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2007-12-22

Black Box Solidarität - Über Fallstricke und Missverständnisse der Solidaritätsarbeit

Am 24. Oktober 2007 hob der Bundesgerichtshof (BGH) den Haftbefehl als von Beginn an rechtswidrig gegen Andrej Holm auf. Am 28. November entschied der BGH, dass es sich bei der “militante gruppe” nicht um eine “terroristische Vereinigung” handle und ordnete die Entlassung der drei Genossen aus der U-Haft an, die am 31. Juli in Brandenburg an der Havel festgenommen worden waren. Gegen sie und die übrigen vier Beschuldigten wird nun wegen “Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung” (§129 StGB) ermittelt. Während das Vorgehen der Bundesanwaltschaft immer stärker in die Kritik gerät, macht sich Unmut über die Soliarbeit breit. Wir dokumentieren eine Wortmeldung von Andrej Holm, in der er zu diesen Vorwürfen Stellung bezieht.

Im Schatten der wirklichen breiten und erfreulich öffentlichkeitswirksamen Unterstützung gegen die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft (BAW) und das gegen uns geführte §129a-Verfahren sind mir auch untergründige Stimmungen des Misstrauens entgegengeschlagen. Im Kern geht es um eine Kritik an der Fokussierung der Unterstützungs- und Öffentlichkeitsarbeit auf meine Person und an einer angeblich geführten Unschuldskampagne. Viele dieser Positionen wurden als Anregungen für unsere praktische Kampagnenarbeit formuliert – einige jedoch stellen ein solidarisches Verhältnis grundsätzlich in Frage. Jetzt, wo auch die anderen Beschuldigten endlich aus der Untersuchungshaft entlassen sind, ein paar erste Gedanken dazu.

“Betroffen sind wenige – gemeint sind wir alle” lautet eine – im Kern durchaus richtige – Parole in der Auseinandersetzung mit der Kriminalisierung linker und widerständiger Milieus. Doch konkret betroffen sind dann eben doch ganz konkrete Einzelne. Deshalb enden ja auch die meisten Texte, Reden und Aufrufe mit “Freiheit für …” und der Aufzählung der entsprechenden Namen. Horizontal organisierten Politikansätzen, wie sie ja in der autonomen Linken favorisiert werden, steht diese personenbezogene Prominenz entgegen. Aus dem diffusen “Wir” werden Einzelne herausgepickt und mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht. Greifen dann, wie in meinem konkreten Fall auch noch breite Unterstützerkreise und die Presse die Empörung auf, ist der Prozess einer Personalisierung kaum noch aufzuhalten.

Das Problem der Personalisierung

Dass sich die ersten Stellungnahmen aus dem Umfeld von WissenschaftskollegInnen, sozialen Bewegungen und politischen Parteien auf meine Person konzenrierten, hatte sicherlich auch mit der persönlichen Betroffenheit zu tun, denn viele kannten mich seit Jahren aus der gemeinsamen Arbeit und politischen Kampagnen. Mit Blick auf die bürgerlichen Medien und selbst auf die (partei)politischen Positionierungen hat meine Kenntlichkeit als “Andrej H.” zur breit getragenen Empörung gegen das Verfahren, die Ermittlungsmethoden und z.T. gegen den §129a beigetragen.

Personifizierung und öffentliche Aufmerksamkeit scheinen in einem wechselseitigen Verhältnis zu stehen. Viele Medien – auch unabhängige Medien – wollten unbedingt Interviews mit den Beschuldigten führen, Homestories recherchieren und selbst innerhalb der Soligruppe(n) scheinen Stellungnahmen der Betroffenen einen besonderen Stellenwert zu haben. Wir können diesen “Personenkult” ganz abstrakt und dekonstruktivistisch als Wesensmerkmal der bürgerlichen Gesellschaft kritisieren, für die konkrete Solidaritätsarbeit stellt sich vor allem die Frage, ob eine solche breite Öffentlichkeit gewünscht ist oder nicht.

Das Einstellungsbündnis hat sich sehr früh dafür entschieden, sich mit unserer Wut und unseren Forderungen nicht selbstreferenziell auf eine mehr oder weniger randständige, subkulturelle Szene zu beschränken. Zumindest aus der Retrospektive war dies eine richtige und bisher auch erfolgreiche Entscheidung. Selten zuvor haben §129a-Ermittlungen über einen längeren Zeitraum für einen solchen medialen Wirbel gesorgt und einen bisher erstaunlich einhelligen Gegenwind für die Ermittlungsbehörden entfacht. Welchen Einfluss dies tatsächlich auf die Entscheidungen der Bundesrichter hatte und haben wird, ist nur schwer zu ermessen – zumindest transformiert die bisherige Öffentlichkeitsarbeit die juristischen Entscheidungen in einen politischen Geländegewinn: Die für die meisten linken AktivistInnen seit Jahren bekannten Ermittlungsmethoden wurden öffentlich debattiert und überwiegend als eine skandalöse Praxis empfunden; die Selbstverständlichkeit von Ermittlungen nach §129a bekommt Risse und Themen wie Datenschutz, Pressefreiheit und informationelle Selbstbestimmung werden als Gegensätze staatlicher Sicherheitsstrategien aufgegriffen.

