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2007-10-26

Alexis J. Passadakis: Nach der klimapolitischen Leerstelle beim G8-Gipfel

Zeit für eine neue linke Ökologie?

Beklagt oder zumindest konstatiert wird zur Zeit allenthalben, dass es keine linken AkteurInnen gibt, denen zum Klimawandel viel einfallen würde (vgl. z.B. die aktuelle Artikelreihe in der Jungle World.).

Während der Mobilisierung gegen den G8-Gipfel wurde diese Leerstelle allzu offensichtlich. Die Bundesregierung verkaufte aufgewärmte Beschlüsse zu einer marktbasierten Klimapolitik als Erfolg. Die Protestierenden hatten dazu - falls überhaupt - außer "Mehr CO2-Reduktion!" nicht viel zu sagen. Dabei fordern die aktuellen Debatten um neue Szenarien der Erderwärmung, die Atomindustrie, die EU-Vorstöße zur Trennung von Netz und Stromproduktion zu einer Intervention geradezu heraus. Das für 2008 angedachte Klima-Camp in der BRD bietet eine Chance, sich zu positionieren.

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Jenseits der generellen und durchaus berechtigten Erfolgsbilanzen, die nach dem G8-Gipfel von den verschiedenen Spektren gezogen werden, hat die Mobilisierung gegen die G8 auch deutliche Defizite auf Seiten der sozialen Bewegungen zu Tage treten lassen (vgl. ak 519, S. 4ff.). Denn irgendwie hatten alle Beteiligten - und damit auch die Bundesregierung - gewonnen. Dies war zumindest der Tenor eines großen Teils der medialen Berichterstattung. Auch wenn selbst in den "Leitmedien" häufig Zweifel an der Relevanz der Beschlüsse geäußert wurden, gelang es Angela Merkel, sich zur "Klima-Queen" krönen zu lassen. Einen K.o.-Sieg hat die globalisierungskritische Bewegung folglich nicht landen können. Woran lag das ?

Unter anderem daran, dass trotz jahrelanger Vorbereitung ihre inhaltliche Positionierung relativ blass blieb. Ein klarer Antagonismus zwischen "der Bewegung" und der G8-Präsidentschaft konnte nicht entwickelt werden. Außer bei dem unfreiwillig an sie herangetragenen Konflikt um die Razzien Anfang Mai und die Einschränkung des Demonstrationsrechts. Das rächte sich insbesondere beim Thema Klimawandel, bei dem das Bundeskanzleramt besonders punkten konnte. Beackert wurde dieses Feld seitens der KritikerInnen im Wesentlichen von den großen Klimaverbänden und Umwelt-NGOs. Trotz Schnellboot-Aktionen von Greenpeace konnte jedoch nicht viel mehr transportiert werden, als dass schlicht weniger CO2-Emmissionen vereinbart werden sollten. Angesichts des Ausmaßes der vom Klimawandel mitverursachten sozio-ökologischen Katastrophen ist das als politische Strategie ziemlich lau. Von der (radikalen) Linken war zur Klimapolitik schlicht gar nichts zu hören.

Das Defizit, im Zuge der Mobilisierung keine klar konturierte Position zur Klimapolitik der G8 bzw. der Bundesregierung zu Stande gebracht zu haben, wiegt umso schwerer, als dass der Klimawandel und seine Folgen in der globalen Öffentlichkeit zu einem "Groß-Diskurs" zu werden scheinen. Die beiden Stürme Kathrina in den USA und Kyrill in Deutschland haben dem Klimawandel eine verschärfte Aktualität gegeben. Es vergeht kaum ein Tag, an dem Klimakatastrophe und Energiepolitik nicht in den Schlagzeilen zu finden sind. Zwar werden die nationalen und internationalen Klimapolitiken beim jetzigen Stand der Dinge nicht dazu führen, dass der globale Durchschnittstemperaturanstieg auf ein verträgliches Maß begrenzt werden kann. Dennoch ist das, was von Regierungen und einigen Unternehmensfraktionen forciert wird, ernst zu nehmen:

Klima als gesellschaftliches Problem

Eines der wichtigsten umweltpolitischen Instrumente ist der Handel mit Emissionszertifikaten, der sich als Umverteilungsmaschine von unten nach oben herausgestellt hat. Der Boom von Agrokraftstoffen führt zu einem globalen Wettbewerb um landwirtschaftliche Nutzflächen, Vertreibung von KleinbäuerInnen inklusive.
Aus der Perspektive einer neuen linken Klimapolitik geht es daher sowohl darum, das fossilistische Energiesystem zu bekämpfen, als auch einen Öko-Kapitalismus, der die weltweiten Klassenverhältnisse unter den Vorzeichen des Marktes einer C02-armen Produktionsweise anpasst und damit soziale Katastrophen produziert. Nötig ist eine Positionierung, die die Eigentumsfrage bei der Energieproduktion stellt und sich gegen die Warenform von Energie wendet.

