken ist.

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Source: www.freitag.de