Die spezielle Konstruktion der Vorwürfe gab zudem Anlass zu der Hoffnung, dass eine Skandalisierung der Ermittlungen gegen mich auch allen anderen nützen. Ohne intellektuelle Hintermänner keine terroristische Vereinigung und kein §129a-Verfahren gegen die drei in Brandenburg Festgenommenen – so jedenfalls unsere Überlegungen.

Auch der bisherige Verlauf des Verfahrens – Haftprüfungsantrag, Haftverschonung und schließlich die Beschwerde gegen die Haftverschonung – konzentrierte sich bisher im Wesentlichen auf Entscheidungen zu mir – die Haftbeschwerden von Axel, Florian und Olli wurden ja erst jetzt (Ende November 2007) verhandelt. Das öffentliche Interesse an diesen Entscheidungen und damit verbunden an meiner Person nicht zu nutzen oder zu bedienen, hätte einen Verzicht auf eine Politisierung des Verfahrens im Sinne einer gesellschaftlichen Debatte bedeutet.

Dass die Strategie der Öffentlichkeitsarbeit weitgehend aufgegangen ist, zeigt sich nicht zuletzt an der wachsenden Kritik zumindest an der Anwendung des §129a durch die BAW. Die Etablierung eines personifizierten Empörungskorridors hat die Ausweitung einer allgemeineren Debatte um die Verfolgungsexzesse von Bundeskriminalamt und BAW erleichtert. Ohne den “Fall Andrej H.” wäre die Argumentation, dass eben dieser kein Einzelfall sei, sondern die systematischen Anwendung der §129a-Instrumente, nicht möglich gewesen – jedenfalls nicht für eine breite Öffentlichkeit.

Eine zweite Ebene der Kritik an der Soliarbeit bezog sich auf die angebliche Ausrichtung der Öffentlichkeitsarbeit an einer Unschuldsvermutung. Die Redaktion der Hamburger Zeck kritisieren im Vorwort ihres aktuellen Heftes “eine Berichterstattung, die sich rein auf Andrej und seinen Status als promovierter Soziologe fokussiert und dabei die anderen drei Betroffenen vergisst. Genauso schwierig finden wir Beiträge, die in ,schuldige` und ,unschuldige` Angeklagte unterscheiden”. Um welche Beiträge es da geht, wird nicht konkret benannt, so dass unklar bleibt, ob die Öffentlichkeitsarbeit des Einstellungsbündnisses gemeint ist.

Unschuldskampagne und die Logik breiter Bündnisse

Auch das ABC Berlin Kollektiv greift das Stichwort einer Unschuldskampagne auf und kritisiert insbesondere, dass die Soligruppe nicht “offensiv” mit Informationen aus den Ermittlungsakten umgeht. Bei dieser Kritik – so scheint es – geht es nicht mehr nur um eine Unterstützung der Gefangenen und Beschuldigten, sondern vorrangig um einen politischen Mehrwert der Anti-Repressionsarbeit. Ob eine Strategie den Gefangenen und Beschuldigten tatsächlich nützt, sollte letztlich von den Betroffenen selber diskutiert und entschieden werden. Dazu gehört auch die Entscheidung über den Umgang mit Akteninhalten – erst recht wenn es sich um Indizien und Vermutungen der Ermittlungsbehörden handelt, oder um Details der politischen Biografie, denen für die konkreten Vorwürfe keine zentrale Bedeutung zukommt.

Ein Beispiel: Die BAW behauptet, auf einem Rechner in unserer Wohnung Texte aus der radikal rekonstruiert zu haben und behauptet, ich sei in die Herausgabe der Zeitschrift eingebunden. Mehr nicht. Sie behaupten das. Viel von dem, was sie behaupten, stimmt nicht. Wir kommentieren das nicht – auch, weil wir das für den zu erwartenden Prozess nicht sinnvoll finden. Warum muss die Soli-Bewegung das alles wissen? Aus unserer Perspektive gibt es genug Material, um sich fundiert solidarisch verhalten zu können.

Mit der Kritik an einer “Unschuldskampagne” scheint auch die Forderung verbunden, sich politisch offensiv auf die staatsanwaltlichen Vorwürfe zu beziehen. In früheren Verfahren wurde sich einem solchen Anspruch mit der Bezugnahme sogenannter anschlagsrelevanter Themen gestellt – die kriminalisierten Themenfelder wurden bewusst und auch über die engeren Unterstützerkreise hinaus in Veranstaltungen, Veröffentlichungen und politischen Kampagenen aufgegriffen. Ein solches Selbstverständnis hat auch das Einstellungsbündnis. Im Willkommenstext der Webseite des Einstellungsbündnis (http://einstellung.so36.net) heißt es entsprechend: “Wir wünschen uns darüber hinaus eine Vielfalt von Solidaritätsinitiativen. Der §129a aber auch Themen wie Antimilitarismus, Stadtumstrukturierung, soziale Ausgrenzung und globale Ausbeutung können dabei als Anregung dienen.”