Noch in der ersten Hälfte der 1990er Jahre waren die Debatten über die Erwärmung des Klimas aus emanzipatorischer Sicht in der BRD weiter als heute. Viele AkteurInnen vertraten die Position, dass die Klimakatastrophe weniger durch (globale) Umweltpolitik zu bearbeiten sei, sondern dass das dominante fossilistische Energiesystem des Nordens herausgefordert werden müsse, indem Fragen zur herrschenden Konsum- und Produktionsweise zu stellen seien. Dies bedeutet eine direkte Auseinandersetzung mit den konkreten AkteurInnen, die dieses System aufrechterhalten, wie z.B. den Energiekonzernen. Stattdessen fokussierten sich viele NGOs auf den Kyoto-Prozess als Instrument globaler Regulation. Die Klimakatastrophe wurde auf ein Problem reduziert, welches auf dem Wege internationaler Regierungsverhandlungen vertraglich zu lösen sei. Marktbasierte Mechanismen wurden zum Mittel der Wahl.
So ist es heute möglich, dass von staatlicher Seite her umweltpolitische Lippenbekenntnisse bei Klimaverhandlungen gemacht werden, während gleichzeitig - wie beim EU-USA-Gipfel in Washington im Mai 2007 - die Liberalisierung des Luftverkehrs zwischen den beiden Wirtschaftsräumen ("Open-Sky-Luftverkehrsabkommen") als wichtiger Meilenstein gefeiert wird. Die EU-Kommission erhofft sich davon eine Steigerung der transatlantischen Passagierszahlen um mehr als 50 Prozent (!) in den kommenden fünf Jahren. Und in der Bundesrepublik planen z.B. die großen Stromkonzerne E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall mit dem energiepolitischen Argument der Versorgungssicherheit den Bau von bis zu 40 neuen Kohlekraftwerken. Die Energiepolitik der Regierungen und Konzerne bearbeiten den Klimawandel nicht nur nicht schnell und weitgehend genug; sie schlagen weiterhin eine katastrophale Richtung ein.

Es gibt viele mögliche Angriffspunkte für eine linke Klimapolitik: sie reichen von der globalen Durchsetzung von Agrotreibstoffen über eine mögliche Renaissance der Atomenergie bis hin zur Klimaflüchtlingsfrage. Angesichts der aktuellen Diskussionen um die nukleare Unsicherheit Vattenfalls, den Neubau von Kohlekraftwerken und der von der EU-Kommission forcierten Debatte um die Entflechtung der großen Konzerne in Stromproduktion und Netzbetrieb bieten sich RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW als Angriffsziel an. Eine linke Klimapolitik, die nicht das C02 als Gegner definiert, sondern sich als Ensemble sozialer Kämpfe um die Produktions- und Distributionsweise versteht, hat folgende Fragen zu beantworten:

1.) die demokratische Frage: Wie können wir eine demokratische öffentliche Energieversorgung erstreiten? Enteignung, Demokratisierung, Dezentralisierung bzw. weitgehende Kommunalisierung scheinen notwendige Schritte zu sein.

2.) die soziale Frage: Wie kommen wir zu sozialen Preisen und erträglichen Arbeitsbedingungen im Energiesektor? Wie kann eine Transformation angesichts der unsozialen Auswirkungen von Privatisierung, Liberalisierung und Kommerzialisierung in den vergangenen Jahren sozial gestaltet werden? Und wie kann eine solidarische Energiepolitik aussehen, die insbesondere die ärmsten Bevölkerungsgruppen im Süden einerseits nicht Flut und/oder Wüste überlässt und andererseits das Globale Soziale Recht auf Energieversorgung als Basisdienstleistung für alle garantiert?

3.) die ökologische Frage: Wie kann eine Transformation zu einem nicht-fossilistischen Energiesystem aussehen und wie können die Schritte hin zu "open-source"-Energien (Sonne, Wind, Erdwärme) bewerkstelligt werden? Wie können dabei sozio-ökologische Desaster wie durch die Ausweitung der Agrosprit-Verwendung vermieden werden?

Energiedemokratie durchsetzen

Soziale Kräfte, die sich für eine alternative Energiepolitik einsetzen, sehen sich Oligopolen von transnationalen Energiekonzernen gegenüber, die Teil des Rückgrats der globalisierten Ökonomie bilden. Über 80% der gesamten Energie-Erzeugung in der BRD liegen beispielsweise in den Händen der vier großen Stromkonzerne. Bei den Bohrinselbetreibern, die von der gesteigerten Nachfrage nach Gas und Öl profitieren, kommt es zu neuen Zusammenschlüssen wie der Mega-Fusion von Transocean und Global Santa Fe (Marktwert 53 Mrd. US-Dollar). Eine soziale-ökologische Transformation der Energiewirtschaft ist daher nur denkbar, wenn die Macht der privatkapitalistischen oder staatskapitalistischen Managerkasten der großen Energiekonzerne (z.B. des schwedischen Staatskonzerns Vattenfall) gebrochen wird. Die Forderung nach Energiedemokratie setzt genau an diesem Punkt an.

Effektiver demokratischer Kontrolle muss allerdings eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse und eine weit reichende Dezentralisierung vorausgehen. Die Enteignung der großen Konzerne ist in diesem Kontext ein zentraler Schritt. Enteignung ist dabei allerdings nicht mit "Vernationalstaatlichung" gleichzusetzen, sondern eng an Konzepte von direkter und nicht lediglich repräsentativer Demokratie zu koppeln. In diesem Sinne müssen auch die obrigkeitsstaatlichen Verwaltungen, wie die sich im "öffentlichen Eigentum" befindlichen ca. 400 deutschen Stadtwerke, "enteignet" und in BürgerInnen-Kontrolle überführt werden. Dass demokratische Formen für sich allein genommen nur bedingt emanzipatorische Wirkung entfalten, wenn die Mobilisierungsfähigkeit von sozialen Bewegungen abnimmt, ist z.B. bei den rekommunalisierten Wasserwerken der Stadt Cochabamba zu sehen. Der Weg zu einer sozialen und ökologischen Energieversorgung ist denkbar lang. Erste Schritte in diese Richtung deuten sich seit kurzem an: die Linkspartei fordert die Vergesellschaftung der Energiekonzerne, bei attac ist eine Kampagne, die ebenfalls auf die Eigentumsfrage hin orientiert ist, in Planung, und links davon soll Camp-Aktivismus gegen die großen Vier in Stellung gebracht werden.

In Großbritannien fanden 2006 und 2007 so genannte climate camps statt. Initiiert wurden diese von linken BewegungsaktivistInnen, die die übliche marktkonforme Bearbeitung des Themas "Klimawandel" ablehnen. Inhaltlich standen die Ausweitung der Kohlenutzung, der wachsende Flugverkehr und der Emissionshandel im Fokus (www.climatecamp.org.uk). Mit Mitteln des zivilen Ungehorsams haben die AktivistInnen versucht, den Konflikt um ein C02-armes Energiesystem zuzuspitzen.
Auch in Deutschland stehen die Zeichen für Kampagnen, die Klimapolitik unter gesellschaftspolitischen und nicht lediglich umweltpolitischen Vorzeichen begreifen, günstig. Seit kurzem gibt es eine bundesweite Initiative für ein Klima-/Energie-Camp, das für das kommende Jahr geplant ist (www.klimacamp.org). Eine Herausforderung wird sein, eine Klimapolitik zu formulieren, die die bisherige als unsozial, undemokratisch und ökologisch unwirksam kritisiert. Zugleich gilt es, sich mit dieser Kritik an laufende, lokale Auseinandersetzungen, wie z.B. Initiativen gegen den Neubau von Kohlekraftwerken, anzuschließen. Zudem könnten in diesem Kontext solidarische internationalistische Kampagnen entwickelt werden, die etwa einen Bezug zu den Menschen in den kolumbianischen Kohlerevieren oder zu vertriebenen Kleinbauern in den Palmöl-Anbauregionen Indonesiens herstellen.

Die Mobilisierung nach Heiligendamm war organisatorisch derart beanspruchend, dass für programmatische Debatten keine Kraft blieb. Möglicherweise wird dies nun mit Verspätung nachgeholt. Es ist die neue Chance, "über das Wetter zu reden", ohne dabei ein internationales Großereignis mittels Protesten quasi spiegeln zu müssen. Eine sinnvolle Option könnte dabei sein, die Orte unmittelbar fossilistisch-kapitalistischer Produktion als Orte der weiteren politischen Auseinandersetzung zu wählen.

Alexis J. Passadakis

G8-Klima-Deklaration

Bestätigt wurde in Heiligendamm, dass künftige Klimaverhandlungen im Rahmen der UN stattfinden sollen. Dies wurde als großer Erfolg gefeiert, obwohl erst zwei Jahre vorher beim Gipfel in Gleneagles fast wortgleich dasselbe beschlossen worden war. Neu ist, dass bei der UN-Klimakonferenz in Bali Verhandlungen über einen Post-Kyoto-Vertrag geführt werden sollen. Bis 2009 sollen diese beendet. Was dabei herauskommen wird, ist natürlich völlig offen. Konkrete Vereinbarungen zur Reduktion von C02 gab es nicht. Stattdessen sollen die Beschlüsse der EU, Kanadas und Japans, die C02-Emissionen bis 2050 um 50 Prozent zu senken, von allen G8-Staaten "ernsthaft in Betracht gezogen werden". In Bezug auf die Erwähnung erneuerbarer Energien gab es wohl einen unausgesprochenen Deal: Wenn sich die Bundesregierung bei diesem Thema zurückhält, würden die anderen darauf verzichten, die Atomenergie anzupreisen.
Der Klima-Teil der Abschlussdeklaration für sich genommen ist bereits ein Desaster. Berücksichtigt man zusätzlich die übrigen Verlautbarungen zur wirtschaftspolitischen Agenda der G8, wird das Bild noch düsterer. Im Vordergrund ihrer Agenda steht ein offensiver weltwirtschaftspolitischer Kurs gegenüber den zunehmend ökonomisch potenteren Schwellenländern. Liberalisierung der Märkte, verschärfter Wettbewerb, Rohstoffsicherung und Wachstum sind dabei essenzielle Elemente. (AP)

Source: ak 520