Jenseits einer solch allgemeinen politischen Bezugnahme – in einem juristischen Kontext – jedoch, scheint mir die “Unschuldsvermutung” eine recht sinnvolle Strategie zu sein: “Im Zweifel für den Angeklagten” ist ja eine der rechtstaatlichen Normen, die in §129a-Verfahren partiell außer Kraft gesetzt scheinen und deren Durchsetzung das Ziel einer jeden vernünftigen Verteidigungsstrategie ist. Was soll denn die Alternative zu Unschuldsvermutungen sein? Einlassungen und Geständnisse? Auch in allen anderen §129a-Verfahren gegen linke Strukturen und AktivistInnen setzen die AnwältInnen darauf, die Vorwürfe und Konstrukte als unbewiesen zurückzuweisen.

Das ist in meinem Fall nicht anders. Dass der BGH mit seinem Beschluss zur Aufhebung meines Haftbefehls auch für die BAW nochmal klarstellte, dass “bloße Vermutungen nicht ausreichen”, ist ein Erfolg dieser juristischen Strategie. Damit verbunden ist das Selbstverständnis von Aussageverweigerungen: “Anna und Arthur haltens Maul” gilt eben auch und erst recht für die Beschuldigten. Zumindest juristisch macht es also wenig Sinn, auf die einzelnen Vermutungen und Vorwürfe der BAW einzugehen.

Die vierte Gewalt ist nicht im Vorübergehen zu erobern

Eine eher politische Kritik wurde in Bezug auf die als linksliberal bezeichneten Unterstützungserklärungen aus den Bereichen der Wissenschaft und der sozialen Bewegungen formuliert. Insbesondere wurden dabei die ausweichenden Positionierungen zu der versuchten Brandstiftung in Brandenburg kritisiert. Abgesehen davon, dass namentlich gekennzeichnete Bekenntnisse für eine militante Politik (nicht zuletzt aus Gründen der Verfolgung durch den Repressionsapparat) auch außerhalb von Solikampagnen eher die Ausnahme sind, dürfte es niemanden verwundern, dass die Befürwortung von militanten Interventionen keine sonderlich große gesellschaftliche Basis hat. Die Logik von breiten Bündnissen ist es, sich mit anderen politischen Positionen konfrontieren zu lassen, und trotzdem ein gemeinsames Ziel oder eine gemeinsame Forderung zu verfolgen. Das Ziel der Soliarbeit war und ist es, die Einstellung der §129(a)-Verfahren zu erreichen und die Freilassung aller Beschuldigten durchzusetzen. Dies sollte auch der Maßstab für die Bewertung von Stellungnahmen bleiben.

Die Kritik an der Unschuldsvermutung bezog sich darüber hinaus auf Presseberichte, die das Weichbild eines “unschuldigen Soziologen und Familienvaters” transportierten. Auch wenn dies bei genauerer Betrachtung der vielen Beiträge, die sich eben auch mit meiner politischen Bewegungsgeschichte beschäftigten, nicht ganz schlüssig erscheint, zeigt sich hier die Grenze einer auf breite mediale Resonanz setzenden Öffentlichkeitsarbeit. Eigene Presseerklärungen, Hintergrundgespräche und auch Interviews lassen sich eben nicht ungebrochen in den (zurecht oft kritisierten) Mainstreammedien unterbringen. Das politische Gespür der JournalistInnen, deren Rücksichtnahmen auf die Leserschaft und ihre Orientierung am Spektakulären und Verkaufbaren sind auch durch eine aufwendige Pressearbeit nur begrenzt zu beeinflussen.

Dafür die Öffentlichkeitsarbeit des Einstellungsbündnisses in Verantwortung nehmen zu wollen, ist absurd. Alle, die im Rahmen ihrer politischen Praxis schon einmal versucht haben, eigenen Positionen außerhalb linker Nischenmedien unterzubringen, wissen, dass die vierte Gewalt im Staate nicht im Vorübergehen zu erobern ist. So naiv es ist zu glauben, dass veröffentlichten Beiträge und Artikel in der Welt, der FAZ oder auch der taz die Positionen der Unterstützerkreise widerspiegeln, so überraschend wäre es, wenn sich die bürgerlichen Medien in Sprachrohre unserer Kampagnen verwandelten.

Der politische Mehrwert der bisherigen Öffentlichkeitsarbeit liegt weniger in einem Bekenntnistum für radikale linke Positionen als vielmehr in der öffentlichen Debatte über die Auswirkungen von staatlichen Überwachungsmaßnahmen und einer wachsenden Skepsis gegenüber der massiven Verfolgung und Kriminalisierung linker Bewegungen. In meinen Augen ist dies mehr als wir von den Medien eigentlich zu erwarten hatten.

Andrej Holm

analyse & kritik (ak 523), 16.12.2007

Source: ak 523 | einstellung.so36.net